Piet Mondrian

Piet Mondrian (eigentlich Pieter Cornelis Mondriaan; * 7. März 1872 in Amersfoort, Niederlande; † 1. Februar 1944 in New York City, Vereinigte Staaten) war ein niederländischer Maler der klassischen Moderne.
Mondrian begann als Künstler unter dem Einfluss von Vincent van Gogh, den Fauves und den Kubisten zu malen. Er gehört zu den Begründern der abstrakten Malerei und gilt als Hauptmeister der niederländischen Konstruktivisten. Er war 1917 Mitbegründer der Künstlervereinigung De Stijl und schrieb als Kunsttheoretiker die Schrift Le Néo-Plasticisme, die 1925 in deutscher Übersetzung als Bauhausbuch Nr. 5 unter dem Titel Neue Gestaltung, Neo-Plastizismus veröffentlicht wurde.
Leben
Frühe Jahre

Piet Mondrian wurde am 7. März 1872 als zweites von fünf Kindern in Amersfoort als Sohn von Pieter Cornelis Mondriaan (* 1839; † 1915) und dessen Frau Johanna Christina Mondriaan (geb. Kok, * 1839; † 1909) geboren. 1880 zog die Familie nach Winterswijk, nahe der deutschen Grenze, über.[1] Seine Geschwister waren Johanna Christina (* 1870), Willem-Frederik (* 1874), Louis Cornelis (* 1877) und Carel (* 1880). Die Mutter war häufig krank, und die älteste Tochter Christina musste bereits als kaum Achtjährige den Haushalt führen, während der Vater als Volksschullehrer lieber freiwillig Überstunden machte und im Auftrag seiner Kirche Reisen auf sich nahm. Der Haushalt mit den vielen Kindern musste einem Chaos geglichen und Mondrian das Grundvertrauen in die Welt entzogen haben, sodass er nie eine dauerhafte Partnerschaft eingegangen ist.[2]
Bei seinem Onkel Fritz Mondriaan, der ein geschätzter Landschafts- und Interieurmaler war[3], und seinem Vater – ein strenger Calvinist, der seine moralischen Ansichten unerbittlich vertrat, und ein enger Freund Abraham Kuypers war, „der als christlicher Demokrat feurig den traditionellen Kalvinismus verteidigte“,[1] – nahm er ab 1886 Zeichenunterricht.[4] Mondrian sollte nach dem Willen des Vaters Lehrer werden, und Piet Mondrian strebte die Laufbahn eines Zeichenlehrers an. Hierfür erwarb er 1889 und 1892 die zwei nötigen Zeichenlehrerdiplome – die Lehrbefähigung für Volksschulen und die Lehrbefähigung als Zeichenlehrer für höhere Schulen. Da Mondrian sich jedoch nicht zum Lehrer berufen fühlte, entschied er sich noch im November 1892 an der „Rijksakademie van beeldende kunsten“ in Amsterdam sein Studium der Kunst zu beginnen[5], das er bis 1894, mit anschließenden Abendkursen bis 1897, fortführte. Während des Winters 1899/1900 erlangte für Mondrian die Frage der Theosophie an Bedeutung, und er las Bücher, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser standen. Insbesondere begeisterte er sich für das Werk Les Grands Initiés (Die großen Eingeweihten) von Édouard Schuré, dessen erste Auflage 1889 erschienen war.[6] In den Jahren 1898 und 1901 bewarb er sich um den niederländischen „Prix de Rome“, den angesehensten Kunstpreis der Niederlande. Die Jury lehnte ihn beide Male ab.[7]
Erstes Atelier und Aufenthalt in Paris
Nachdem Piet Mondrian zwei Stillleben verkauft und einen Porträtauftrag ausgeführt hatte, reiste er 1901 mit seinem Freund, dem Maler Simon Maris (1873–1935), nach Spanien. Er empfand die Stierkämpfe als traurig und die Bevölkerung wenig anziehend, und so kehrte er ziemlich schnell in seine Heimat zurück. Er hatte in Spanien nichts malen können – zu verschieden war das Licht von demjenigen der Niederlande – und daher suchte er weiter nach seinem Stil. 1904 lebte er zurückgezogen in Uden, wo er sich vermehrt mit der Theosophie auseinandersetzte, ein Prozess, der bis an sein Lebensende reichen sollte.[8]
Im Jahr 1905 bezog Mondrian sein erstes Atelier in Amsterdam, wo er bis 1908 hauptsächlich naturalistische Arbeiten sowie wissenschaftliche Zeichnungen für die Universität Leiden anfertigte.[4] 1908 bezog er eine Wohnung in Domburg auf Walcheren in Zeeland, wo er bis 1910 die Sommermonate verbrachte, und wurde, neben Jan Toorop und Jan Sluyters, in den Vorstand des von Conrad Kickert 1910 gegründeten Moderne Kunstkring berufen.[9] 1909 trat Mondrian der Theosophischen Gesellschaft in Amsterdam bei. Die Aufnahmeurkunde, die die Unterschrift von Annie Besant trägt, verwahrte er sein ganzes Leben bei sich.[10] Seine Mutter starb in diesem Jahr, was den Künstler schwer traf und ihn aus der Bahn warf. Eine in dieser Zeit erfolgte Verlobung mit Greet Heybroek löste er wieder auf.[11]
Ende 1911 siedelte Mondrian nach Paris über und ließ sich im Atelier von Conrad Kickert, Rue du Départ 26, in der Nähe des Bahnhofs Montparnasse nieder,[9] wo er bis Januar 1936 lebte und arbeitete.[12] Durch Kickert kam er mit dem Kubismus in Berührung und schloss sich diesem sogleich an, wobei er sich am Kubismus von Georges Braque und Pablo Picasso, weniger an Fernand Léger und Robert Delaunay orientierte. Er nannte sich nun außerhalb der Niederlande Piet Mondrian[13].
Gründung von „De Stijl“
Im Juli 1914 bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, ging er zurück in die Niederlande, befreundete sich mit dem Mathematiker und Theosophen Mathieu Hubertus Josephus Schoenmaekers[4], und fertigte mehrere Zeichnungen an, in denen er den Rhythmus des Meeres, ein Thema, das ihn seit 1909 begleitete, zu interpretieren versucht. Er suchte und fand Anschluss an die „besseren Kreise“ Amsterdams. Der Kunsthistoriker H. P. Bremmer, der die Industriellenfamilie Kröller-Müller bei ihrer Künstlerförderung beriet, setzte ihm ein Jahresgehalt aus, das er bis 1918 erhielt. Seine radikale Abstraktion war nicht mehr genehm. 1916 zog er Laren, wo er sich die Künstlergruppe Larener Schule anschloss.[14] In diesem Jahr machte Mondrian Bekanntschaft mit Bart van der Leck, mit dem er im darauffolgenden Jahr gemeinsam mit Theo van Doesburg die Künstlergruppe De Stijl gründete und begann in der gleichnamigen Zeitschrift einen größeren Aufsatz über „Die neue Plastik in der Malerei“. In den kommenden drei Jahrgängen der Zeitschrift trat er sowohl durch den Umfang seiner Texte, als auch durch seinen Einsatz als wichtigster Mitarbeiter in Erscheinung. Mondrian war es durch seinen Aufsatz ab 1917 als erstem gelungen, an einer Entwicklung einer neuen plastischen Ausdrucksweise zu arbeiten und dies „durch eine Weiterführung des Kubismus zur Verwirklichung“ einer „neuen Plastik in der Malerei.“[15]
Rückkehr nach Paris

Im Februar 1919 kehrte Mondrian nach Paris zurück und veröffentlichte 1920 im Verlag L’Effort Moderne von Léonce Rosenberg die Schrift Le Néo-Plasticisme. 1925 erschien sie als Übersetzung[9] in den von Walter Gropius herausgegebenen Bauhausbüchern als Nummer 5 unter dem Titel Neue Gestaltung, Neoplastizismus.[12]
Nach einem Streit mit van Doesburg über den Einsatz von Diagonalen in Kunstwerken trat Mondrian im Jahr 1925 aus der De-Stijl-Bewegung aus, da er diese Form der Darstellung zu dieser Zeit in seinen Bildern gänzlich ablehnte.[9] 1926 empfing Mondrian Katherine Sophie Dreier, die dem Künstler ein größeres rhombisches Bild abkaufte, das noch im selben Jahr auf der internationalen Ausstellung der Société Anonyme in Brooklyn gezeigt wurde. In den folgenden Jahren kam sie des öfteren nach Paris, um weitere Bilder Mondrians vom Künstler zu erwerben. Im April 1930 stellte er in einer Ausstellung der von Michel Seuphor 1929 gegründeten Künstlervereinigung Cercle et Carré aus, zu deren Hauptmitgliedern Mondrian zählte und die insgesamt aus achtzig Mitgliedern bestand.[16] In diesem Jahr besuchte Alexander Calder Mondrian in seinem Atelier, das ihn durch seine Gestaltung mit farbigen geometrischen Formen so beeindruckte, dass er seinen figurativen Stil änderte und Mobiles zu schaffen begann.[17] 1931 wurde Mondrian Mitglied der Gruppe Abstraction-Création.[18]
Ende des Jahres 1934 besuchten ihn zwei Künstler. Zunächst der damals vierzigjährige englische Maler Ben Nicholson[19], dann der 22-jährige Harry Holtzman, ein junger amerikanischer Künstler, der von Mondrians Werk fasziniert war, in seinem Pariser Atelier. Sie wurden Freunde, und Mondrian setzte ihn später als seinen Alleinerben ein.[20] Im März 1936 bezog der Künstler ein neues Atelier auf dem Boulevard Raspail Nr. 278, da das Gebäude in der Rue du Départ abgerissen wurde. Nachdem sein Werk bereits in Gruppenausstellungen in London und Oxford gezeigt worden war, konnte das amerikanische Publikum erstmals Mondrians Arbeiten in der Ausstellung Cubism and Abstract Art des Jahres 1936 betrachten, das vom Museum of Modern Art in New York ausgerichtet worden war.[21]
Letzte Jahre in London und New York
1938, mit den ersten Anzeichen eines kommenden Krieges, reiste Mondrian am 21. September des Jahres nach London und bezog eine Wohnung auf der Park Hill Road in Hampstead. Sein Atelier war ein großes Zimmer im Zwischengeschoss des Backsteinhauses, unter dem sich Ben Nicholsons Atelier befand, ein wenig entfernter – jenseits eines durch den Garten führenden Fußwegs – lag das Atelier von Barbara Hepworth, Nicholsons Ehefrau. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zog das Ehepaar nach St Ives in Cornwall und bot Mondrian an, sich ihnen anzuschließen, was er ausschlug.[22][23] Im Oktober 1940 emigrierte er nach dem deutschen Angriff The Blitz im September des Jahres auf London mit der Unterstützung von Harry Holtzman in die USA, schloss sich in New York den Künstlern der abstrakten Kunst an, die sich in der 1936 gegründeten American Abstract Artists vereint hatten,[24] und publizierte Aufsätze über den Neoplastizismus.
In einer Ausstellung von Peggy Guggenheims Galerie Art of This Century im Jahr 1943 beeinflusste Mondrian Jackson Pollocks künstlerischen Erfolg. Calvin Tomkins, Marcel Duchamps Biograf, beschrieb, dass sich Guggenheim erst negativ über Pollocks eingereichtes Werk Szenographic Figure mit abstrakten und halbabstrakten Formen geäußert habe. Als Mondrian, der Jurymitglied war, das Bild als das aufregendste Gemälde, das er je gesehen habe, bezeichnete, habe sie ihre Meinung geändert und wurde zur Förderin von Pollocks Werk.[25]
Piet Mondrian starb 1944 im Alter von 72 Jahren an einer Lungenentzündung in New York. Sein Grab liegt auf dem Cypress Hills Cemetery in Brooklyn. Die Werke des Künstlers sind international in großen Museen vertreten. Mondrians Geburtshaus in Amersfoort heißt seit 1994 „Mondriaanhuis“ und ist ihm und seinem Werk gewidmet. Der Nachlass wird vom Mondrian/Holtzman Trust vertreten[26].
Werk
Impressionismus
Zu Beginn von Mondrians Schaffen malte er noch impressionistisch beeinflusste Landschaften seiner niederländischen Heimat wie Bäuerliche Szenerie mit St.-Jacobskirche (1899). Es folgten Bilder mit neoimpressionistischem und symbolistischem Einfluss wie Passionsblume (1903/08)[Bild 1]. bevor er nach der Übersiedlung nach Paris ab Ende 1911 den Kubismus reflektierte und zunehmend die gegenständliche Malerei hinter sich ließ.
Das Gemälde Mühle im Sonnenlicht: Die Winkeler Mühle[Bild 2] aus dem Jahr 1908 zeigt beispielsweise Mondrians Auseinandersetzung mit einem traditionellen holländischem Motiv. Das Bild ist vom Fauvismus beeinflusst und orientiert sich an Vincent van Gogh. Die Mühle, im Gegenlicht vor gelb-blauem Hintergrund präsentiert, ist mit roten und blauen Strichen gemalt, wobei die roten die blauen Striche zum Teil überdecken. Die Anwendung pointillistischer Maltechnik wird als Mittel eingesetzt, um die Form zu entmaterialisieren, und die Bezugnahme auf den Fauvismus in der Farbgebung dient dazu, die Wirklichkeit noch mehr zu abstrahieren.
Mit seiner Darstellung dreier unbekleideter Frauen im Triptychon Evolution (um 1911)[Bild 3], die die „drei Stufen der Kenntnis“ zeigen, werden die religiösen und moralischen Ansichten Mondrians nach seinem Studium der Theosophie (Göttliche Weisheit) zum Ausdruck gebracht. Das Thema ist die Entstehung des Neuen durch den Verzicht auf sinnliche Erfahrung. Die biologische Evolution soll durch eine rein geistige Entwicklung ersetzt werden.Das Publikum kritisierte es als „kalt und leer.“[27][28]
Kubismus
Während der zwei Jahre und sieben Monate, die Piet Mondrian von Ende Dezember 1911 bis Juli 1914 in Paris verbrachte, schloss er sich 1912 dem Kubismus von Georges Braque und Pablo Picasso an und vermied den koloristischen Kubismus Fernand Légers und Robert Delaunays. Es entstanden Komposition in Grau-Blau, Akt sowie die erste und zweite Fassung von Stillleben mit Ingwertopf[Bild 4]. 1913 beteiligte er sich in Paris am 29. Salon des Indépendants, wo er ein Jahr später wiederum ausstellte.[29] Mondrian kritisierte am Kubismus jener Zeit, dass dieser nicht die logische Konsequenz aus seinen eigenen Entdeckungen hatte ziehen und lieber den dreidimensionalen Raum habe beibehalten wollen. Diese, also zutiefst naturalistische Auffassung des Kubismus als Abstraktion, löste nun Mondrian auf, indem er diesen Raum zerstörte, indem er Flächen benutzte und in eine streng rechteckige Form umwandelte.[30] Das Häusergewirr von Paris inspirierte ihn ab 1913, in die kubstischen Bilder Alltagserfahrungen einzubringen. Die Schönheit einer Brandmauer stellte er 1914 in Komposition Nr. VI[Bild 5] dar, in dem schwarze kubistische Linien das in hellblau und ockerfarben gemalte Motiv spielerisch auflösen. Ein Jahr später, als er Paris verlassen hatte, malte er Komposition 10 in Schwarzweiß (auch Sternen- oder Weihnachtsnacht genannt, das als Motiv ein schwarzes, abstraktes Linienmuster bildet. Im Gegensatz zu Robert Delaunays Fensterbildern, die eine Formen- und Farbenvielfalt aufweisen, wählte Mondrian aus den im kubistischen Stil vorliegenden Möglichkeiten die Gleichförmigkeit und die Leere.[31]
Neo-Plastizismus
Während sich die Künstler der 1917 gegründeten De Stijl-Gruppe alsbald schon anderen Kunstrichtungen zukehrten, blieb Mondrian dem Grundgedanken dieser Bewegung verbunden, indem er diesen nach und nach zu vertiefen begann und die er erstmals 1920 in der Schrift Le Néo-Plasticisme: principe général de l'équivalence plastique veröffentlichte. In Deutschland erschien die Schrift 1925 unter dem Titel Neue Gestaltung, Neoplastizismus, Nieuwe Beelding.[32] Die in den Jahren 1916 und 1917 entstandenen Gemälde aus kleinen horizontalen wie vertikalen Strichen vollendeten das Meeresthema und das des Motivs der Gerüste, wie in Komposition[Bild 6] aus dem Jahre 1916 oder Komposition mit Linien[Bild 7] von 1917.[33] 1919 entstand die erste Komposition in rhombischem Format, die Komposition: Helle Farbflächen mit grauen Linien und 1920 wurde die Aufteilung der Linien asymmetrisch, wobei diese Bilder – Komposition: Helle Farbflächen mit grauen Konturen[Bild 8], Komposition in Grau, Rot, Gelb, Blau, Komposition mit Rot, Blau und Grün – eine gewisse Zaghaftigkeit in der Verwendung kräftiger Farben aufweisen.[34] Hatte Mondrian von 1908 bis 1911 bereits in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau gemalt, diese ausschließliche Farbgebung dann wieder aufgegeben zugunsten gebrochener Töne wie Gelbgrün und Orange, kehrte er ab 1921 zu ihnen zurück. Sie werden bis in die Gegenwart als typisch für Mondrian angesehen.[35]
Der bildnerische Aspekt
Mondrians Bilder sind ab ca. 1921 leicht zu beschreiben: Sie bestehen aus schwarzen Streifen, die sich im rechten Winkel schneiden, und rechtwinkligen Flächen in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau, die an den Streifen anliegen. Die verbleibenden Zwischenräume sind Weiß. Streifen und Rechtecke sind nie symmetrisch angeordnet, sondern ungleichförmig rhythmisch und dynamisch komponiert.
Die einzelnen farbigen Rechtecke gehen im Flächenschluss auf; Flächenschluss bedeutet, dass die farbigen Flächen durch ihre Bindung an die schwarzen Streifen und in ihrem Verhältnis zu den weißen Flächen nicht vor oder hinter ihnen, sondern in einer Ebene mit diesen liegen. So gesehen gibt es keine Raumillusion mehr in den Bildern, sie sind absolut flächig, zumindest kann man sie so wahrnehmen, wenn man will. Die Figur-Grund-Illusion ist aufgehoben.
Darüber hinaus handelt es sich bei den Bildern Mondrians um subtile Gleichgewichtssysteme. Die wahrnehmbaren Bewegungskräfte der Rechtecke entlang der flächenparallelen Streifen werden zu einem spannungsvollen Stillstand gebracht;[36] viele Betrachter erleben diese Flächen in ihrem Verhältnis zueinander aber auch einfach als wohlproportioniert. Auch die Farben werden in ihrer Raumwirkung ausbalanciert (Blau tendiert nach hinten, Rot und Gelb mehr oder weniger nach vorne), ebenso die Hell-Dunkel-Quantitäten des Bildes. Dieses bildnerische Gleichgewicht hat Mondrian immer wieder aufs Neue in seinen Bildern durchkomponiert.
Etwa ab 1940 lockerte er die schwarzen Streifen mosaikartig in den Primärfarben auf (Boogie-Woogie-Bilder), wodurch sich der Eindruck von Rhythmus und Bewegung steigert.
Diese gegenstandslose oder auch absolute Malerei hat nichts anderes zur Verfügung als sich selbst, nämlich Farbe und Fläche.
Der inhaltliche Aspekt
An seine Bilder koppelte Mondrian ein Weltbild, das aus Geistesströmungen des späten 19. und frühen 20. Jhdts., insbesondere der Theosophie, abgeleitet ist: Hinter den wechselhaften Erscheinungen der uns umgebenden Welt gebe es eine wahrere Wirklichkeitssphäre, die man durch Übung erkennen könne. Sie sei eine Art Vorbild für ein gutes Leben, eine ordentlich gestaltete Welt. Solange die Menschen nicht in der Lage sind, diese Wirklichkeit zu erkennen, bedarf es der Bilder Mondrians, die ein Abbild dieser Wirklichkeit sind.
Die Analogie zwischen Bild und reiner, idealer Wirklichkeit ist, dass es keine "tragischen, eitlen" Formen gibt (etwa Flächen vor einem Hintergrund, unreine Farben, Mischfarben also), sondern alles in der gleichgewichtigen Gestalt gelöst ist. Der rechte Winkel sei die "einzige konstante Verwandtschaft zur reinen Realität" und wechselnde Proportionen repräsentieren durch ihre Bewegung das Leben. Die Primärfarben sind die Abstraktion von der ersten, uns umgebenden Welt.[37]
So sah Mondrian sich selbst immer noch als Landschaftsmaler, nur eben einer reinen Realität, die hinter der uns vordergründig erscheinenden Realität verborgen bleibt. Diese "Landschaften" beruhen auf dem natürlichen Anschauungsschema von Senkrechter (der Mensch) und Waagerechter (der Horizont), das er niemals aufgibt. Daher rührt seine Reaktion auf die Bilder van Doesburgs, der diagonale Flächen einführte und mit dem Mondrian sich daraufhin zerstritt: Er kippt den Rahmen zur Raute und malt innerhalb des Bildes weiterhin waagerecht-senkrecht.
Mondrian hat seine Auffassung von Malerei beispielsweise 1919/20 in einem Aufsatz in Dialogform in sieben Szenen zwischen einem naturalistischen (X), einem abstrakt-realistischen Maler (Z) und einem Kunstliebhaber (Y) „während eines Spaziergangs, der auf dem Lande beginnt und in der Stadt endet, und zwar im Atelier des abstrakt-realistischen Malers“ sehr deutlich, quasi didaktisch, formuliert.[38]
Es ist natürlich die Frage, ob man die Bilder Mondrians tatsächlich so sieht, wie er es sich idealer Weise vorstellte und ob darin deren adäquate Rezeption liegt. Möglicherweise brauchte er einen Überbau, um die zu seiner Zeit sehr fortschrittliche Position, in der die Form sich fast völlig verselbständigt hatte, dauerhaft vertreten zu können.[39] Mondrian konnte nicht wissen, dass amerikanische Maler der 50er Jahre (z.B. J. Pollock) den hierarchischen Bildbau, der die Form bei Mondrian immer noch strukturiert, sogar aufgaben und Malerei als Phänomen - nur auf sich selbst bezogen - weiter entwickelten.
Rezeption
Mondrians Geburtshaus in der Kortegracht 11 in Amersfoort ist seit 1994 das Museum Mondriaanhuis mit Bibliothek und Dokumentationszentrum.[40]
Der Schweizer Komponist Hermann Meier arbeitete ab Mitte der 50er Jahre mit großen, farbigen Plänen, die er „Mondriane“ nannte.
Der französische Couturier Yves Saint Laurent entwarf 1965 Kleider mit den geometrischen Motiven Mondrians. Sie wurden häufig nachgeahmt. Ein Exemplar gehört zum Bestand des Museum of Modern Art in New York.[41]
Die Lichtinstallation „greens crossing greens (to Piet Mondrian who lacked green)“ Dan Flavins aus dem Jahr 1966 ist Mondrian gewidmet, der nicht nur Grün, sondern auch die anderen Komplementärfarben Violett und Orange mied.
Die esoterische Programmiersprache Piet basiert auf Mondrians Gemälden und wurde nach ihm benannt.
Das Museum für Angewandte Kunst in Köln zeigte 2010 die Ausstellung all-over Mondrian. Kunst + Konsum, in der dokumentiert wurde, wie sehr Mondrians Werk den Konsumalltag beeinflusst hat. Ein Beispiel ist eine Haarpflegeserie der Kosmetikfirma L’Oréal aus dem Jahr 1986. Im Zentrum der Schau stand das Mondrian-Gemälde Komposition mit Schwarz, Rot und Grau aus dem Jahr 1927. Dem Werk wurden Artikel wie Feuerzeuge, Sportkleidung, Damenschuhe und Duschtassen gegenüber gestellt, die in grafischen Strukturen und Farben das Gemälde im Mondrian-Stil aufgreifen. „Die Konfrontation des Kunstwerks mit mehr oder weniger gelungenen Adaptionen in der Warenwelt schärfe den Blick für das bei Mondrian nur scheinbar simple Bildvokabular“, war eine Aussage des Museums.[42]
Ausstellungen
Einige seiner Werke wurden postum auf der documenta 1 (1955), der documenta II (1959) und der documenta III im Jahr 1964 in Kassel gezeigt.
- 2010/11: Mondrian/De Stijl, Centre Pompidou, Paris [43]
- 2007/08: Mondrian – vom Abbild zum Bild. Museum Ludwig, Köln
Ausgewählte Werke
Ölbilder
- ca. 1906: Landschaft mit Mühle, Nationalgalerie (Athen)
- 1908: Roter Baum, Haags Gemeentemuseum, Den Haag
- 1911: Grauer Baum, Haags Gemeentemuseum, Den Haag
- 1913: Komposition in Oval, Stedelijk Museum, Amsterdam
- 1914: Komposition Nr. 6, Haags Gemeentemuseum, Den Haag
- 1928: Komposition mit Rot, Gelb und Blau, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen
- 1929: Komposition Nr. II in Blau und Rot, Museum of Modern Art, New York
Schriften
- Natürliche und abstrakte Realität. Ein Aufsatz in Dialogform, 1919/1920, in: Michel Seuphor: Piet Mondrian. Leben und Werk. DuMont Schauberg, Köln 1957, S. 303–351
- Neue Gestaltung, Neoplastizismus, Nieuwe Beelding. Neuauflage Gebr. Mann, Berlin 1998, ISBN 3-7861-1472-2
Literatur
- Kataloge
- Delia Ciuha: Mondrian + Malewitsch - in der Mitte der Ausstellung; Ausstellungskatalog der Fondation Beyeler mit einem Essay von Markus Brüderlin, Edition Minerva, Wolfratshausen 2003, ISBN 3-932353-84-6
- Joop M. Joosten, Robert P. Welsh: Piet Mondrian. Catalogue Raisonne. Zwei Bände (englisch). Prestel, München 1998, ISBN 3-791-31698-2
- Darstellungen
- Harry Cooper, Ron Spronk: Mondrian: The Transatlantic Painting. Harvard Art Museum, Cambridge (Mass.) 2001, ISBN 0-300-08928-7
- Susanne Deicher: Mondrian. Taschen, Köln 2001, ISBN 3-8228-0928-4
- Britta Grigull: Piet Mondrian. Das kubistische Werk in neuem Licht . Ludwig, Kiel 2005, ISBN 3-937719-11-3
- Hans Janssen: Piet Mondrian. Prestel, München 2005, ISBN 3-7913-3361-5
- Hans Locher: Piet Mondrian. Farbe, Struktur und Symbolik. Gachnang & Springer, Bern-Berlin 1994, ISBN 3-906127-40-0
- Michel Seuphor: Piet Mondrian. Leben und Werk. DuMont Schauberg, Köln 1957
- Clara Weyergraf: Piet Mondrian und Theo van Doesburg, Fink, München 1979, ISBN 3-7705-1729-6
Weblinks
- Commons: Piet Mondriaan – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
- Literatur von und über Piet Mondrian im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Vorlage:Kunstaspekte
- Piet Mondrian Artcyclopedia (engl.)
- Biografie (engl.)
- Piet Mondrian: Bildauswahl
- Art Science Research Laboratory über Mondrian (engl.)
- Vorlage:Documenta Archiv
Einzelnachweise
- ↑ a b Michel Seuphor: Piet Mondrian. Leben und Werk, Verlag M. DuMont Schauberg, Köln 1957, S. 44
- ↑ Susanna Deicher: Mondrian, S. 7 f., 93
- ↑ Michel Seuphor: Piet Mondrian. Leben und Werk , Köln 1957, S. 45
- ↑ a b c Katrin Sello (Vorw.): Malewitsch-Mondrian. Konstruktion als Konzept. Alexander Doerner gewidmet, Kunstverein Hannover, Hannover 1977, S. 200
- ↑ Michel Seuphor: Piet Mondrian. Leben und Werk, S. 46
- ↑ Michel Seuphor, S. 54
- ↑ Susanna Deicher: Mondrian, S. 15
- ↑ Michel Seuphor, S. 54 f.
- ↑ a b c d Italo Tomassoni: Piet Mondrian. Biografie, g26.ch, abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ Michel Seuphor, S. 58
- ↑ Susanne Deicher: Mondrian, S. 24
- ↑ a b Michel Seuphor, S. 434
- ↑ Susanne Deicher: Mondrian, S. 94
- ↑ Susanne Deicher: Mondrian, S. 45, 53
- ↑ Michel Seuphor, S. 137
- ↑ Michel Seuphor, S. 164
- ↑ Mondrians Atelier, www.nga.gov, abgerufen am 18. Oktober 2012
- ↑ Piet Mondrian, www.museothyssen.org, abgerufen am 17. Oktober 2011
- ↑ Michel Seuphor, S. 171
- ↑ Grace Glueck: Harry Holtzman, Artist, Dies; An Expert on Piet Mondrian, www.nytimes.com, 29. September 1987, abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ Museum of Modern Art, www.moma.org, abgerufen am 17. Oktober 2011
- ↑ Michel Seuphor, S. 172
- ↑ Sophie Bowness: Mondrian in London, www.jstor.org, abgerufen am 17. Oktober 2011
- ↑ Brief von Mondrian 1942, www.americanabstractartists.org, abgerufen aam 17. Oktober 2011
- ↑ Calvin Tomkins: Marcel Duchamp. Eine Biographie. Hanser, München 1999, ISBN 3-446-20110-6, S. 390 f.
- ↑ Mondrian Trust, www.mondriantrust.com, abgerufen am 18. Oktober 2011
- ↑ Mondrian ETH Zürich, abgerufen am 18. Oktober 2011
- ↑ Susanne Deicher: Mondrian, S. 25 f.
- ↑ Michel Seuphor, S. 96 ff.
- ↑ Andréi B. Nakov: „Also habe ich die Welt von der Sünde befreit!“, in: Katrin Sello (Vorw.): Malewitsch-Mondrian. Konstruktion als Konzept. Alexander Doerner gewidmet, Hannover 1977, S. 52
- ↑ Susanna Deicher: Mondrian, S. 40–43
- ↑ Neoplastizismus, kettererkunst.de, abgerufen am 20. Oktober 2011
- ↑ Michel Seuphor, S. 151 f.
- ↑ Michel Seuphor, S. 152.
- ↑ Susanna Deicher: Mondrian, S. 58
- ↑ beobachtbarer Formbestand, zur Wahrnehmung von Formen auf der Fläche s. Arnheim, Rudolf: Kunst und Sehen, Berlin 1978
- ↑ Mondrian, Piet: plastic art and pure plastic art, 1937, and other essays, 1941-43, New York 1951, darin z.B. Toward the true vision of reality
- ↑ Michel Seuphor, S. 303–351
- ↑ Weyergraf, Clara: "Piet Mondrian und Theo van Doesburg", Fink, München 1979, S. 79 ISBN 3-7705-1729-6
- ↑ Moondrianhuis mit biografischer Zeitleiste, www.mondriaanhuis.nl, abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ „Mondrian“ day dress, autumn 1965, www.metmuseum.org, abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ Ausstellung zeigt Einfluss auf Konsumprodukte, www.koeln.de, abgerufen am 17. Oktober 2011
- ↑ Mondrian/De Stijl im Centre Pompidou
Abbildungen
- ↑ Piet Mondrian: Passionsblume, 1903–1908, Aquarell auf Papier, 72,5 cm x 47,5 cm, Gemeentemuseum, Den Haag
- ↑ Piet Mondrian: Mühle im Sonnenlicht: Die Winkeler Mühle, 1908, Öl auf Leinwand, 114 cm x 87 cm, Gemeentemuseum, Den Haag
- ↑ Piet Mondrian: Evolution, um 1911, Öl auf Leinwand, Mittelteil 183 cm x 87,5 cm, Seitenteile 178 cm x 85 cm, Gemeentemuseum, Den Haag
- ↑ Piet Mondrian: Stillleben mit dem Ingwertopf II, 1912, Öl auf Leinwand, 91,5 cm x 120 cm, Gemeentemuseum, Den Haag
- ↑ Piet Mondrian: Komposition Nr. IV, 1914, Öl auf Leinwand, 95,2 cm x 67,6 cm, Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, (drittes Bild oben)
- ↑ Piet Mondrian: Komposition, 1916, Öl auf Leinwand, 119 cm x 75,1 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York
- ↑ Piet Mondrian: Komposition mit Linien, 1912, Öl auf Leinwand, 108 cm × 108 cm, Rijksmuseum Kröller-Möller, Otterloo
- ↑ Piet Mondrian: Komposition: Helle Farbflächen mit grauen Konturen, 1919, Öl auf Leinwand, 49 cm × 49 cm
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Mondrian, Piet |
| ALTERNATIVNAMEN | Mondriaan, Pieter Cornelis; Mondriaan, Piet |
| KURZBESCHREIBUNG | niederländischer Maler |
| GEBURTSDATUM | 7. März 1872 |
| GEBURTSORT | Amersfoort, Niederlande |
| STERBEDATUM | 1. Februar 1944 |
| STERBEORT | New York City, USA |