Bundesverfassung (Österreich)
Die Bundesverfassung in Österreich ist die Sammlung aller Verfassungsgesetze und ist in vielen verschiedenen Rechtsquellen zu finden. Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 in der Fassung von 1929, kurz B-VG, enthält die wichtigsten Teile des Bundesverfassungsrechtes. Daneben bestehen zahlreiche andere Verfassungsgesetze, Verfassungsbestimmungen und Staatsverträge im Verfassungsrang in anderen Rechtsquellen, sodass das österreichische Bundesverfassungsrecht eine große Unübersichtlichkeit aufweist.
Geschichte
Das Geburtsjahr der Österreichischen Bundesverfassung ist das Jahr 1920. Die Geschichte der Verfassung reicht aber bis tief in die Donaumonarchie zurück. Insbesondere betrifft das den Bereich der Grundrechte. Da sich die Parteien der jungen Republik nicht auf einen neuen Grundrechtskatalog einigen konnten, auf der anderen Seite aber nicht hinter schon etablierten Standards zurückfallen wollten, wurden Bestimmungen der schon in der Monarchie erkämpften Freiheitsrechte (in erster Linie das Staatsgrundgesetz von 1867) im Verfassungsrang übernommen.
Die österreichische Verfassung wurde 1920 von dem Rechtsphilosophen und Staatsrechtler Hans Kelsen entworfen. Nach dem Zusammenbruch des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn am Ende des 1. Weltkrieges hatte die Konstituierende Nationalversammlung die Aufgabe eine neue Verfassung für die junge Demokratie Österreich zu beschließen. Kelsen erstellte für das Parlament mehrere Entwürfe.
Die Verfassung galt, durch zwei wesentliche Novellen - 1925 und 1929 - verändert, bis zum 1. Juli 1934.
Die Verfassungsnovelle von 1925 wurde ohne Volksabstimmung beschlossen. Darin wurden im Wesentlichen die Bedingungen des Friedensvertrags von St. Germain in die Verfassung aufgenommen. Darüber hinaus wurde die definitive Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern festgelegt.
Die Novelle von 1929 beinhaltete eine Machtverschiebung vom Parlament zum Bundespräsident, der mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet worden ist.
Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 am Ende des 2. Weltkrieges und der Wiedergeburt der Republik Österreich wurde sie wieder in Geltung gesetzt.
Für den EU- Beitritt Österreichs im Jahre 1995 wurde die Bundesverfassung tiefgreifend verändert. Dafür war eine verpflichtende Volksabstimmung nötig.
Baugesetze der Verfassung
Unter den Baugesetzen der Verfassung versteht man die leitenden Grundsätze der Verfassung. In der juristischen Diskussion stehen diese noch eine Rechtstufe höher als die restlichen Verfassungsbestimmungen. Ihre Definition ist wichtig, um abschätzen zu können, was unter eine"Gesamtänderung der Bundesverfassung" zu verstehen ist. Für eine Gesamtänderung ist eine Volksabstimmung verpflichtend.
Die Baugesetze oder Leitenden Prinzipien der Bundesverfassung lauten:
Das demokratische Prinzip
... betrifft die Frage der Herrschaftsform und der politischen Willensbildung. Die politische Macht in der Gesellschaft wird durch das Volk legitimiert.
Das republikanische Prinzip
... betrifft die Organisation an der Staatsspitze und die Staatsform. Es dient zur Abgrenzung der Republik z.B. von einer Monarchie.
Das bundesstaatliche Prinzip
... betrifft den Föderalismus. Österreich ist weder ein Staatenbund, noch ein Einheitsstaat. Das Verhältnis zwischen den Bundesländern wird durch innerstaatliches Recht, nicht durch Völkerrecht geregelt.
Das rechtsstaatliche Prinzip
...betrifft die Herrschaft des Rechts, insbesondere das Legalitätsprinzip und das Prinzip der Gewaltentrennung.
Die österreichische Bundesverfassung ist von den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltentrennung geprägt.
Das föderalistische Prinzip ist (im Vergleich etwa zur Deutschland oder zur Schweiz), relativ schwach ausgebildet. Die einzelnen Bundesländer verfügen über keine Kompetenzen im Bereich der Judikative. Auch im Bereich der Gesetzgebung hat der Bund ein deutliches Übergewicht.
Grundrechte
Das B-VG enthält keinen umfassenden Katalog der Grundrechte. Stattdessen finden sich nur einzelne Grundrechte im B-VG, wie etwa das Recht auf den gesetzlichen Richter und die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz. Viele Grundrechte sind im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 normiert, zum Beispiel die Gleichheit vor dem Gesetz, die Unverletzlichkeit des Eigentums, die Freizügigkeit und die Erwerbsfreiheit, Brief- und Fernmeldegeheimnis, Versammlungs- und Vereinsfreiheit, das Recht der freien Meinungsäußerung und die Pressefreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und Lehre sowie der Kunst und andere. Das Grundrecht auf Freiheit ist im Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit von 1988 geregelt. Darüber hinaus ist hat die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Verfassungsrang.
Kreation von Verfassungsbestimmungen
Verfassungsgesetze können nur mit qualifizierter Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten des Nationalrats bei Anwesenheit mindestens der Hälfte der Abgeordneten beschlossen und geändert werden. Tief greifende Änderungen der Verfassung ("Totaländerungen") müssen außerdem durch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Bislang gab es eine Totaländerung der Bundesverfassung, die einer Volksabstimmung unterzogen wurde: Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union stellte aus mehreren Gründen eine tiefgreifende Änderung der Bundesverfassung dar, daher wurde ein eigenes Beitrittsverfassungsgesetz beschlossen; dieses fand in einer Volksabstimmung die Zustimmung der österreichischen Wahlberechtigten.
Verfassung und Tagespolitik
In Österreich können auch einfache Gesetzesmaterien in den Verfassungsrang gehoben werden. In einem solchen Fall müssen die entsprechenden Paragraphen ausdrücklich als Verfassungsbestimmung bezeichnet sein und mit Zweidrittelmehrheit wie ein Verfassungsgesetz beschlossen werden. Von dieser Möglichkeit wurde in der zweiten Republik oft Gebrauch gemacht, vor allem um Gesetze dem Zugriff des Verfassungsgerichtshofs zu entziehen.
Reform der Verfassung
2003 wurde von der Regierung (Kabinett Schüssel II) der so genannte Verfassungskonvent oder "Österreich-Konvent" (offizielle Bezeichnung) unter der Leitung des damaligen Rechnungshof-Präsidenten Franz Fiedler eingesetzt, der die gültige Verfassung entrümpeln soll. Der Konvent hatte den Auftrag, die Bundesverfassung den neuen Gegebenheiten, die sich im Laufe der Jahrzehnte - vor allem seit dem Beitritt zur EU - ergeben haben, anzupassen und Vorschläge für eine neue Verfassung zu erarbeiten. Er endete am 31. Jänner 2005, ohne formal das gesteckte Ziel erreicht zu haben. Es liegt zwar ein Verfassungsentwurf vor, doch wurde dieser von Franz Fiedler anhand der Ergebnisse der Konventsarbeit verfasst, vom Plenum des Konvents jedoch nicht konsentiert. Gleichwohl ist dieser Entwurf eine brauchbare Basis dafür, dass im österreichischen Parlament, wo es verfassungsrechtlich vorgesehen ist, eine neue Verfassung (oder auch nur eine "große Verfassungsnovelle") erarbeitet werden kann.
Siehe auch
Literatur
- Bernd-Christian Funk: Einführung in das österreichische Verfassungsrecht. neu bearbeitete Aufl. Leykam, Graz, 2003. ISBN 3701191018