Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe
Die Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe wurde am 23. Mai 1898, unter dem Protektorat und Vorsitz des Fürsten Wilhelm zu Wied in dessen Schloss Neuwied in der Rechtsform einer GmbH gegründet. In der Aufsichtsratssitzung am selben Tag wurde Witzenhausen als Sitz der Schule offiziell bestätigt. Die Deutsche Kolonialschule wurde 1944 geschlossen und ab 1957 als Deutsches Institut für tropische und subtropische Landwirtschaft (DITSL) weitergeführt.
Deutsche Kolonialschule GmbH

Ernst Albert Fabarius verfasste 1897 die vertrauliche Denkschrift zur Gründung einer Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe. Unter dem Vorsitz des Fabrikbesitzers Schlechtendahl aus Barmen etablierte sich in Köln die Vereinigung zur Errichtung einer Deutschen Evangelischen Kolonialschule. Ernst Albert Fabarius und Dr. P. Aldinger gründeten im selben Jahr den Evangelischen Hauptverein für deutsche Ansiedler und Auswanderer. Seine Geschäftsstelle wurde nach der Gründung der Kolonialschule in Witzenhausen eingerichtet. 1928 übersiedelte der Verein nach Berlin.
Am 23. Mai 1898 wurde unter der Schirmherrschaft des Fürsten zu Wied im Schloss Neuwied die Deutsche Kolonialschule GmbH gegründet. Nach dem Tode des Fürsten zu Wied im Jahr 1907 übernahm der Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft Herzog von Mecklenburg die Schirmherrschaft über die Deutsche Kolonialschule.
Träger der GmbH waren private Kaufleute, Fabrikanten und Plantagengesellschaften. Ernst Albert Fabarius wurde der Direktor der Deutschen Kolonialschule. Am 01. Juli 1898 übernahm die Deutsche Kolonialschule GmbH die Preußische Domäne und das Wilhelmitenkloster in Witzenhausen. Die Preußische Domäne trug später den Namen Wilhelmshof. Am 15. Mai 1899 begann der Lehrbetrieb zunächst mit 12 Internatsschülern. 1905 war der Erweiterungsbau fertiggestellt; nun steigerte sich die Zahl der Internatsplätze von bisher 41 Plätzen auf 90 Plätze. In den Jahren 1908 bis 1911 befand sich auch die Kolonialfrauenschule in Witzenhausen.
Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe
Die Deutsche Kolonialschule diente der Ausbildung von Wirtschafts- und Plantagenbeamten sowie Landwirten, Viehzüchtern und Wein- und Obstbauern. An der Schule wurden vor allem landwirtschaftliche und handwerkliche Fächer in Theorie und Praxis unterrichtet. Die zukünftigen Tropenlandwirte wurden auch in Völkerkunde, Kulturgeschichte und Sprachen (von Englisch und Spanisch bis hin zu Suaheli und Hausa) unterrichtet. Zur Veranschaulichung des Unterrichts gab es eine Lehrsammlung. Die Absolventen der Kolonialschule wurden gebeten, geeignete Gegenstände aus Übersee nach Witzenhausen zu senden; sie befinden sich jetzt im Völkerkundlichen Museum Witzenhausen. Nach zwei- oder dreijähriger Ausbildung konnte ein Diplom der Deutschen Kolonialschule mit der Berufsbezeichnung Staatlich geprüfter Koloniallandwirt erworben werden. Bis zum Ersten Weltkrieg hatten etwa 650 Schüler die Deutsche Kolonialschule durchlaufen. Davon lebten 500 im Ausland, davon wiederum 133 in Südwestafrika, 88 in Ostafrika und 32 in Kamerun.
Deutsche Kolonialschule Wilhelmshof
Die Deutsche Kolonialschule trug nach dem 1. Weltkrieg den Namen Deutsche Kolonialschule Wilhelmshof. Der Lehrbetrieb wurde am 9. Januar 1919 aufgenommen. Das Deutsches Kolonial-Lexikon 1920 beschreibt die Ausbildung folgendermaßen: Die Ausbildung erfolgt in ausgeprägt nationalem Geiste auf Grund christlich - sittlicher Lebensanschauung. Der Wahlspruch der Deutschen Kolonialschule lautet: "Mit Gott für Deutschlands Ehr' - Daheim und überm Meer!" Aufnahme finden reichsangehörige junge Männer im Alter von 17 - 27 Jahren im April und Oktober eines jeden Jahres. Der Lehrgang ist 2- oder 3jährig. Die Lehrfächer sind I. Allgemeinbildende, und zwar Kulturwissenschaften, Naturwissenschaften, Sonstiges; II. Wirtschaftliche, und zwar Landwirtschaft, Tierzucht und Tierheilkunde, Gärtnerei, Forstwirtschaft, Kaufmännisches, Praktische Landwirtschaft, Gärtnerei und Forstwirtschaft; III. Technische, und zwar Baufach, Kulturtechnik, Landmessen, Handwerke; IV. Leibesübungen als Turnen, Reiten, Fechten. Koloniale Praxis und Theorie werden gleichmäßig und in enger Verbindung berücksichtigt.
Die Zeit der Weimarer Republik war geprägt vom starren Festhalten an den Bestrebungen zur Wiedergewinnung deutscher Kolonien. Nach anfänglichen Erfolgen der Demokratisierung im Schulbetrieb machten sich später politische Frontenbildung und Radikalisierung breit. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde die Deutsche Kolonialschule von heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen erschüttert, die dringend erforderliche Reformen des Lehrkonzepts verhinderten. Die Eingliederung in den Parteiapparat wurde eingeleitet, die geplante Verstaatlichung aber im Zuge der Kriegswirren nicht mehr vollzogen. Im Jahr 1944 wurde die Deutsche Kolonialschule Wilhelmshof geschlossen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude zunächst vom städtischen Krankenhaus belegt. Aber schon bald zogen Bildungseinrichtungen der Agrarwirtschaft ein, und der Komplex der landwirtschaftlichen Lehranstalten in Witzenhausen begann Gestalt anzunehmen. Es dauert allerdings bis 1957, bis der entwicklungsländerbezogene Lehrbetrieb in tropischer und subtropischer Landwirtschaft aufgenommen werden konnte.
Deutsches Institut für tropische und subtropische Landwirtschaft (DITSL)
Die Deutschen Kolonialschule wurde ab 1957 als Deutsches Institut für tropische und subtropische Landwirtschaft (DITSL) weitergeführt. Die Nachfolgeeinrichtungen bilden heute einen Nebenstandort der Universität Kassel: den Fachbereich 11 Ökologische Agrarwissenschaften. Das Deutsche Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft (DITSL) ist eine gemeinnützige GmbH. Die wichtigsten Gesellschafter sind die Universität Kassel, die Bundesrepublik Deutschland und das Land Hessen. Das Institut fördert satzungsgemäß nachhaltige ländliche Entwicklung in der Dritten Welt sowie in Schwellenländern und leistet damit einen Beitrag zur Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland. Im Wesentlichen zielt die Arbeit ab auf Wissens- und Technologietransfer, Ressourcenmanagement in Agrarökosystemen und Nachhaltigkeit der Bodennutzung und ökologischer Landbau. In Erfüllung seiner satzungsgemäßen Zwecke arbeitet das Institut eng mit einschlägig tätigen Organisationen und Institutionen zusammen. Die Arbeit des DITSL beinhaltet im Wesentlichen die Organisation und Durchführung von internationalen Seminaren, Workshops und Symposien für Fachkräfte und Studenten einschlägiger Fachrichtungen. Dazu unterhält es ein Seminarzentrum mit Büro- und Seminarräumen und Wohnheim.
Archiv und Fachbibliothek für tropische Landwirtschaft und Resourcennutzung
DITSL unterhält eine umfangreiche auf das Gebiet der ländlichen Entwicklung, insbesondere der tropischen und subtropischen Agrarwirtschaft, im weitesten Sinne spezialisierte und zum Teil historische Fachbibliothek mit etwa 50.000 Monographien und 900 Zeitschriftentiteln sowie ein Archiv der Schüler- und Dozentenakten der ehemaligen Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen. Es beherbergt zudem das Archiv für Ökologische Agrarkultur (www.aoea.de). Die Bibliothek wird heute (2011) als Fachbibliothek für tropische Landwirtschaft und Resourcennutzung geführt. Der teilweise historisch wertvolle alte Buchbestand enthält im wesentlichen Titel zur Kolonialgeschichte. Das DITSL unterhält, pflegt und erweitert die Bestände kontinuierlich und macht sie Studierenden und Wissenschaftlern sowie einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich. Es unterstützt Forschungsarbeiten, die die Bestände wissenschaftlich bearbeiten und auswerten und initiiert Projekte in diesem Bereich.
Journal of Agriculture in the Tropics and Subtropics (JARTS)
Als eigener Verlag gibt das DITSL Monographien zu Themen der entwicklungsrelevanten Wissenschaften und zur Kolonialgeschichte heraus. DITSL ist außerdem Mitherausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift Journal of Agriculture in the Tropics and Subtropics (JARTS).
Kurzzeitstipendien für einen Forschungsaufenthalt im Ausland
DITSL vergibt Kurzzeitstipendien für drei- bis viermonatige Auslandsaufenthalte in Entwicklungs- oder Schwellenländern des Südens an Studierende, die in Studiengängen der Universität Kassel eingeschrieben sind, im Zusammenhang mit der Anfertigung der wissenschaftlichen Abschlussarbeit (Master oder Diplom). Das Stipendium dient der persönlichen Förderung der Studierenden. Die Stipendiaten erhalten die Möglichkeit, eigene Lebens- und Arbeitserfahrungen in der entwicklungs- und tropenorientierten Forschung in den Ländern des Südens zu sammeln.
Liegenschaften des ehemaligen Klosters
DITSL ist Eigentümer des Gebäudekomplexes an der Steinstraße 19-21 in Witzenhausen. Das ehemalige Wilhelmitenkloster, in dem sich 1898 die Deutsche Kolonialschule etablierte, trägt wesentlich zur angenehmen Kampusatmosphäre bei. Soweit die Liegenschaften nicht selbst genutzt werden, sind sie an das Land Hessen für den Betrieb des Fachbereichs Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel vermietet. Die Gebäude werden nach den Grundsätzen des Denkmalschutzes unterhalten.
Völkerkundliches Museum Witzenhausen
Die Ethnographische Sammlung des Völkerkundlichen Museums Witzenhausen umfasst ca. 2000 ethnographische Objekte, davon 1400 Stück, die von Freunden und Absolventen der ehemaligen Deutschen Kolonialschule Witzenhausen und seiner Nachfolgeeinrichtungen seit etwa 1900 zusammengetragen worden sind. Die 1976 gegründete Stiftung Völkerkundliches Museum Witzenhausen wird von DITSL zusammen mit der Stadt Witzenhausen getragen. Die Ausstellung zeigt ständig ca. 1200 Ethnographika auf 200 qm. Das Leitthema ist die menschliche Gesellschaft in Bezug zur natürlichen Umwelt. Beispielhaft werden Geräte zur Gewinnung, Verarbeitung und zum Genuß von Nahrung sowie Kleidung, Schmuck und Waffen aus Agrarkulturen in West-, Süd- und Ostafrika sowie aus Melanesien, Polynesien und Südamerika gezeigt. Bildmaterial und Texttafeln ergänzen die Präsentation. Die Darstellung der Wirtschaftsformen erlaubt den Vergleich der Anpassungsstrategien der Völker an die jeweiligen naturräumlichen Bedingungen. Das Museum wird von Studenten und Wissenschaftlern der Universität Kassel als Lernort genutzt. Es ist für Besucher geöffnet.
Hochschulverband Witzenhausen (HVW) e.V.
An der Deutschen Kolonialschule wurde 1906 der Verband der Tropenlandwirte Witzenhausen (VTW) e.V. als unabhängige Vereinigung der Absolventen gegründet. Der Verband bestand zunächst weiter bis 2009 als Vereinigung der Absolventen, Studenten und Hochschullehrer der Nachfolgeeinrichtungen und der heutigen Hochschule, wurde im Jahr 2009 mit dem Fördererkreis verschmolzen und firmiert nunmehr als Verband unter dem Namen Hochschulverband Witzenhausen (HVW) e.V. [1]. Der Verband ist heute der Absolventenverband des Fachbereichs 11 Ökologische Agrarwissenschaften der Uni Kassel.
Persönlichkeiten
Dozenten
- Ernst Albert Fabarius (*15. September 1859 in Saarlouis; † 28. Oktober 1927 in Witzenhausen), Gründungsdirektor und Dozent der Deutschen Kolonialschule 1899-1927.
Schüler und Absolventen
- Rudolf Dünnhaupt (1919), Mitbegründer des Verlages Junker und Dünnhaupt Berlin
- Richard Walther Darré (1914, 1918-1920), u.a. Reichslandwirtschaftsminister und Reichsbauernführer
Literatur
- Ernst Albert Fabarius: Ausbildung für den Kolonialdienst. In: Jahrbuch über die deutschen Kolonien. 2 (1909), S. 135-148
- Deutsche Kolonialschule. Lehr- und Anstaltsplan einschließlich Vorlesungsverzeichnis. Deutsche Kolonialschule, Witzenhausen-Wilhelmshof 1912.
- v. König: Deutsche Kolonialschule Wilhelmshof. In: Deutsches Kolonial-Lexikon (1920), Band III, S. 723 f.
- Kolonialschule Witzenhausen (Hrsg.): Festschrift zum 40jährigen Bestehen der Deutschen Kolonialschule Witzenhausen, 1938.
- Mechthild Rommel, Hulda Rautenberg: Die kolonialen Frauenschulen von 1908-1945., Gesamthochschule Kassel, Fachbereich Internationale Agrarwirtschaft in Witzenhausen 1983 (OpenLibrary)
- Böhlke, Jens: Zur Geschichte der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen - Aspekte ihres Entstehens und Wirkens (Schriften des Werratalvereins in Witzenhausen, Heft 29), 1995.
- Baum, Eckhard: Daheim und überm Meer. Von der Deutschen Kolonialschule zum Deutschen Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft in Witzenhausen. Selbstverlag DITSL, Witzenhausen 1997. ISBN 3-881122-894-2
- Adelheid Rehbaum: Verbindung von Praxis und Theorie. Die deutsche Kolonialschule und Ernst August Fabarius (1859-1927), Hessische Heimat, Beilage der Gießener Allgemeinen, Nr. 25, 31. Dezember 2010, S. 97-99
Film
- "Der Weg in die Welt" - Die Deutsche Kolonialschule Witzenhausen 1937 (1937, Produktion Paul Lieberenz, Erscheinungsjahr und Verleih: 1974 bei IWF Wissen und Medien gGmbH Göttingen.)
Weblinks
- Deutsches Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft GmbH (DITSL)
- Hochschulverband Witzenhausen (HVW) e.V.
- Fachbereich 11 Ökologische Agrarwissenschaften der Uni Kassel
Quellen
Koordinaten: 51° 20′ 38,23″ N, 9° 51′ 35,27″ O