Persönlichkeitsstörung
Personen mit Persönlichkeitsstörungen zeigen anhaltende und kaum veränderliche Verhaltensmuster, die starre Reaktionen auf unterschiedliche Lebenslagen bewirken. Sie unterscheiden sich von der Mehrheit der Bevölkerung durch deutliche Abweichungen im Bereich Wahrnehmung, Denken, Fühlen und in Beziehungen zu anderen. Dabei ist die persönliche und soziale Funktions- und Leistungsfähigkeit oft gestört.
Eine Persönlichkeitsstörung liegt nur vor, wenn ausreichend viele dieser Merkmale zutreffen und die Störung dauerhaft besteht.
Eine Persönlichkeitsstörung beginnt bereits im Kindesalter oder in der Pubertät und dauert bis ins Erwachsenenalter an. Zu unterscheiden ist sie von einer Persönlichkeitsänderung, die erst im Erwachsenenalter erworben wird, etwa nach einer extremen Belastungssituation.
Persönlichkeitsstörungen werden entsprechend ihrem auffallendsten Merkmal unterteilt. Dabei können aber durchaus Überschneidungen vorkommen.
Ursachen
Über die Ursachen und die Entstehung von Persönlichkeitsstörungen herrscht derzeit keine einheitliche Vorstellung. Es herrscht auch kein Konsens darüber, was als Persönlichkeitsmerkmal zu klassifizieren ist und ab wann die Kriterien einer Störung erfüllt sind. Sowohl der Begriff "Persönlichkeit" als auch deren Störungen werden als Ergebnis komplizierter Wechselwirkungen aus Umwelt- und Anlagefaktoren gesehen.
Einteilung nach ICD-10
Die Einteilung von Persönlichkeitsstörungen kann nach unterschiedlichen Vorgaben geschehen, z.B. nach historischen Typologien oder medizinischen Klassifikationssystemen wie ICD-10 und DSM-IV.
Im Folgenden einige Einteilungen nach ICD-10.
Paranoide Persönlichkeitsstörung
Die paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.0) ist gekennzeichnet von tiefem Misstrauen, Streitsucht, dauerndem Groll, starker Selbstbezogenheit, ständiger Annahme von Verschwörungen, um Ereignisse zu erklären. Handlungen und Äußerungen anderer Personen werden häufig als feindlich oder verächtlich missgedeutet.
Schizoide Persönlichkeitsstörung
Die Schizoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.1) ist nicht mit Schizophrenie oder der Schizotypen Störung zu verwechseln. Zudem verwendet etwa Fritz Riemann in seinem Buch Grundformen der Angst" einen anderen "schizoid" Begriff. In vielen Wörterbüchern wird "schizoid" fälschlicher Weise als Eigenschaftswort zu "Schizophrenie" erklärt.
Im ICD-10 wird die Schizoide Persönlichkeitsstörung so beschrieben: "Eine Persönlichkeitsstörung, die durch einen Rückzug von affektiven, sozialen und anderen Kontakten mit übermäßiger Vorliebe für Phantasie, einzelgängerisches Verhalten und in sich gekehrte Zurückhaltung gekennzeichnet ist. Es besteht nur ein begrenztes Vermögen, Gefühle auszudrücken und Freude zu erleben."
In der wissenschaftlichen Diskussion wird auch der "Secret Schizoid" (Heimlich Schizoide) diskutiert. "Es gibt viele fundamental schizoide Personen, die (nach außen) einen verbindlichen, interaktiven Personlichkeitsstil zeigen. Diese Patienten gehören zur Kategorie, die ich als "heimlich schizoid" bezeichne", schreibt Ralph Klein in "Disorders of the self". Im ICD-10 gibt es diese Kategorie nicht.
Dissoziale Persönlichkeitsstörung
Für die dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2) typisch sind eine niedrige Schwelle für aggressives und gewalttätiges Verhalten, sehr geringe Frustrationstoleranz, Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen, ein fehlendes Schuldbewusstsein, mangelndes Lernen aus Erfahrung oder Bestrafung, mangelndes Einfühlen in andere. Beziehungen werden eingegangen, jedoch nicht aufrechterhalten. Teilweise sind Dissoziale auch erhöht reizbar. Aus diesen Gründen neigen Patienten mit dissozialer Persönlichkeitsstörung zu Gewalttaten, Kriminalität und Drogen- bzw. Alkoholmissbrauch. Der veraltete Begriff "Psychopathie" für diese Störung wird in der aktuellen Literatur nicht mehr verwendet.
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung
Die wesentlichen Merkmale der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.3) sind impulsives Handeln ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, ständig wechselnde, oft unvorhersehbare und launenhafte Stimmungslagen, Unfähigkeit zur Vorausplanung, heftige Zornesausbrüche mit teilweise gewalttätigem Verhalten und mangelnde Impulskontrolle. Ferner besteht eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen, insbesondere wenn impulsive Handlungen durchkreuzt oder behindert werden. Zwei Erscheinungsformen können unterschieden werden: Ein impulsiver Typus, vorwiegend gekennzeichnet durch emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle und ein Borderline-Typus, die Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (F60.31) ist eine schwere Persönlichkeitsstörung, die sich durch sehr wechselhafte Stimmungen, gestörte zwischenmenschliche Beziehungen, mangelndes Selbstvertrauen und autoaggressive Verhaltensweisen äußert. Diese Instabilitäten ziehen oft das persönliche Umfeld in Mitleidenschaft und beeinträchtigen so Alltag, langfristige Lebensplanung und das Selbstbild.
Während der Merkmalskatalog der American Psychiatric Association (DSM-IV) von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (Diagnose-Nr. 301.83) spricht, benennt der Katalog der WHO (ICD-10) die "emotional instabile Persönlichkeitsstörung" (F60.3), von der der Borderline-Typus (F60.31) eine Unterform darstellt.
Histrionische Persönlichkeitsstörung
Kennzeichnend für die histrionische Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.4), früher auch als hysterische Persönlichkeitsstörung bezeichnet, sind Übertreibung, theatralisches Verhalten, Tendenz zur Dramatisierung, Oberflächlichkeit, labile Stimmungslage, leichte Beeinflussbarkeit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung und der Wunsch, stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, erhöhte Kränkbarkeit, sowie ein übermäßiges Interesse an körperlicher Attraktivität.
Eine Persönlichkeitsstörung, die durch Gefühle von Zweifel, Perfektionismus, übertriebener Gewissenhaftigkeit, ständigen Kontrollen, Halsstarrigkeit sowie große Vorsicht und Starrheit gekennzeichnet ist. Es können beharrliche und unerwünschte Gedanken oder Impulse auftreten, die nicht die Schwere einer Zwangsstörung erreichen.
Typisch für Menschen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung ist eine Starrheit im Denken und Handeln, die sich als Unflexibilität, Pedanterie und Steifheit zeigt. Es besteht eine übermäßige Beschäftigung mit Details und Regeln, so dass die eigentliche Aktivität oftmals in den Hintergrund tritt. Die Fähigkeit zum Ausdruck von Gefühlen ist häufig vermindert. In zwischenmenschlichen Beziehungen wirken Betroffene dementsprechend kühl und rational. Die Anpassungsfähigkeit an die Gewohnheiten und Eigenheiten der Mitmenschen ist eingeschränkt. Vielmehr wird die eigene Prinzipien- und Normentreue auch von anderen erwartet.
Menschen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung sind meist übermäßig leistungsorientiert und perfektionistisch. Daher erweisen sie sich im Arbeitsleben als fleißig, übermäßig gewissenhaft und übergenau, wobei der überstrenge Perfektionismus die Aufgabenerfüllung mitunter verhindert. Ihre Angst vor Fehlern behindert die Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen.
Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung: ca. 1,0 %.
Ängstliche Persönlichkeitsstörung (auch: Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung)
Die ängstliche Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.6) ist gekennzeichnet durch übermäßige Sorge bis hin zur Überzeugung, abgelehnt zu werden, unattraktiv oder minderwertig zu sein. Folgen sind eine andauernde Angespanntheit und Besorgtsein, der Lebensstil ist wegen des starken Bedürfnisses nach Sicherheit starken Einschränkungen unterworfen. Teilweise sind Ängstliche überempfindlich gegenüber Ablehnung oder Kritik.
Abhängige Persönlichkeitsstörung
Die abhängige Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.7) ist geprägt durch mangelnde Fähigkeit zu eigenen Entscheidungen, ständiges Appellieren an die Hilfe anderer, Abhängigkeit von und unverhältnismäßige Nachgiebigkeit gegenüber anderen, Angst, nicht für sich selbst sorgen zu können und der Angst, von einer nahestehenden Person verlassen zu werden und hilflos zu sein.
Narzisstische Persönlichkeitsstörung
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung (nach DSM-IV) zeichnet sich aus durch mangelndes Selbstbewusstsein und Ablehnung der eigenen Person nach innen, wechselnd mit übertriebenem und sehr ausgeprägtem Selbstbewusstsein nach außen.
Der DSM IV beschreibt die narzisstische PS folgendermaßen:
Der Beginn der Störung liegt im frühen Erwachsenenalter und die Störung manifestiert sich in den verschiedensten Lebensbereichen.
Fünf oder mehr der folgenden Kriterien müssen nach DSM IV erfüllt sein:
- Die Person zeigt ein übertriebenes Selbstwertgefühl, übertreibt beispielsweise die eigenen Fähigkeiten und Talente und erwartet, ohne besondere Leistungen, als etwas Besonderes angesehen zu werden.
- Die Person beschäftigt sich ständig mit Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Schönheit oder auch idealer Liebe
- Die Person ist der Meinung, dass sie ganz besonders und einzigartig ist und dass sie nur von besonderen Menschen verstanden werden oder nur mit solchen verkehren könne.
- Die Person verlangt ständig nach Bewunderung.
- Die Person legt ein Anspruchsdenken an den Tag und stellt somit beispielsweise Ansprüche an eine bevorzugte Behandlung oder unmittelbare Zustimmung zu den eigenen Erwartungen.
- Die Person nützt zwischenmenschliche Hilfe aus, um mit Hilfe anderer die eigenen Ziele zu erreichen.
- Die Person zeigt einen Mangel an Einfühlungsvermögen (Empathiemangel); sie kann beispielsweise nicht erkennen und nachempfinden, wie andere sich fühlen und welche Bedürfnisse sie haben.
- Die Person ist häufig neidisch auf andere und glaubt, dass andere auf sie neidisch seien.
- Die Person zeigt ein arrogantes, überhebliches Verhalten und hat entsprechende Einstellungen.
Natürlich hängt die Qualität der Beurteilung stark davon ab, wie sehr sich die Innenperspektive des narzisstischen Patienten offenbart.
Einteilung nach DSM-IV
Das DSM-IV gruppiert zehn Persönlichkeitsstörungen in drei sogenannten "Clustern":
Cluster A
Die exzentrischen Persönlichkeitsstörungen:
- Paranoide Persönlichkeitsstörung (siehe Paranoia)
- Schizoide Persönlichkeitsstörung
- Schizotypische Persönlichkeitsstörung
Cluster B
Die dramatischen Persönlichkeitsstörungen:
- Antisoziale (dissoziale) Persönlichkeitsstörung
- Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Histrionische Persönlichkeitsstörung
- Narzisstische Persönlichkeitsstörung
Cluster C
Die ängstlichen Persönlichkeitsstörungen:
- Zwanghafte Persönlichkeitsstörung (Anankasmus)
- Abhängige Persönlichkeitsstörung
- Selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung
Behandlung
Die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen erfolgt in erster Linie mittels psychotherapeutischer Verfahren, am häufigsten mit psychoanalytischer, interpersoneller (nach Lorna S. Benjamin) kognitiver (nach Aaron T. Beck) und verhaltenstherapeutischer Ausrichtung.