Dreyfus-Affäre

Als Dreyfus-Affäre wird der Fall des jüdischen Artillerie-Hauptmanns Alfred Dreyfus bezeichnet, der im Generalstab der französischen Armee diente und 1895 wegen angeblichen Landesverrats von einem Kriegsgericht zu lebenslanger Haft und Verbannung verurteilt wurde. Die Verurteilung basierte auf zweifelhaften Handschriftengutachten und rechtswidrigen Beweisen. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Freispruch Dreyfus' setzten sich zunächst nur Familienmitglieder und einige wenige Personen ein, denen im Verlauf des Prozesses Zweifel an der Schuld des Angeklagten gekommen waren. Der Justizirrtum weitete sich zur Affäre aus, als der neue Chef des französischen Nachrichtendienst, Major Marie-Georges Picquart, den tatsächlichen Landesverräter Ferdinand Walsin-Esterhazy identifizieren konnte und sich den Forderungen seiner Vorgesetzten widersetzte, das Fehlurteil gegen Dreyfus bestehen zu lassen. Picquart wurde seines Amts als Chef des Nachrichtendienst enthoben, zunächst in die Provinz und dann nach Nordafrika versetzt, Esterhazy in einem Kriegsgerichtsverfahren auf Grund gefälschter Beweise am 11. Januar 1898 freigesprochen. Begleitet wurde der Prozess von Hetztiraden des antisemitischen Teils der französischen Presse, die die Verteidiger Dreyfus bezichtigten, im Dienst eines „jüdischen Syndikats“ einen ehrenhaften Offizier anzuklagen, um ihn gegen einen jüdischen Landesverräter auszutauschen.
Als Antwort auf den Freispruch von Esterhazy veröffentlichte der französische Autor Émile Zola am 13. Januar 1898 den Artikel J’accuse...!, der dieses Fehlurteil anprangerte. Der Artikel rückte den Fall Dreyfus in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und erregte weit über die Grenzen Frankreichs hinaus große Aufmerksamkeit. In Frankreich und Algerien kam es in der Folge zu antisemitischen Krawallen; Picquart wurde aus der Armee entlassen und wegen Geheimnisverrats verhaftet, Zola wurde wegen Verleumdung zu einem Jahr Haft verurteilt. In einem zweiten Kriegsgerichtsverfahren in Rennes wurde Alfred Dreyfus von Militärrichtern erneut schuldig gesprochen, sein Strafmaß aber auf zehn Jahre Haft reduziert. Die im Juni 1899 neu gebildete Regierung Waldeck-Rousseau setzte auf einen Kompromiss, um die Auseinandersetzungen in der Affäre Dreyfus zu beenden. Wenige Wochen nach seiner zweiten Verurteilung wurde Dreyfus begnadigt. Ein Amnestiegesetz garantierte gleichzeitig Straffreiheit für alle mit der Dreyfus-Affäre im Zusammenhang stehenden Rechtsbrüche. Lediglich Alfred Dreyfus war von dieser Amnestie ausgenommen, was ihm ermöglichte, sich weiter um eine Revision des Urteils gegen ihn zu bemühen. Am 12. Juli 1906 hob schließlich das Oberste Berufungsgericht das Urteil gegen Dreyfus auf und rehabilitierte ihn vollständig. Dreyfus wurde wieder in die Armee aufgenommen, zum Major befördert und darüber hinaus zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Picquart kehrte mit dem Rang eines Brigadegenerals in die Armee zurück.
Die Dreyfus-Affäre war nach dem Panamaskandal und parallel zur Faschodakrise der dritte große Skandal der noch verhältnismäßig jungen Dritten Französischen Republik. Mit seinen Intrigen, Fälschungen, Ministerrücktritten und -stürzen, Gerichtsprozessen, Krawallen, Attentaten, dem Versuch eines Staatsstreiches und einer zunehmend offenen Manifestation von Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft dominierte die Dreyfus-Affäre über mehr als zehn Jahre die öffentliche Diskussion. Insbesondere während des Höhepunktes des Kampfes um die Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens war die französische Gesellschaft tief gespalten. Die Affäre stürzte Frankreich in eine schwere politische und moralische Krise: Rechtstaatlichkeit und Staatsraison schienen einander unvereinbar gegenüber zu stehen. Die Affäre gilt auch als frühes Beispiel für die Bedrohung der Demokratie durch nationalistische und rassistische Leidenschaften. Auswirkungen und Folgen der Affäre prägen bis heute Teile der politischen Kultur Frankreichs.
Erster Prozess gegen Alfred Dreyfus
Der Bordereau

Am 25. September 1894 entwendete die Putzfrau Marie Bastian in der deutschen Botschaft in Paris einen zerrissenen Brief aus dem Papierkorb des deutschen Militärattachés Oberstleutnant Maximilian von Schwartzkoppen.[1] Bastian übergab den Brief gemeinsam mit anderen Papierfragmenten dem französischen Nachrichtendienst, der sie für solche Dienste regelmäßig bezahlte.[2] Aus dem Inhalt des nicht unterschriebenen Briefs, der vom Nachrichtendienst wieder zusammengesetzt wurde, ging hervor, dass es sich um ein Begleitschreiben zu einer Sendung von fünf geheimen militärischen Dokumenten handelte:[3]
- Mein Herr, obwohl ich ohne Nachricht von Ihnen bin, dass Sie mich zu sehen wünschen, sende ich Ihnen einige interessante Auskünfte:
- 1. eine Aufzeichnung über die hydraulische Bremse des 120-mm-Geschützes und über die Erfahrungen, die man mit ihm gemacht hat;
- 2. eine Aufzeichnung über die Bedeckungstruppen (der neue Plan wird einige Änderungen bringen)
- 3. eine Aufzeichnung über eine Veränderung in den Artillerieformationen
- 4. eine Aufzeichnung über Madagaskar
- 5. den Entwurf der Schießvorschrift der Feldartillerie (14. März 1894)
- Dieses letzte Dokument ist äußerst schwer zu beschaffen, und ich kann es nur sehr wenige Tage zu meiner Verfügung haben. Das Kriegsministerium hat den Truppenteilen nur eine bestimmte Zahl geschickt, und die Truppenteile sind dafür verantwortlich. Jeder Empfänger unter den Offizieren muss sein Exemplar nach den Manövern zurückgeben. Wenn Sie also das, was Sie interessiert, abschreiben wollen und dann den Entwurf zu meiner Verfügung halten, werde ich ihn abholen, es sei denn, dass ich ihn ganz abschreiben lasse und Ihnen die Abschrift zuschicke.
- Ich fahre zu den Manövern.
Auch wenn es sich um keine Dokumente von großer Vertraulichkeit handelte, war der sogenannte Bordereau für den französischen Nachrichtendienst der eindeutige Beleg, dass ein französischer Offizier des Generalstabs dem deutschen Nachrichtendienst Informationen zulieferte.[4] Diese Erkenntnis wurde gemeinsam mit dem Bordereau direkt an das französische Kriegsministerium weitergeleitet.[5]
Verdächtigung
Keiner der Leiter der vier Abteilungen des französischen Generalstabs konnte die Handschrift des Bordereaus einem der ihnen unterstellten Offiziere zuordnen.[6] Oberstleutnant Albert d'Aboville schlug deshalb vor, sich auf das mögliche Täterprofil zu konzentrieren.[7] Er war überzeugt davon, dass nur ein Artillerieoffizier Informationen über das 120-Millimeter-Geschütz liefern konnte und wegen der Themenvielfalt der im Bordereau verzeichneten Dokumente vermutete er, dass es sich um einen Absolventen der Ecole supérieure de guerre handeln müsse. Absolventen der École polytechnique und der Militärschule Saint-Cyr erhielten an dieser Militärhochschule eine abschließende Ausbildung. Seit den von Kriegsminister Charles de Freycinet und der General Marie François Joseph de Miribel eingeleiteten Reformen zur Demokratisierung des französischen Militärs wurden die jeweils zwölf besten Absolventen eines Jahrgangs in den französischen Generalstab aufgenommen, wo sie im Rotationsprinzip in allen vier Abteilungen je ein halbes Jahr hospitierten.[8] Zuvor waren diese Stellen ausschließlich durch Kooption vergeben worden, was dazu geführt hatte, dass Generalstabsoffiziere überwiegend dem katholischen Adel angehörten.[9]
Die Begrenzung auf Absolventen der École supériere de guerre engte den Kreis der Verdächtigen erheblich ein.[10] Albert d'Aboville kam schließlich gemeinsam mit Oberst Pierre-Elie Fabre zu dem Schluss, dass die Handschrift des Briefeschreibers Ähnlichkeit mit der Handschrift des Artillerie-Hauptmanns Dreyfus aufweise. D'Aboville und Fabre ignorierten dabei, dass der Schreiber des Bordereaus in der letzten Zeile erwähnte, dass er an einem Manöver teilnehmen werde und Dreyfus bislang niemals an einem Manöver teilgenommen hatte.[11]
Der 1859 geborene Alfred Dreyfus hatte die École supériere de guerre als einer der besten seines Jahrgangs abgeschlossen, obwohl er bei seiner mündlichen Abschlussprüfung von seinem Prüfer General Pierre de Bonnefond bewusst schlechte Noten erhielt, was dieser damit begründete, dass Juden im Generalstab unerwünscht seien.[12] Dreyfus entstammte einer Industriellenfamilie aus dem Elsass. Seine Eltern hatten sich nach der Abtretung eines großen Teils des Elsass an das Deutsche Kaiserreich im Frankfurter Frieden von 1871 für die Beibehaltung der französischen Staatsbürgerschaft entschieden und waren mit Teilen ihrer Familie nach Paris umgesiedelt. Seinen Dienst im Generalstab hatte Dreyfus am 1. Januar 1893 begonnen, wo er der einzige Jude war.[13] Dreyfus war es nicht gelungen, sich im Generalstab Freunde zu verschaffen. Sein Vorgesetzter Oberst Fabre hatte ihm in einem Gutachten zwar Intelligenz und Begabung bescheinigt, ihm aber auch Arroganz, mangelhaftes Verhalten und Charakterfehler attestiert.[14]
Verhaftung

Die Entscheidung, die Untersuchung gegen Dreyfus voranzutreiben, fällte Kriegsminister Auguste Mercier. Sie traf weder in höheren Regierungs- noch Armeekreisen auf einhellige Billigung. General Félix Saussier, als Militärgouverneur von Paris und Vizepräsident des Conseil Supérieur de Guerre der ranghöchste französische Offizier, befürchtete Schaden für die französische Armee, wenn einer ihrer Offiziere wegen Landesverrat angeklagt werden sollte.[15]Außenminister Gabriel Hanotaux warnte vor einer Belastung der deutsch-französischen Beziehungen, wenn bekannt würde, dass der französische Nachrichtendienst über Unterlagen verfüge, die aus der deutschen Botschaft gestohlen waren.[16] Staatspräsident Jean Casimir-Perier mahnte zur Vorsicht, da er bezweifelte, dass der Bordereau als alleiniger Beweis hinreichend Grund für eine Verurteilung liefere. Premierminister Charles Dupuy nahm Mercier das Versprechen ab, ein Verfahren gegen Dreyfus nur dann anzustrengen, wenn es zusätzlich zum Bordereau andere Schuldbeweise gäbe.[17] Mercier, der sich auf die Auswertungen seiner Offiziere verließ, sah keinen Anlass, den eingeschlagenen Weg zu ändern und unterzeichnete am 14. Oktober 1894 den Haftbefehl gegen Alfred Dreyfus.[18] Die weiteren Untersuchungen übertrug Mercier dem Major Armand du Paty de Clam.[19]
Am 15. Oktober wurde Dreyfus unter einem Vorwand zum Generalstabschef gerufen und von du Paty aufgefordert, ihm vorgesagte Sätze handschriftlich zu notieren. Dabei handelte es sich um Worte und Satzfetzen des abgefangenen Bordereaus.[20] Nach dem Diktat wurde Dreyfus mit den Vorwurf des Landesverrates konfrontiert, sofort verhaftet und anschließend ins Gefängnis Cherche-Midi gebracht. Unmittelbar danach wurde sein Haus durchsucht. Du Paty teilte Dreyfus’ Ehefrau Lucie zwar mit, dass ihr Mann verhaftet worden sei, verweigerte ihr aber jegliche weitere Auskünfte. Er verbot ihr, andere Personen über die Festnahme zu informieren und drohte ihr mit gravierende Konsequenzen für ihren Ehemann falls sie sich an diese Weisung nicht halte.[21] Erst am 28. Oktober wurde ihr erlaubt, ihre Familie über die Verhaftung in Kenntnis zu setzen.[22]
Dreyfus sah den Bordereau das erste Mal am 29. Oktober und war er sich danach über die Haltlosigkeit der Vorwürfe sicher. Er hatte zu keinem der in dem Schreiben aufgeführten Unterlagen Zugang gehabt und die Anklage konnte kein glaubwürdiges Motiv für eine Landesverrat nennen. Geldnot, häufiger Anlass für solche Handlungen, traf auf Dreyfus nicht zu. Sowohl Dreyfus als auch seine Frau Lucie stammten aus wohlhabenden Familien und verfügten über Privatvermögen: Während ein Leutnant ein Jahresgehalt von weniger 2.000 Franken verdiente[23], warf das Vermögen von Dreyfus allein ein jährliches Einkommen von 40.000 Franc ab.[24] Ein vom Kriminalisten Alphonse Bertillon erstelltes Schriftgutachten war zwar zu Dreyfus’ Ungunsten ausgefallen, beruhte aber auf der Annahme, dass Dreyfus auf dem Bordereau seine Handschrift willentlich verstellt habe. Auf Anweisung von Mercier wurde das Urteil weiterer Grafologen eingeholt. Zwei kamen zu dem Schluss, dass Ähnlichkeiten zwischen den zwei Handschriften bestünden und einer hielt die Ähnlichkeit für ausreichend, um den Bordereau Dreyfus zuzuschreiben. Zwei andere Grafologen hielten die beiden Handschriften für nicht identisch.[25]
Erste Berichterstattung in der Presse

Nur zwei Tage, nachdem du Paty den Generalstabschef Charles de Boisdeffre darüber informiert hatte, dass er Zweifel am Erfolg einer Klage habe, ließ ein Informant aus dem Kriegsministerium der Presse Details über den Fall zukommen. Am 31. Oktober berichtete die Tageszeitung L'Eclair von der Verhaftung eines Offiziers, La Patrie sprach bereits von der Festnahme eines jüdischen Offiziers im Kriegsministerium und Le Soir gab den Namen von Dreyfus, sein Alter und seinen Rang bekannt.[26] Kriegsminister Mercier befand sich nun in einer schwierigen Lage. Hätte er angeordnet, Dreyfus freizulassen, hätte die nationalistische und antisemitische Presse ihm Versagen und mangelnde Härte gegenüber einem Juden vorgeworfen. Käme es dagegen in einem Prozess zu einem Freispruch von Dreyfus, hätte man ihm vorgehalten, leichtsinnige und entehrende Beschuldigungen gegen einen Offizier der französischen Armee erhoben und eine Krise mit Deutschland riskiert zu haben. Mercier hätte dann vermutlich zurücktreten müssen.[27] In einer Sondersitzung des Kabinetts zeigte Mercier den Ministern eine Abschrift des Bordereaus, von dem er behauptete, es sei eindeutig von Dreyfus geschrieben. Die Minister stimmten daraufhin der Einleitung einer gerichtlichen Untersuchung gegen Dreyfus zu. Der Fall fiel nun in die Zuständigkeit es ranghöchsten französischen Offizier. General Saussier übertrug die weiteren Untersuchung Hauptmann Bexon d'Ormescheville, einem Prüfungsrichter am Premier conseil de guerre in Paris.[28]
Der deutsche Botschafter erklärte am 10. November im Le Figaro, dass es zwischen dem deutschen Militärattaché Schwartzkoppen und Dreyfus keinen Kontakte gegeben hätte.[29] Bereits zuvor hatte der italienische Militärattaché Panizzardi das italienische Armeehauptquartier in einem verschlüsseltes Telegramm informiert, dass er keine Verbindung zu Dreyfus gehabt hätte und ebenfalls empfohlen, dass der italienischen Botschafter durch eine offizielle Erklärung anderweitige Pressespekulationen vorbeuge.[30] Sein Telegramm wurde von der französischen Postbehörde abgefangen, vom Übersetzungsdienst des französischen Außenministeriums dechiffriert und am 11. November dem Nachrichtendienst zugesandt. Jean Sandherr, der Leiter des Nachrichtendiensts, fertigte eine Abschrift an und sandte das Original an das Außenministerium zurück. Die Kopie wurde in die Akten des Kriegsministeriums gelegt, aber vermutlich noch am selben Tag gegen eine falsche Version ausgetauscht. In dieser Version hieß es, dass das französische Kriegsministerium Beweise für Kontakte von Dreyfus zum Deutschen Reich habe und dass die italienische Botschaft entsprechend alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen eingeleitet habe.[31]
Der Ton der Presseberichte wurde im Verlauf des Novembers deutlich schärfer. La Libre Parole, Lìntransigeant, Le Petit Journal und L'Eclair beschuldigten die Minister wiederholt, dass sie der Aufklärung des Falls nicht energisch nachgingen, weil es sich bei dem beschuldigten Offizier um einen Juden handele. Am 14. November behauptete Édouard Drumont in der nationalistischen und antisemtischen Zeitung Le Libre Parole, dass Dreyfus nur mit der Absicht der Armee beigetreten sei, Verrat zu begehen. Als Jude und Deutscher hasse er die Franzosen.[32] Die katholische Tageszeitung La Croix bezeichnete am gleichen Tag die Juden als ein schreckliches Krebsgeschwür, das Frankreich in die Sklaverei führen würde.[33] Kurz darauf erklärte Kriegsminister Mercier im Le Journal, dass die Untersuchung gegen Dreyfus innerhalb von zehn Tagen abgeschlossen sein würde. Elf Tage später erschien im Le Figaro ein Interview mit Mercier, indem dieser erklärte, er habe absolute Beweise für den Landesverrat durch Dreyfus. Der Artikel deutete auch an, dass der deutsche Nachrichtendienst der Empfänger der Geheimdokumente gewesen wäre.[34] Noch am selben Tag erschien auf Druck von Ministerpräsident Dupuy in Le Temps ein Dementi von Mercier. Trotzdem nahm der deutsche Botschafter Münster das Interview zum Anlass, sich bei Außenminister Hanotaux zu beschweren. Er nannte es eine Unterstellung, seine Regierung habe in irgendeiner Form Anlass für die Verhaftung von Dreyfus gegeben. Am 29. November veröffentliche daraufhin die Nachrichtenagentur Havas eine zweideutig formulierte und inoffizielle Stellungnahme, nach der Merciers Interview in Le Figaro fehlerhaft wiedergegeben worden sei.[35]
Das Geheimdossier
Am 3. Dezember leitete D'Ormescheville den gemeinsam mit du Paty verfassten Untersuchungsbericht an General Saussier weiter. Die Beweise beschränkten sich auf den Bordereau, Dreyfus' Deutschkenntnisse sowie eine negative Beurteilung von Dreyfus durch einige Offizierskollegen. Die Gutachten der Grafologen, die keine Ähnlichkeit zwischen der Handschrift von Alfred Dreyfus und der des Bordereaus sahen, erwähnte D'Ormescheville nicht. Aufgeführt wurde lediglich das Gutachten von Bertillon.[36]
General Saussier befahl angesichts dieser dünnen Beweislage seinen Offizieren, alle Unterlagen in ihren Archiven, die mit Spionage zu tun hatten und gegen Dreyfus verwendet werden könnten, zu sammeln. Aus dieser Sammlung wurde ein Geheimdossier zusammengestellt, das zum Zeitpunkt des ersten Kriegsgerichtsprozesses folgende Dokumente enthielt:[37]
- Schwartzkoppens fragmentarisches Memorandum an den Generalstab in Berlin, in dem er offensichtlich Vor- und Nachteile der Zusammenarbeit mit einem namentlich nicht genannten französischen Offizier erwpg, der seine Dienste als Agent offerierte.
- Ein auf den 16. Februar 1894 datierten Brief des italienischen Militärattachés Panizzardi an seinen engen Freund Schwartzkoppen, aus dem herausgelesen werden konnte, dass Schwartzkoppen von ihm gesammelte vertrauliche Informationen an Panizzardi weitergab.[38]
- Ein Brief Panizzardis an Schwartzkoppen, in dem dieser schrieb, dass „ce canaille de D“ (diese Kanaille D.) ihm Pläne einer militärischen Einrichtung in Nizza übergeben habe, damit dieser sie an Schwartzkoppen weiterleite. Dieser Hinweis bezog sich - was der an der Zusammenstellung des Geheimdossiers beteiligte Major Hubert Henry sehr wohl wusste[39] - auf einen Kartographen des Kriegsministeriums, der seit Jahren Pläne militärischer Einrichtungen an die beiden Militärattachés verkaufte und dessen Nachname gleichfalls mit D begann.[40]
- Berichte des Geheimpolizisten Guénée über Gespräche mit Marquis de Val Carlos. Diese enthielten eine Textpassage, die nach Stand heutiger Forschung nachträglich eingefügt wurde und die die erfundene Behauptung enthielt, dass „die deutschen Attachés einen Offizier im Generalstab haben, der sie ausgesprochen gut auf dem Laufenden hält.“[41] Die Textpassage wurde von Guénée eingefügt.[42]
Jean Sandherr, der Leiter des dem Deuxième Bureau zugeordneten Nachrichtenbüros, wies außerdem an, dass das Geheimdossier durch einen Kommentar von du Paty ergänzt werde, der eine Verbindung zwischen diesen Dokumenten und Dreyfus herstellen solle.[43]
Verurteilung und Verbannung
Der Prozess vor dem Kriegsgericht dauerte vom 19. bis 22. Dezember 1894 und fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zu Gericht saßen neben dem Gerichtspräsidenten Colonel Emilien Maurel sieben weitere Offiziere. Keiner dieser Militärrichter war Artillerie-Offizier und damit in der Lage, die Bedeutung der auf dem Bordereau genannten Dokumente einzuordnen oder ihre Zugänglichkeit einzustufen. [44] Alfred Dreyfus wurde von Edgar Demange verteidigt, einem für seine Integrität bekannten Katholiken. Edgar Demange hatte zunächst gezögert, als Mathieu Dreyfus ihm die Verteidigung antrug und diese erst verbindlich zugesagt, nachdem er nach Studium der Unterlagen zu der festen Überzeugung kam, dass Alfred Dreyfus unschuldig sei.[45] Auch Alfred Dreyfus war zu Beginn seines Prozesses von seinem baldigen Freispruch überzeugt.[46]

Zwei Ereignisse kennzeichneten diesen Prozess, der in einem kleinen und nüchternen Raum des Gefängnisses Cherche-Midi stattfand. Als den Beobachter des Nachrichtendiensts nach der Anhörung von Charakterzeugen, die für den guten Charakter von Alfred Dreyfus bürgten, Zweifel am Erfolg ihrer Klage kamen, wandte sich Hauptmann Henry heimlich und rechtswidrig an einen der Richter, mit der Bitte, ihn ein zweites Mal in den Zeugenstand zu rufen.[47] Bei dieser zweiten Aussage behauptete Henry, dass im Februar und März 1894 eine „ehrenhafte Person“ den Nachrichtendienst vor einem verräterischen Offizier gewarnt habe, wies dann auf Dreyfus und behauptete, dieser sei der genannte Verräter. Auf Verlangen von Dreyfus und Demange, diese „ehrenhafte Person“ zu benennen, verweigerte Henry die Antwort mit der Begründung, es gäbe Geheimnisse im Kopf eines Offiziers, die nicht einmal sein Käppi zu wissen brauche.[48] Der Gerichtspräsident Maurel reagierte auf diese Aussage mit der Feststellung, dass es ihm ausreiche, wenn Major Henry sein Ehrenwort als Offizier gäbe, dass diese ehrenhafte Person Dreyfus genannt habe. Henry bestätigte dies daraufhin erneut.[49] Am dritten Tag des Gerichtsprozesses übergab du Paty während einer Verhandlungspause dem vorsitzendem Militärrichter Maurel heimlich einen versiegelten Umschlag, im dem sich das Geheimdossier befand. Du Paty richtete Maurel außerdem die Bitte von Mercier aus, bei der Urteilsberatung am nächsten Tag dieses Dossier auch den anderen Richtern vorzulegen.[50] Damit sollte das Gericht trotz des dürftigen Beweismaterials, dem fragwürdigen Handschriftenvergleich, dem fehlenden Motiv des Angeklagten und seinen Unschuldsbeteuerungen von dessen Schuld überzeugen sollte.[51] Allein diese heimliche Übergabe von Dokumenten, die weder dem Angeklagte noch seinem Anwalt zur Kenntnis gebracht wurden, machte das Militärgerichtsvefahren ungültig.[52]
Am 22. Dezember 1894 wurde Dreyfus mit einstimmigem Votum der Militärrichter zu Degradierung und lebenslanger Haft verurteilt. Die Militärrichter hatten lediglich eine Stunde über das Urteil beraten, während der Beratung über das Urteil hatten Maurel und ein weiterer Militärrichter Teile des Geheimdossiers vorgelesen.[53] Ihr Urteil war das höchstmögliche Strafmaß, da die Todesstrafe für politische Verbrechen einschließlich Landesverrat seit 1848 abgeschafft war.[54] Auf Angebote einer Hafterleichterung, sofern Dreyfus seinen Verrat gestehen würde, ging Dreyfus nicht ein.[55] Sein Revisionsantrag wurde am 31. Dezember abgelehnt.[56] Er wurde statt dessen am fünften Januar 1895 der Demütigung einer öffentlichen Degradierung im Hof der École Militaire unterzogen.[57]
Am 31. Januar 1895 beschloss die französische Abgeordnetenkammer, das Alfred Dreyfus auf die Teufelsinsel in Französisch-Guayana verbannt werden solle. Die Haftbedingungen in Französisch-Guayana waren so schwerwiegend, dass nur sehr selten Verurteilte zu einer solchen Haft verurteilt wurden. Er sollte zukünftig auf der Teufelsinsel leben, was nicht nur ein Entkommen unmöglich machen würde, sondern ihn auch vollständig von anderen Gefangen isolieren sollte. Auch Lucie Dreyfus' ursprünglichen Pläne, ihrem Ehemann in die Verbannung zu folgen, wurden durch diesen Beschluss unmöglich gemacht.[58]
Kampf um die Revision
Reaktion der Familie
Um die Wiederaufnahme des Prozesses bemühten sich anfangs vor allem Familienangehörige von Dreyfus, darunter vor allem seine Frau Lucie und sein älterer Bruder Mathieu. Mathieu Dreyfus konzentrierte sich zunächst darauf, Freunde und einen möglichst großen Bekanntenkreis davon zu überzeugen, dass sein Bruder unschuldig sei.[59] Mathieu Dreyfus stand dabei selbst unter ständiger Beobachtung des französischen Geheimdienstes. Seine Briefe wurden geöffnet, die Concierge seiner Wohnung in Paris wurde offensichtlich von der Polizei bezahlt und empfing in ihrer Eingangsloge unter anderem Polizeiagenten.[60] Mathieu Dreyfus wurde unter anderem von einer Mme Bernard kontaktiert, die ihm gegenüber behauptete, sie sei eine Spionin des französischen Militärdienstes und habe Kontakt zu ihm aufgenommen, weil man sie unter Drohung, ihre Tätigkeit als Spionin aufzudecken, zur Auflösung der Verlobung ihrer Tochter mit einem Offizier zwingen wolle.[61] Als Rache für diesen Erpressungsversuch bot sie ihm an, ihm Dokumente zur Verfügung zu stellen, die den wahren Verfasser des Borderaus nennen würde. Dreyfus vermutete darin eine Falle, die der Polizei einen Vorwand liefern sollte, seine Wohnung zu durchsuchen und ihn selbst des Landesverrat anzuklagen. Als er Mme Bernard anbot, gegen Zahlung von 100.000 Francs die Dokumente bei einem von ihm benannten Notar zu hinterlegen, ließ die Frau nichts mehr von sich hören.[62] Mathieu Dreyfus beschloss schließlich, die in London ansässige Detektei Cook zu beauftragen, um ihm bei seinen Recherchen zu unterstützen.[63] Mit Hilfe der Detektei und dem Pariser Korrespondenten der englischen Zeitung Daily Chronicle wurde die Nachricht in Umlauf gebracht, Alfred Dreyfus sei am 3. September 1896 von der Teufelsinsel entkommen. Diese vermeintliche Nachricht war Anlass, dass die französische Zeitung Le Figaro den Fall wieder aufgriff und in ihren Artikeln auf eine Ungereimtheiten bei der Verurteilung von Alfred Dreyfus hinwies.[64] Am 8. September erschien im Le Figaro außerdem ein Reisebericht, der unter anderem auf die unmenschlichen Haftbedingungen aufmerksam machte, unter denen Dreyfus auf der Teufelsinsel gefangen gehalten wurde. Louis Begley hält diesen Artikel für wesentlich, weil er erstmals bei einem größeren Kreis von Personen Mitgefühl für ihn auslöste.[65]
Die ersten Dreyfusarden

Einen ersten Unterstützer im Kampf der Familie Dreyfus um die Rehabilitierung von Alfred fand Mathieu Dreyfus in Major Ferdinand Forzinetti, dem Kommandanten des Militärgefängnisses, in dem Alfred inhaftiert gewesen war. Forzinetti war auf Grund des Verhaltens seines Häftlings und seiner beharrlichen Unschuldsbezeugungen zu dem Schluss gekommen, dass dieser unschuldig sei. Wenige Tage nachdem Dreyfus in die Festung auf der Île de Ré verlegt worden war, übergab Forzinetti Mathieu die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die Alfred Dreyfus am Papierrand kommentiert hatte. Forzinetti empfahl Mathieu Dreyfus auch, den Journalisten Bernard Lazare um Unterstützung zu bitten.[66]
Lazare hatte mehrfach zuvor in Artikeln den sozialen und politischen Schaden thematisiert, den offener und versteckter Antisemitismus der französischen Gesellschaft zufüge. Als Sozialist zeigte Lazare anfangs wenig Interesse, sich für den Industriellensohn Alfred Dreyfus einzusetzen.[67] Erst gegen Ende des Jahres 1895 erschien seine Kampfschrift Une erreur judiciaire, la vérité sur l'affaire Dreyfus (Ein Justizirrtum: Die Wahrheit über die Dreyfus-Affäre), die in Belgien gedruckt wurde, um eine Beschlagnahmung durch französische Behörden zu verhindern.[68] Lazare kritisierte darin unter anderem die aus dem Generalstab angestoßene Pressekampagne gegen Dreyfus, die Regelverstöße der von du Paty durchgeführten Ermittlungen und die Verfahrensfehler im Prozessverlauf. Er widersprach außerdem Bertillons Gutachten, dass darauf beruhte, dass Dreyfus absichtlich die Handschrift verstellt habe und widersprach der Beweiskraft des Cette Canaille D.-Briefes mit dem Hinweis, dass der deutsche Militärattaché einen nützlichen Agenten auf keinen Fall in so nachlässiger Weise kompromittiert hätte.[69]
Lazare beließ es nicht bei dieser Schrift. Der Zeitzeuge Léon Blum schildert in seinen 1935 erschienen Erinnungeren an den Fall, wie Lazare mit "bewundernswürdiger Selbstverleugnung" überall nach Unterstützung gesucht habe, ohne sich um Zurückweisungen oder selbst Verdächtigungen zu bekümmern.[70] Einen der ersten, die Lazare gewinnen konnte, war der Abgeordnete Joseph Reinach, der einer wohlhabenden, ursprünglich in Frankfurt beheimateten Bankiersfamilie entstammte. Reinachs Ambitionen auf ein Ministeramt waren durch seine familiären Verbindungen zu Personen, die in den Panamaskandal verwickelt waren, zu nichte gemacht worden, er sah sich deswegen auch genötigt, in der Dreyfus-Affäre überwiegend im Hintergrund zu agieren. Er setzte sich vehement für Dreyfus ein, weil dessen Verurteilung aus seiner Sicht die Ideale der französischen Republik verriet.[71]
Major Picquart
Jean Sandherr, der Leiter des Nachrichtendienstes, musste wegen einer schweren Erkrankung 1895 sein Amt aufgeben. Seine Stelle übernahm am 1. Juli Marie-Georges Picquart[72], der sich trotz seiner antisemitischen Einstellung zu einer Schlüsselfigur bei der Rehabilitierung von Alfred Dreyfus entwickelte. Der 1854 in Straßburg geborene Picquart entstammte einer Beamten- und Soldaten, gehörte seit 1890 dem Generalstab an, war bereits 1894 an der Untersuchung des Bordereau beteiligt gewesen und hatte als Beobachter des Prozesses gegen Alfred Dreyfus fungiert. Er war kultiviert und intelligent und zählte zu den vielversprechendsten Offizieren des Generalstabs.[73]

Picquart kam wenige Monate nach seinem Amtsantritt zu dem Schluss, dass der deutsche Nachrichtendienst nach wie vor über Kontakte zu einem französischen Offizier verfüge müsse: Unter einer größeren Menge an Papieren, die aus der deutschen Botschaft entwendet worden war und die der Nachrichtendienst im März 1896 untersuchte, entdeckte man auch eine kurze Mitteilung an den französischen Major Ferdinand Walsin-Esterhazy, die mit „C.“ unterschrieben war, einem gelegentlich vom deutschen Militärattaché Schwartzkoppen verwendeten Kürzel.[74] In einem anderen Brief erwähnte Schwartzkoppen, dass seine Vorgesetzten unzufrieden damit seien, für so viel Geld bislang so wenig substantielle Informationen erhalten zu haben.[75] Die nachfolgende Routineüberprüfung des Majors Esterhazys ergab, dass dieser wegen seiner Spielleidenschaft und seines aufwändigen Lebensstiles hoch verschuldet war.[76]
Reaktionen des Generalstabs auf die Entdeckung von Picquart
Im August 1896 informierte Picquart in Umgehung seines direkten Vorgesetzten Gonse zunächst den Generalstabschef Boisdeffre und anschließend den neuen Kriegsminister Jean-Baptiste Billot über die von ihm gefundenen Hinweise auf weitergehende Spionage. Beauftragt, seine Untersuchung fortzusetzen, forderte Picquart Ende August auch die Dossiers im Fall Dreyfus an und stellte dabei fest, dass die Handschrift Esterhazys mit der des Bordereaus identisch war. Picquart teilte dies erst mündlich und dann schriftlich sowohl Boisdeffre als auch Gonse mit. Insbesondere Gonse bestand jedoch darauf, dass Picquart die Fälle Esterhazy und Dreyfus als getrennte Angelegenheiten zu behandeln habe.[77]
Die Presseberichterstattung über den angeblichen Fluchtversuch Dreyfus führte dazu, dass L'Eclair am 10. und 14. September in zwei Artikeln ausgewählte Inhalte des Geheimdossiers veröffentlichte.[78] Picquart war überzeugt, dass die Familie Dreyfus hinter den Veröffentlichungen in L'Eclair stünde und über ausreichend Informationen verfüge, um eine Wiederaufnahme des Prozesses zu erreichen. Nach Stand der heutigen Forschung irrte Picquart hier. Die Berichte wurden mit großer Sicherheit von einem Informanten aus dem Generalstab lanciert wurden, um die Öffentlichkeit in dem Glauben zu wiegen, nicht allein das Bordereau sei Anlass für die Verurteilung von Dreyfus gewesen.[79] Es war eine riskante Strategie, da es gleichzeitig den rechtswidrigen Verlauf des Prozesses öffentlich machte, denn das Geheimdossier war der Verteidigung von Dreyfus nicht zugänglich gemacht worden.[80] Picquart legte seinem Vorgesetzten Gonse nahe, möglichst schnell zu agieren und Esterhazy verhaften zu lassen, um Schaden vom Generalstab abzuwenden. In einer Besprechung mit Gonse am 15. September 1896, über die allerdings nur Aufzeichnungen von Picquart vorliegen, stellte Gonse gegenüber Picquart klar, dass er bereit sei, die Verurteilung eines Unschuldigen hinzunehmen, um den Ruf des ehemaligien Kriegsministers Mercier und den des Militärgouverneurs Saussier zu wahren, die beide wesentlich den Prozess gegen Dreyfus vorangetrieben hatten.[81] Gonse gab Picquart auch zu verstehen, dass sein Schweigen wesentlich sei, um diese Angelegenheit zu vertuschen.[82]
Die Fälschung von Major Hubert Henry

Wie von Picquart vermutet, reagierte die Familie Dreyfus auf die Hinweise auf den rechtswidrigen Verlauf des Prozesses. Die Familie wusste seit Beginn des Jahres 1895, dass ein Geheimdossier bei der Verurteilung eine Rolle gespielt hatte.[83] Den Zeitpunkt, auf Basis dieser Information zu agieren, sah sie jedoch erst gekommen, als die Darstellung im L'Eclair von Seiten der Regierung nicht dementiert wurde.[84] Am 18. September bat Lucie Dreyfus in einem in mehreren Zeitungen wörtlich veröffentlichten Brief die Abgeordnetenkammer um Wiederaufnahme des Prozesses. Den Kriegsminister forderte sie auf, das Geheimdossier zugänglich zu machen, damit öffentlich werde, was zur Verurteilung ihres Mannes geführt habe.[85] Die Abgeordnetenkammer lehnte ihre Bitte ab.
Picquart hatte befehlsgemäß über seine Vermutungen in Bezug auf Esterhazy geschwiegen, der Personenkreis um General Gonse hielt Picquart vermutlich aber für das schwächste Glied in ihrer Verteidigungskette. Die in die Intrigen verwickelten Angehörigen des Generalstabs dürften davon ausgegangen sein, dass Picquart auch wusste, welchen Dokumente des Geheimdossiers fälschlich ein Zusammenhang mit dem Fall Dreyfus unterstellt wurde. Dies setzte den ehemaligen Kriegsminister Mercier, General Boisdeffre und möglicherweise auch General Gonse dem Risiko einer Anklage wegen Betrugs im Zusammenhang mit dem Kriegsgerichtsprozess aus.[86] Gonse befahl Picquart am 27. Oktober, sich auf eine Inspektionsreise durch die französische Provinz zu begeben.[87] Major Henry sah in der Abwesenheit von Picquart vor allem die Gelegenheit, sich gegenüber dem Generalstab als Nachfolger von Picquart zu empfehlen. Entweder am 30. Oktober oder am 1. November 1896 verschaffte er sich einen Brief des italienischen Militärattachés Panizzardi an Schwartzkoppen, datierte dieses bislang datumslose Schreiben auf den 14. Juni 1894 und fügte zwischen Anrede und Unterschrift einen Text ein, der Dreyfus namentlich nannte und implizierte, dass Dreyfus Informationen an die beiden Militärattachés verkauft habe.[88]
Ruth Harris bezeichnet Henrys Fälschungsversuch als nahezu grotesk amateurhaft. Henrys Handschrift unterschied sich nicht nur deutlich von der Panizzardis, die heute als faux Henry bezeichnete Fälschung war außerdem aus zwei verschiedenen Papiersorten zusammengeklebt, was bei näher Betrachtung auffallen musste. Henry lieferte dieses Dokument jedoch am 2. November an General Gonse, der gemeinsam mit General Boisdeffre kurz darauf den Kriegsministers über Henrys neue „Entdeckung“ informierte.[89]
Versetzung von Picquart nach Tunesien
Kurz nach dieser „Entdeckung“ ließ Mathieu Dreyfus 3.500 einflussreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Lazares Schrift zusenden, in der er die Verurteilung von Dreyfus als Justizirrtum kritiserte. Am 10. November 1896 druckte Le Matin außerdem ein Faksimile des Bordereau ab, wodurch es jedem Leser möglich war, selbst einen Schriftvergleich vorzunehmen.[90] Wenige Tage später kam es in der Abgeordnetenkammer auf Antrag des Abgeordneten André Castellin zu einer Aussprache in der Affäre Dreyfus. Castellin griff in seiner wiederholt von Beifallsbezeugungen unterbrochenen Rede das „jüdische Syndikat“ an, weil es Zweifel am Beweismaterial streuen wolle und forderte die Regierung zur strafrechtlichen Verfolgung von Lazare auf.[91] Kriegsminister Billot beteuerte, dass Dreyfus zweifelsfrei Landesverrat begangen habe und der Prozess ordnungsgemäß verlaufen wäre.[92]
Parallel zu den Diskussionen in der Abgeordnetenkammer entdecken Gonse und Henry einige Fehler in der Beweisführung von Picquart.[93] Picquart hatte vor allem den Zeitpunkt vertuschen wollen, an dem der „Petit bleu“ entdeckt wurde. Louis Begley bezeichnet die Gründe Picquarts diese Vertuschungsversuche als nicht nachvollziehbar[94], Ruth Harris dagegen vermutet, dass Picquart dies vor allem zum Schutz seiner Karriere tat. Er hatte seine Untersuchungen gegen den ausdrücklichen Wunsch seiner Vorgesetzten fortgesetzt und versuchte dies durch Änderung verschiedener Daten zu verheimlichen.[95] Unabhängig von der Motivation trug dies in jedem Fall dazu bei, Picquarts Anschuldigungen gegenüber Esterhazy zu schwächen.
Le Matin war durch einen vom Nachrichtendienst beauftragten Grafologen an den Bordereau gelangt[96], General Gonse war jedoch überzeugt, dass Picquart an dessen Veröffentlichung beteiligt war und beorderte ihn nach Tunesien.[97] Picquart nahm seine Versetzung nach Nordafrika an, war sich aber auch des Risikos bewusst, dort ums Leben zu kommen.[98] Am 2. April 1897 ergänzte Picquart während eines kurzen Urlaubsaufenthaltes in Paris sein Testament, in dem er seine Rolle in der Affäre beschrieb, seinen Verdacht gegenüber Esterhazy bekräftigte und festhielt, dass er Dreyfus für unschuldig halte. Er legte außerdem fest, dass diese Niederschrift dem französischen Staatspräsidenten übergeben werden sollte, sollte ihm etwas zustoßen.[99] Ende Juni vertraute er sich zusätzlich seinem engsten Freund, dem Anwalt Louis Leblois an.[100] Auf dessen Drängen autorisierte Picquart Leblois, einen Regierungsvertreter über den Inhalt der Aufzeichnungen zum Fall Dreyfus zu informieren. Picquart wollte allerdings nicht zum Ankläger der Armee zu werden und untersagte es Leblois, direkte Kontakte zur Familie Dreyfus oder deren Anwalt aufzunehmen oder den Namen Esterhazy zu nennen.[101]
Senator Auguste Scheurer-Kestner
Leblois wandte sich am 13. Juli 1897 an Senator Auguste Scheurer-Kestner, der seit Januar 1895 Vizepräsident des französischen Senats war.[102] Der 1833 geborene Scheurer-Kestner stammte wie die Familie Dreyfus aus dem Elsass und galt als einer der Grandseigneurs der französischen Politik. Im zweiten Kaiserreich hatte er wegen seiner Opposition gegen die autoritäre Herrschaft von Napoleon III. im Gefängnis gesessen, er wurde 1872 in den Senat gewählt und 1875 zum Senat auf Lebenszeit ernannt.[103]

Scheurer-Kestner zweifelte anfangs nicht, dass das Kriegsgerichts rechtmäßig geurteilt habe, wenn er auch den Ausschluss der Öffentlichkeit im Verfahren als Verstoß gegen grundlegende Rechtsprinzipien empfand.[104] Merkwürdig fand er lediglich das Fehlen eines glaubwürdigen Motivs für Dreyfus' angeblichen Landesverrat. Von einem Gespräch mit Mathieu Dreyfus zu Beginn des Jahres 1895 beeindruckt, begann er sich jedoch für den Fall zu interessieren.[105] Seine Gesprächen mit verschiedenen hochrangigen Politikern mehrten seine Zweifel: Unter anderem machte ihn der frühere französische Justizminister Ludovic Trarieux auf mögliche Ungereimtheiten bei der Prozessführung aufmerksam, der italienische Botschafter Luigi Tornielli sprach davon, dass seiner Ansicht nach Beweise gefälscht worden waren, um eine Verurteilung von Dreyfus sicher zu stellen.[106] Nachdem ihm Leblois über den begründeten Verdacht Piquarts gegenüber Esterhazy informierte, ließ Scheurer-Kestner im Juli 1897 Lucie Dreyfus mitteilen, dass er sich für eine Wiederaufnahme des Falls einsetzen werde.[107] Schon die Äußerung vor dem Senatspräsidium im Juli, dass er Dreyfus für unschuldig halte, sorgte für große öffentliche Aufmerksamkeit.[108] Das Eintreten des für seine Integrität bekannten Scheurer-Kestner für Dreyfus vergrößerte den Kreis derer, die gleichfalls Zweifel äußerten oder doch wenigstens völlige Aufklärung der Angelegenheit forderten.[109] Scheurer-Kestners Verhalten im Fall Dreyfus war bis zum November 1897 von vorsichtigem Taktieren geprägt, bei dem er seine Beziehungen zu anderen Politikern zu nutzen suchte. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus fürchtete Scheurer-Kestner einen Rückfall in die Religionskriege der frühen Neuzeit und bemühte sich, die Glaubenszugehörigkeit Alfred Dreyfus von dem Fall zu lösen.[110]
Leblois hatte Scheurer-Kestner gebeten, zum Schutz von Picquart erst dann an die Öffentlichkeit zu treten, wenn weitere, mit Picquart nicht in Zusammenhang stehende Beweise vorlägen.[111] Diese war Anfang November 1897 der Fall. Erst schrieb der Historiker Gabriel Monod in einem am 4. November veröffentlichten offenen Brief, dass er als anerkannter Grafologe bestätigen könne, dass der Bordereau nicht von Dreyfus geschrieben sei. Am 7. November identifizierte ein Börsenmakler, der zufällig eines der Faksimiles des Bordereaus erworben hatte, die Handschrift des Bordereaus als die seines Kunden Esterhazy.[112] Als Beweis dafür übergab er Mathieu Dreyfus Briefe seines Klienten.[113] Am 15. November trat Scheurer Kestner mit einem in Le Temps veröffentlichten offenen Brief an Senator Ranc an die Öffentlichkeit und verwies auf die neue Faktenlage, die seiner Meinung nach die Unschuld von Dreyfus belegen würden.[114] Fast zeitgleich mit Scheurer-Kestner öffentlicher Stellungsnahme beschuldigte Mathieu Dreyfus in einem offenen Brief an den Kriegsminister Billot Esterhazy als Verfasser des Bordereaus.[115] Knapp ein Jahr, nachdem Kriegsminister Billot den Abgeordneten die rechtmäßige Verurteilung von Dreyfus versichert hatte, sah sich nun Premierminister Félix Jules Méline genötigt, der Abgeordnetenkammer zu bestätigen, dass es keine Affäre Dreyfus gäbe.[116] Auf diese Erklärung antworte am 7. Dezember Scheurer-Kestner in einer Rede vor dem Senat. In seinen sehr sachlich gehaltenen Ausführungen nannte er die ihm bekannten Fakten und bezeichnete den Prozessverlauf als fehlerhaft, da geheime Dokumente an das Gericht übermittelt worden seien.[117] Der frühere Justizminister Trarieux war der einzige Senator, der den Argumenten Scheurer-Kestners beipflichtete. Er verwies daraf, dass es nicht als Angriff auf die Armee zu werten sei, wenn nach schweren Fehlern ein Antrag auf Richtigstellung vorgebracht werde. Félix Jules Méline dagegen betonte auch vor dem Senat, dass es keine Affäre Dreyfus gäbe.[118]
Prozess gegen Esterhazy

Bereits im Oktober 1897 begannen die in die Intrige verstrickten Personen im Generalstab, Maßnahmen zu ergreifen, um Esterhazy zu schützen. Zunächst behaupteten Gonse und Henry gegenüber du Paty, dass ihrer Meinung nach die Familie Dreyfus und ihre Anhänger versuchen würden, durch ein Komplott Esterhazy zu beschuldigen.[119] Im Auftrag von du Paty fälschte Henry einen von einer angeblichen Espérance unterzeichneten Brief, mit dem Esterhazy über Picquarts Ermittlungsstand informiert und gewarnt wurde, dass das „Syndikat“ ihn als den wahren Landesverräter beschuldigen werde. Bei einem heimlichen Treffen am 22. Oktober sicherten du Paty und ein weiterer Mitarbeiter des Generalstabs Esterhazy ihre Unterstützung zu. Während des anschließenden offiziellen Treffen mit General Millet versuchte Esterhazy die Ähnlichkeit seiner Handschrift mit der des Bordereaus damit zu erklären, dass Dreyfus seine Handschrift imitiert habe. Als Briefe an Kriegsminister Billot und Generalstabschef Boisdeffre, in denen Esterhazy diese um die Verteidigung seiner Ehre bat, unbeantwortet blieben, schrieb Esterhazy auch an den französischen Präsidenten Faure und fügt dem Schreiben unter anderem den von Henry gefälschten Espérance-Brief bei, um zu beweisen, das man ihm eine Falle stellen wolle.[120] Wenige Tage später drohte Esterhazy in einem zweiten Brief an den Staatspräsidenten, im Falle seiner Anklage ein Dokument zu veröffentlichen, das für einige Diplomaten sehr kompromittierend sei.[121] Esterhazy behauptete in seinem Brief, eine „verschleierte Dame“ habe die fotografische Kopie dieses Dokuments von Picquart gestohlen, der es wiederum in einer Gesandtschaft entwendet habe. Weder der anmaßende Stil seiner Briefe noch der erpresserische Inhalt oder der behauptete Besitz eines Geheimdokuments waren für die Regierung Anlass Esterhazy zu belangen.[122] Statt dessen wurde seinen unwahrscheinlichen Erklärung Glauben geschenkt. Der Staatspräsident bat den Kriegsminister, den Vorfall zu untersuchen, was dazu führte, dass plötzlich Picquart wegen nachlässigem Umgang mit Beweismaterial im Zentrum der Untersuchungen stand.[123] In den ersten Novembertagen schickte Esterhazy an Picquart zwei Telegramme und einen Brief ab, deren obskurer Inhalt suggerieren sollten, dass Picquart Teil eines Komplotts sei.[124] Wie von Esterhazy erwartet wurden beide Telegramme von der Sûreté abgefangen und an Henry, Gonse und Kriegsminister Billot weitergeleitet. Am 12. November gab Kriegsminister Billot die Weisung zu einer geheimen richterlichen Untersuchung gegen Picquart.[125] Die dreyfusfeindliche Presse suggerierte derweil einer breiten Öffentlichkeit, dass die Kampagne Scheurer-Kestners nur dazu diene, an die Stelle eines überführten jüdischen Offiziers einen unschuldigen Offizier der französischen Armee zu schieben und dass alles ein Werk eines jüdischen Syndikats sei.[126]
Die Voruntersuchungen gegen Esterhazy endeten am 3. Dezember 1897. Im Abschlussbericht kam der Untersuchungsleiter General Pellieux zu dem Schluss, dass es keine Beweise gäbe, die die Anschludigungen von Dreyfus oder Picquart gegen Esterhazy stützen würden. Nach Ansicht von Pellieux war der Petit bleu, der die Grundlage von Picquards Anschuldigungen gegen Esterhazy war, nicht echt. Pellieux empfahl statt dessen, dass ein Untersuchungsausschuss klären solle, ob Picquart wegen Ehrverletzung oder zumindest wegen grober Pflichtverletzung im Dienst aus der Armee zu entlassen sei.[127] General Saussier setzte sich über die Empfehlungen des Untersuchungsrichters hinweg, dass Verfahren einzustellen und ordnete eine Verhandlung vor dem Kriegsgericht an, die am 10. und 11. Januar 1898 stattfand.[128] In seiner Befragung sprach Esterhazy erneut von der „verschleierten Dame“, die ihn über das Komplott gegen ihn informiert habe und behauptete, dass Picquart den „Petit bleu“ gefälscht habe. Die Ähnlichkeit der Handschrift des Bordereaus erklärte er auch vor Gericht damit, dass es sich hier um die Arbeit eines Fälschers handele, der seine Handschrift nachgeahmt habe. Dieser Ansicht schloss sich auch das Gericht an. Die Verhandlung endete mit einem Freispruch Esterhazys.[129] Picquart wurde dagegen am 13. Januar 1898 wegen Dienstvergehens verhaftet.[130]
Die Frage, warum sich das Oberkommando der französischen Armee weigerte, den Justizirrtum zu korrigieren und so eng mit Esterhazy zusammenarbeitete, den Louis Begley als einen amoralischen, zwanghaft lügenden, betrügenden und intrigierenden Soziopathen bezeichnet[131], gehört zu den immer noch diskutierten Fragen der Dreyfus-Affäre. Bei einer Reihe der involvierten Personen spielte die Angst des Verlustes von Amt und Würden eine erhebliche Rolle.[132] Blum fand dies angesichts der „unglaublichen Verflechtungen von Intrigen und Fälschungen“ nicht hinreichend überzeugend.[133] Er vermutete in seinen Erinnerungen, dass jemand im Generalstab an der Informationsweitergabe an die deutsche Botschaft durch Esterhazy beteiligt war und schrieb diese Rolle Henry zu, der seiner Ansicht nach als bewährter und dienstältester Mitarbeiter des Nachrichtenbüros dafür prädestiniert war.[134] Die neuere Forschung hat für diese Ansicht jedoch keine Grundlage gefunden, Henry wäre außerdem in der Lage gewesen, den Bordereau unmittelbar nach seiner Entdeckung zu unterschlagen.[135] Sowohl Begley und Blum verweisen aber darauf, dass sehr früh in der Affäre ein Räderwerk an Täuschungen in Gang kam, in der man täuschte, um die vorhergegangene Täuschung zu verdecken und log, um die letzte Lüge glaubhaft zu machen.[136]
J'Accuse...!

Bernard Lazare hatte bereits im November 1896 versucht, die Unterstützung des bekannten französischen Schriftsteller Émile Zolas zu gewinnen, was dieser zunächst aber ablehnte, weil er sich nicht in politische Fragen einmischen wollte.[137] Die zunehmende offene Manifestation von Antisemitismus, die bei ihm tiefen Widerwillen auslöste, prangerte er bereits im März 1896 in seinem Artikel Pour les Juifs (Für die Juden) an, den Fall Dreyfus erwähnte er jedoch nicht.[138] Erst das zunehmende Engagement von Auguste Scheurer-Kestner bewog Zola, sich mit der Dreyfus-Affäre intensiver auseinander zu setzen.[139] Der erste Artikel, den Zola dazu schrieb, erschien am 15. November 1897 im Le Figaro und befasste sich mit Scheurer-Kestner und seinem Bemühen, den Justizirrtum zu korrigieren.[140] Am 1. Dezember folgte unter der Überschrift Le Syndicat (Das Syndikat) ein weiterer Artikel, der den wiederholt geäußerten Vorwurf aufgriff, ein jüdisches Syndikat versuche, einen Freispruch von Alfred Dreyfus zu erkaufen.[141] Zola wies dies als Ammenmärchen zurück und drängte seine Leser, die Familie Dreyfus nicht als einen Teil geheimnisvoller und diabolischer Kräfte zu sehen sondern als französische Mitbürger, die alles in ihrer Macht täten, das Recht ihres unschuldigen Familienmitglieds wieder herzustellen..[142] Am 5. Dezember gab Zola in dem Artikel Le Procès-verbal (Bestandsaufnahme) seiner Hoffnung Ausdruck, dass ein Militärgerichtsprozess gegen Esterhazy die Nation versöhnen und dem barbarischen Antisemitismus, der nach seinen Worten Frankreich um tausend Jahre zurückwerfe, ein Ende setzen werde.[143]

Kurz darauf beendete Le Figaro seine Zusammenarbeit mit Zola, da Anti-Dreyfusarden und rechtsextreme Nationalisten zu einem Subskriptionsboykott der Zeitung aufriefen.[144] Nun ohne eine Zeitung, die bereit war, seine Artikel zu drucken, veröffentlichte Zola am 13. und 14. Dezember seine nächsten zwei Artikel als Broschüren, die sich aber wegen ihres hohen Preises von jeweils 50 Centime schlecht verkauften. In Lettre à la Jeunesse (Brief an die Jugend) wandte er sich an die Studenten, die im Quartier Latin eine gewalttätige Demonstration gegen Dreyfus organisiert hatten und forderte sie auf, sich wieder der französischen Traditionen der Großzügigkeit und Gerechtigkeit zu besinnen.[145] Am 6. Januar 1898 griff er in Lettre à la France (Brief an Frankreich) den Teil der Presse an, die ihre Leser auf eine Reinwaschung von Esterhazy einstimmte.[146] Für seine nächste Veröffentlichung wandte sich Zola an die neu gegründete Literaturzeitschrift L'Aurore: Am 13. Januar erschien Zolas offener Brief J'accuse...! (Ich klage an...!) an den Staatspräsidenten Félix Faure, in dem Zola erneut den Freispruch Esterházys anprangerte.[147]
Zola nahm in seinem Artikel rhetorisch die Rolle eines Staatsanwalts ein. Er klagte du Paty, Mercier, Billot, Gonse und Boisdeffre an, Drahtzieher eines Komplotts zu sein, warf der Schmutzpresse antisemitische Propaganda vor und beschuldigte Esterhazy erneut, der wahre Landesverräter zu sein.[148] Zola warf auch die entscheidende und für den weiteren Fortgang der Dreyfus-Affäre prophetische Frage auf, inwieweit diese Militärrichter noch zu einem unabhängigen Urteil in der Lage waren. Eine Verurteilung von Esterhazy wäre auch ein Urteil über das Kriegsgericht gewesen, das im Fall Dreyfus entschieden hätte und jedem der über Esterhazy urteilenden Militärrichter war bekannt, dass ihr Kriegsminister unter dem Beifall der Abgeordneten bekräftigt hatte, dass Dreyfus zu Recht verurteilt worden sei. Zola ging so weit, dass er das erste Kriegsgericht beschuldigte
- …das Recht gebrochen zu haben, indem es einen Angeklagten auf der Grundlage eines Dokumentes verurteilte, das vor ihm geheimgehalten wurde; und das zweite Militärgericht, diese Rechtswidrigkeit auf Befehl gedeckt zu haben, indem es seinerseits das Verbrechen beging, wissentlich einen Schuldigen freizusprechen.


Innerhalb weniger Stunden waren mehr als 200.000 Exemplare der Zeitung verkauft.[149] Es kam unmittelbar nach der Veröffentlichung des Artikels zu gewalttätigen Ausschreitungen, die besonders heftig in Algerien waren, wo verhältnismäßig viele sephardische Juden lebten.[150] In Paris waren jüdische Läden, Kaufleute und bekannte Dreyfusarden Ziel des Angriffs. Auf dem Place Blanche in Montmartre wurde von einer Versammlung bestehend aus Künstlern, Studenten und Arbeitern ein Stoffpuppe verbrannt, die ein Schild mit dem Namen von Mathieu Dreyfus trug. Plakate, die in ganz Paris aushingen, riefen zu anti-dreyfusardischen Bündnissen auf. Jules Guérin, der Gründer und Führer der Ligue antisémitique de France hetzte auf einer Versammlung die Menschenmassen weiter auf, worauf sich in den nächsten Tagen sowohl vor dem Haus von Mathieu Dreyfus als auch dem der Eltern von Lucie Dreyfus sich gewalttägige Massen versammelten. Die Ausschreitungen endeten erst nach mehreren Tagen später, sie eskalierten erneut als es zum Prozess gegen Zola kam.[151]
Zolas offener Brief gilt bis heute als einer der größten publizistischen Sensationen des 19. Jahrhunderts und wurde zum Wendepunkt in der Affäre Dreyfus.[152] Der Mut, den Zola mit dieser Veröffentlichung bewies, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Er befand sich auf dem Höhepunkt seines schriftstellerischen Erfolgs, seine Aufnahme in die Académie française schien vor der Veröffentlichung und dem darauf folgenden Skandal nur eine Frage der Zeit zu sein.[153] Zola wollte bewusst mit seinem Artikel einen Prozess provozieren, da Dreyfus vor der Militärgerichtsbarkeit ein weiterer Prozess vorerst verwehrt blieb. Er hoffte auf einen Freispruch durch die zivile Rechtsprechung, die zugleich eine Anerkennung der Unschuld von Alfred Dreyfus gewesen wäre.[154] Er riskierte aber auch, selbst inhaftiert und verurteilt zu werden.[155]
Verurteilung und Exil von Zola
Noch am Tag der Veröffentlichung forderten konservative Parlamentarier und der Generalstab ein Vorgehen gegen Zola. Am 18. Januar 1899 wurde vom Ministerrat beschlossen, dass der Kriegsminister eine Verleumdungsklage gegen Zola und Alexandre Perrenx, den Geschäftsführer von L'Aurore einreichen solle.[156] Anders als von Zola erwartet konzentrierte sich die Staatsanwaltschaft in ihren Beschuldigungen auf die Textpassage, in denen Zola dem Kriegsgericht vorgeworfen hatte, Esterhazy auf Befehl freigesprochen zu haben. Damit war die Anklage gegen Zola ohne Bezug zur Verurteilung von Dreyfus.[157]
Der Prozess erstreckte sich über zwei Wochen, während der täglich vor den Toren des Justizpalastes nationalistische Demonstranten auf das Erscheinen von Zola warteten, um ihn dann mit Gejohle, Steinen und Todesdrohungen zu empfangen.[158] Im Gerichtssaal gelang es den beiden Zola-Anwälten Fernand Labori und Albert Clemenceau durch ihre geschickte Befragung den Zeugen immer wieder Aussagen zur Dreyfus-Affäre zu entlocken, obwohl der vorsitzende Richter ständig versuchte, ihre Fragen auf Sachverhalte der Anklage zu beschränken. In die Enge getrieben, brachte General Pellieux erneut ein Dokument ins Spiel, das angeblich eindeutig die Schuld Dreyfus’ belege und zitiert dann den Wortlaut des faux Henry. Als Labori darum bat, dem Gericht das Dokument vorzulegen, griff General Gonse ein, dem anders als Pellieux bewusst war, dass es sich um eine der Fälschungen im Geheimdossier handelte.[159] Er bestätigte die Existenz des Dokuments, behauptete jedoch, es könne nicht öffentlich vorgelegt werden.[160] Das Gericht ließ darauf hin den Generalstabschef Boisdeffre als Zeugen aufzutreten. Boisdeffre bestätigte die Aussagen Pellieuxs und wandte sich dann als Mahner an das Gericht:[161]
- Sie sind das Gericht, Sie sind die Nation; wenn die Nation kein Vertrauen in die Führer ihrer Armee hat, in die Männer, welche die Verantwortung für die nationale Verteidigung tragen, dann sind diese Männer bereit, ihre schwere Aufgabe anderen zu überlassen, Sie müssen es nur sagen. Das ist mein letztes Wort.
Der Prozess hatte öffentlich deutlich, dass die Behauptungen Zolas zutrafen. Leon Blum schrieb in seinen Erinnerungen fest:[162]
- Die Ungesetzlichkeit, die im Prozess von 1894 begangen worden war, wurde bewiesen, was schon ausreichte, um die Revision als zwingend erscheinen zu lassen; die Absurdität der Zuschreibung [des Bordereaus] an Dreyfus wurde demonstriert; die Kabalen des Generalstabs gegen Picquart wurden aufgedeckt; die Vorwürfe gegen Esterhazy hatten sich mit einer schwer lastenden Wahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen Gewissheit erfüllt.
Boisdeffres Worte, in der er eine Entscheidung zwischen der Armee und Zola sowie den Dreyfusarden verlangte, hatten jedoch in der Öffentlichkeit und im Gerichtssaal einen starken Eindruck hinterlassen. Am 23. Februar wurden beide Angeklagten eine Geldstrafe von 3.000 Franc – mehr als das anderthalbfache des Jahresgehalt eines Leutnants – auferlegt, Perrenx wurde zu vier Monaten Gefängnis und Zola zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.[163] Ministerpräsident Méline bezeichnete am nächsten Tag in der Abgeordnetenkammer die Fälle Zola und Dreyfus als abgeschlossen.[164] Zwei Tage später wurde Picquart unehrenhaft aus der Armee entlassen. Das Oberste Berufungsgericht hob das Urteil gegen Zola jedoch wegen eines Verfahrensfehlers zunächst wieder auf.[165] Am 18. Juli wurde Zola ein zweites Mal schuldig gesprochen. Labori und Clemenceau rieten Zola, Frankreich zu verlassen. Damit konnte das ausgesprochene Urteil nicht zugestellt und auch nicht vollstreckt werden. Nach am selben Tag nahm Zola den Zug nach London.
Selbstmord von Hubert Henry
Bei den Parlamentswahlen im Mai hatte die Regierung Méline ihre Unterstützung verloren und war am 15. Juni zurückgetreten. Am 28. Juni bildete Henri Brisson eine neue Regierung, Godefroy Cavaignac folgte Billot als Kriegsminister nach.[166] Cavaignac zählte zu dem Personenkreis, der nach wie vor von einer rechtmäßigen Verurteilung von Dreyfus ausging. Auf eine Anfrage eines Abgeordneten zur Dreyfus-Affäre bekannte er sich in einer langen Rede zu dieser Sicht und zitierte als Beweis für die rechtmäßige Verurteilung unter anderem Le faux henry, den Cette canaille D-Brief und einen weiteren Brief Panizzardis.

Diesmal war es der sozialistische Abgeordnete Jean Jaurès, der den Kriegsminister in einem offenen Brief herausforderte und ankündigte, er werde Cavaignacs Beweisführung Punkt für Punkt widerlegen.[167] Dies tat er in einer Serie von Artikeln, die im August und September 1898 in La Petite Republic erschienen. Kernpunkt seiner Argumentation war die Behauptung von Jaurès, dass Le faux henry eine im Generalstab fabrizierte Fälschung sei.[168] Bei der darauf erneuten Untersuchung, die zum Teil bei Lampenlicht erfolgte, fiel Hauptmann Cuignet die zwei unterschiedlichen Papiersorten auf, aus denen Le faux henry bestand. Gemeinsam mit General Roget war er sich einig, dass es sich tatsächlich um eine Fälschung handelte, wie es Picquart bislang behauptet hatte.[169]
Cavaignac wurde am 14. August darüber informiert, erst am 30. August befragte Cavaignac aber Henry in Anwesenheit der Generäle Boisdeffre und Gonse. Henry versuchte erst zu leugnen, gab aber dann unter dem Druck der Befragung zu, dass er den Brief gefälscht habe.[170] Er wurde verhaftet und in das Militärgefängnis Mont Valérien gebracht. In einer kurzen Veröffentlichung teilte die Regierung mit, dass man die Fälschung des faux henry entdeckt habe. Am 31. August, etwa um 3 Uhr nachmittags, schlitzte Henry sich die Kehle mit einem Rasiermesser auf.[171] Boisdeffre trat nach Henrys Selbstmord von seinem Amt zurück, Gonse wurde vom Generalstab zum aktiven Dienst versetzt und du Paty pensioniert.[172] Esterhazy, der mittlerweile nach Belgien geflohen war, gab in Presseinterviews zu, dass er das Bordereau verfasst habe. Am 3. September stellte Lucie Dreyfus erneut einen Antrag auf Wiederaufnahme des Prozesses gegen ihren Mann. Auch die politisch neutrale Presse forderte mittlerweile eine Wiederaufnahme.[173] Am 5. September trat Cavaignac von seinem Amt als Kriegsminister zurück.[174] Sein Nachfolger Émile Auguste Zurlinden trat acht Tage nach Amtsantritt wieder zurück, nachdem das Oberste Berufungsgericht die Wiederaufnahme des Falls beschloss.[175] Der neue Kriegsminister Charles Chanoine ernannte Zurlinden allerdings zum Militärgouverneur von Paris und eine seiner ersten Maßnahmen war die Anstrengung eines Gerichtsverfahrens gegen Picquart, der seit 15. Juli in Untersuchungshaft saß.[176]
Die Erwartung der Dreyfusarden, dass Henrys Eingeständnis der Fälschung und sein Selbstmord zu einem breiten öffentlichen Meinungsumschwung führen würde, erfüllte sich nicht. Der rechtsextreme Charles Maurras nannte die Fälschung und den Selbstmord von Henry ein heroisches Opfer im Dienst einer höheren Sache. Henry hatte eine bemerkenswerte militärische Karriere hinter sich, in deren Verlauf er mehrfach verwundet worden war. Nach Mauras stand dieser Lebensleistung lediglich eine Fälschung und eine Lüge gegenüber, für die Henry als echter Soldat mit seinem Leben bezahlte.[177] Diese Heroisierung Henrys wurde von der nationalen Presse willig aufgegriffen, Édouard Drumont nannte in La Libre Parole seinen Selbstmord bewundernswert. Picquart war nach der Darstellung der nationalen und antisemitischen Presse dagegen der „wahre“ Fälscher, gegen dessen Fabrikationen und Lügengebilde Henrys Fälschung eine harmlose Grenzüberschreitung war.[178] Auf Reinachs Artikelserie im Le Siècle, die die Verbindung zwischen Esterhazy und Henry thematisierte, antwortete die rechte Presse, dass damit der Ruf eines Toten angegriffen werde, der als Verteidiger nur noch seine Witwe und sein vierjähriges Kind habe. Dumont rief zu einer Spendenaktion auf, um es Berthe Henry zu ermöglichen, Reinach wegen Verleumdung zu verklagen.[179] Bis zum 15. Januar 1899 spendeten dafür mehr als 25.000 Personen 131.000 Francs. Zu den Spendern zählten 3000 Offiziere und 28 pensionierte Generäle, sieben Herzöge und Herzoginnen und fast fünfhundert Marquis, Grafen, Vicomtes und Barone.[180] Viele der Spenden waren von hasserfüllten Schreiben gegenüber den Verteidigern von Alfred Dreyfus begleitet, die Drumont veröffentlichte.[181]
Verhandlung vor der Strafkammer des Obersten Berufungsgerichts
Nach der Weigerung der Abgeordnetenkammer, Lucie Dreyfus' Antrag auf Wiederaufnahme des Prozesses stattzugeben, verblieb als einziges Rechtsmittel ein Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof. Ein Angeklagter hatte selbst kein Recht, hier einen Antrag auf Revision zu stellen, dazu war allein die Regierung berechtigt. Das Kabinett von Brisson war für ein solces Revisionsverfahren offener als die vorherigen Regierungen und autorisierte mit sechs zu vier Ministerstimmen den Justizminister im September 1898, das Revisionsverfahren einzuleiten.[182] Während die politische Diskussion parallel zunehmend von der Faschoda-Krise dominiert wurde, begann im November 1898 die Strafkammer des obersten Berufungsgerichtes zu tagen. Während der Verhandlung attackierten vor allem die rechten Zeitungen La Libre Parole und L'Intransigeant die Richter und beschuldigten sie, vom „Syndikat“ und dem Deutschen Reich bezahlt zu werden.[183]

Als Zeugen wurden unter anderem die ehemaligen Kriegsminister Mercier, Cavaignac, Billot, Chanoine und Zurlinden gehört.[184] Mercier behauptete, Dreyfus habe 1894 gegenüber dem Offizier Lebrun-Renault ein Geständnis abgelegt, weigerte sich aber ansonsten, irgendwelche Fragen zu beantworten. Cavaignac vertrat dagegen die Ansicht, Dreyfus und Esterhazy hätten zusammengearbeitet. Diese Ansicht wurde auch von General Roget geteilt, der vor Gericht aussagte, das Esterhazy ansonsten die auf dem Bordereau erwähnten Informationen nicht hätten beschaffen können.[185] Dieser Ansicht wurden am 16. und 19. Januar 1899 von vier Artillerieoffiziere widersprochen. Nach ihrer Ansicht war die Ungenauigkeit der im Bordereau genannten technischen Begriffe Beleg dafür, dass das Bordereau nicht von einem Artilleristen geschrieben sei. Sie wiesen außerdem darauf hin, dass die Informationen, die gemäß dem Bordereau übergeben worden waren, ebenso gut aus der damaligen Militärpresse hätten stammen können.[186] Vernommen wurden insgesamt zehn Grafologen. Vier davon waren der Ansicht, dass Dreyfus den Bordereau nicht geschrieben habe. Ein fünfter blieb verhalten und beschränkte sich auf die Bemerkung, dass es nun zwei Handschriften gäbe, die der auf dem Bordereau ähneln würden. Alphonse Bertillon, dessen Handschriftenvergleich bereits bei dem Prozess 1894 entscheidend gewesen war, vertrat erneut die Ansicht, dass Dreyfus willentlich seine Handschrift verstellt habe. Zu seiner Rolle bei der Verhandlung vor dem Gerichtsprozess 1894 befragt, führte er aus, dass Dreyfus' Reaktion ihm als ein indirektes Eingeständnis erschienen sein und dass seine „Selbst-Fälschungs-Theorie“ daher zutreffend sei.[187]
Mit Zustimmung der Regierung sagte im Januar und zu Anfang Februar der Diplomat Maurice Paléloque vor der Kammer auf und präsentierte dort die Unterlagen, die im Außenministerium zum Fall Dreyfus aufbewahrt wurden. Unter anderem legte er offen, dass die vom Kriegsministerium vorgelegte Version von Panizzardis Telegramm, das dieser zu Beginn 1894 an das italienische Armeehauptquartier gesendet habe, falsch sei. Es existiere nur eine offizielle Version, nämlich die vom Außenministerium dechiffrierte. Diese Version entlastete Dreyfus.[188] Noch bevor die Strafkammer jedoch eine Entscheidung fällen konnte, warf der Präsident der Zivilkammer, Jules Quesnay de Beaurepaire, den Richtern der Strafkammer Voreingenommenheit vor.[189] Wenige Tage später trat er vor seinem Amt zurück und begann eine heftige Pressekampagne im Echo de Paris, in der er dem Vorsitzenden der Strafkammer, dem Protestanten elsässischer Abstammung Louis Loew, eine zu wohlmeinende Haltung gegenüber Picquart vorwarf. In der Abgeordnetenkammer wurde eine Untersuchung hinsichtlich der von Beaurepaire vorgebrachten Behauptungen eingeleitet. Die Untersuchungskommission sprach die Richter der Strafkammer von allen Anschuldigungen frei, die Beaurepaire vorgebracht hatte und hielt fest, dass ihre Integrität und Rechtschaffenheit über alle Zweifel erhaben sei.[190] Kurz danach brachte Ministerpräsident Charles Dupuy im Kabinett einen Gesetzesentwurf ein, wonach alle laufenden Berufungsfälle zur Revision bei den Gemeinsamen Kammern des Berufungsgerichtes einzureichen seien. Trotz des heftigen Widerstands einzelner Minister unterstütze das Kabinett in seiner Mehrheit Dupuy und legte dem Abgeordnetenhaus diesen Gesetzesentwurf vor, der am 10. Februar 1899 mit 324 zu 207 Stimmen angenommen wurde.[191]

Versuch des Staatsstreichs und Verhandlung vor der Gemeinsamen Kammer des Obersten Berufungsgerichts
Noch bevor die Gemeinsame Kammer des Obersten Berufungsgerichts den Fall Dreyfus erneut prüfen konnte, kam es am 23. Februar 1899 nach dem Staatsbegräbnis von Präsident Faure zu dem Versuch eines Staatsstreichs durch den Politiker Paul Déroulède, dem Gründer der chauvinistischen und antiparlamentarischen Ligue des Patriotes. Déroulède rechnete bei seinem Staatsstreich mit der Unterstützung der Armee. General de Pellieux, der die Haupteskorte beim Begräbnis von Faure kommandierte, sollte bei der Rückkehr vom Begräbnis in der Nähe des Place de la Nation auf die Truppen von Déroulède treffen und verabredungsgemäß dann von der vorgesehenen Route abweichen und in Richtung des Elysée-Palastes marschieren. Pellieux brach jedoch im letzten Moment sein Wort und bat den Militärgouverneur Zurlinden, ihm das Kommando über eine kleinere Eskorte zu übertragen. General Roget, der an seine Stelle trat, verhaftete dagegen Dèroulède. Déroulède wurde dafür zu zehn Jahre Verbannung verurteilt, nach sechs Jahren Exil in Spanien jedoch begnadigt.
Am 27. März begann die Gemeinsame Kammer mit der Prüfung des Geheimdossier. Wie zuvor die Richter der Strafkammer kam man zu dem Ergebnis, dass das Dossier keine Dokumente enthalten würde, die Dreyfus belasteten.[192] Vor Gericht wurde auch Hauptmann Freystaetter gehört, der während des Kriegsgerichtsprozess zu den urteilenden Offizieren gehört hatte. Er bestätigte, dass der sogenannte Ce canaille de D.-Brief den Richtern bei der Verhandlung heimlich zugespielt worden sei und gab auch zu, dass der theatralische Zeugenauftritt von Henry ihn zur Verurteilung von Dreyfus bewogen habe. In der Verhandlung spielte erneut das Panizzardi-Teelgramm an das italienische Hauptquartier eine Rolle. Um sicherzustellen, dass die dechiffrierte Fassung des Außenministers die richtige sei, wies das Gericht Vertreter des Kriegs- und des Außenministeriums an, gemeinsam ein zweites Mal das Originaltelegramm zu dechiffrieren. Die gemeinsam erstellte Fassung entsprach der des Außenministeriums, aus der hervorging, dass es keinen Kontakt zwischen Panizzardi und Dreyfus gegeben hatte.[193] Am 3. Juni erklärte das Oberste Berufungsgericht das Urteil des Kriegsgerichts von 1894 für ungültig und legt fest, dass Dreyfus sich in Rennes erneut einem Kriegsgericht zu stellen habe.[194]
Zweiter Prozess gegen Dreyfus
Auf Grund des stark zensierten Briefverkehrs wusste Alfred Dreyfus bis November 1898 nichts über die Entwicklungen in Frankreich. Mitte November wurde ihm die Zusammenfassung seines Falls übergeben, die der Jurist Jean-Pierre Manau vor dem Obersten Berufungsgericht vorgetragen hatte. Erst dadurch erfuhr er vom Selbstmord Henry und der Beschuldigung seines Bruder Mathieu, dass Esterhazy der Landesverräter gewesen sei.[195] Kurz darauf verbesserten sich seine Haftbedingungen etwas, wenig später wurde er Richtern des Berufungsgerichts von Cayenne vorgeführt, denen gegenüber er verneinte, im Januar 1895 seine Schuld gegenüber Lebrun-Renault gestanden zu haben.[196]
Streng bewacht trat Alfred Dreyfus eine Woche nach der Aufhebung seines Urteils durch das Oberste Berufungsgericht seine Rückreise nach Frankreich an. Ab dem 1. Juli saß er im Militärgefängnis von Renne ein, wo er erstmals seine Ehefrau und seinen Bruder wiedersehen durfte. Nach fast fünf Jahren Isolationshaft, während der es seinen Wärter streng untersagt war, sich mit ihm zu unterhalten, war Alfred zunächst kaum in der Lage zu sprechen. Auf Grund der unzureichenden Ernährung hatte er außerdem mehrere Zähne verloren, was ihm das Sprechen weiter erschwerte. Er war stark abgemagert und anfänglich kaum in der Lage, feste Nahrung zu sich zu nehmen. Insbesondere Mathieu Dreyfus war besorgt, ob sein Bruder in der Lage sei, den kommenden Prozess zu überstehen.[197]

Zum Prozess fanden sich zahlreiche Dreyfusarden und Anti-Dreyfusarden sowie viele Journalisten der nationalen und internationalen Presse in Renne ein. Da die Verantwortlichen sich geweigert hatten, den Zeitpunkt der Ankunft von Dreyfus mitzuteilen, lieferte sich die Journalisten ein hektisches Katz-und-Maus-Spiel, um die ersten zu sein, die mit dieser Nachricht aufwarten konnten.[198] Lucie Dreyfus hatte eine Unterkunft in der Nähe des Militärgefängnisses gefunden und obwohl sie jegliche Aufmerksamkeit zu vermeiden suchte, versammelten sich bei ihrer Ankunft dort 300 Menschen.[199] Die seit der Verhaftung ihres Mannes stets Trauerkleidung tragende Lucie Dreyfus war trotz ihres Bemühens, im Hintergrund zu bleiben, eine der Öffentlichkeit wohl bekannte Figur. In der Dreyfus-freundlichen Presse war sie zum Sinnbild einer aufopfernden und loyalen Ehefrau geworden. Die nun physische Präsenz von Alfred Dreyfus, der den meisten bislang nur eine Abstraktion gewesen war, verlangte nach Ansicht von Ruth Harris allen Anwesenden eine emotionale Anpassung ab und dabei spielte keine Rolle, ob sie Dreyfus bislang als Märtyrer verehrt oder als „Judas“ geschmäht hatten,[200] Der Romancier Maurice Barrès, ein überzeugter Anti-Dreyfusard, zeigte sich tief geschockt, als er Dreyfus während des Prozesses erstmals leibhaftig sah:
- Wie jung er mir zunächst erschien, dieser arme kleine Mann, der beladen mit so vielem über ihn gesagtes und geschriebenes, mit ungeheuer schnellem Schritten nach vorne kam. In dem Moment fühlten wir alle nichts außer dieser schmalen Welle Schmerz, die den Raum betrat. Ein elender Fetzen Mensch, den man ins grelle Licht zerrte.
Gekleidet in seine alte Uniform, die mit Watte ausgestopft war, um seinen ausgezehrten Körper zu verbergen, auf skelettdünnen Beinen, die ihn kaum tragen konnten und einer monotonen, metallisch klanglosen[201] Stimme passte er nicht ins Bild des tragischen Heldens vieler Dreyfusiarden. Léon Blum bezeichnete Dreyfus als einen ernsthaften, bescheidenen Mann, der nichts Heldisches hatte außer einer stummen, unerschütterlichen Courage.[202] Louis Begley verweist aber auch darauf, dass Dreyfus mit seinem starren, maskenhaft wirkendem Gesicht und seiner emotionslosen Stimme vor Gericht ein wenig einnehmender Angeklagter war.[203] Seinen Anwälte Demange und Leblois waren sich außerdem in ihrer Prozessführung nicht einig und während des Gerichtsprozesses ihnen unterliefen einige Fehler. Obwohl schon vom Obersten Berufungsgericht geklärt war, dass Dreyfus den Landesverrat nie gestanden hatte und die Panizzardi-Briefe keine Beweiskraft hatten, nahmen die beiden Anwälte es beispielsweise hin, dass die Anklage diese Beweise dem Militärgericht erneut vorlegte.[204] Während des Prozessverlaufes kam es außerdem zu einem Attentat auf Labori. Wesentliches Problem für die Verteidigung war jedoch, dass es sich bei den Richtern um Offiziere handelte, die dem Einfluss oder gar dem Druck der obersten Chefs der Armee ausgesetzt waren, erneut zu einer Verurteilung zu kommen.[205] Mit fünf zu zwei Richterstimmen wurde Dreyfus entsprechend ein zweites Mal des Landesverrats für beschuldig besprochen.
Begnadigung
Mathieu Dreyfus war davon überzeugt, dass sein Bruder im Gefängnis keine weiteren sechs Monate überleben würde. Joseph Reinach, dem er dies anvertraute, sah als Lösung nur eine Begnadigung.[206] Reinach, der sich deswegen an seinen Freund, den neuen Premierminister Pierre Waldeck-Rousseau wandte, traf sowohl bei ihm als auch dem neuen Kriegsminister Garcon de Galliffet auf Entgegenkommen. Beide Politiker hielten eine Begnadigung für dringend geboten. Es gab dabei allerdings eine rechtliche und eine politische Hürde.

Die rechtliche Hürde resultierte aus dem Einspruch von Demange gegen das Urteil, mit dem er verhindert hatte, dass das Urteil von Rennes rechtskräftig wurde. Laut Gesetz konnte eine Strafe aber nur nach einem rechtskräftigem Urteil erlassen werden.[207] Alfred Dreyfus musste daher als erstes diesen Einspruch zurücknehmen, was mindestens Teile der französischen Öffentlichkeit als ein Annehmen des Urteils interpretieren würde. Das Kabinettsmitglied Alexandre Millerand drängte zu diesem Schritt, weil er den Einspruch für riskant hielt: Sofern die Überprüfungskommission des Obersten Berufungsgericht einen Formfehler bei der Prozessführung finden, würde dies lediglich dazu führen, dass erneut ein Militärgericht über Dreyfus urteilen würde. Damit war die Gefahr eines neuerlichen Schuldspruchs hoch und die Möglichkeit bestand, dass dieses Militärgericht weniger milde urteilen würde.[208] Reinach, Jaurès und schließlich widerstrebend auch Georges Clemenceau rieten deswegen Mathieu Dreyfus dazu, seinem Bruder die Rücknahme des Einspruchs nahezulegen und Alfred Dreyfus folgte dessen Rat.
Staatspräsident Émile Loubet weigerte sich allerdings zunächst, eine Begnadigung zu unterzeichnen, da diese auch als Kritik an der Armee und dem Militärgericthsverfahren zu verstehen war. Kriegsminister Galliffet schlug Loubet schließlich vor, die Begnadigung als einen Akt der Menschlichkeit darzustellen und bei der Begründung des Dekrets auf den besorgniserregenden Gesundheitszustand von Dreyfus zu verweisen.[209] Am 19. September 1899 wurde Dreyfus schließlich begnadigt.
Die Rücknahme des Einspruchs und die anschließende Begnadigung führte letztlich zu einer Spaltung innerhalb der Dreyfusarden. Viele Dreyfusarden hatten persönliche Opfer gebracht, da sie wegen ihres Einsatzes für eine Rehabilitierung Dreyfus beruflich und sozial benachteiligt worden waren.[210] Vielen war es bei ihrem Einsatz weniger um die Person Dreyfus als um grundlegende Fragen des Rechtsverständnisses und der Rolle der Armee im Staat gegangen. Aus dieser rein rechtsstaatlichen Sicht war ein Einspruch gegen das Urteil von Rennes eine zwingende Notwendigkeit. Zwei Maßnahmen von Waldeck-Rousseau und Galliffet verschärften die Spaltung innerhalb der Dreyfusarden noch. Beide Politiker waren von der Unschuld von Dreyfus überzeugt, ihnen war aber wesentlich daran gelegen, in einer für die Armee gesichtswahrenden Form die Affäre zu beenden. Galliffet gab dazu zwei Tage nach der Begnadigung einen Tagesbefehl aus, der in jeder Kompanie verlesen wurde und in dem es hieß:[211]
- Der Fall ist abgeschlossen. Die Militärrichter haben, begleitet vom Respekt aller, ihre Schuldspruch vollkommen unabhängig gefällt. Wir verneigen uns ohne jede Einschränkung vor ihrer Entscheidung. Wir verneigen uns auch vor dem tiefen Mitgefühl, das den Präsidenten der Republik geleitet hat
Am 19. November 1899 legte Waldeck-Rousseau dem Senat ein Amnestiegesetz vor, unter das alle im Zusammenhang mit der Affäre begangenen Straftaten fallen sollten. Ausgenommen davon war lediglich das Verbrechen, für das Dreyfus in Renne verurteilt worden war. Damit blieb ihm die Möglichkeit erhalten, durch ein Revisionsverfahren eine vollständige Rehabilitation zu erreichen. Das Amnestiegesetz, das im Dezember 1900 in Kraft trat, beendete viele schwebende Verfahren wie beispielsweise die gegen Picquart und Zola, sie verhinderte aber auch ein gerichtliches Vorgehen gegen Personen wie Mercier, Boisdeffre, Gonse und du Paty, die in die Intrige verstrickt waren.[212] Zu den Personen, die scharf gegen dieses Amnestiegesetz protestierten, zählten unter anderem Alfred Dreyfus und Picquart. Dreyfus war darauf angewiesen, dem Obersten Berufungsgericht neue Fakten vorzulegen, damit dieses die Gültigkeit des Urteils von Rennes überprüften und es war wahrscheinlich, dass Prozesse gegen in die Intrige verwickelte Personen diese lieferten. Picquart war es im Fall Dreyfus immer um Fragen der Rechtsstaatlichkeit gegangen und dafür hatte er Amtsverlust und Inhaftierung hingenommen. Er war schließlich auch aus der Armee entlassen worden. In dem Zeitraum, in dem das Amnestiegesetz diskutiert wurde, hatte Picquart Berufung gegen diese Entlassung eingelegt. Die Erfolgschancen seiner Berufung waren hoch, in Reaktion auf das Amnestiegesetz zog Picquart seine Berufung allerdings zurück und erklärte, er würde von einer Regierung, die es nicht wagen würde, Verbrecher in hohen Positionen vor Gericht zu stellen, nichts annehmen.[213]
Rehabilitierung

Von 1900 bis 1902 spielte die Dreyfus-Affäre in der öffentlichen Diskussion nur noch eine untergeordnete Rolle. Dazu trug bei, dass Waldeck-Rousseau unter anderem den Orden der Assumptionisten in Frankreich auflösen ließ, die durch ihre Zeitung Le croix zu den entschiedensten antisemitischen Stimmen während der Dreyfus-Affäre gehört hatten.[214] 1902 führte Waldeck-Rousseau den Linksblock bei den Wahlen zur Nationalversammlung erneut zum Sieg, trat aber kurz danach wegen einer schweren Erkrankung von allen politischen Ämtern zurück. Am 7. Juni folgte ihm Émile Combes im Amt als Premierminister nach, neuer Kriegsminister wurde Louis André. Beide waren entschiedene Gegner des Klerikalismus und kämpften für die republikanischen Ideale.[215] Die Brüder Dreyfus, Jaurès, Trarieux, Clemenceau und die Anwälte von Dreyfus kamen zu dem Schluss, dass unter dieser Regierung ihre Chance hoch war, mit einem Revisionsverfahren die Affäre Dreyfus wirklich zu beenden.[216]
Der Auftakt zum Revisionsverfahren war erneut eine Rede von Jaurès vor der Abgeordnetenkammer, in der er noch einmal den Beweis für Dreyfus' Unschuld führte und eine Untersuchung der Fälschungen des Generalstabs forderte. Während der Sitzung der Kammer kam es zu turbulenten Szenen, während der sich Abgeordnete gegenseitig niederbrüllten und verbal attackierten.[217] Die mit den Wahlen des Jahres 1902 erreichte Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Abgeordnetenkammer zugunsten des republikanischen Blocks erlaubte es, dem Antrag Jaurès zu entsprechen und eine erneute Untersuchung durch General André zu verlassen.[218] In Andrés Auftrag untersuchten sein Adjutant und der Chefanwalt des Ministeriums die Masse der Akten, die für das Verfahren in Rennes zusammengestellt waren. Dabei entdeckten sie, dass das seit 1894 auf mehr als 1.000 Dokumente[219] erweiterte Dossier neben dem faux Henry noch mehrere weitere fingierte Beweise enthielt.[220] Die Ermittlungsakte wurde im November 1903 auf Beschluss des Kabinetts dem Justizminister übergeben, gleichzeitig gab man Alfred Dreyfus zu verstehen, dass ein Antrag auf gerichtliche Prüfung erfolgversprechend wäre. Der anschließende Verfahren vor dem Obersten Berufungsgericht zog sich quälend langsam hin, ein Urteil wurde schließlich am 11. Juli 1906 gefällt. Das Gericht hob das Urteil von Rennes einstimmig auf und entschied sich mit 31 zu 18 Stimmen gegen eine Rückverweisung an ein anderes Gericht.[221] Für den Verzicht der Rückverweisung war entscheidend, dass nach Ansicht des Gerichts keinerlei strafbare Handlung des Angeklagten vorlag, die in einem erneuten Gerichtsprozess zu Verurteilung führen könnte. Alfred Dreyfus war damit eindeutig und unwiderruflich für unschuldig erklärt worden.[222] Das Gericht legte auch fest, dass das Urteil in der offiziellen staatlichen Tageszeitung Journal officiel de la République française sowie 55 weiteren Zeitungen veröffentlicht werde, die Alfred Dreyfus auswählen sollte.[223]
Am 13. Juli wurde Dreyfus zum Major und Picquart zum Brigadegeneral ernannt. Die beiden von der französischen Legislative verabschiedeten Erlasse berücksichtigten dabei bei Picquart die Dienstjahre, die er wegen der rechtswidrigen Strafverfolgung im Gefängnis verbracht hatte. Die Dienstjahre, die Dreyfus angesammelt hätte, wäre er nicht 1894 verurteilt worden, wurden nicht berücksichtig. Am 20. Juli wurde Dreyfus mit den Insignien eines Ritters der Ehrenlegion ausgezeichnet, am 15. Oktober trat er als Major einer Artillerieeinheit im Fort Vincennes wieder den aktiven Dienst an. Seine gleichaltrigen Kameraden waren ihm in der Hierarchie der Armee allerdings übergeordnet, was für ihn den Dienst so unhaltbar machte, dass er nach einem Jahr seinen Abschied von der Armee nahm.[224]
Weiterer Werdegang der Hauptakteure in der Dreyfus-Affäre
Auguste Scheurer-Kestner war 1899 an dem Tag gestorben, an dem Dreyfus begnadigt wurde. Der französische Senat ehrte ihn und den zwischenzeitlich ebenfalls verstorbenen Ludovic Trarieux im Jahre 1906 mit der Entscheidung, ihre Büsten in der Ehrengalerie des Senats aufzustellen.[225] Émile Zola erlebte die vollständige Rehabilitierung von Alfred Dreyfus gleichfalls nicht; er starb 1902 in seiner Pariser Wohnung auf Grund eines verstopften Kamins an einer Kohlenstoffmonoxidvergiftung.[226] Alfred Dreyfus nahm trotz der anfänglichen Sorge von Zolas Witwe, dass es auf Grund seiner Anwesenheit zu Ausschreitungen kommen würde, gemeinsam mit seinem Bruder an der Beerdigung teil und gehörte in der Nacht davor zu den Personen, die an Zolas Sarg die Totenwache hielten.[227] Dreyfus, seine Frau Lucie und sein Bruder Mathieu waren auch anwesend, als am 4. Juni 1908 Zolas sterbliche Überreste feierlich in das Panthéon überführt wurden. Während der Feierlichkeiten verübte der nationalistische Journalist Louis-Anthelme Grégori ein Attentat auf Dreyfus. Die zwei Kugeln, die Grégori abfeuerte, streiften Dreyfus allerdings nur leicht am Arm. Ruth Harris bezeichnet den anschließenden Freispruch Grégoris durch ein Pariser Gericht ein Indiz dafür, wie stark die Dreyfus-Affäre nach wie vor die französische Gesellschaft prägte.[228]

Der 1899 unehrenhaft aus der französischen Armee entlassene Ferdinand Walsin-Esterhazy verbrachte den Rest seines Lebens im englischen Exil. Über lange Jahre verarmt, klagte er, dass Juden seine Existenz zerstört und die Armee ihn verraten hätte. Die Forchtensteiner Linie der Familie Esterházy zahlte ihm unter anderem Geld, damit er einen anderen Namen annähme.[229] Eine kleine Erbschaft sicherte ihm schließlich ein Auskommen, bis er unter verschiedenen Pseudonymen als Journalist Arbeit fand. Esterhazy starb 1923, er behauptete noch kurz vor seinem Tode, er habe den Bordereau im Auftrag von Jean Sandherr, dem damaligen Leiter des Nachrichtendienstes, verfasst.[230] Du Paty, der nach der Entdeckung des faux henry zwangsweise bei halbem Gehalt pensioniert worden war, durfte 1912 zur Reserve zurückkehren und trat mit Kriegsbeginn 1914 wieder in den aktiven Dienst. Er erlag 1916 einer Kriegsverletzung.[231] Édouard Drumont, der mit seiner Zeitung La Libre Parole zu den radikalsten Antisemiten gehörte, starb verarmt und weitgehend vergessen 1918.[232] Der ehemalige Kriegsminister Mercier, dessen Vorverurteilung von Dreyfus das Räderwerk an Lügen und Täuschungen in Gang gesetzt hatte, hatte bis 1920 einen Sitz im französischen Senat inne und behauptete bis zu seinem Tod 1921, rechtschaffen gehandelt zu haben.[233]
Von den Dreyfusarden übten viele in den Jahren nach der Rehabilitierung von Alfred Dreyfus einflussreiche politische Ämter aus. Picquart wurde noch im Jahr 1906, in dem er gemeinsam mit Dreyfus rehabilitiert wurde, im Kabinett des Dreyfusarden Georges Clemenceau Kriegsminister und hatte dieses Amt bis 1909 inne. Er starb 1914 an den Folgen eines Reitunfalls.[234] Jean Jaurès kämpfte während der Regierung Clemenceaus vehement für die Rechte der Arbeiter und war einer der entschiedensten Gegner eines zunehmenden Militarismus und des Kriegseintritts gegen das Deutsche Reich. Er wurde 1914 ermordet.[235] Für Leon Blum, der zwischen 1936 und 1950 mehrfach für kurze Zeit französischer Premierminister war, war die Affäre Dreyfus das prägende politische Ereignis seiner jungen Jahren.
Alfred Dreyfus lebte nach seinem Rückzug aus der Armee weitgehend zurückgezogen. 1901 gab er den seinen beiden Kindern Pierre und Jeanne gewidmenten Erlebnisbericht Cinq années de ma vie (Fünf Jahre meines Lebens) heraus, der die Zeitspanne vom Tage seiner Verhaftung bis zu seiner Freilassung aus dem Militärgefängnis von Renne schildert.[236] Darin ist die bittere Enttäuschung seines auch während der Isolationshaft festen Vertrauens heraus zu lesen, dass seine Vorgesetzten alles daran setzen würden, seine Verurteilung aufzuklären. Er schreibt auch über seine Bewunderung für all die Personen, die sich für ihn eingesetzt haben.[237] Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte der 55-Jährige in den aktiven Dienst der Armee zurück. Er diente zunächst im nördlichen Pariser Militärbezirk, wo er Verteidigungsvorrichtungen zum Schutz von Paris zu inspizieren hatte und dann unweit Front bei einem Artilleriekommando, das erst in der Nähe von Verdun und dann am Chemin des Dames stationiert war.[238] Bei Kriegsende war er zum Oberst und zum Offizier der Ehrenlegion befördert worden.[239] Mathieus Dreyfus einziger Sohn Emile und Adolphe Reinach, der Sohn von Joseph Reinach, der Mathieus Tochter Marguerite geheiratet hatte, fielen beide im ersten Kriegsjahr.[240] Alfred Dreyfus Sohn Pierre überlebte den ersten Weltkrieg, während der er als junger Offizier auf den Schlachtfeldern an der Somme und vor Verdun gekämpft hatte. Er wurde 1920 zum Hauptmann ernannt und 1921 in die Ehrenlegion aufgenommen. Alfred Dreyfus starb am 12. Juli 1935, seine Frau Lucie überlebte ihn um mehr zehn Jahre. Während des Zweiten Weltkriegs flüchtete sie wie die meisten ihrer Familie in die sogenannte Zone Libre und änderte ihren Namen, um Verfolgung zu entgehen. Sie verbrachte die letzten Kriegsjahre versteckt in einem Nonnenkonvent und kehrte nach der Befreiung Frankreichs wieder nach Paris zurück, wo sie wenig später starb.[241]
Auswirkungen der Affäre

Oben: „Vor allem, lasst uns nicht über die Dreyfus-Affäre reden!“
Unten: „...Sie haben davon geredet...“
Eine Facette der Dreyfus-Affäre ist ein grundsätzlicher Wertekonflikt, der ihm zu Grunde lag. Der Wiederaufnahme des Prozesses widersetzten sich zahlreiche Personen, weil sie es mit dem Ansehen des Staates und den Institutionen des Staates nicht für vereinbar hielten, ein einmal gefälltes Urteil zu widerrufen.[242] Sie werteten dies höher als die Forderung nach Gerechtigkeit für ein einzelnes Individuum. Auf der anderen Seite standen die Personen, die Recht und Gesetzmäßigkeit als das gemeinsame Gut aller Staatsbürger ansahen und die die Ehre der Armee nicht höher werteten als die Ehre einer einzelnen Person.[243] Auch wenn Rechtsverletzungen von Personen begangen wurden und der Weg langwierig und nicht ohne Rückschläge war, erwies sich Frankreich letztlich als Rechtsstaat. Die Historikerin Beate Gödde-Baumanns weist auch darauf hin, dass der französischen Regierung zwar der Tod von Dreyfus gelegen kommen wäre, dass es aber keinen Versuch gegeben habe, sich seiner Person unter Vortäuschung eines Selbstmordversuches oder eines Fluchtversuches zu entledigen.[244]
1898 gründeten „Dreyfusards“ die Französische Liga zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte (frz. Ligue française pour la défense des droits de l'Homme et du citoyen).
Die Dreyfus-Affäre wird oft als Höhepunkt des Antisemitismus in Frankreich gesehen. Der Österreicher Theodor Herzl, der als Journalist den ersten Prozess beobachtete, verfasste daraufhin 1896 sein Buch Der Judenstaat, in dem er das Modell eines eigenen Staates für Juden entwarf und so den Zionismus begründete.
Die Folgen der Affäre für die gesellschaftliche Ordnung in Frankreich waren erheblich. Vor allem die katholische Kirche hatte sich durch ihren Antijudaismus und ihre insgesamt reaktionär wirkende Haltung in den Augen vieler Franzosen so sehr kompromittiert, dass sich nicht nur im Parlament eine Mehrheit dafür fand, das Land radikal zu säkularisieren.
Nachdem die politische Linke die Wahlen von 1902 gewonnen hatte, verabschiedete sie am 9. Dezember 1905 das sogenannte „Lois Combes“. Dieses Gesetz zur Trennung von Religion und Staat etablierte in Frankreich das heute noch geltende Prinzip des Laizismus, die vollständige Trennung von Religion und Staat.
Die Verarbeitung der Dreyfus-Affäre in Literatur, in Film und Fernsehen und Bühne
Literatur und Film
Eine sehr anschauliche und eindringliche literarische Verarbeitung der Dreyfus-Affäre findet man zum Beispiel in dem Roman Jean Barois (1913) des Literaturnobelpreisträgers von 1937, Roger Martin du Gard. In Deutschland wurde sie von Rolf Schneider in seinem 1991 erschienenen Roman Süß und Dreyfus verarbeitet. Auch in Marcel Prousts Monumentalroman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit taucht die Dreyfus-Affäre als Motiv häufig auf.
Die Filme zur Affäre sind zahlreich:
- L'Affaire Dreyfus, Georges Méliès, Stumm, Frankreich, 1899
- Trial of Captain Dreyfus, Stumm, USA, 1899
- Dreyfus, Richard Oswald, Deutschland, 1930
- The Dreyfus Case, F.W. Kraemer, Milton Rosmer, USA, 1931
- Das Leben des Emile Zola, Wilhelm Dieterle, mit Paul Muni, USA, 1937
- J'Accuse!, José Ferrer, England, 1958
- Der Gefangene der Teufelsinsel, Ken Russell, USA, 1991
- Die Affäre Dreyfus, ein Film von Yves Boisset (1995) nach dem Buch L'Affaire von Jean-Denis Bredin
Bühne und im Fernsehen
- AJIOM/Captain Dreyfus – Ein Jude in unserer Mitte. Musical in 2 Akten, 1989.
- Die Dreyfus Trilogie (in Zusammenarbeit mit Jost Meier, Alfred Schnittke und Luciano Berio) umfasst:
- Dreyfus – Die Affäre. Oper in 2 Akten, Deutsche Oper Berlin, 8. Mai 1994; Theater Basel, 16. Oktober 1994.
- The Dreyfus Affair. New York City Opera, 2. April 1996.
- Dreyfus-J’Accuse. Tanzdrama, Oper der Stadt Bonn, 4. September 1994; Fernsehen: Schweden STV1, Slowenien RTV, SLO, Finnland YLE.
- Zorn und Schande. Musikalische Satire, Arte, April 1994 (Rage et Outrage. Arte, April 1994 – Rage and Outrage. Channel 4, Mai 1994)
- My burning Protest. Monolog für Sprecher und Schlagzeug, 1996.
- Dreyfus in Oper und Ballet/Die Odyssee von George Whyte. Deutsch/Englisch, September 1995, WDR, Schweden STV1, Ungarn MTV und Finnland YLE.
- Dreyfus Intime. Opernhaus Zürich, 22. Dezember 2007, Jüdisches Museum Berlin, 6. Mai 2009.
Nachweise
Literatur
- Louis Begley: Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte. Suhrkamp, Frankfurt 2009, ISBN 978-3-518-42062-1.
- Léon Blum: Beschwörung der Schatten. Die Affäre Dreyfus. Aus dem Französischen mit einer Einleitung und mit Anmerkung von Joachim Kalka. Berenberg, Berlin 2005, ISBN 3-937834-07-9.
- Vincent Duclert: Die Dreyfusaffäre. Militärwahn, Republikfeindschaft, Judenhaß. Wagenbach, Berlin 1994, ISBN 3-8031-2239-2
- Eckhardt Fuchs, Günther Fuchs: „J'accuse!“ Zur Affäre Dreyfus. Decaton-Verlag, Mainz 1994, ISBN 3-929455-27-7
- Ruth Harris: The Man on Devil's Island - Alfred Dreyfus and the Affair that divided France. Penguin Books, London 2011, ISBN 978-0-141-01477-7.
- Martin P. Johnson: The Dreyfus Affair - Honour and Politics in the Belle Époque. Macmillan Press Ltd, Houndmills 1999, ISBN 0-333-68267-X
- Elke-Vera Kotowski, Julius H. Schoeps (Hrsg.): J’accuse…! …ich klage an! Zur Affäre Dreyfus. Eine Dokumentation. Begleitkatalog zur Wanderaussstellung in Deutschland Mai bis November 2005. Hrsg. im Auftrag des Moses-Mendelssohn-Zentrum. Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 2005, ISBN 3-935035-76-4.
- Alain Pagès (Hrsg): Emile Zola - Die Dreyfus-Affäre; Artikel - Interviews - Briefe. Übersetzt und ergänzt von Karl Zieger. Haymon-Verlag, Innsbruch 1998, ISBN 3-85218-265-4
- Julius H. Schoeps & Hermann Simon (Hrsg.): Dreyfus und die Folgen. Edition Hentrich Berlin 1995, ISBN 3-89468-154-3.
- Maximilian von Schwartzkoppen; Bernhard Schwertfeger, Die Wahrheit über Dreyfus. Aus d. Nachlass hrsg. von Bernhard Schwertfeger Verlag f. Kulturpolitik, Berlin 1930
- Uwe Wesel: Geschichte des Rechts in Europa. Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60388-4, S. 516-522.
- George Whyte: Die Dreyfus-Affäre. Die Macht des Vorurteils. Peter Lang, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-60218-8.
Weblinks
- Vorlage:IMDb Rolle
- Die Folgen der Dreyfus-Affäre, Artikel von Michael Berger in Jungle World, Nr. 47, 19. November 2009
- Elke-Vera Kotowski: Der Fall Dreyfus und die Folgen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Nr. 50, 10. Dezember 2007, S. 25–32 (PDF).
Einzelnachweise
- ↑ Ruth Harris: The Man on Devil's Island - Alfred Dreyfus and the Affair that divided France. Penguin Books, London 2011, ISBN 978-0-141-01477-7, S. 18.
- ↑ Harris, S. 1
- ↑ zitiert nach Elke-Vera Kotowski, Julius H. Schoeps (Hrsg.): J’accuse…! …ich klage an! Zur Affäre Dreyfus. Eine Dokumentation. Begleitkatalog zur Wanderaussstellung in Deutschland Mai bis November 2005. Hrsg. im Auftrag des Moses-Mendelssohn-Zentrum. Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 2005, ISBN 3-935035-76-4, S. 29.
- ↑ Harris, S. 1 und S. 19
- ↑ Harris, S. 19
- ↑ Whyte, S. 35
- ↑ Begley, S. 16
- ↑ Harris, S. 62-63
- ↑ Harris, S. 62
- ↑ Harris, S. 20
- ↑ Harris, S. 21
- ↑ Harris, S. 63
- ↑ Begley, S. 18
- ↑ Begley, S. 17
- ↑ Harris, S. 21-22
- ↑ Fuchs et al., S. 32
- ↑ Begley, S. 22
- ↑ Harris, S. 21-22
- ↑ Kotowski et al., S. 30
- ↑ Kotowski et al., S. 30
- ↑ Whyte, S. 40-41
- ↑ Whyte, S: 45
- ↑ Begley, S. 152
- ↑ Harris, S. 22-23
- ↑ Harris, S. 23
- ↑ Whyte, S. 45
- ↑ Begley, S. 25
- ↑ Whyte, S. 45-47
- ↑ Whyte, S. 47
- ↑ Whyte, S. 47
- ↑ Whyte, S. 46-48
- ↑ Whyte, S. 49
- ↑ Whyte, S. 49
- ↑ Whyte, S. 48
- ↑ Whyte, S. 48
- ↑ Whyte, S. 51
- ↑ Whyte, S. 51-52
- ↑ Whyte, S. 18
- ↑ Harris, S. 30
- ↑ Begley, S. 26
- ↑ zitiert nach Whyte, S. 51
- ↑ Johnson, S. 29
- ↑ Whyte, S. 52
- ↑ Harris, S. 30
- ↑ Harris, S. 28
- ↑ Whyte, S. 55
- ↑ Harris, S. 31
- ↑ Whyte, S. 56
- ↑ Whyte, S. 56-57
- ↑ Whyte, S. 57
- ↑ Kotowski et al., S. 36-37
- ↑ Begley, S. 29
- ↑ Begley, S. 29
- ↑ Begley, S. 30
- ↑ Harris, S. 33
- ↑ Whyte, S. 59
- ↑ Harris, S. 34
- ↑ Harris, S. 36
- ↑ Begley, S. 94
- ↑ Harris, S. 47
- ↑ Harris, S. 47
- ↑ Harris, S. 47-48
- ↑ Harris, S. 48
- ↑ Harris, S. 48
- ↑ Begley, S. 98
- ↑ Begley, S. 94-95
- ↑ Harris, S. 55
- ↑ Harris, S. 56
- ↑ Begley, S. 122
- ↑ Blum, S. 20
- ↑ Harris, S. 94
- ↑ Elke-Vera Kotowski: Der Fall Dreyfus und die Folgen, In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Nr. 50, 10. Dezember 2007, S. 25–32
- ↑ Johnson, S. 40
- ↑ Johnson, S. 39
- ↑ Harris, S. 76
- ↑ Kotowski et al., S. 38
- ↑ Harris, S. 79
- ↑ Harris, S. 79
- ↑ Johnson, S. 45
- ↑ Kotowski et al., S. 38
- ↑ Johnson, S. 49-51
- ↑ Kotowski et al., S. 38
- ↑ Begley, S. 96-97
- ↑ Begley, S. 99
- ↑ Harris, S. 80
- ↑ Begley, S. 117
- ↑ Harris, S. 80
- ↑ Harris, S. 80
- ↑ Harris, S. 81
- ↑ Kotowski et al., S. 38
- ↑ Fuchs et al., S. 50
- ↑ Fuchs et al., S. 51
- ↑ Harris, S. 81
- ↑ Begley, S. 106 und S. 109
- ↑ Harris, S. 81
- ↑ Begley, S. 99-100
- ↑ Kotowski, S. 39
- ↑ Harris, S. 81-82
- ↑ Harris, S. 82
- ↑ Harris, S. 82
- ↑ Begley, S. 125
- ↑ Kotowsky et al., S. 76
- ↑ Begley, S. 135
- ↑ Begley, S. 135
- ↑ Fuchs et al., S. 53
- ↑ Harris, S. 87
- ↑ Whyte, S. 130
- ↑ Fuchs et al., S. 54
- ↑ Fuchs et al., S. 55
- ↑ Harris, S. 90 und S. 97
- ↑ Harris, S. 87
- ↑ Kotowski et al., S. 40
- ↑ Harris, S. 100
- ↑ Harris, S. 100
- ↑ Harris, S. 100
- ↑ Harris, S. 101
- ↑ Harris, S. 101
- ↑ Whyte, S. 168
- ↑ Whyte, S. 141
- ↑ Whyte, S. 145
- ↑ Whyte, S. 148
- ↑ Fuchs et al., S. 58
- ↑ Harris, S. 99
- ↑ Whyte, S. 153
- ↑ Whyte, S. 153
- ↑ Fuchs et al., S. 59
- ↑ Whyte, S. 163
- ↑ Fuchs et al., S. 67-68
- ↑ Whyte, S. 192-193
- ↑ Kotowski et al., S. 41
- ↑ Begley, S. 14
- ↑ Begley, S. 130
- ↑ Blum, S. 38
- ↑ Blum, S. 39-40
- ↑ Begley, S. 131
- ↑ Wörtlich heißt es bei Blum, S. 38-39: Wer hat nie eine Täuschung begangen, wer hätte nie gelogen? Wer wüsste also nicht, dass man, einmal im Räderwerk verhakt, es wider den eigenen Willen mit erhöhter Kraft weiterlaufen spürt, dass man täuscht, um die vorhergegangene Täuschung zu verdecken, lügt, um einmal mehr die letzte Lüge glaubhaft zu machen? Begley greift in seiner Analyse des Falls diesen Gedanken auf S. 131 gleichfalls auf.
- ↑ Pagès, S. 30
- ↑ Pagès, S. 55-56
- ↑ Pagès, S. 31
- ↑ Pagès, S. 62-66
- ↑ Pagès, S. 69-76
- ↑ Pagès, S. 69-76
- ↑ Pagès, S. 76-82
- ↑ Begley, S. 139
- ↑ Pagès, S. 85-92
- ↑ Pagès, S. 92-101
- ↑ Pagès, S. 102-113
- ↑ Kotowski et al., S. 41
- ↑ Begley, S. 147
- ↑ Harris, S. 118
- ↑ Harris, S. 119
- ↑ Harris, S. 116
- ↑ Begley, S. 148
- ↑ Kotowski et al., S. 42
- ↑ Begley, S. 148-149
- ↑ Kotowski et al., S. 41
- ↑ Kotowski, S. 42
- ↑ Pagès, S. 42-43
- ↑ Begley, S. 151
- ↑ Begley, S. 151
- ↑ zitiert nach Begley, S. 152
- ↑ Blum, S. 82
- ↑ Pagès, S. 34
- ↑ Begley, S. 152-153
- ↑ Pagès, S. 35
- ↑ Begley, S. 155
- ↑ Begley, S. 159
- ↑ Begley, S. 160
- ↑ Harris, S. 136
- ↑ Harris, S. 136
- ↑ Harris, S. 257
- ↑ Begley, S. 160
- ↑ Begley, S. 161
- ↑ Harris, S. 257
- ↑ Begley, S. 161
- ↑ Harris, S. 217
- ↑ Harris, S. 238
- ↑ Harris, S. 241
- ↑ Harris, S. 241
- ↑ Begley, S. 163
- ↑ Harris, S. 245
- ↑ Begley, S. 100-101
- ↑ Harris, S. 247
- ↑ Harris, S. 247
- ↑ Whyte, S: 290
- ↑ Whyte, S. 293
- ↑ Whyte, S. 294
- ↑ Whyte, S. 294
- ↑ Harris, S. 248
- ↑ Whyte, S. 305
- ↑ Whyte, S. 306
- ↑ Whyte, S. 310
- ↑ Whyte, S. 310
- ↑ Whyte, S. 313
- ↑ Harris, S. 309
- ↑ Harris, S. 309
- ↑ Harris, S. 311
- ↑ Harris, S. 314
- ↑ Harris, S. 314
- ↑ Harris, S. 317
- ↑ Schoeps et al., S. 207
- ↑ Blum, S. 15
- ↑ Begley, S. 174
- ↑ Begley, S. 170-173
- ↑ Begley, S. 174-175
- ↑ Begley, S. 177
- ↑ Begley, S. 178
- ↑ Begley, S. 178
- ↑ Begley, S. 183
- ↑ Begley, S. 183
- ↑ zitiert nach Begley, S. 184
- ↑ Begley, S. 185
- ↑ Begley, S. 185
- ↑ Johnson, S. 145 – 146
- ↑ Johnson, S. 147
- ↑ Johnson, S. 146
- ↑ Begley, S. 186
- ↑ Fuchs et al., S. 138
- ↑ Johnson, S. 29
- ↑ Begley, S. 186-187
- ↑ Begley, S. 188
- ↑ Johnson, S. 148
- ↑ Whyte, S. 411
- ↑ Begley, S. 189-190
- ↑ Johnson, S. 149
- ↑ Harris, S. 360
- ↑ Harris, S. 360-361
- ↑ Harris, S. 374
- ↑ [Website zur Familie Esterházy], aufgerufen am 23. September 2011
- ↑ Johnson, S. 151
- ↑ Johnson, S. 152
- ↑ Johnson, S. 153
- ↑ Johnson, S. 152
- ↑ Whyte, S. 574
- ↑ Harris, S. 378
- ↑ Alfred Dreyfus: Fünf Jahre meines Lebens 1894-1899. Berlin 1901, zuletzt Weimar 1962
- ↑ Schoeps et al., S. 93
- ↑ Harris, S. 380-381
- ↑ Begley, S. 191
- ↑ Harris, S. 380
- ↑ Harris, S. 381
- ↑ Schoeps, et al., S. 94
- ↑ Schoeps et al., S. 95
- ↑ Schoeps et al., S. 97