Agnostizismus
Der Begriff Agnostizismus (von griechisch: a-gnoein "nicht wissen") bezeichnet die philosophische und theologische Ansicht, dass die Existenz oder Nichtexistenz eines Höheren Wesens (bzw. eines Gottes oder mehrerer Götter) entweder unbekannt oder grundsätzlich unerkennbar (das heißt weder beweisbar noch widerlegbar) ist.
Agnostiker sind Menschen, die auf die Frage "Gibt es einen Gott?" nicht mit "Ja" oder "Nein" antworten, sondern "Ich weiß es nicht." Sie vertreten somit eine Weltanschauung, die sich in ehrlicher Weise der Grenzen des menschlichen Wissens bewusst ist. Angesichts des fehlenden Wissens lehnen es Agnostiker ab, einen Glauben an die Existenz oder Nichtexistenz von Göttern anzunehmen.
Im Unterschied zur starken Form des Atheismus schließt der Agnostizismus nicht grundsätzlich die Möglichkeit der Existenz transzendenter Wesen oder Prinzipien aus. Agnostiker sehen sich somit weder als Theisten noch Atheisten, sondern als eine dritte Gruppe, die dadurch charakterisiert ist, dass sie die Notwendigkeit bestreitet, Sachverhalte bei fehlendem Wissen durch einen Glauben der einen oder anderen Richtung zu erklären. Der agnostische Standpunkt wird von Agnostikern als der wissenschaftlichste und rationalste angesehen.
Der Begriff des Agnostizismus wurde maßgeblich durch Thomas Henry Huxley (1869) geprägt. Obwohl es sich um eine noch junge Begriffsbildung handelt, ist die dahinter stehende Auffassung deutlich älter und findet sich u.a. bei Buddha, Laotse und den griechischen Sophisten.
Starker und schwacher Agnostizismus
Die Auffassung, dass die Existenz von Göttern und anderen Höheren Wesen grundsätzlich unerkennbar ist, wird auch als starker Agnostizismus bezeichnet. Dagegen bezeichnet schwacher Agnostizismus die Auffassung, dass die Existenz von Höheren Wesen nicht grundsätzlich unerkennbar ist, sondern nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt unbekannt ist.
Agnostizismus und Theismus
Agnostiker lehnen es ab, an einen Gott zu glauben, für dessen Existenz es keine Indizien gibt, wie es die Theisten im Monotheismus (z. B. Judentum, Christentum, Islam, Baha'i) oder im Polytheismus (z. B. Hinduismus) tun. Eine nicht falsifizierbare Gottestheorie ist - zumindest aus Sicht von Popper und Albert, nicht aber aus der Sicht Paul Feyerabends - unwissenschaftlich und muss nach dem Prinzip von Ockhams Rasiermesser als sehr zweifelhaft angesehen werden. Das „Offenbarungswissen“ der verschiedenen Religionen und die „Gottesbeweise“ der Theisten (wie auch Indizien wie z. B. angebliche Wunder) werden von Agnostikern als nicht stichhaltig angesehen.
Ebenso verwerfen sie Argumente, aufgrund von traditionellen Überlieferungen an einen Gott oder andere "von Menschen entwickelte" Erscheinungen zu glauben.
Eine Form des Theismus, den manche Agnostiker akzeptieren, ist der Pantheismus, der die Natur/das Universum selbst als göttlich ansieht.
Agnostizismus und Atheismus
Agnostiker lehnen es andererseits ab, die Existenz von über den Menschen hinausgehenden Wesenheiten vollständig zu bestreiten, wie es die Atheisten im so genannten starken Atheismus tun. Agnostizismus weist Ähnlichkeiten mit dem so genannten schwachen Atheismus auf, der besagt, dass man Götter für theoretisch möglich hält, aber keinen Glauben an ihre tatsächliche Existenz hat.
Die Abgrenzung zu „schwachen Atheisten“ besteht zumeist darin, dass Agnostiker anerkennen, dass das menschliche Wissen angesichts der Größe des Universums verschwindend gering ist, was sehr viel Raum für ungeahnte Möglichkeiten lässt. Der Agnostizismus ist in diesem Sinne „bescheidener“ als der Theismus und der Atheismus, ihm fehlt die vermeintliche Gewissheit.
Ebenso wie die meisten Atheisten lehnen auch die meisten Agnostiker den Theismus ab und sehen keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Glauben an einen "altüberlieferten" Gott wie JHWH oder Allah und dem Glauben an ein Höheres Wesen wie das Fliegende Spaghettimonster oder das unsichtbare rosafarbene Einhorn. Ein formal strenger Agnostiker kann jedoch betonen, dass es auch diese Gottheiten theoretisch geben könnte, und dass man folglich auch ihnen gegenüber agnostisch sein müsste.
In der Praxis sehen sich viele Agnostiker jedoch nicht zu einem solchen Standpunkt verpflichtet. So verneinen beispielsweise viele Agnostiker anthropomorphe Gottesvorstellungen, d. h. solche, die auffallend dem Menschen ähneln. Sie denken also grundsätzlich agnostisch, jedoch gegenüber konkreten von menschlichen Religionen postulierten Göttern, die ihnen unwahrscheinlich, absurd oder widersprüchlich erscheinen, atheistisch.
Weitere Bedeutungen
Neben der Götterfrage wird der Begriff Agnostizismus auch in anderen Fällen verwendet, wenn jemand die Antwort auf eine spezifische (insbesondere theologische oder metaphysische) Frage offen lässt, da die bekannten Fakten aus seiner Sicht nicht für eine bestimmte Antwort ausreichen. Zum Beispiel kann ein Mensch einen agnostischen Standpunkt in Bezug auf die Existenz außerirdischen Lebens, eines Lebens vor der Geburt / nach dem Tode oder paralleler Universen vertreten.
Manchmal wird der Begriff Agnostizismus synonym zu Skeptizismus verwendet, um erkenntnistheoretische Lehren zu bezeichnen, die die Erkennbarkeit der Welt insgesamt oder in wesentlichen Bereichen bezweifeln.
Es gibt außerdem Menschen, die entgegen der oben genannten Definition („Ein Agnostiker ist jemand, der es angesichts des fehlenden Wissens ablehnt, einen Glauben an die Existenz oder Nichtexistenz von Göttern anzunehmen“) folgende alternative Definition propagieren: „Ein Agnostiker ist jemand, der bezüglich der Götter-Existenzfrage zugibt, kein Wissen zu besitzen.“ Nach dieser Definition wären jedoch auch Gläubige, in der Praxis fast alle heutigen Theisten und Atheisten, auch gleichzeitig "Agnostiker". Nicht eingeschlossen wären lediglich solche Theisten, die nach Art der Gnostiker ein (geheimes) Wissen vertreten. Diese Deutungsweise des Begriffs "Agnostizismus" entspricht jedoch nicht der im westlichen Kulturkreis gegenwärtig verbreiteten Sichtweise.
Kritik am Agnostizismus
Neben den entgegengesetzten Weltanschauungen 'Theismus' und 'starker Atheismus' existiert der so genannte Anti-Agnostizismus. Dieser Begriff bezeichnet die Verneinung der Möglichkeit eines Agnostizismus im oben beschriebenen Sinne. Der Grund für diese Haltung ist meist die folgende Denkweise: "Entweder man glaubt an einen Gott, dann ist man ein Theist, oder nicht, dann ist man ein Atheist. Es gibt keine dritte mögliche Position." Diese Haltung ist gelegentlich sowohl bei Theisten als auch bei Atheisten zu finden und hat ihre Ursache darin, dass der Agnostizismus als ein Spezialfall des Atheismus angesehen wird.
Agnostiker, die sich als solche und nicht als Atheisten bezeichnen, widersprechen dieser Ansicht in der Regel, da sie sich vom starken Atheismus (Glauben an die Nichtexistenz) genauso wie vom Theismus (Glauben an die Existenz) distanzieren. Sie sehen den starken Atheismus als prinzipiell genauso dogmatisch (und damit unwissenschaftlich und ablehnenswert) wie den Theismus in allen seinen Religionsvarianten an. Die Position des Agnostizismus (keinen Glauben an die Existenz oder Nichtexistenz anzunehmen) ist davon grundsätzlich verschieden und berechtigt ihre Anhänger somit, eine eigene Gruppe darzustellen.
Zitate
- „Von den Göttern weiß ich nichts, weder dass es solche gibt, noch dass es keine gibt.“ (Protagoras)
- „Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean.“ (Isaac Newton, der jedoch kein Agnostiker war)
- „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ (Sokrates)
Bekannte Agnostiker

- Konfuzius, (551–479 v. Chr.), bedeutendster chinesischer Philosoph
- Anaxagoras (499–428 v. Chr.), griechischer Philosoph
- Protagoras, (490–411 v. Chr.), griechischer Sophist und erster bedeutender Humanist
- Thomas Hobbes (1588–1679), englischer Philosoph
- Simon Bolivar (1783–1830), venezolanischer Militärführer/Unabhängigkeitskämpfer
- Susan B. Anthony (1820–1906), US-Feministin
- Thomas Henry Huxley (1825–1895), Schöpfer des Begriffs Agnostizismus
- Charles Darwin (1809–1882), britischer Naturforscher
- Robert Green Ingersoll (1833–1899), US-Autor und Redner
- Mark Twain (1835–1920) US-Schriftsteller
- Emile Berliner (1851–1929), Erfinder
- Bertrand Russell (1872–1970), walisischer Philosoph
- Albert Schweitzer (1875–1965) Arzt, Pfarrer, Philosoph und Musiker; vgl. BBKL
- Robert Heinlein (1907–1988), US-Schriftsteller
- Arnold Künzli (1919), Schweizer Philosoph, Publizist u. a. von „Gotteskrise. Fragen zu Hiob / Lob des Agnostizismus“, 1998
- Karlheinz Deschner (*1924), Religionskritiker
- Rabbi Sherwin T. Wine (*1928), Gründer der Gesellschaft für Humanistisches Judentum, Schöpfer des Begriffes „Ignostizismus“
- Larry King (*1933), Entertainer
- Carl Sagan (1934–1996), US-amerikanischer Astronom
- Bruno Kreisky (1911-1990), österreichischer (Politiker und Bundeskanzler (1970-1983))
- Heinz Fischer (*1938), österreichischer Bundespräsident
- Stephen Hawking (*1942), Physiker
- Helen Clark (*1950), Neuseeländische Premierministerin
- Matt Groening (*1954), Autor von Simpsons und Futurama
Literatur
- Der moderne Agnostizismus. Heinz Robert Schlette (Hrsg.), Düsseldorf 1979, ISBN 3491773075
- Peter Suren: Der Skeptizismus und seine universellen Argumente, München 2000, ISBN 3896758209
Siehe auch
Weblinks
- gbs: Giordano-Bruno-Stiftung Die Seite für Agnostiker, Zweifler, Skeptiker!
- Why Am I Agnostic von Robert Green Ingersoll (englisch)
- Evolution oder Schöpfung? – Aus der Sicht eines Agnostikers