Die Wand
Die Wand ist ein Roman der Schriftstellerin Marlen Haushofer, der 1963 im Mohn Verlag, 1968 im Claassen Verlag und 2010 im Büchergilde Gutenberg Verlag erschien. Dieser dritte und erfolgreichste Roman der Autorin beschreibt das Leben einer Frau, die in aller Radikalität von der Zivilisation abgeschnitten wird.
Inhalt
Die 40jährige, namentlich nicht benannte Erzählerin reist mit ihrer Cousine Luise und deren Ehemann Hugo am Wochenende zu einer Jagdhütte ins Gebirge. Das Ehepaar sucht abends noch eine im Tal gelegene Gaststätte auf. Morgens vermisst die Erzählerin ihre Begleiter und verlässt die Hütte, um nach ihnen Ausschau zu halten. Doch am Ausgang der Schlucht stößt sich ihr Hund die Schnauze an einer unsichtbaren Sperre blutig. Ein am Brunnen Wasser schöpfender Mann im Tal wirkt in ihrem Fernglas wie versteinert.
Wie es aussieht, hat ein nicht weiter bezeichnetes großes Unglück alle, zumindest aber alle ihr durch die Wand sichtbaren Lebewesen getötet. Damit wäre sie durch die rätselhafte Wand zugleich geschützt und gefangen. Da sich das von der Wand umschlossene Gebiet über mehrere Jagdreviere erstreckt, lernt die so Isolierte allmählich, sich von den verbliebenen Vorräten, den Früchten und Tieren des Waldes und ihrem Garten zu ernähren. Zu der Sorge um ihre eigene Existenz kommt dabei bald die Sorge um verschiedene Tiere, die ihr zum Teil erst zulaufen: neben Hund und Katzen eine trächtige Kuh. Während eines Winters holt sie ihre Notizen hervor und fertigt den vorliegenden Bericht an - ohne zu wissen, ob ihn jemals jemand zu Gesicht bekommen wird.
Gegen Ende erscheint auf der Alm, die die Frau als Sommerquartier bezogen hat, ein Mann. Da er ohne ersichtlichen Grund ihren jungen Stier und ihren Hund erschlägt, sieht sich die Frau gezwungen, ihn zu erschießen. Trotz dieser Tragödie klingt der Bericht vorsichtig optimistisch aus, so heißt es unter anderem: Seit heute früh weiß ich sicher, daß Bella ein Kalb haben wird. Und, wer weiß, vielleicht wird es doch wieder junge Katzen geben. [1] Die Gefangene verschiebt ihren schon wiederholt erwogenen Ausbruch, obwohl sowohl ihre Munition wie ihre Zündhölzer zur Neige gehen. Ihr weiteres Schicksal bleibt offen.
Rezeption
Haushofers Roman, der in höchstem Maße interpretationsoffen ist, wurde schon immer in vielfältiger Weise gelesen. Er kann als radikale Zivilisationskritik verstanden werden, die den Menschen wieder in die Natur zurück versetzt und ihm Kulturgüter wie den am Haus langsam zuwachsenden Mercedes als ebenso unsinnig wie überflüssig entzieht. Positiv betrachtet, sichert sie dem Menschen dadurch das Überleben - und die Möglichkeit, sich zu läutern. Andererseits fordert sie einen hohen Preis, spricht doch vieles dafür, dass es nur noch einen Mensch in der ganzen Welt gibt, eben die Erzählerin.
Der einzige weitere Überlebende der Spezies Mensch stellt sich ja als skrupelloses Exemplar heraus, das, kaum eingeführt, von der Sennerin erschossen wird. Eine darauf Bezug nehmende Lesart ist, den Roman als Kritik am Patriarchat aufzufassen. Zwar wird der Ehemann der Erzählerin in ihren Erinnerungen nicht angeprangert, doch er spielt eine absolute Nebenrolle - er scheint unwichtig zu sein.
Deutlich sind die Eigenschaften einer Robinsonade zu erkennen: Ein Mensch wird unversehens und unverschuldet zu einem einsamen Inseldasein gezwungen und muss sich die notwendigen Kulturtechniken erst wieder aneignen, um überleben zu können. Auch die zutiefst verunsichernde Begegnung mit dem lange verborgen gebliebenen anderen Menschen gibt es in Die Wand – im Unterschied zu Robinson Crusoe endet hier allerdings das Zusammentreffen sofort in einer Katastrophe.
Nochmals erscheint das Motiv der Wand im 1966 erschienen, stark autobiografisch geprägten Kindheitsroman Himmel, der nirgendwo endet. Dort heißt es auf Seite 15: Ganz langsam wächst eine Wand zwischen Mutter und Tochter auf. Eine Wand, die Meta nur in wildem Anlauf überspringen kann; kopfüber in die blaue Schürze, in eine Umarmung, die Mama fast den Hals verrenkt und ihr das Haar aus dem Knoten reißt. [2] Von dieser Warte aus lässt sich die Lage der Wand-Erzählerin auch als Metapher für die grundlegende Einsamkeit des Menschen verstehen, seiner Gefangenschaft im Ich.[3]
Über die vorangegangen Interpretationen hinaus lässt sich Haushofers Roman sicherlich auch als Geschichte eines letztlich harmonischen Zusammenlebens von Mensch und Tier in einer größtenteils unberührten Natur lesen. In manchen Passagen erscheinen sogar Züge einer Katzengeschichte, welche die Autorin wiederum im Kinderbuch Bartls Abenteuer (1964) aufnimmt. Insgesamt bleibt Haushofers Roman eine in schlichter, wenn auch sehr genauer Sprache dargebotene Utopie, die zwischen Aufbegehren und Versöhnlichkeit zu oszillieren scheint und vielleicht gerade darum das beliebteste Werk der Autorin ist.
Ausgaben (Auswahl)
- Marlen Haushofer: Die Wand mit Materialien, Ernst Klett Verlag, Stuttgart [u.a.] 1986, ISBN 3-12-351960-0. (Editionen für den Literaturunterricht)
- Marlen Haushofer: Die Wand, mit einem Nachwort von Klaus Antes, List-Taschenbuch-Verlag, Berlin 2004, ISBN 978-3-548-60571-5. (List-Taschenbuch, 60571)
Hörbücher
- Marlen Haushofer: Die Wand, gekürzte Lesung, Sprecherin: Elisabeth Schwarz, Hörbuch Hamburg 2007, ISBN 978-3-89903-753-1.
Verfilmung
Derzeit wird an einer Verfilmung des Romans durch den österreichischen Regisseur Julian Pölsler mit Martina Gedeck in der Hauptrolle gearbeitet. Der Film wird von Coop99 und Starhaus Filmproduktion produziert und soll Ende 2011 ins Kino kommen.[4]
Einzelnachweise
- ↑ Die Wand, Claassen Verlag – Hamburg und Düsseldorf, 14 Auflage 2004 S. 275
- ↑ Himmel, der nirgendwo endet. List-Taschenbuch im Ullstein Verlag, Berlin, 1. Auflage 2005 S. 15
- ↑ Diesen Blickwinkel nimmt Henner Reitmeier in seinem Relaxikon-Artikel über Haushofer ein (Der Große Stockraus, Berlin 2009, S.80). Nebenbei macht Reitmeier auf eine bedenkliche Schwachstelle in der Romankonstruktion der Wand aufmerksam. Zu Beginn, nach dem Zusammenstoß mit der unsichtbaren Sperre am Ausgang der Schlucht, kann die Ich-Erzählerin gar nicht wissen, welches Ausmaß das Verhängnis hat. Eine kurze Untersuchung des Verlaufs der rätselhaften Wand bricht sie ab, um sich um eine mitgefangene Kuh zu kümmern. Gleichwohl geht sie sofort davon aus, im Gebirgskessel isoliert zu sein. Das bestätigt sich erst Wochen später bei einer Wanderung zur Alm. Hier liegt der Verdacht nahe, trotz der Tragik unserer Verloren- und Verlassenheit begrüße sie diese auch. Die Wand zwingt sie dazu, sich ihrer Angst zu stellen. Sie kann nicht mehr vor sich selber weglaufen.
- ↑ Filmfonds Wien - Die Wand