Wahhabiten
Als Wahhabiten wird eine sehr konservative und militante Richhtung des Islams bezeichnet. Der Wahhabiusmus als Bewegung geht, wie der Name schon nahelegt, auf Mohammed b. Abdu'l-Wahhab zurück. Die Wahhabiten sehen sich jedoch als einzig wahre Muslime und sprechen anderen Muslimen ab Muslime zu sein. Aus diesem Selbstverständnis heraus streiten sie auch ab, dass Abdu'l-Wahhab ihr Gründer war und sehen den Propheten Mohammed als ihren Gründer an. Aus diesem Grunde bezeichen sie sich auch oft schlicht als Muslime, daneben auch als Ahl as Sunna, Salafiya oder al-Muwahhidun.
Der Wahhabismus lehnt den Sufismus und die islamische Philosophie, die ihnen von Griechenland beeinflusst und damit als verunreinigt gilt, in jeder Form ab.
Ursprung und Lehre
Muhammad b. Abd al-Wahhab stammte aus der Oasenstadt Uyaina im Nadschd. Er studierte in Bagdad die Lehren des islamischen Rechtsgelehrten Ahmad ibn Hanbal, die heute die Grundlage der konsevativsten islamischen Rechtschule (madhhab), der Hanbaliten sind. Praktiken wie die Verehrung von heiligen Scheichs, das Schreiben von Wunschzetteln und ihr Anhängen an Bäumen waren Punkte, welche Abdul Wahhab bekämpfte. Abduhl Wahhab fasste diese Lehren im Buch der Einheit (arabisch kitab at-tauhid) zusammen, das eine "einfache Natur" Gottes und seiner Offenbarung verkündete.
Ibn Abdal Wahhab übernahm auch die Lehren Ibn Taimiyyas, eines mittelalterlichen Schülers von Ahmad ibn Hanbal.
Die so genannten Wahhabiten betrachten den Weg, dem sie folgen, als einzig wahren Weg. Sie lehnen alle anderen Richtungen des Islam ab, insbesondere den Sufismus (islamische Mystik) und die Schia. Sie versagen nicht nur anderen Musliumen die anerkennung, sondern sie bekämpfen sie auch mitlitärisch als Ungläübige (kafirun) oder von Islam abgefallenen ([murtaddun). So richtete sie etwa in Jahre 1802 große Massaker an der schiitischen Bevölkerung Kerbalas an und zerstötrten die Heiligen Schreine der Stadt. Im Jahre 1924 massakrierten sie die Zivilbevölkerung von Taif, die sie nicht als Muslime ansahen, da sie keine Wahhabiten waren.
Entstehung und Zerfall des 1. Wahhabitenreichs
Muhammad ibn Abd al-Wahhab begann seine Missionierung 1731. 1152 H. (1740 n.Chr.) begann er in Huraimala nahe Riad seine puritanischen Glaubenssätze zur Reinigung des Islam zu verkünden. Es gelang ihm den Emir von Dariya, Muhammad ibn Saud, und dessen Sohn Abdulaziz für seine Lehren zu gewinnen. Die Saudis verfolgten das Ziel, die Einigung der Stämme Arabiens auf der Grundlage des wahhabitischen Glaubens unter ihrer Oberhoheit gewaltsam herbeizuführen. Der Puritanismus des wahhabitischen Glaubens entsprach der bescheidenen Lebensführung der einfachen Menschen in der kargen Landschaft Zentralarabiens, die die Verbreitung seiner Lehren unterstützten. Die Absicht Ibn Abdul Wahhabs war es eine von den ersten Geneartionen des Islams festgelegte Interpretation der Einheit (Tawhid) zu festigen und den Schirk (Irrglauben) zu eliminieren. Wie in seinen Büchern nachzulesen ist, rief er zum Beschreiten dieses Wegs mit Weisheit und Brüderlichkeit auf (siehe Kitab al Tauhid etc.)
Viele von Muhammad ibn Abd al-Wahhabs Lehrern sagten: „Seine Lehre wird viele Menschen von den Sunniten trennen und den wahren Praktiken des Islams.“ Dies schließt auch seinen Vater und sein Bruder Scheich Suleyman ein, welcher das Buch „Göttlicher Donnerschlag im Widerlegen der Wahabitischen Lehre“ schrieb, erschienen 1888 n.Chr. im Irak.
1156 H. (1744 n.Chr.) kam es zum Abschluss eines Vertrages, nach dem sich Abd al-Wahhab die religiöse und Ibn Saud die militärische Führung im "Heiligen Krieg" der Wahhabiten teilten. Bis 1198 H. (1786 n.Chr.) eroberten die Saudis den gesamten Nadschd und begründeten damit das erste Reich der Saud-Dynastie. Hierzu ist es unbedingt erforderlich zu erwähnen, dass sich der Nadschd niemals unter der Herrschaft des osmanischen Reichs befand, wie aus reichlichen Quellen hierzu ersichtlich ist. Muhammad ibn Abd al-Wahhab gewann durch seinen Ruf immer mehr Zulauf. Sie schickten Imame zu den beiden Heiligen Moscheen, um die dortigen Imame wieder zurück zum "reinen" Islam zu rufen.
Dem Prinz von Hidschas, Masud b. Said, gelang die Rückeroberung der heiligen Moscheen. Er trieb die Wahhabiten zurück in den Nadschd. Aber der Sieg war nur vorübergehend. Muhammad ibn Abd al-Wahhab erklärte eine Fatwa gegen die beiden Heiligen Moscheen, obwohl die Orte im Koran als "unantastbar" bezeichnet werden. Und wieder blockierten sie die Pilgerwege nach Mekka.
Im Jahre 1217 H. (1802 n.Chr., zehn Jahre nach dem Tod Muhammad ibn Abd al-Wahhabs), marschierten sie in Ta’if bei Mekka ein, schleiften es und massakrierten alle Männer, Frauen und Kinder, weil sie Sunniten waren. Die Bewohner von Mekka befürchteten, dass ihnen das gleiche wie in Ta’if widerfahren würde und übergaben 1218 H. Mekka den Angreifern. Die Eindringlinge blieben in Mekka, zwangen die Leute ihrem Schirk ("Unglauben") abzusagen und einen nach ihrem Vorbild reformierten Islam anzunehmen.
Bereits 1218 H. (1803 n.Chr.) wurden sie wieder von den Prinzen Scharif Ghalib und Scharif Pascha vertrieben. Aber 1220 H. (1805 n.Chr.) kehrten sie erneut zurück und vernichteten Mekka und Medina. Sie schändeten alle Frauen, verkauften ihre Kinder in die Sklaverei und schlachteten grausam alle Männer, ob alt oder jung. Dann setzten sie Prinz Mubarak bin Madya als Machthaber in Medina ein. Die Regentschaft über die beiden Heiligtümer dauerte sieben Jahre lang an. Sie hielten die Pilger aus Syrien und Ägypten davor ab, die Heiligtümer zu besuchen, da sie "Ungläubige" seien.
Im Jahre 1226 H. (1811 n.Chr.) befahl der osmanische Sultan Muhammed Ali Pascha seinem ägyptischen Gouverneur, er solle sie bekämpfen "und sie aus den Heiligen Stätten vertreiben." Eine Armee aus allen islamischen Ländern eroberte erst Medina, danach Mekka und schließlich Anfang des Jahres 1228 H. Ta’if. Aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit ließ Sultan Muhammed Ali Pascha eine Armee unter seinem Sohn Ibrahim Pascha 1231 H. (1816 n.Chr.) nach Nadschd einmarschieren. Mit seinem Gegner Abdullah bin Saud, Prinz von Dariya, lieferte er sich viele Schlachten. Im Jahre 1233 H. wurde er endgültig besiegt.
Nach dem Ersten Weltkrieg
Mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg entstanden durch die Vereinbarungen zwischen dem Völkerbund, dem Vereinigten Königreich und Frankreich im Nahen Osten die bis heute bestehenden Staaten. Die beabsichtigte Aufspaltung der Arabischen Halbinsel in einen Teil im Osten und einen im Westen (Transjordanien, unter dem Haschemitischen Königshaus) wurde durch die militärischen Erfolge der Al-Saud-Dynastie zunichte gemacht. Mit der Eroberung von Mekka und Medina entstand mit Saudi-Arabien 1932 ein dominanter Staat.
Wahhabiten heute
Viele islamistische Organisationen, sowohl in islamisch dominierten Ländern als auch in Europa und Amerika, haben Verbindungen zum Wahhabitismus oder stehen ihm nahe. Trotz des puritanischen Alleinvertretungsanspruchs der Wahhabiten unterstützen sie aus taktischen Überlegungen andere fundamentalistische Strömungen des Islam.
Zu nennen ist die der Salafiya nahestehende Muslimbruderschaft in Ägypten, die von Saudi-Arabien als Gegengewicht zum säkularen Staat Nassers begünstigt wurde. Aus ihr ging später unter anderem die Palästinenserorganisation Hamas als Nachfolgegruppierung des in den 40er Jahren entstandenen palästinensischen Ablegers hervor, der ebenfalls enge Kontakte zur saudischen Theokratie nachgesagt werden.
Die Bezeichnung „Wahhabiten“ wird in Russland, besonders auf dem Kaukasus, für islamische Fundamentalisten gebraucht, die – häufig aus dem arabischen Ausland kommend – einen von lokalen Bräuchen gereinigten Islam predigen. In der Zeit der Zerstörung und Orientierungslosigkeit nach dem Ersten Tschetschenienkrieg 1994-1996 gelang es ihnen, viele – besonders junge – Leute in Dagestan und Tschetschenien für sich zu gewinnen. Prominente Rebellenführer wie Schamil Bassajew schlossen sich den Wahhabiten an und sind verantwortlich für Aktionen wie die Geiselnahme von Beslan. Im Konflikt zwischen Aslan Alijewitsch Mashadow und Achmad Kadyrow ging es auch darum, wie man den Wahhabiten begegnen sollte.
Wahhabiten in Saudi-Arabien heute
In Saudi-Arabien ist der Wahhabitismus heute Staatsreligion. Gleichzeitig fördert der saudi-arabische Staat wahhabitische Organisationen in allen Teilen der Welt.
Als Hochburg der Wahhabiten im heutigen Saudi-Arabien darf Riad und Buraida genannt werden. Insbesondere in den südlichen Altbaustadtvierteln, das von armen Einwanderern aus Pakistan und Afghanistan dominert wird, ist der Einfluß groß.
Ein besonderer Auswuchs der saudischen Wahhabiten ist die Religionspolizei, die Mutawas. Mutawas sind - neben der regulären Polizei - Wächter, die die Einhaltung sittlicher Normen in der Öffentlichkeit kontrollieren sollen. Ungewöhnlich ist ferner, dass während des Freitaggebetes die Predigt auf sehr laut gestellt wird, so dass das gesamte Umfeld der Moschee beschallt wird. Dabei ist antiwestliche Propaganda nicht selten.
Wie in vielen anderen arabischen Ländern obliegt die Justiz den Religionsgelehrten, d.h. den Wahhabiten.
Die dem Islam widersprechende Lebensweise einer Reihe von Mitgliedern des Saudischen Königshauses polarisiert die Gesellschaft. Kommentatoren halten einen religiös motivierten Staatsstreich durch fundamentalistische Geistliche für denkbar.
Literatur
- Unger, Craig: Öl, Macht und Terror. München: Piper, August 2005. - ISBN 3-492-24457-2
Weblinks
- Georg Brunold: Wahabismus. Kampf gegen das Fremde
- "The Wahhabit Trace" (Chechenpress, 11.03.2005 - Der Artikel diskutiert die mögliche Beteiligung von Wahhabiten an den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA und damit u.U. zusammenhängende ideologische Ursprünge der Attentäter. Chechenpress ist eine Publikation der moskautreuen Regierung in Tschetschenien.)