Zweite Intifada
Die Al-Aqsa-Intifada oder Zweite Intifada, von der israelischen Armee als „אירועי גיאות ושפל“ („Ebbe-und-Flut-Ereignisse“) bezeichnet, war ein gewaltsamer Konflikt zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften, der im September 2000 begann. Mit dem Abschluss eines Waffenstillstands zwischen dem neuen Präsidenten der palästinensischen Autonomie Mahmud Abbas und Israels Ministerpräsidenten Ariel Scharon im ägyptischen Scharm al-Scheich im Februar 2005 gilt die Al-Aqsa-Intifada offiziell als beendet.
Der Begriff setzt sich aus al-Aqsa und Intifada zusammen. „Intifada“ bedeutet „abschütteln“ (gemeint ist die israelische Besatzung), nach der Al-Aqsa-Moschee wurde die Erhebung benannt, weil sie nach Darstellung der Palästinenser eben bei dieser Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg ihren Ausgangspunkt hatte. Manche konservative oder rechte Israelis bezeichnen die Intifada auch als Oslokrieg.
Der Beginn der Al-Aqsa-Intifada
Der Politiker Ariel Scharon besuchte am 28. September in Begleitung von bewaffneten Polizeikräften den in Jerusalem gelegenen Tempelberg. Nach israelischer Darstellung hatte der palästinensische Sicherheitschef Dschibril Radschub sein Einverständnis für Scharons Besuch gegeben, sofern dieser keine Moschee betrete.
Militante Palästinenser nahmen diesen Besuch auf dem Gebiet des zerstörten salomonischen Tempels mit dem Allerheiligsten zum Vorwand, einen bewaffneten Aufstand zu starten. Die gewalttätigen Proteste wurden durch die Polizei unter Waffeneinsatz zurückgedrängt. Dabei wurden vier Personen getötet und etwa zweihundert verletzt. Auch vierzehn Polizisten wurden verletzt. Der Polizeieinsatz ist nach israelischer Darstellung nötig gewesen, weil das palästinensische Radio dazu aufgerufen habe, die Moschee zu verteidigen und die palästinensische Polizei in letzter Minute erklärt habe, nichts gegen gewaltsame Demonstrationen zu unternehmen.
Die israelische Seite sieht allerdings das Scheitern der Verhandlungen in Camp David am 25. Juli 2000 und nicht Ariel Scharons Besuch auf dem Tempelberg als Auslöser der Intifada, denn bereits am Tag zuvor war bei der Explosion einer Bombe am Grenzübergang Netzarim ein israelischer Soldat ums Leben gekommen. Der palästinensische Kommunikationsminister Imad Faludschi hätte zudem erklärt, der Einsatz von Gewalt sei bereits im Juli geplant worden, nachdem Jassir Arafat von Camp David zurückgekehrt sei.
Zahlreiche Führungsmitglieder palästinensischer Fraktionen und Parteien sowie Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde erklärten jedenfalls vor dem Beginn der Al-Aqsa-Intifada, dass der Staat Israel nur durch Gewalt zu Konzessionen zu bewegen sei. Der israelische Rückzug aus dem Südlibanon aufgrund der anhaltenden Anschläge der Hisbollah wurde als Beispiel gesehen, das sich auf die palästinensischen Gebiete übertragen ließe.
Mitchell Report
Der Mitchell-Report 2001 fasst zusammen:
- In ihren Eingaben haben beide Seiten Behauptungen über Motivation und Kontrolle des anderen aufgestellt. Uns wurden keine überzeugenden Beweise dafür vorgelegt, dass der Besuch Scharons mehr war als ein innenpolitischer Akt; auch haben wir keine überzeugenden Beweise dafür erhalten, dass die Autonomiebehörde den Aufstand geplant hat ... Der Besuch Scharons hat nicht zur Al-Aqsa-Intifada geführt ... Bedeutsamer waren die folgenden Ereignisse: die Entscheidung der israelischen Polizei am 21. September, tödliche Mittel gegen palästinensische Demonstranten einzusetzen, und das Versäumnis beider Seiten, Zurückhaltung zu üben..
Entwicklung
Seit Ende September 2000 gab es eine Vielzahl von palästinensischen Selbstmordattentaten und Militäraktionen der israelischen Armee, dazwischen auch Phasen relativer Ruhe. An der zweiten Intifada beteiligen sich sowohl religiös-politische (Hamas und Islamischer Dschihad) als auch konservative (FATAH) und linke Organisationen (PFLP und DFLP) der Palästinenser.
Vor Beginn der zweiten Intifada verübten nur die Hamas und der Islamische Dschihad Selbstmordanschläge. Beide Gruppen wurden von der iranischen Führung und der Hisbollah finanziert. Seit 2001 griffen auch Arafats Al-Aksa-Brigaden und andere Gruppen zur Waffe des Selbstmordanschlags. Die Hamas verübte dennoch fast die Hälfte aller Anschläge. Etwa ein Fünftel ging auf das Konto des Islamischen Dschihad, rund ein Drittel auf das der Al-Aksa-Brigaden.
Gravierende Ereignisse, die auch in der Weltöffentlichkeit verstärkt wahrgenommen wurden, waren:
- der Tod eines zwölfjährigen palästinensischen Jungen in einer Schießerei bei Netzarim vor laufenden Kameras Anfang Oktober 2000 (wie jedoch rekonstruiert wurde durch palästinensisches Feuer erschossen),
- der Lynchmord an zwei israelischen Soldaten in Ramallah zehn Tage später, ebenfalls vor laufenden Kameras,
- der Einmarsch israelischer Truppen in das palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin im April 2002, der eine unbekannte Zahl von Opfern unter den Einwohnern des Lagers forderte und auch 23 israelische Soldaten das Leben kostete. Dabei wurden auch Zerstörungen von Gebäuden vorgenommen. Eine von der UNO durchgeführte Untersuchung der Ereignisse stellte jedoch fest, dass es (anders als zuvor in der Weltpresse dargestellt) zu keinem Massaker unter der Zivilbevölkerung gekommen ist.
- ein Selbstmordattentat in einer Warteschlange vor einer Disko in Tel Aviv im Juni 2001 mit 20 Toten,
- die fast vollständige Zerstörung von Arafats Hauptquartier im Sommer 2002,
- das wiederholte Einrücken der israelischen Armee in palästinensische Autonomiestädte,
- die gezielte Tötung des PFLP-Führers Abu Ali Mustafa im August 2001,
- diverse gezielte Tötungen von Führern der Hamas durch die israelische Armee, oft mit unbeteiligten Opfern und
- diverse Anschläge auf jüdische Linienbusse mit jeweils teilweise mehr als 20 Toten,
- die beiden großen Militäraktionen "Operation Regenbogen" und "Tage der Buße" im Frühjahr bzw. Herbst 2004.
Ende März 2004 hatte die israelische Armee den spirituellen Führer der Hamas, Scheich Ahmed Jassin getötet; Mitte April starb auch sein Nachfolger Abd al-Aziz al-Rantisi, durch einen gezielten Raketenangriff. Für Konfliktpotential sorgte in den letzten Monaten außerdem der Bau eines Sicherheitszauns (siehe Israelische Sperranlagen) an der Grenze zum Gazastreifen und zum Westjordanland, durch dessen Verlauf Teile des palästinensischen Gebietes, nach Ansicht einiger, faktisch annektiert werden. Der exakte Verlauf des Zaunes, der nach israelischer Auffassung das Einsickern von Attentätern verhindern wird, ist auch Gegenstand intensiver innerisraelischer Debatten.
Opferzahlen
Die Israelis zählten in den 1558 Tagen der Al-Aqsa-Intifada 20.406 Anschläge darunter 138 Selbstmordanschläge und 13.730 Schussüberfälle, sowie 460 Angriffe mit Kasamraketen. Nach Angaben der Zeitung Jedijot Achronot wurden 1036 Israelis getötet (715 Zivilisten) und 7.054 verletzt. Die Palästinenser hatten 3592 (palästinensische Quellen:3336) Tote (985 Zivilisten) zu beklagen. Israel bezeichnet 959 von ihnen als "Terroristen" - 208 Palästinenser wurden gezielt getötet. Über 600 palästinensische Tote waren Mitglieder der Sicherheitsdienste der Autonomiebehörde (der Geheimdienste, oder der Polizei), die oft auch in Terror involviert waren.
Gemäß einer Statistik des Instituts für Gegen-Terror (beim Herzlia Interdisciplinary Center) starben 126 palästinensische Frauen und mehr als doppelt so viele israelische Frauen (285). 365 Palästinenser wurden von ihren eigenen Landsleuten getötet. Auf der israelischen Seite kamen 22 Menschen durch eigenes Feuer um.
Siehe auch: Nahostkonflikt.
Weblinks
- Kritik an der Verwendung von Opferstatistiken von Ulrich Sahm
- Auszüge aus dem Mitchell Report
- Video einer Rede des palästinensischen Kommunikationsministers, in der er Planung der Intifada zugibt