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Jean Genet

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Jean Genet (* 19. Dezember 1910 in Paris; † 15. April 1986 in Paris) war ein französischer Romanautor, Dramatiker und Poet, der sich vor allem durch seine bildhafte Sprache hervorhebt. In seinen autobiografisch gefärbten Werken tauchen hauptsächlich Zuhälter, Diebe, Schwule und andere Randexistenzen auf. Genet trat 1929 in den Militärdienst ein, aus dem er jedoch desertierte. Wegen verschiedener Delikte zu lebenslanger Haft verurteilt, erwirkten mehrere Schriftsteller, darunter Sartre und Cocteau, 1948 seine Begnadigung.

Leben

Kindheit

Am 19. Dezember 1910 wurde Jean Genet in der Tarnier-Entbindungsklinik in Paris geboren. Seine Mutter ist Camille Gabrielle Genet (20.07.1888 - 24.02.1919), der Vater unbekannt. Dreißig Wochen später gibt seine Mutter ihn bei der öffentlichen Fürsorge ab (Bureau d'abandon de l'Hospice des Enfants-Assistés = Aussetzungsbüro des Hospizes für Fürsorgezöglinge). Bereits am nächsten Tag wurde er dem Ehepaar Eugénie Regnier und Charles Regnier aus Alligny-en-Morvan als Pflegekind übergeben. In diesem Dorf wurde er im Herbst 1916 eingeschult. Nach eigenen Angaben begann er mit zehn Jahren seine Pflegeeltern zu bestehlen. Zu diesem Zeitpunkt wurde ihm auch seine Homosexualität deutlich. So zumindest beschreibt er es in einem Text aus dem Jahr 1946. Seine Pflegemutter starb am 4.April 1922. Als neue Pflegemutter wurde ihre Tochter Berthe berufen. Mit diesem Todesfall hörte Jean vorläufig auf zu stehlen. Am 30.Juni 1923 beendet er die Schulausbildung mit einem "gut". Er war der beste Schüler seiner Gemeinde und zählte zu der Minderheit der Fürsorgekinder, die überhaupt einen Schulabschluß vorweisen können.

Jugend

Am 17.Oktober 1924 kehrt Jean Genet nach Paris zurück. Er beginnt eine Lehre zum Drucker im Ausbildungszentrum der öffentlichen Fürsorge. Doch bereits zwei Wochen später, die er zudem größtenteils auf der Krankenstation verbracht hatte, nahm er Reißaus. Sieben Tage danach wurde er in Nizza geschnappt. Er verlor seine Lehrstelle. Von April bis Oktober des Folgejahres war er bei einem Pariser Ehepaar untergebracht. Es endete damit, dass er ihm anvertrautes Geld unterschlägt und ausgibt. Es folgten psychiatrische Untersuchungen und diverse Unterbringungen in öffentlichen Einrichtungen. Nach mehreren weiteren Fluchtversuchen landet er im Gefängnis La Petite-Roquette.

Im Juni 1926 wurde ihm eine Stelle als Landarbeiter in Abbeville zugewiesen. Einen Monat hielt er es dort aus. Seine Flucht endete in Meaux und er wurde dort der Landstreicherei angeklagt und verurteilt. Es kam zu einem weiteren Prozeß vor dem Kinder- und Jugendgericht, in der er freigesprochen wurde. Anschließend wurde er in die Besserungskolonie Mettray gebracht. Am 3.Dezember 1927 flüchtete er von dort, jedoch schnappte ihn die Polizei zwei Tage später und er kam vorläufig in das Gefängnis von Orleans, bis er nach Mettray zurückgebracht wurde.

Militär

Um den inhumanen Zuständen in Mettray zu entkommen, meldete er sich freiwillig zum Militär. Er kam am 3.März 1929 nach Montpellier und am 1.Mai 1929 nach Avignon in das 7. Pionierregiment. Er stieg zum Obergefreiten auf und bat um Versetzung ins Ausland. Am 28.Januar 1930 verliess er Frankreich per Schiff von Marseille aus und erreichte sieben Tage später Beirut. Von dort aus ging es weiter zu seiner neuen Einheit nach Damaskus. Er blieb in dieser Stadt bis Ende Dezember. Anschließend kam er zurück nach Avignon.

Seine erste Militärzeit endete am 1.Januar 1931. Fünfeinhalb Monate danach trat er erneut der Armee bei, diesmal kam er in das 7. Marokkanische Jägerregiment. Er blieb bis zum 7.Februar 1933 in Marokko und beendete seine zweite Dienstzeit am 15.Juni in Toul.

Nach einer Fußreise bis nach Barcelona, wo er mehrere Monate blieb, und seiner Rückkehr nach Frankreich, schrieb er sich am 24.April 1934 erneut bei der Armee ein. Er blieb in Frankreich beim 22. Jägerregiment in Toul. Im Oktober 1935 verlängerte er seine Dienstzeit um weitere vier Jahre. Er kam nach Aix-en-Provence in das RICM (Régiment d'Infanterie Coloniale du Maroc = Koloniales Infanterieregiment von Marokko). Doch bevor er nach Marokko versetzt wurde, desertierte er am 18.Juni 1936.

Flucht und Gefängnis

Von Juli 1936 bis Juli 1937 war Jean Genet als Deserteur auf der Flucht. Er durchwanderte dabei viele europäische Länder und legte angeblich 8.500 km zurück. Er kam nach Italien, Albanien, Jugoslawien, Österreich, Tschechoslowakei, Polen, Deutschland, Belgien und schließlich nach Paris. Immer wieder wurde er verhaftet, für ein paar Tage oder Wochen inhaftiert und in das nächste Land abgeschoben.

Er blieb auch ein paar Tage in Berlin und lebte dort, wie so oft während dieser Reise, von der Prostitution. In Berlin traf er Wilhelm Leuschner, der später wegen angeblicher Beteiligung am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 gehenkt wurde. Lily Pringsheim schreibt später: "Es ist ein ewiger Jammer, daß Genet nicht dazu ausersehen war, Hitler zu ermorden. Als unbekannter Vagabund und Bettler, der politisch unverdächtig und vor ein Ausländer ist, hätte es ihm gelingen können."

Zurück in Paris beginnt die Serie der Festnahmen:

  • 16.September 1937: erste Verhaftung. Er wurde zu einem Monat Gefängnis wegen Diebstahl verurteilt, allerdings unter dem Namen "Genest", gegen den noch nichts vorlag und so wurde die Strafe ausgesetzt.
  • 21.September 1937: Identifikation als Deserteur. Überstellung in das Santé-Gefängnis. Ende November wurde das Urteil wegen Diebstahl, Paßfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz gesprochen: fünf Monate Haft.
  • 13.Januar 1938: Überstellung in das Militärgefängnis von Marseille. Bis zur Verurteilung wegen Desertation vergingen weitere vier Monate. Das Urteil lautete zwei Monate. Allerdings wurde die bisherige Haftzeit angerechnet, so dass er sofort freigelassen wurde.
  • 14.Oktober 1938: vierte Verhaftung. Erneut wegen Diebstahl. Seine Freilassung fiel auf den 17.Januar 1939 und er kehrte nach Paris zurück.
  • 7.Mai 1939: Festnahme in Auxerre wegen Landstreicherei. Er bekam einen Monat Haftaufenthalt.
  • 16.Juni 1939: Tag der Entlassung und erneute Verhaftung. Nochmals Anklage wegen Landstreicher, zudem konnte er seine anthropometrischen Ausweispapiere nicht vorweisen. Der erste Anklagepunkt wurde fallengelassen, der zweite führte zu zwei Wochen Haft.
  • 16.Oktober 1939: zwei Monate wegen Diebstahl.
  • 31.Dezember 1939: er begann das Jahr 1940 im Verlies und das Schreiben einer verspäteten Weihnachtskarte bezeichnete er als Auslöser für seine Schriftstellerei.
  • 23.April 1940: achte Verurteilung (hier gibt es Widersprüche in den Quellen). Genet geht in Berufung und aus zehn Monaten wurden knappe zwei.
  • 3.Dezember 1940: neunte Haftstrafe bis zum 4.März 1941.
  • 9.Dezember 1941: zehnter Gefängnisaufenthalt bis zum 10. März 1942.
  • 14.April 1942: Paris ist von den deutschen Truppen besetzt und Jean Genet wird wegen Bücherdiebstahl bis zum 15.Oktober 1942 inhaftiert.

Erste Werke

Die erste Veröffentlichung war das auf eigene Kosten gedruckte Gedicht "Der zum Tode Verurteilte". Es erschien im September 1942 in einer Auflage von ca. 100 Stück und wurde größtenteils an Freunde und Bekannte verschenkt. Ein Exemplar fand den Weg zu dem berühmten Schriftstellen Jean Cocteau, der sich begeistert äußert ("Dies lange Gedicht ist wundervoll" [Jean Cocteau: Journal 1942-1945]). Das Gedicht handelt von Maurice Pilorge, der zwanzigjährig als Mörder hingerichtet wurde.

Wie dieses Gedicht entstand zwischen 1941 und 1942 im Gefängnis sein erster Roman "Notre-Dame-des-Fleurs". Am 16.Februar 1943 las er daraus Cocteau vor, der immer mehr zu seinem Protegé wurde. Cocteau reichte das Manuskript herum. Es war so freizügig homosexuell, dass u.a. Valery von einer Veröffentlichung abriet. Zu Kriegszeiten war Papier knapp und so kam das Werk erst 1944 in den freien Verkauf. Doch Genets Bekanntheitsgrad stieg bereits 1943 schlagartig, obwohl die meisten aus dem künstlerischen Paris nichts von ihm gelesen hatten.

Doch trotz seiner steigenden Anerkennung versuchte er sich weiter als Dieb und wurde am 29. Mai 1943 erneut verhaftet. Diesmal stand er nicht allein vor dem Richter, denn Cocteau besorgte ihm sofort einen Anwalt. Er wurde ein psychologisches Gutachten erstellt, das als Ergebnis feststellte: "Genet dürfte als jemand bezeichnet werden, der zu jener Menschenkategorie gehört, denen moralische Verantwortlichkeit leicht vermindert ist." Ihm drohte aufgrund seiner vorigen Verurteilungen lebenlange Haft, aber der Richter blieb bei seinem Strafmaß genau ein Tag unterhalb dieser Grenze. Somit wurde er am 30. August 1943 wieder entlassen.

Noch immer war "Notre-Dame-des-Fleurs" nicht erschienen, die letzten Korrekturen und Fragen wurden geklärt. Doch Genet erhielt bereits einen Vorschuß auf seinen zweiten Roman "Wunder der Rose". Zudem war das Theaterstück "Unter Aufsicht" fast fertig und das Drama "Die Zofen" in der Planungsphase. Dennoch wurde er am 24. September 1943 wiederum wegen Buchdiebstahl verhaftet. Anfang November erging das Urteil: vier Monate Gefängnis. Ein Gesetz über eine "administrative Internierung" ließ es zu, daß Genet für unbestimmte Zeit ins Pariser Gefängnis Tourelles kam. Er äußerte in Briefen sogar öfters die Sorge, dass er in ein Konzentrationslager verlegt werden soll. Während seiner Haft litt er immer wieder Hunger und ließ sich durch seine Freunde und seinen Verleger Fresspakete bringen. Am 15. März 1944 kam er frei, nachdem sich die verschiedensten Persönlichkeiten für ihn eingesetzt hatten. Kurz danach erschien ein Auszug von "Notre-Dame-des-Fleurs" in einer Literaturzeitschrift, zusammen mit "Geschlossene Gesellschaft" von Jean-Paul Sartre.

Von 1944 bis 1947 war Genet juristischer Status sehr unsicher. Es waren noch zwei Jahre Haft anhängig, die vollstreckt worden wären, wenn er erneut straffällig geworden wäre. Somit lebte er in der Gefahr, erneut eingesperrt zu werden.

Werke

Romane

  • "Notre-Dame-des-Fleurs" 1944, deutsch 1960;
  • "Querelle" 1947, deutsch 1955;
  • "Das Totenfest" 1947, deutsch 1966;
  • "Tagebuch eines Diebes" 1955, deutsch 1961;
  • "4 Stunden in Chantilla" 1982, deutsch 1983.

Dramen

  • "Die Zofen" 1947, deutsch 1957;
  • "Der Balkon" 1956, deutsch 1959;
  • "Die Neger" 1959, deutsch 1962;
  • "Wände überall" 1961, deutsch 1961.

Literatur

  • Claude Bonnefoy: Jean Genet. Eine Einführung in das Werk. Merlin, Vastorf/Lüneb. 1966
  • Jean-Paul Sartre: Saint Genet, Komödiant und Märtyrer. Reinbek: Rowohlt, 1997
  • Rolf Tiedemann: Entzauberte Metaphorik der Dignität. Über Jean Genet. Zeugnisse, hrsg. von Max Horkheimer, Frankfurt a.M. 1963, S. 257 ff.
  • Edmund White: Jean Genet. Biographie, München: Kindler 1993