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Benutzer:Konkreteswissen/Baustelle/Europäische Öffentlichkeit

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Definition

Eine Europäische Öffentlichkeit ist als massenmedial hergestellte Öffentlichkeit zu bezeichnen. Massenmedien haben aufgrund ihrer stabilen Infrastruktur die Möglichkeit Informationen und Meinungen zu einer Vielzahl von Themen an ein Massenpublikum zu vermitteln.

Bei der Europäischen Öffentlichkeit handelt sich um grenzüberschreitende Kommunikationsprozesse, die aufgrund der sprachlichen, kulturellen und politischen Vielfalt für die EU-Bürger schwer zu erfassen sind.

Durch die öffentliche Kommunikation sollen europäische Politiken für die Bürger transparent gemacht werden. Diese Transparenz ist eine entscheidende Voraussetzung für die Legitimierung der Europäischen Union. Daher handelt es sich bei der Europäischen Öffentlichkeit um ein Instrument der Legitimation der Europäischen Union.

In der politischen Debatte stellt sich jedoch die Frage ab wann man von der Europäischen Öffentlichkeit gesprochen werden kann. Wie viel öffentliche Kommunikation über Europa gibt es schon und wie gleichen oder unterscheiden sich die europäischen Debatten über die gemeinsamen Entscheidungen in Brüssel in den verschiedenen Mitgliedsstaaten?

Konzepte Europäischer Öffentlichkeit(en)

In der Forschung werden zwei Grundmodelle der europäischen Kommunikation unterschieden:

1) Modell der Zunahme von transnationalen, paneuropäischen Medien

Es kann von einer transnationalen europäischen Öffentlichkeit gesprochen werden, wenn ein Kommunikationsraum entsteht, der durch europäische Medien hergestellt wird. Diese Definition scheint aufgrund der Sprachenvielfalt, der kulturellen Identitäten sowie der Medienpolitik und der Institutionsstruktur der EU, die die Entwicklung einer breiten gesamteuropäischen Medieninfrastruktur behindert nicht in naher Zukunft erreicht werden zu können. Realistischer ist davon auszugehen, dass sich eine Europäisierung von Massenmedien in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten vollzieht.

2) Modell einer zunehmenden Europäisierung der Debatten und Bezugnahmen in nationalen Medien

Prozess der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten

1) Nach Klaus Eder und Cathleen Kantner entsteht Europäische Öffentlichkeit durch die Synchronisierung europapolitischer Debatten. Wenn also die gleichen europäischen Themen unter gleichen Relevanzgesichtspunkten gleichzeitig in unterschiedlichen Ländern debattiert werden, dann kommt es zur Europäisierung von Öffentlichkeit. Ruud Koopmans und Barbara Pfetsch unterscheiden hier zwischen horizontaler und vertikaler Europäisierung. Eine Diffusion und ein Austausch von Themen und Akteuren zwischen nationalen Mediensystemen verbergen sich hinter der horizontalen Europäisierung. Die Ein- und Auswirkungen von EU-Themen und Akteuren auf den nationalen politisch-medialien Diskurs werden unter den Begriff der vertikalen Europäisierung gefasst.

2) Wenn die Zahl der europäischen Politikthemen und -akteure in den nationalen Medien wächst und diese Medien zunehmend aufeinander Bezug nehmen oder sich vernetzen, dann entsteht eine Europäische Öffentlichkeit. Hier wird der Blick auf die Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für europäische Themen in den Medien der EU-Mitgliedstaaten sowie auf deren gegenseitige Bezugnahmen gelenkt.

In jedem Fall handelt sich bei der Europäischen Öffentlichkeit um einen mehrdimensionalen Prozess.

Voraussetzungen für die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit und damit verbundene Probleme

Nach Hans-Jörg Trenz ist die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit mit einem gemeinsamen Erfahrungs- und Identitätsraum verbunden. Ein gemeinsamer Erfahrungs- und Identitätsraum kann durch gemeinsame wechselnde Problem- und Sachlagen entstehen, durch die Erfahrbarkeit politischer Herrschaft sowie geteilte Traditionen, Semantiken und Wertbezüge. Diese Eigenschaften müssen öffentlich und kollektiv verfügbar sein., jeweils aktuell abgerufen werden und mit generalisierter Verständigung auch bei heterogenen Bezugsgruppen rechnen können. Es läge in der Verantwortung der Qualitätspresse und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Informationen, die zu europäischen Themen zur Verfügung stehen, aufzuarbeiten und für ein breites Publikum verständlich zuzuschneiden. Denn genügend Informationen wären vorhanden, das Problem ist deren Verständlichkeit. Entweder seien die Sachverhalten zu komplex, es werde ein zu detailiertes Wissen vorausgesetzt bzw. wäre der Anteil an Fachjargon zu hoch. Der Vorschlag einer Aufteilung zwischen sektoraler und allgemeiner Öffentlichkeit führt laut Autor zu einer Fragmentierung der Öffentlichkeit mit der Konsequenz einer noch passiveren allgemeinen Öffentlichkeit. Die selektive Berichterstattung würde zu einer unterschiedlichen Bewertung von Sachfragen führen, die das ohnehin schon entscheidungsnah agierende Fachpublikum näher an die Politik und die allgemeine Öffentlichkeit von der Politik führen würde.

Trenz hält eine Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit durch den Ausbau des Internets für möglich. Bei diesem Prozess sollte das Überangebot an Informationen an die Nachfrage der Nutzer angepasst werden. Neue interaktive Strategien und Kampagnen könnten den Ausbau komplementieren.

In der Debatte um die Konstitutionalisierung der EU wird immer wieder diskutiert, ob eine kollektive Identität Voraussetzung oder Ergebnis einer Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit ist. Aus soziologischer Perspektive zählt beim "identity building" der Prozess der politischen Selbstverständigung und kollektiven Identitätsfindung. Trenz ist der Meinung, dass sich der europäische Integrationsprozess in diesem Prozess befindet. Ausgetragen werden diese identitätsstärkenden Aushandlungsprozesse im Verwaltungsalltag, zum Beispiel in der Regional-, Migrations- oder Kulturpolitik. Zudem engagierten sich die offizielle Rhetorik der EU und die Medien in einem Identitätsdiskurs. Daraus schließt Trenz, dass das Öffentlichkeitsdefizit der EU nicht durch einen Mangel an Identitätskommunikation begründet werden kann.

Hindernisse bei der Ausprägung einer europäischen Identität

CAP-Artikel Bettiner Thalmeier

Nach Bettiner Thalmeier wird die Ausprägung einer europäischen Identität durch ein Demokratiedefizit erschwert. Dieses bezieht sich nicht nur auf die europäischen Institutionen, sondern schließt auch strukturelle Mängel an intermediären Vermittlungsstrukturen wie Medien, Parteien und Verbänden mit ein. Eine geringe Europäisierung nationaler Teilöffentlichkeiten und eine noch schwächer ausgeprägte europäische Öffentlichkeit sind weitere Gründe für eine unzureichende Identitfikation mit der EU. Die Andersartigkeit der EU gegenüber "herkömmlichen internationalen Organisationen" oder Nationalstaaten sowie das Beharrungsvermögen des nationalen Prinzips trägen auch dazu bei.


1) Institutionelles Demokratiedefizit, schwach ausgeprägte europäische Öffentlichkeit

Demokratisierung politischer Entscheidungsverfahren Ausweitung von Partizipationsmöglichkeiten auf europäischer Ebene Bürger finden: Brüssel bietet zu wenig Partizipationsmöglichkeiten (wichtige Vorhaben wie Osterweiterung ohne Bürgerkonsultation bzw. Mitsprache durchgeführt) Eng verbunden mit institutionellem Demokratiedefizit = Öffentlichkeitsdefizit der EU. Ausbildung einer europäischen Identität hängt entscheinend von Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit ab.

2) Andersartigkeit der EU


3) Beharrungsvermögen des nationalstaatlichen Prinzips


Das größte Potenzial liegt laut Thalmeier bei den institutionellen Änderungen, die mit einer intensiveren Partizipation am europäischen Entscheidungsprozess verknüpft sind. Der Vertrag von Lissabon sieht eine Stärkung partizipativer Elemente vor. Mittels eines Ausbau der Teilnahmemöglichkeiten würden auch Handlungsstrukturen politischer Öffentlichkeit und intermediäre Vermittlungsstrukturen ausgeweitet. Eine stärkere Politisierung europäischer Politik und der Aufbau einer europäischen Streikommunikation seien nötig, um einen europäischen Kommunikationsraum zu schaffen. Die EU sei wie jedes demokratisch verfasste System auf Anerkennung und Legitimation angewiesen. Durch eine Identifikation der Bürger mit dem System, wird die EU akzeptiert und legitmiert. Nach Easton lassen sich zwei Formen tatsächlicher Anerkennung unterscheiden. Spezifisch unterstützt wird ein politisches System, wenn es Politikergebnisse hervorbringt, die den eigenen Interessen der Bürger entsprechen. Diffuse Unterstützung ist unabhängig von den gegenwärtigen oder zukünftigen Leistungen des Systems. Das System wird demnach unterstützt, auch wenn Politikergebnisse nicht die Interessen der Bürger widerspiegeln. Eine diffuse Unterstützung solle immer angestrebt werden, nur so könne ein grundsätzliches Vertrauen in die Institutionen und deren Handeln aufgebaut werden. So sollte also nicht nur die Output-Legitimation der EU gestärkt werden, sondern insbesondere die Input-Legitimation, das heißt die Strukturen europäischer Politik.

Das Ziel des europäischen Integrationsprozess sei nicht die Errichtung eines Europäischen (National-)Staates, der die Auflösung der Mitgliedsstaaten beinhalten würde - gewünscht sei ein eigener, der Natur der EU gerecht werdender offener Integrationsprozess. Somit sei ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten und Übereinstimmung zur Bildung einer europäischen Identität nicht notwendig. Folgt man der Auffassung, dass kollektive Identitäten nicht einfach naturwüchsig oder vorhistorisch vorhanden sind, sondern durch soziale Prozesse, also auch durch die demokratische Praxis konstruiert werden können, --> erfolgsversprechende Maßnahmen zur Bildung einer europäischen Identität nennen.

Trenz stellt die These auf, dass die europäische Öffentlichkeit lange Zeit mit einem Zuwenig an Konflikt und Streit und einem Zuviel von Identitätsrhetorik ausgerüstet war. Eine Europäische Öffentlichkeit sei über eine empathische Identitätsrhetorik, einen sogenannten permissiven Konsens, vorangetrieben worden, die öffentliche Austragung von Konflikten sei jedoch zu kurz gekommen.[1] Im Rat der Europäischen Union wird hauptsächlich im Sinne des Einstimmigkeitsprinzips entschieden, im Gegensatz zur Konkurrenzdemokratie, die Konflikte meist im Rahmen des Mehrheitsprinzips bewältigt.[2]

Tabus, Konfliktvermeidungsstrategien und der fehlende Umgang mit bestimmten Themen würden den öffentlichen Raum beschränken. Die nicht vorhandene Konfliktfähigkeit gefährdet eine Informierung des Publikums und könnte leicht in Ressentiments und diffuse Widerstände resultieren. Der Bedeutung, die hier dem Streit und Konflikt zukommt, zieht die Annahme nach Durkheim und Simmel vorweg, dass Konflikte integrationsförderend wirkend können. Massenmedial inszenierte Konflikte können öffentliche Meinungsverschiedenheiten schüren und somit die poröse Infrastruktur der Medien kitten. Diese polarisierenden Auseinandersetzungen können zum Beispiel bilateral zwischen den Regierungen statt finden oder auch die institutionellen Konflikte zwischen der Kommission und dem Parlament aufgreifen. Die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den administrativen Handlungsebenen, der Streit zwischen den Europäisten und Nationalisten, zwischen den Euro-Visionären und den Euro-Pragmatikern oder zwischen den unterschiedlich kodifizierten Handlungsprogrammen (Neoliberalismus gegen den Wohlfahrtsstaat) können die Diskussion weiter entfachen. Als Beispiel für ein hohes Maß an positiver und bestätigender Identitätsrhetorik bei einer geringer Streitkommunikation nennt Trenz die Debatte um die Erweiterung der EU und den Lissabon-Vertrag. Die Medien hätten zwar auch über die Reibereien zwischen den Regierungen berichtet, dabei aber immer vorausgesetzt, dass eine Vertiefung und Erweiterung der EU unumstritten und notwendig sei. Verwunderlich sei diese Art von positiver Berichterstattung, da es des Logik des Journalismus widerstrebe. Diese Konsens-Berichterstattung könnte zu einem Desinteresse auf Seiten der Leser führen, vermutet Trenz. In Großbritannien gäbe es einige Zeitungen, die konfliktoffener über die europäische Integration berichteteten. Trenz spricht in diesem Zusammenhang von einer verspäteten Politisierung der EU, der die Identitätskommunikation vorausgeeilt ist. Erst nach der Radifikationsdebatte um den EU-Reformvertrag zur Zeit der negativen Haltung in Frankreich und der Niederlande setzte eine Politisierung in der EU ein. Das Europäische Öffentlichkeitsdefizit liegt also laut Trenz nicht an mangelnder Identitätskommunikation, sondern an der fehlenden Streitkommunikation.

Die Bildung einer kollektiven Identität steht auch vor der Herausforderung der Sprachenvielfalt.



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Das BVerfG verweist auf:

Hans-Jörg Trenz: Europa in den Medien. Die europäische Integration im Spiegel nationaler Öffentlichkeit. Campus, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-91-89471-73-3 (ciando.com).

BVerfG und EÖ http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/es20090630_2bve000208.html

Literatur

  • Kristina Thomsen, Julia Steets, Bidjan Nashat: Runde Tische erfolgreich durchführen. Stiftung Mitarbeit, Bonn 2010, ISBN 978-3-941143-06-7.
  • Katharina Benderoth: Europäisierungstendenzen der medialen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Kassel 2010.

Einzelnachweise

  1. Hans-Jörg Trenz: "Europäische Öffentlichkeit und die verspätete Politisierung der EU"
  2. Thalmaier, Bettina: "Möglichkeiten und Grenzen einer europäischen Identitätspolitik". CAP-Analyse

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