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Scharfrichter

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Der Scharfrichter (der mit der Schärfe des Schwertes richtende), ein besonderer Beruf, vollstreckte vom Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert die Todesstrafe. Der Begriff Henker wird heute oft als Synonym bezeichnet, obwohl ein Henker ursprünglich nur der Vollstrecker einer Hinrichtung durch Henken (Erhängen) war.

Geschichte

In den alten europäischen Volksrechten (sächsiches Recht "Sachsenspiegel", Lex Salica u.a.)wurde die Hinrichtung durch einen derRichter, oft den jüngsten, oder den Ankläger vollzogen. Auch ein "Fronbote" oder "Amtmann", resp. "Büttel" wird als Hinrichter genannt, dieser erhält allerdings für den Akt der Hinrichtung kein Geld! Vor allem durch die Einführung des römischen Rechts (Codex Justinianus) im 12. und 13. Jahrhundert trennte sich nach und nach die Rechtsprechung vom Vollzug. Aus dieser Zeit stammt auch das Synonym Nachrichter, welches den Aspekt der nachrichterlichen Urteilsvollstreckung in den Vordergrund hebt.

Da zu Beginn vielfach freigelassene bzw. begnadigte Schwerverbrecher zu der Ausübung des Amtes eines Scharfrichters gleichsam gezwungen wurden, hing von Anfang an diesem Beruf die Aura des Grauenvollen an, was natürlich durch die Art der Tätigkeit noch verstärkt wurde. Als Folge dessen wurde der Scharfrichter allmählich von der Gesellschaft geächtet.

Die erstmalige Erwähnung eines "Carnifex" im Augsburger Stadtrecht von 1276 belegt bereits die Unehrlichkeit des Berufes, denn bereits im alten Rom war der Carnifex unehrlich und verrufen, allein sein Erscheinen auf einer Feier genügt, diese zu entweihen.

Aufgaben

Zu den direkten Aufgaben des Scharfrichters gehörte die eigentliche Hinrichtung und die Folter zur Geständniserzwingung als Teil des Gerichtsverfahrens. Auch für die Durchführung von Körper- und Ehrenstrafen war er zuständig.
Daneben musste er auch oft weitere unangenehme und geächtete Aufgaben übernehmen - z.B. die Kloakenreinigung, das (z.B.) Abschneiden und jedenfalls die Bestattung von Selbstmördern oder die Aufsicht über Frauenhäuser (Bordelle). Oft wurde das Amt des Henkers aus praktischen Gründen mit dem des Abdeckers (= "Schinder", "Racker" oder auch als "Wasenmeister" bezeichnet) zusammen gelegt: Die Tierkörperverwertung sorgte für das finanzielle Auskommen des Scharfrichters und die Abdecker-Gehilfen konnten bei einer Hinrichtung assistieren ("Henkersknechte").

Scharfrichter überließen das Foltern, das Henken und (seit der Französischen Revolution) die Tötung durch die Guillotine oft auch ihren Gehilfen und übernahmen nur die Aufsicht.
Die Enthauptung mit dem Schwert oder dem Henkersbeil (Handbeil) wurde jedoch vom Scharfrichter selbst durchgeführt, da hierfür Geschick notwendig war: Der Kopf sollte nach Möglichkeit mit nur einem Schlag vom Rumpf getrennt werden. Gelang das nicht, konnte der Scharfrichter selbst zum Opfer von Lynchjustiz werden.

Gesellschaftsstellung

Den Söhnen von Scharfrichtern stand praktisch kein anderer Berufsweg offen, ihre Töchter konnten nur in diesen Kreisen heiraten und halb-verrufenen Tätigkeiten (Wahrsagen, Liebes- und Schadenzauber, magischen oder Naturheilverfahren) nachgehen. (Heinrich Heine ließ erfolgreich durchblicken, sein erstes Liebchen sei aus einer solchen Familie gekommen.) So bildeten sich Scharfrichterdynastien, die aufgrund des geschlossenen Heiratskreises vielfältige verwandtschaftliche Verflechtungen aufweisen; soziologisch: Sie wurden zu einer "Kaste", jedoch nicht in einer Kasten-, sondern in einer Ständegesellschaft. Es war bereits sehr schwer für sie, bei der christlichen Taufe Paten zu gewinnen.

Eine der bekanntesten war die der Sansons, die über vier Generationen die Henker von Paris und einigen anderen französischen Städten stellten.

Da die Scharfrichter auf Grund ihrer Tätigkeit gute medizinische, vor allem anatomische Kenntnisse hatten, nutzten dies viele, um sich durch chirurgische Tätigkeiten (z. B. das Einrenken von Schultern oder Knochenbrüchen) oder die Verabreichung von Heilmitteln aller Art (darunter nicht selten Salben aus Menschenfett) einen Nebenverdienst zu sichern. Dies mag auch der Grund sein, warum viele aus ehemaligen Scharfrichterdynastien Stammende seit dem 17. / 18. Jahrhundert, als im Zuge der Humanisierung des Strafvollzugs immer weniger Scharfrichter benötigt wurden, auf verwandte Berufszweige wie Bader, Wundarzt oder Zahnreißer auswichen - dies wieder erklärt den ursprünglich großen sozialen Abstand von (hoch geachteten) "Ärzten" zu ('anrüchigen') "Chirurgen".

Der letzte Scharfrichter Deutschlands war Johann Reichhart (1893-1972). Während der Weimarer Republik und der Zeit des Dritten Reiches vollzog er etwas über 3000 Hinrichtungen mit der Guillotine, darunter auch die von Hans und Sophie Scholl, Mitgliedern der Widerstandsgruppe Weiße Rose. 156 verurteilte Nazigrößen henkte er nach 1945 im Auftrag der amerikanischen Militärregierung am Galgen.

Gegenwart

In Ländern des 21. Jahrhunderts, die die Todesstrafe noch kennen, wie z.B. in den USA, haben sich die Berufsanforderungen des Henkers/Scharfrichters durch die Hinrichtungswerkzeuge geändert (Elektrischer Stuhl, Gaskammer, Giftspritze); doch ist es nach wie vor dem Sozialprestige abträglich, diesem nach wie vor Grauen einflößenden Beruf nachzugehen.

Literatur

  • H. Schuhmann: Gestalt und Funktion des Scharfrichters. Jur. Diss. Bonn 1964.
  • Rainer Stegbauer: Der Dieb dem Galgen. Die Entstehung der Hängestrafe als ordentliche Hinrichtungsform im germanischen Recht; Diss. Erlangen-Nürnberg, 1964
  • A. Keller: "Der Scharfrichter in der deutschen Kulturgeschichte", Bonn und Leipzig, 1921, Nachdruck Hildesheim 1968
  • Johann Caspar Glenzdorf, Fritz Treichel: Henker, Schinder und arme Sünder, Bad Münder am Deister, 1970.
  • Sergius Golowin: Hexer und Henker im Galgenfeld; Bern (Benteli) 1970
  • Franz Irsigler/Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt. München 1989. Speziell S. 228-282.
  • Markwart Herzog: Scharfrichterliche Medizin. Zu den Beziehungen zwischen Henker und Arzt, Schafott und Medizin; in: Medizinhistorisches Journal 29 (1994), 309–331
  • Jutta Nowosadtko: Scharfrichter und Abdecker. Der Alttag zweier "unehrlicher Berufe" in der Frühen Neuzeit. Paderborn 1994.
  • P. Pechacek: Scharfrichter und Wasenmeister. 2003.

Siehe auch: Schafott, Staupenschlag

Kategorie:Scharfrichter