Sender Gleiwitz

Der Sender Gleiwitz war ein deutscher Radiosender in Gleiwitz, einer Großstadt im damals deutschen Oberschlesien. Heute gehört Gleiwitz (polnisch Gliwice) zu Polen. Der erste Rundfunksender in Gleiwitz wurde am 15. November 1925 an der Raudener Straße in Betrieb genommen. Er verwendete als Sendeantenne eine T-Antenne, die an zwei 75 Meter hohen Stahltürmen befestigt war. Da diese Anlage, deren Sender 1928 in der Leistung gesteigert wurde, nicht mehr den Anforderungen genügte, wurde zwischen dem 1. August 1934 und dem 23. Dezember 1935 an der Tarnowitzer Landstraße ein neuer Sender gebaut, der als Antennenturm einen noch heute vorhandenen 118 Meter hohen Holzturm besitzt.
Weltberühmt wurde der Rundfunksender nahe der damaligen Grenze zu Polen durch einen von der SS fingierten Überfall am 31. August 1939. Zusammen mit einigen anderen, ebenfalls von der der SS organisierten Aktionen zum selben Zeitpunkt lieferte dieser Zwischenfall Hitler-Deutschland den Vorwand zum Angriff auf Polen. So sagte Hitler in seiner Rede am 1. September 1939:
- Nachdem neulich in einer Nacht 21 Grenzzwischenfälle zu verzeichnen waren, sind es heute Nacht 14 gewesen, darunter drei ganz schwere. Ich habe mich nun entschlossen, mit Polen in der gleichen Sprache zu reden, die Polen seit Monaten uns gegenüber anwendet!
Vielfach wird der Überfall auf den Sender Gleiwitz am Vorabend des Einfalls der Wehrmacht in Polen als Schlüsselereignis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 gesehen. So erwähnte auch Göring gegenüber dem schwedischen Industriellen Birger Dahlerus, dass der Krieg ausgebrochen sei, weil die Polen den Sender Gleiwitz angegriffen und eine Brücke nahe Dirschau gesprengt hätten.
Organisiert und geplant wurden alle Aktionen vom Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich.
Der Überfall auf den Sender Gleiwitz
Am Abend des 31. August 1939 drang der SS-Sturmbannführer Alfred Naujocks zusammen mit fünf oder sechs SS-Leuten in den Sender Gleiwitz ein, um einen polnischen Überfall vorzutäuschen. Die Aktion wäre beinahe daran gescheitert, dass der Sender Gleiwitz gar kein eigenes Programm ausstrahlte, sondern sein Programm vom Sender Breslau übernahm. Ein Rundfunkspezialist im SS-Kommando fand schließlich ein so genanntes „Gewittermikrophon“. Nur mit diesem Mikrophonanschluss waren Live-Durchsagen überhaupt möglich, damit die Sendeleitung mitteilen konnte, wenn eine Sendung – etwa bei Gewitter – gestört war. Das laufende Programm konnte unterbrochen werden und über den Sender wurde ein angeblicher Aufstand der polnischen Minderheit ausgerufen:
- Achtung! Achtung! Hier ist Gleiwitz. Der Sender befindet sich in polnischer Hand … Die Stunde der Freiheit ist gekommen!
- Die vorbereitete Rede wird verlesen. Sie dauert knapp vier Minuten. Die Sendung endet mit dem Aufruf: Hoch lebe Polen!
Ein Toter – aus einem KZ herbeigeschafft und intern als „Konserve“ bezeichnet – wurde als „Beweis“ für den angeblichen polnischen Überfall in der Sendeanlage zurückgelassen. Die Aktion dauerte nur wenige Minuten, dann verschwanden Naujocks und seine Männer wieder.
Nachtrag zur Kleidung
Immer wieder findet sich (auch in der Wikipedia) der Hinweis, die beteiligten SS-Angehörigen hätten polnische Uniformen getragen. Das ist falsch.
Richtig ist:
- Im Vorfeld der Aktion hatte die SS polnische Armeeuniformen (von der Wehrmacht) besorgt.
- In derselben Nacht fanden an der polnischen Grenze noch weitere Aktionen statt. Es ist nicht auszuschließen, dass einige der SS-Angehörigen dabei diese Uniformen auch trugen.
Die Beteiligten am Sender Gleiwitz waren jedoch definitiv in Zivil gekleidet — Sie „spielten“ schließlich polnische Zivil-Aufständische.
Nachkriegsnutzung
Die Sendeanlage in Gleiwitz überstand - im Unterschied zu vielen anderen Sendeanlagen in Deutschland und den von Deutschland besetzten Gebieten - den 2. Weltkrieg fast unversehrt. Vom 4. Oktober 1945 bis 1955 diente der Sender Gleiwitz zur Verbreitung von Radioprogrammen im Mittelwellenbereich, bevor ein neuer Sender in Ruda Śląska seine Funktion übernahm. Ab 1955 diente er auch als Störsender, um den Empfang westlicher Rundfunksender in Gleiwitz zu stören. Heute trägt der Sendeturm in Gleiwitz zahlreiche Sendeantennen für den Mobilfunkdienst und den nicht-öffentlichen Landfunkdienst.
Einziger noch erhaltener Sendeturm aus Holz
Der 118 Meter hohe Sendeturm des Gleiwitzer Senders ist heute noch erhalten. Er ist aus sächsischem Lärchenholz gebaut und dürfte heute nach dem Abriss des hölzernen Sendeturms in Ismaning am 16. März 1983 der höchste Holzturm der Welt (und der einzige noch erhaltene Sendeturm aus Holz) sein. Er trägt eine Sendeantenne für Mittelwelle. Der Sender Gleiwitz war nach dem Zweiten Weltkrieg als Mittelwellensender für den polnischen Rundfunk in Betrieb. Heute findet kein Sendebetrieb mehr von diesem Standort statt. Die Anlagen dürften aber noch funktionsfähig sein. Der Sendeturm in Gleiwitz wird von Bronzeschrauben zusammengehalten.
Museum
Seit dem 2. Januar 2005 ist der Sender Gleiwitz ein Museum. Das Museum zeigt die alte Rundfunktechnik des Senders und dokumentiert den "Überfall" von 1939.
Weblinks
- http://www.h-ref.de: "Holocaust-Referenz - Der Überfall auf den Sender Gleiwitz" (2004)
- http://www.h-ref.de/dk/krieg/polen/gleiwitz/gleiwitz.shtml (Stand der URL: 2004-10-03, Bild auf dieser Webseite zeigt aber die vor 1935 verwendete Sendealage!)
- Homepages des Museums, mit Bild des Sendeturms (polnisch)
- Sendeturm Gleiwitz
- http://www.radiostacjagliwicka.republika.pl/muzeum/ndol7.htm
- http://www.radiostacjagliwicka.republika.pl/foldery/FoldeRAng.htm
- http://radiopolska.pl/portal/staticpages/index.php?page=wykaz-archiwum-am
- http://www.kopnet.gliwice.pl/?id=819
- http://www.muzeum.gliwice.pl/wystawy_stale/wystawy_stale.php?page=5
- http://www.muzeum.gliwice.pl/de/news_fullpage.php?nid=719&ret_top=/de/index.php
- http://www.muzeum.gliwice.pl/image/mapa_radiostacja.gif