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Schachnovelle

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Die Schachnovelle wurde 1941 von Stefan Zweig im brasilianischen Exil geschrieben. Es ist sein letztes und bekanntestes Werk.

Die Erstausgabe erschien 1942 in Buenos Aires in einer limitierten Auflage von 250 Exemplaren. 1944 erschien in New York die erste Übersetzung, ins Englische. In Deutschland hat sich das Buch seit Erscheinen der Taschenbuchausgabe 1974 zu einem Dauerbestseller entwickelt. Mittlerweile wurden weit über 1'200'000 Exemplare verkauft.

Inhalt

Das Buch spielt auf einem Ozeandampfer auf der Fahrt von New York nach Buenos Aires. Eine Gruppe von Passagieren fordert den ebenfalls an Bord befindlichen (fiktiven) Schachweltmeister Mirko Czentovic zu einer Partie Schach heraus. Die erste Partie gewinnt erwartungsgemäß der Meister, bei der Revanchepartie mischt sich ein weiterer Passagier, Dr. B., ein und kann die Partie noch zum Remis retten. Daraufhin wird ein Wettkampf zwischen Czentovic und Dr. B. organisiert. Bevor es dazu kommt, berichtet Dr. B. dem Ich-Erzähler, wie er zum Schach kam: Während er von der Gestapo in Einzelhaft gehalten wurde, in einem Hotelzimmer, 24 Stunden am Tag, ohne Abwechslung oder etwas zum Lesen etc., schaffte er es, ein Schachbuch aus dem aufgehängten Mantel eines Offiziers zu stehlen. Da er Ablenkung von seiner Situation und geistige Herausforderung suchte, spielte er zunächst alle Partien in dem Buch nach. Danach begann er die aufgezeichneten Spiele blind nachzuspielen, bis er alle auswendig kannte und keinen Reiz mehr darin sah. Also begann er sich selbst neue Partien auszudenken, bis es zu einem psychischen Zusammenbruch, einer Schizophrenie, kam, da er sich geistig in ein Schach-Schwarz und Schach-Weiß aufteilte. Diese "Schachvergiftung" führte zu seiner Entlassung aus der Gefangenschaft. Auf dem Schiff stellt er sich der Herausforderung, erneut gegen den Weltmeister zu spielen und gewinnt die erste Partie. Bei der zweiten Partie merkt der "Schachautomat" Czentovic, dass Dr. B. immer unruhiger wird, je länger er sich Zeit lässt für seine Züge. Dr. B. kann alle Weltmeisterpartien auswendig und weiß somit den Zug Czentovics im Voraus, kann aber mit seiner Ungeduld nicht umgehen und es kommt wieder zu seiner geistigen Spaltung in Schwarz und Weiß. Dieser Umstand führt zum erneuten Zusammenbruch Dr. B.s und zum Abbruch des Spiels.

Personencharakteristik

Ich-Erzähler: Ein Passagier, den nur durch Zufall die Gelegenheit ereilt, an diesem ungewöhnlichen Ereignis teilzunehmen und somit auch etwas über das sonderbare Schicksal von Dr.B. zu erfahren. Er ist der Mittelsmann der einzelnen Personen und kann sich so zu jedem Charakter eine eigene Meinung bilden.

Mirko Czentovic: Der amtierende Schachweltmeister. Er spielt mit einer Art mechanischer Präzision und hat, freilich auch deswegen, seit Monaten kein Spiel mehr verloren. Über eine Rückblende wird seine Karriere erzählt. Er ist der Sohn eines armen südslawischen Donauschiffers. Nach dem Tod seines Vater wird er als Zwölfjähriger von einem Pfarrer aufgenommen und erzogen. Trotz aller Anstrengungen gelingt es ihm nicht, Mirko Bildung zu verschaffen. Er wird als "maulfaules, dumpfes, breitstirniges Kind" beschrieben, dessen Gehirn nur schwerfällig arbeitet. Er verrichtet zwar alle die ihm auferlegten Hausarbeiten, aber mit „totaler Teilnahmslosigkeit“. Als er sein Talent für das Schachspiel entdeckt, tritt er einem Schachklub bei und wird dadurch sehr gefördert. So wird aus dem armen Schifferssohn ein Schachprofi. Der Ich-Erzähler begegnet ihm das erste Mal auf dem Schiff. Er beschreibt ihn als einfältige, arrogante und nur am Geld interessierte Person.

McConnor: Ein Tiefbauingenieur, der durch Ölbohrungen reich gewordenen ist. Er wird vom Ich-Erzähler eindeutig negativ dargestellt: „Mister McConnor gehört zu jener Sorte erfolgsbesessener Erfolgsmenschen, die auch im belanglosesten Spiel eine Niederlage schon als Herabsetzung ihres Persönlichkeitsbewusstseins empfinden [...] er ist es gewöhnt sich im Leben rücksichtslos durchzusetzen“. Weiters wird er mit einprägsamen Vergleichen beschrieben: z.B. „Eindruck eines Boxers kurz vor dem Losschlagen“. Er handelt und lebt nach der Devise: „Ich bezahle die Musik, also bestimme ich auch, was gespielt wird.“ Er fordert Mirko Czentovic gegen Honorar zu einer Schachpartie heraus. Er versteht zwar selbst wenig von Schach, erreicht aber mit Hilfe von Dr. B. ein Remis.

Dr. B.: Er ist das genaue Gegenstück zu Mirko Czentovic: kultiviert, intelligent, redegewandt. Er wird zwar nur mittels weniger Sätze in der Person beschrieben („Der scharfgeschnittene Kopf...“ – „merkwürdige Blässe“ – „wie plötzlich gealtert“), aber dafür werden fast über 30 Seiten verwendet um über dessen Gefangenschaft zu berichten. Gegenüber seines österreichischen Landsmannes (=Ich-Erzähler) erweist er sich als aufgeschlossener Gesprächspartner. Ohne wirklich aufgefordert worden zu sein, beginnt er über seine Vergangenheit zu erzählen. Während dieser Gefangenschaft erlernt er alle Raffinessen des Schachspiels um sich so seine intellektuelle Widerstandskraft zu erhalten und somit nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Er hat sich aber so sehr hineingesteigert, dass er einen Nervenzusammenbruch erleidet.

Sprache und Stilmittel

Der Großteil des Textes ist in gehobener Sprache geschrieben, jedoch versucht der Autor sich jedem Charakter persönlich anzupassen. Während Zweig bei dem sehr gebildeten Dr. B eine gehobene Sprache verwendet, benützt er bei dem „auf allen Gebieten gleich ungebildeten“ Mirko Czentovic eine einfache Sprache.

Interpretation

Die beiden Hauptfiguren der Novelle werden sehr gegensätzlich charakterisiert: Dr. B. kultiviert und intelligent, Czentovic primitiv, arrogant und habsüchtig, aber auf seinem Spezialgebiet sehr effektiv. Eine naheliegende Interpretation ist daher, dass Dr. B. das zum Untergang verurteilte Bildungsbürgertum seiner Zeit repräsentiert, während Czentovic für den Faschismus steht, wobei diese Interpretation sehr schwierig und keineswegs eindeutig ist. Ebenfalls ist der Grund, weshalb Dr. B. nur unter seinem Initial bekannt ist, auch Gegenstand von Interpretationen. Möglich ist, dass er sich immer noch von der Gestapo verfolgt fühlt.

Indem das Buch zeigt, wie ein Mensch durch Isolation gebrochen werden kann, ist es auch eine Anklage gegen die psychische Folter.

Darstellung des Schachspiels

Stefan Zweig war selbst kein guter Schachspieler und verfügte über keine näheren Kontakte zur Schachszene.

Für viele Schach-Enthusiasten wird der Reiz des Schachspiels kaum dargestellt, denn einerseits ist mit dem Protagonisten Czentovic der Schachspieler an sich in sehr negativer Weise repräsentiert. Auch die andere Hauptfigur wird durch die manische Beschäftigung mit dem Spiel als psychisch geschädigt dargestellt. Schach gewinnt lediglich als Lebenshilfe bei Einsamkeitszuständen eine positive Seite.

Am Anfang der Novelle wird die Kindheit und der Werdegang des Meisters Czentovic erzählt. Er wird als einseitig begabt dargestellt. Dies entspricht nicht der Realität, da die meisten guten Schachspieler vielseitig begabt sind, auch wenn sie sich auf das Spiel spezialisieren müssen, um es bis zur Weltspitze zu bringen. Unrealistisch ist auch die Aussage, dass Czentovic nicht in der Lage ist, eine Partie ohne Ansicht des Brettes zu spielen. Dies gelingt selbst weniger guten Spielern nach einiger Übung; und alle Weltmeister waren dazu problemlos in der Lage.

Dr. B. wird durch das Auswendiglernen einer Partiensammlung und sowie durch das Spiel gegen sich selbst zu einem Spieler, der es mit dem Weltmeister aufnehmen kann. Kaum jemandem wird empfohlen, in dieser Weise das Schachspiel zu erlernen - denn die Finessen von Meisterpartien sind oft nicht gut begreifbar und von zu hohem Niveau für die meisten Neulinge. Jeder Besitzer eines Buchs über Schacheröffnungen weiß außerdem, dass praktisch jede Schachpartie sehr schnell zu Stellungen führt, die nicht mehr im Buch beschrieben sind - schon nach wenigern Zügen stünde Dr. B. vor einer Spielsituation, die er nicht auswendig gelernt hat. Es wird zwar eine Eröffnungsvariante (die Sizilianische Eröffnung) erwähnt, doch was es sich mit den Eröffnungen auf sich hat, wird nicht erklärt.

Im wichtigsten Teil der Erzählung, nämlich der Isolationshaft, spielt Dr. B. gegen sich selber. Dazu erreicht er eine fast perfekte Auftrennung seines Bewusstseins, nämlich in das "Ich Weiß" und "Ich Schwarz", denn er soll ja nicht als Schwarz den Plan durchschauen, den er als Weiß gefasst hat. Abgesehen davon, dass diese Art zu denken bei Schachspielern völlig unüblich ist, ist es sehr fraglich, ob das Gegen-sich-selbst-Spielen einen Anfänger massiv verbessert, da er mangels externer Kritik seine Fehler nicht erkennen kann.

Menschen, welche einen Einblick in das Schachspiel suchen, empfiehlt sich die Lektüre der Schachnovelle nicht. Die Novelle gibt, einmal abgesehen davon, dass sich noch recht viele Schachmeister für elitär halten und auch arrogant sind gegenüber schwächeren Spielern, einen unrealistischen Eindruck vom Schachspiel.

Das Schachspiel hat für die verschiedenen Protagonisten eine völlig unterschiedliche Bedeutung. Für Mirko Czentovic, den Weltmeister, ist das Schach ein Mittel zur Selbstbestätigung - und schliesslich seine Verdienstmöglichkeit. McConnor stärkt mit dem Schach spielen sein Ego (neben der Freizeitbeschäftigung), für Dr. B. war Schach schliesslich der Rettungsanker während seiner Isolationshaft. Nur für den Ich-Erzähler ist das Schachspiel eine reine Unterhaltung, nur für ihn ist es eine echte Freude.

Verfilmung

Die Schachnovelle wurde 1960 verfilmt (Regie: Gerd Oswald). Als Hauptdarsteller wirkten Curd Jürgens (Dr. B.) und Mario Adorf (Mirko Czentovic) mit.

Literatur

  • Stefan Zweig: Schachnovelle. Fischer Taschenbücher, Frankfurt. 109 Seiten. ISBN 3-596-21522-6
  • Reiner Poppe: Stefan Zweig, Schachnovelle: Interpretationen und Unterrichtsmaterialien. Beyer-Verlag Hollfeld. 2. Auflage 1990. ISBN 3-88805-043-X
  • Ingrid Schwamborn: Schachmatt im brasilianischen Exil, die Entstehungsgeschichte der "Schachnovelle". In: Germanisch-romanische Monatsschrift, Neue Folge Band 34, 1984, S. 404 - 430
  • Bruno Landthaler: Das "göttliche" Schach. Die Schachnovelle von Stefan Zweig, in: Menora, Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1996, Frankfurt am Main 1996, S. 250-264