Paul Kirchhof
Paul Kirchhof (* 21. Februar 1943 in Osnabrück) ist ein deutscher Jurist und Finanzexperte, er ist Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg und war von 1987 bis 1999 Richter am Bundesverfassungsgericht.
Zur Person
Paul Kirchhof ist ein umfassend wirkender Wissenschaftler auf den Gebieten der Rechtsdogmatik, der Staatsorganisation, der Finanzverfassung und des Abgabenrechts. Seine Forschung und Arbeit haben über Jahrzehnte die Entwicklung der Ertragssteuern, des Verfassungsrechts und der Europäischen Integration Deutschlands geprägt. Er ist Mitherausgeber einer der umfangreichsten Monografien zum deutschen Staatsrecht. Kirchhof gilt bemerkenswerter Redner, seine Rhetorik zeichnet sich selbst auf komplexen Gebieten durch einfache Sprache aus. Er wird über Fachkreise hinaus oft zitiert.
Kirchhof hat massgeblich an Verfassungsurteilen mitgearbeitet, die eine selbstbestimmte Rollenverteilung zwischen den Ehepartnern fordert und diese verfassungsrechtlich sicherstellt.
Er gehört als Steuer- und Finanzexperte zum Kompetenzteam der CDU/CSU um Kanzlerkandidatin Angela Merkel für die Bundestagswahl 2005 und soll als Finanzminister ihrem ersten möglichen Kabinett angehören. Er ist parteilos.
Ausbildung
Kirchhof ging in Karlsruhe zur Schule, wo sein Vater Richter am Bundesgerichtshof war. Nach dem juristischen Studium promovierte er in München mit dem Dissertationsthema "Der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Artikel 33 Absatz IV des Grundgesetzes" und habilitierte 1974 an der Universität Heidelberg. Danach war Kirchhof bis 1981 Professor und Direktor des Instituts für Steuerrecht an der Universität Münster, später Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.
Familie
Kirchhof ist katholisch, verheiratet und hat wei Söhne und zwei Töchter (Paulus, Gregor, Charlotte und Friederike) sowie vier Enkelkinder. Alle seine Töchter und Schwiegertöchter verbinden Familie und Beruf.
Lebenslauf
1974 – 1999
Von 1987 bis 1999 gehörte Kirchhof dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts an. Unter seinem Einfluss entstand der viel beachtete Auftrag an den Gesetzgeber, Betreuungs- und Erziehungskosten von Kindern beim Existenzminimum steuerlich zu berücksichtigen.
Ebenso verwies er darauf, dass die Grundrechte und weitere objektive Wertungen des Grundgesetzes einen besonderen Schutz von Ehe und Familie enthielten, der sich auf die Steuerpolitik erstrecke. Der Steuergesetzgebung sei vorgegeben, Ehen und Familien mit Unternehmensrechtsformen mindestens gleich zu behandeln oder besser zu stellen. Es dürfe nicht nur Unternehmern erlaubt sein, Einnahmen und Ausgaben zu verrechnen. Diese Möglichkeit müsse genauso Gemeinschaften wie Ehen und Familien erst recht offen stehen.
2000 bis heute
Ab 2000 leitet Kirchhof neben dem Lehrstuhl an der Juristischen Fakultät zusätzlich die Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch an der Universität Heidelberg und erarbeitete dort ein eigenes Steuermodell, das auf den Grundsätzen eines sich aus dem Wirtschaftsleben heraus haltenden Staates basiert und das das intransparente Steuerrecht erheblich vereinfachen soll (? Einkommensteuergesetzbuch).
Er vertrat in der Kontroverse um das Lebenspartnerschaftsgesetz im Jahr 2001 die Position, Ehe und Familie bräuchten einen besonderen staatlichen Schutz (Art. 6 GG) in Form eines Abstandsgebots, der einer Gleichstellung von Homosexuellen widersprechen würde. Diese Auffassung setzte sich politisch in der Gesetzgebung nicht durch, sie hielt auch der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Verfassungsgericht stellte klar, dass das Grundgesetz eine besonders aktive Förderung von Ehe und Familie verlange, wohl aber kein Abstandsgebot kenne – von der Benachteiligung anderer hätten Ehen und Familien schlicht nichts (BVerfGE 105, 313 Rz. 98 ff, sowie Leitsatz 3). Das Vorgehen gegen das Gesetz sowie das Abstandsgebot sind u.a. unter dem Aspekt kritisiert worden, dass sie Defizite in der Familienpolitik bisheriger Bundesregierungen kaschieren würden.
Im Jahre 2002 hat Kirchhof in einem Vorwort zu dem Buch (Abenteuer Familie) ein Rollenbild vertreten, nachdem die Mutter als Familienmanagerin ihren Kindern vor allem Zeit [gibt], gibt ihnen auf dieser Grundlage Zärtlichkeit, Zuwendung und ein Zuhause... Auch der Vater sieht seine erste Verantwortung in seinem Familienberuf und erst dann in seinem Erwerbsberuf. Zur Rolle des Vaters gehöre es, die Kinder in ihrer Zugehörigkeit zu Familie, Staat, marktwirtschaftlicher Ordnung, Kulturgemeinschaft und Kirche zu erziehen.
Teile des Vorworts veröffentlichte die Welt am Sonntag am 31.3.2002. In der aktuellen Diskussion wird dieses Plädoyer als reaktionär scharf kritisiert.
In mehreren späteren Interviews hat er herausgehoben, dass er nicht für eine überkommene Rollentrennung sei und verweist darauf, dass sich dass Vorwort auf die 12-köpfige Familie Liminski in dem Buch bezieht und somit nicht verallgemeinert werden darf.
Seit 2003 ist er Mitherausgeber der Wochenzeitung Rheinischer Merkur, seit Ende 2004 ist er Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bank AG.
Rechtsprechung
Aus der Rechtsprechung sind folgende Entscheidungen hervorzuheben, an den Kirchhof mitwirkte (Fundstellen sind im BVerfGE-Format angegeben):
- Kinderexistenzminimum I (E 99, 246), Kinderexistenzminimum II (E 99, 268), Kinderexistenzminimum III (E 99, 273) – Eltern können, wenn sie einen Teil ihres Einkommens zur Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht an ihre Kinder weitergeben, auch nicht in der Weise verfügen, dass sie daraus Steuern zahlen. Dieser Teil ihres Einkommens gehört den Kindern. Der Teil kann nach der Rechtsordnung nicht den Eltern, sondern muss den Kindern zugerechnet werden.
- Familienlastenausgleich II (E 99, 216) – Gleichstellung von Familien und nichtehelichen Lebensgemeinschaften hinsichtlich Kinderbetreuungskosten
- Verfassungswidrigkeit von konfiskatorischen Abgaben, insbesondere Vermögensteuer (E 93, 121)
- Maastricht-Urteil (E 89, 155)
- Euro-Entscheidung (E 97, 350)
- Finanzverfassung: Entscheidungen zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern: Finanzausgleich II (E 86, 118) und Finanzausgleich III (E 101, 158); Verfassungswidrigkeit des „Kohlepfennigs“ (E 91, 186)
- Überhangmandate II (E 95, 335): Das Gericht wies durch Patt eine Normenkontrolle zurück, die Überhangmandate bei Bundestagswahlen und dadurch erhebliche Ungleichheiten beim Gewicht von Wählerstimmen rügte. Kirchhof gehörte der Fraktion im Gericht an, die die Überhangmandate und das bestehende Wahlsystem bestätigte.
Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ist der Einfluss seines Wirkens erkennbar:
- Spekulationsteuer Urteil: Das Gericht erklärt Teile des Einkommensteuergesetzes für nichtig, die Veräußerungsgewinne bei Wertpapieren belasten, solange ein strukturelles Vollzugsdefizit besteht und nur ehrliche Steuerpflichtige belastet werden (E 110, 94).
Politische Standpunkte
Familienpolitik
Der Schutz sowie die Förderung der Familie bilden einen zentralen Punkt in der politischen Überzeugung Kirchhofs. Als Verfassungsrichter setzte er sich für eine Besserstellung von Familien und Kindern ein. Er verwies oft darauf, dass es in freiheitlichem Sinne gewiss jedem freistehe, ob er heiratet und Kinder hat – sollten jedoch alle oder bereits mehrheitlich die Menschen sich dagegen entscheiden, würden Gesellschaft und Staat wirtschaftlich kollabieren (Diogenes-Paradoxon). Daher sei es Staatsaufgabe, eine aktiv fördernde Position zu beziehen.
Kirchhof spricht sich in der Familienpolitik für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus. In diesem Sinne fordert er eine bessere Betreuung durch mehr Krippen- und Kindergartenplätze, sowie bessere Rückkehrgarantien zum Arbeitsplatz. Zudem setzt er sich für ein Kinderwahlrecht, wie die Familienministerin Renate Schmidt (SPD) ein. Hiermit soll Familien mit minderjährigen Kindern mehr Gewicht in der Gesellschaft gegeben werden.
Rentenpolitik
Im Rentensystem befürwortet er eine stärkere zweite Säule nach dem Kapitaldeckungsprinzip neben dem derzeitigen Kapitalumlageprinzip. Langfristig sogar den kompletten Umstieg auf das Kapitaldeckungsprinzip, dies allerdings mit staatlicher Unterstützung.
Steuerpolitik
In der Ertragsteuerpolitik tritt Kirchhof für eine Flat Tax bei gleichzeitiger Ausweitung der Bemessungsgrundlage durch Abschaffung sämtlicher Ausnahmeregelungen ein.
Ehrungen, Preise und Anerkennungen
Folgende Ehrungen wurden Herrn Kirchhof zuteil:
- Bundesverdienstkreuz (Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik) (1999)
- Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (2000)
- Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (2003)
- Lichtenberg-Medaille der Göttinger Akademie der Wissenschaften (2004)
Kirchhof hat folgende Preise verliehen bekommen:
- Heinrich-Brauns-Preis (2000)
- Ludwig-Erhard-Preis (2000)
- Hanns Martin Schleyer-Preis (2001)
- Eugen-Bolz-Preis (2001)
- Oswald von Nell-Breuning-Preis (2003)
Im Jahre 2003 hat er folgende Anerkennungen erhalten:
- "Bergischer Löwe" von der MIT des Bergischen Landes, Düsseldorf
- "Reformer des Jahres" durch die Leser der FAZS und die INSM
Werke
- Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 10 Bände, C.F. Müller Verlag Heidelberg, div. ISBN
- Einkommensteuergesetz - Kompaktkommentar, C.F. Müller Verlag Heidelberg, 2005, ISBN 3-8114-7304-2, 1789 Seiten.
- Einkommensteuer-Gesetzbuch, C.F. Müller Verlag Heidelberg, 2005, ISBN 3-8114-5136-7.
- Der Staat - eine Erneuerungsaufgabe, Herder, 2005, ISBN 3-451-05555-4.
- Der Staat als Garant und Gegner der Freiheit, Schönigh, 2004, ISBN 3-506-71772-3.
- Der sanfte Verlust der Freiheit, Carl Hanser Verlag München, 2004, ISBN 3-446-22689-3.
Auszüge aus Reden und Veröffentlichungen, Zitate
Weblinks
- Vorlage:PND
- Website des Lehrstuhl von Prof. Kirchhof an der Uni Heidelberg
- Vorschlag eines Einkommensteuergesetzbuchs (PDF-Format)
- Porträt: Paul Kirchhof - SWR.de
- Paul Kirchhof: Staatsmodernisierung und Steuerreform (PDF-Format)
- Paul Kirchhof: Das Christentum ist der Humus der freiheitlichen Verfassung
- Paul Kirchhof im FAZS-Interview: „25 Prozent Steuern für alle. Das ist die Obergrenze”
- Paul Kirchhof: Auslaufmodell Familie? (Kirchhofs umstrittenes Vorwort als Artikel der WamS)
- Kritik am Steuerkonzept Kirchhofs
Personendaten | |
---|---|
NAME | Kirchhof, Paul |
KURZBESCHREIBUNG | ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht |
GEBURTSDATUM | 21. Februar 1943 |
GEBURTSORT | Osnabrück |