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Paul Kirchhof

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Paul Kirchhof (* 21. Februar 1943 in Osnabrück) ist ein deutscher Jurist und Finanzexperte, er ist Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg und war von 1987 bis 1999 Richter am Bundesverfassungsgericht.


Ausbildung

Kirchhof ging in Karlsruhe zur Schule, wo sein Vater Richter am Bundesgerichtshof war. Nach dem juristischen Studium promovierte er in München mit dem Dissertationsthema "Der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Artikel 33 Absatz IV des Grundgesetzes" und habilitierte 1974 an der Universität Heidelberg. Danach war Kirchhof bis 1981 Professor und Direktor des Instituts für Steuerrecht an der Universität Münster, später Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

Familie

Kirchhof ist katholisch, verheiratet und hat vier Kinder (Paulus, Gregor, Charlotte und Friederike) sowie vier Enkelkinder.

1974 – 1999

Paul Kirchhof ist ein umfassend wirkender Wissenschaftler auf den Gebieten der Rechtsdogmatik, der Staatsorganisation, der Finanzverfassung und des Abgabenrechts. Seine Forschung und Arbeit haben über Jahrzehnte die Entwicklung der Ertragssteuern, des Verfassungsrechts und der Europäischen Integration Deutschlands geprägt. Er ist Mitherausgeber einer der umfangreichsten Monografien zum deutschen Staatsrecht. Kirchhof ist ein bemerkenswerter Redner, seine Rhetorik zeichnet sich selbst auf komplexen Gebieten durch einfache Sprache aus. Er wird über Fachkreise hinaus oft zitiert.

Von 1987 bis 1999 gehörte Kirchhof dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts an. Unter seinem Einfluss entstand der viel beachtete Auftrag an den Gesetzgeber, Betreuungs- und Erziehungskosten von Kindern beim Existenzminimum steuerlich zu berücksichtigen.

Ebenso verwies er darauf, dass die Grundrechte und weitere objektive Wertungen des Grundgesetzes einen besonderen Schutz von Ehe und Familie enthielten, der sich auf die Steuerpolitik erstrecke. Der Steuergesetzgebung sei vorgegeben, Ehen und Familien mit Unternehmensrechtsformen mindestens gleich zu behandeln oder besser zu stellen. Es dürfe nicht nur Unternehmern erlaubt sein, Einnahmen und Ausgaben zu verrechnen. Diese Möglichkeit müsse genauso Gemeinschaften wie Ehen und Familien erst recht offen stehen.

Rechtsprechung

Aus der Rechtsprechung sind folgende Entscheidungen hervorzuheben, an den Kirchhof mitwirkte (Fundstellen sind im BVerfGE-Format angegeben):

  • Kinderexistenzminimum I (E 99, 246), Kinderexistenzminimum II (E 99, 268), Kinderexistenzminimum III (E 99, 273) – Eltern können, wenn sie einen Teil ihres Einkommens zur Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht an ihre Kinder weitergeben, auch nicht in der Weise verfügen, dass sie daraus Steuern zahlen. Dieser Teil ihres Einkommens gehört den Kindern. Der Teil kann nach der Rechtsordnung nicht den Eltern, sondern muss den Kindern zugerechnet werden.
  • Familienlastenausgleich II (E 99, 216) – Gleichstellung von Familien und nichtehelichen Lebensgemeinschaften hinsichtlich Kinderbetreuungskosten
  • Verfassungswidrigkeit von konfiskatorischen Abgaben, insbesondere Vermögensteuer (E 93, 121)
  • Maastricht-Urteil (E 89, 155)
  • Euro-Entscheidung (E 97, 350)
  • Finanzverfassung: Entscheidungen zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern: Finanzausgleich II (E 86, 118) und Finanzausgleich III (E 101, 158); Verfassungswidrigkeit des „Kohlepfennigs“ (E 91, 186)
  • Überhangmandate II (E 95, 335): Das Gericht wies durch Patt eine Normenkontrolle zurück, die Überhangmandate bei Bundestagswahlen und dadurch erhebliche Ungleichheiten beim Gewicht von Wählerstimmen rügte. Kirchhof gehörte der Fraktion im Gericht an, die die Überhangmandate und das bestehende Wahlsystem bestätigte.


Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ist der Einfluss seines Wirkens erkennbar:

2000 bis heute

Ab 2000 leitet Kirchhof neben dem Lehrstuhl an der Juristischen Fakultät zusätzlich die Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch an der Universität Heidelberg und erarbeitete dort ein eigenes Steuermodell, das auf den Grundsätzen eines sich aus dem Wirtschaftsleben heraus haltenden Staates basiert und das das intransparente Steuerrecht erheblich vereinfachen soll (→ Einkommensteuergesetzbuch).

Er wurde von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, deren Botschafter er ist, und von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum „Reformer des Jahres 2003“ gekürt. Seit 2003 ist er Mitherausgeber der Wochenzeitung Rheinischer Merkur, seit Ende 2004 ist er Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bank AG.

Er gehört als Steuer- und Finanzexperte zum so genannten Kompetenzteam der CDU/CSU um Kanzlerkandidatin Angela Merkel für die Bundestagswahl 2005 und soll laut Merkel als Finanzminister ihrem ersten möglichen Kabinett angehören. Er ist parteilos.

Politische Standpunkte

Der Schutz sowie die Förderung der Familie bilden einen zentralen Punkt in der politischen Überzeugung Kirchhofs. Als Verfassungsrichter setzte er sich für eine Besserstellung von Familien und Kindern ein. Er verwies oft darauf, dass es in freiheitlichem Sinne gewiss jedem freistehe, ob er heiratet und Kinder hat – sollten jedoch alle oder bereits mehrheitlich die Menschen sich dagegen entscheiden, würden Gesellschaft und Staat wirtschaftlich kollabieren (Diogenes-Paradoxon). Daher sei es Staatsaufgabe, eine aktiv fördernde Position zu beziehen.

Er vertrat in der Kontroverse um das Lebenspartnerschaftsgesetz im Jahr 2001 die Position, Ehe und Familie bräuchten einen besonderen staatlichen Schutz (Art. 6 GG) in Form eines Abstandsgebots, der einer Gleichberechtigung von Homosexuellen widersprechen würde. Diese Auffassung setzte sich politisch in der Gesetzgebung nicht durch, sie hielt auch der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Verfassungsgericht stellte klar, dass das Grundgesetz eine besonders aktive Förderung von Ehe und Familie verlange, wohl aber kein Abstandsgebot kenne – von der Benachteiligung anderer hätten Ehen und Familien schlicht nichts (BVerfGE 105, 313 Rz. 98 ff, sowie Leitsatz 3). Das Vorgehen gegen das Gesetz sowie das Abstandsgebot sind u.a. unter dem Aspekt kritisiert worden, dass sie Defizite in der Familienpolitik bisheriger Bundesregierungen kaschieren würden.

In der Ertragsteuerpolitik tritt Kirchhof für eine Flat Tax bei gleichzeitiger Ausweitung der Bemessungsgrundlage durch Abschaffung sämtlicher Ausnahmeregelungen ein.

Im Rentensystem befürwortet er eine stärkere zweite Säule nach dem Kapitaldeckungsprinzip neben dem derzeitigen Kapitalumlageprinzip. Langfristig sogar den kompletten Umstieg auf das Kapitaldeckungsprinzip, dies allerdings mit staatlicher Unterstützung.

Kirchhofs Familienbild ist umstritten, so hatte er 2002 in einem Vorwort zu einem Buch (Abenteuer Familie) ein als reaktionär kritisiertes Rollenbild vertreten, nachdem es die Rolle der Mutter sei, für die Kinder zu sorgen und das Glück in der Familie zu finden. Die Rolle des Vaters sei, der Erwerbsarbeit nachgehen, und die Kinder u.a. zur Zugehörigkeit zu Kirche, Staat, Familie, Marktwirtschaft zu erziehen. Das Vorwort wurde später noch einmal als eigenständiger Zeitungsartikel in der Welt am Sonntag publiziert.

Ehrungen

2000 wurde er mit dem Heinrich-Brauns-Preis ausgezeichnet.

Werke

  • Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 10 Bände, C.F. Müller Verlag Heidelberg, div. ISBN
  • Einkommensteuergesetz - Kompaktkommentar, C.F. Müller, 2005, ISBN 3-8114-7304-2, 1789 Seiten.
  • Der Staat - eine Erneuerungsaufgabe, Herder, 2005, ISBN 3-451-05555-4.
  • Der Staat als Garant und Gegner der Freiheit, Schönigh, 2004, ISBN 3-506-71772-3.
  • Der sanfte Verlust der Freiheit, Carl Hanser Verlag München, 2004, ISBN 3-446-22689-3.

Auszüge aus Reden und Veröffentlichungen, Zitate

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