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K-219

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Das Unterseeboot der Yankee I-Klasse K-219 an der Oberfläche des Atlantik
Lebenslauf
Indienststellung: 31. Dezember 1971
Gesunken: 3. Oktober 1986
Grund Seewasserleck in einem Raketensilo
Heimathafen: Gadzhievo
Technische Daten
Verdrängung: 7766 Tonnen aufgetaucht,

9300 Tonnen getaucht

Länge: 129,8 Meter
Breite: 11,7 Meter
Tiefgang: 8,7 Meter
Antrieb: Zwei 90 MWt OK-700 Reaktoren mit VM-4 Kernen, 20.000 PS pro
Geschwindigkeit: 26 Knoten
max. Tauchtiefe: 400 Meter (1300 Fuß)
Besatzung: 120 Mann
Bewaffnung: 6 Torpedorohre,

16 RSM-25 SLBM

K-219 war ein Unterseeboot der Yankee I-Klasse (sowjetischer Name: Navanga-Klasse) der sowjetischen Marine. Sie wurde am 31. Dezember 1971 in Dienst gestellt, am 3. Oktober 1986 sank sie im Atlantischen Ozean.

Ihr letzter Kapitän war Igor Britanow, der Erste Offizier war Sergei Vladmirow, Waffenoffizier war Alexandr Petrachow und der Politoffizier war Yuri Sergiyenko.

Unfälle an Bord vor der letzten Fahrt

Von Explosion beschädigtes Raketensilo der K-219

Bereits vor der letzten Fahrt gab es zweimal Probleme mit veschiedenen Mündungsklappen. So war nur wenige Jahre nach der Indienststellung die Dichtung der Mündungsklappe des Raketensilos Nr. 16 eingerissen, wodurch Wasser in das Silo dringen konnte. Dieses bildete mit ausgelaufenem Raketentreibstoff (Dinitrogentetraoxid) aggressive Salpetersäure, welche die Treibstoffleitung einer RSM-25-Rakete beschädigte. Die sich daraufhin bildende Mischung aus zwei Treibstoffkomponenten explodierte, ein Mann wurde getötet und der Raketenraum des U-Bootes wurde komplett geflutet.

Nach dem Unfall wurde Silo 16 außer Betrieb gesetzt, indem die Mündungsklappe zugeschweißt wurde.

Im Januar 1986 gab es während einer Übung Probleme eine Rakete abzuschießen. Nach dem sie behoben waren, ließ sich die Mündungsklappe des Rohres Nr. 8 nicht mehr schließen, sodass das Boot auftauchen und an der Oberfläche in den Hafen zurückkehren musste.

Atlantik-Unterquerung September 1986

Am 3. September 1986 legte die K-219 aus ihrem Heimathafen Gadzhievo ab, um westwärts in Richtung der Küste der Vereinigten Staaten von Amerika zu fahren. Dort sollte sie mit ihren 15 Atomraketen patrouillieren.

Bereits kurz nach dem Tauchen in der Barentssee fing Silo 6 an zu lecken, jedoch meldete der zuständige Offizier Petrachkow dies nicht an Kapitän Britanow, um zu verhindern, dass seine Abteilung eine verfrühte Rückkehr in den Heimathafen zu verantworten hatte.

Im Nordatlantik zwischen Großbritannien und Island wurde das Unterseeboot vom Lauschsystem SOSUS erfasst; die US Navy war über ihre Anwesenheit im Atlantik informiert. Dieser Entdeckung hatte Kapitän Igor Britanow dadurch zu entgehen versucht, dass er im „Geräuschschatten“ eines Frachters die SOSUS-Bojen überquerte. Auch als nach ca. 14 Tagen K-219 in ihrem Patrouilliengebiet, 680 Meilen nordöstlich der Bermuda-Inseln, ankam, war sie bereits einige Stunden zuvor von einem U-Boot der Los-Angeles-Klasse, der USS Augusta (SSN-710), aufgespürt worden. Dies war jedoch auch auf der K-219 bemerkt worden, so dass es zu einer wechselseitigen Verfolgung beider Unterseeboote bis zum 3. Oktober 1986 kam.

Das Unglück am 3. Oktober

Datei:K-219b.jpg
Giftige Gase steigen aus dem zerstörten Raketensilo auf

Das Problem der wasserdurchlässigen Dichtung an Silo 6 bestand zu diesen Zeitpunkt immer noch. Das Silo musste ungefähr zwei mal pro Tag leergepumpt werden. Als das Boot in den frühen Morgenstunden des Tages einen irren Iwan fuhr, um etwaige Verfolgener hinter dem Boot zu entdecken, riss die Dichtung komplett und das Silo wurde geflutet. Der Versuch, das Silo leerzupumpen schlug fehl. Es bildete sich dort ein explosionsfähiges Gasgemisch. Deshalb bat Waffenoffizier Petrachkow, das U-Boot auf 50 m Tiefe zu bringen, um den Raketenschacht entlüften und die Rakete ausstoßen zu können. Der Prozess, eine RSM-25 ausschwimmen zu lassen, dauert jedoch bei Booten der Yankee-Klasse ca. fünf Minuten. So explodierte die Rakete noch in Silo 6, öffnete das Silo zur Seeseite und beschädigte sogar die Plutonium-Gefechtsköpfe der Rakete. Teile wurden sowohl ins Meer als auch in den volllaufenden Raketenraum geschleudert, außerdem bildeten sich diverse Säuren, welche zusammen mit Meerwasser zu giftigen Gasen reagierten.

Das Boot sank nach dem teilweisen Volllaufen des mittschiffs (direkt hinter dem Segel (umgangssprachlich der Turm)) liegenden Raketenraums sofort ab. Da es zum Zeitpunkt der Explosion keine Fahrt gemacht hatte, lag kein Druck auf den Rudern und das Boot ließ sich deshalb nicht steuern. Auch das Starten des zweiten Reaktors half nicht, schnell genug Druck auf die Ruder zu bringen.

Datei:Ssn695.jpg
Amerikanisches U-Boot USS Birmingham (SSN-695) während eines Notauftauchmanövers

Bei einer Tiefe von ungefähr 350 m entschied Kapitän Britanow, sämtliche Ballasttanks des U-Bootes mit der an Bord befindlichen Druckluft anzublasen und so das Wasser aus den Tanks zu verdrängen. Durch den dadurch entstehenden Auftrieb wird das sogenannte Notauftauchen eingeleitet, bei dem das U-Boot in steilem Winkel zur Wasseroberfläche schießt. Dieses Manöver rettete auch die K-219, die nur zwei Minuten nach der Explosion die Oberfläche durchbrach.

Jedoch dauerte die Katastrophe weiter an. Abteilung 4, der Raketenraum, wurde mittels der wasserdichten Schotten verschlossen, nachdem die Besatzung den halb gefluteten, mit giften Gasen durchsetzten Raum verlassen hatte. Jedoch konnte sich die Salpetersäure, die sich wie schon beim ersten Unfall an Bord der K-219 gebildet hatte, diesmal durch die Gummidichtungen der Schotten in Richtung Bug und Heck fressen. Durch diesen Umstand wurde das U-Boot in zwei Einheiten geteilt: Kommandozentrale und Torpedoraum im Bug vor dem Raketenraum und Medizinstation, Reaktorraum und -kontrolle und Turbinenraum im Heck dahinter.

Datei:SergeyPreminin.jpg
Matrose Sergej Preminin verhinderte die nukleare Katastrophe an Bord.

Die Besatzung wurde in den Bug bzw. das Heck beordert, es wurden Gasmasken ausgegeben. Jedoch ging die Serie der Pannen an Bord weiter. So zeigten die Temperaturanzeiger der VM-4 Nuklearreatoren sehr hohe Temperaturen, der Fluss der Kühlflüssigkeit im Reator nahm immer weiter ab. Die Daten ließen nur den Schluss zu, dass eine Kernschmelze unmittelbar bevorstand. Jedoch ließ sich der Reaktor an Backbord nicht wie vorgesehen aus der Kontrollstation abschalten, da entweder die sich ausbreitenden Gase die Leitungen angegriffen hatten oder die starke Hitze die Auslöser der Kontrollstäbe beschädigt hatte. Aus diesem Grund musste der sogenannte SCRAM, das Absenken der Kontrollstäbe um den Neutronenfluß im Reaktor zu beenden, manuell ausgeführt werden, wozu sich die Besatzung der Reaktorabteilung direkt in die Reaktorkammer begeben musste. Dieses bedeutete auch, dass sie sich starker radioaktiver Strahlung aussetzte. Die sich an Bord befindlichen Antistrahlungs-Anzüge waren jedoch lediglich stark genug, um bei kleineren Lecks im Kühlkreislauf die Strahlung abzuhalten, für die Strahlung der Reaktorkammer selbst waren sie nicht ausgelegt.

Da aber keine andere Möglichkeit bestand, als die Kontrollstäbe manuell in den Reaktor abzusenken, um die Kettenreaktion zu stoppen, war ein Gang in den Reaktor unvermeidlich. Dies taten der Offizier der Reaktorabteilung, Belikow, und der 20-jährige Matrose Sergej Preminin. Als Belikow erschöpft aus dem Reaktor kam, hatte er drei der vier Stäbe des Backbordreaktors gesenkt. Dieses war eine Arbeit, die große körperliche Kraft erfordert, da die Halterungen inzwischen stark verbogen waren. Daraufhin betrat Preminin den Reaktor und schaffte es in zwei Anläufen, die beginnende Kernschmelze zu stoppen. Als er den Reaktorraum entkräftet verlassen wollte, konnte er aufgrund eines Druckunterschiedes zwischen der Reaktorkammer und der dahinter liegenden Reaktorkontrollstation das Schott nicht mehr öffnen. Preminin starb in der heißen Reaktorkammer, als der Rest der Crew sich weiter in Richtung Heck bewegen musste, um den giftigen Gasen zu entkommen, die sich im Boot ausbreiteten. Preminin erhielt post mortem den Red Star dafür, eine Kernschmelze mitten im Golfstrom unter Einsatz seines Lebens verhindert zu haben.

Datei:PowhatanClass.jpg
Ein Schlepper der Powhatan-Klasse

Währenddessen hatte die K-219 Kontakt mit einem sowjetischen Frachtschiff aufgenommen, der Fyodor Bredkin, welche sich der Unglücksstelle näherte. Andere Schiffe vor Ort waren der Schlepper der US Navy, die USNS Powhatan und weiterhin die USS Augusta. Außerdem wurde die Stelle von P-3C Orion Patrouillienflugzeugen von der Naval Air Station auf den Bermudas überflogen.

Sowohl die Navy als auch die sowjetischer Marine wollten das Boot abschleppen. Die Amerikaner wollten genaue Pläne vom Boot und den Waffen haben. Der Captain der USS Augusta, James von Suskil, hatte den ausdrücklichen Befehl, ein Abschleppmanöver der Fyodor Bredkin unbedingt zu verhindern. Daher kappte er die gespannten Taue zwischen K-219 und dem Frachter, indem er mit voller Geschwindigkeit zwischen den Schiffen entlang fuhr. Das als Ersatz gedachtes Equipment, welches von Flugzeugen abgeworfen wurde, versank auf der Stelle, da die Kisten keine Schwimmer besaßen. Die immer wieder angebotene Hilfe der USNS Powhatan wurde abgelehnt, da die Motivation der US Navy zu offensichtlich war.

Durch die sich beschleunigende Ausbreitung der giftigen Gase wurde die gesamte Besatzung auf den Frachter Fyodor Bredkin evakuiert. Nur Kapitän Britanow blieb an Bord des U-Bootes. Auch während der Evakuierung führte die USS Augusta wieder Störmanöver aus, sie fuhr mit augefahrenem Periskop auf die Rettungsboote zu, entweder in der Hoffnung, mit der Videokamera Bilder des Inneren der Boote zu bekommen oder in der Absicht, das Boot zum Kentern zu bringen.

Derweil kamen Befehle aus Moskau, die aussagten, da ein Abschleppen unmöglich war, solle die Besatzung zurück an Bord von K-219 gehen und das Boot selber an der Oberfläche nach Russland fahren. Bevor die Besatzung zurückkehren konnte, sank das Boot mit 14 Atomraketen und beiden Reaktoren auf ca. 6000 m Tiefe des Hatteras-Tiefs. Vermutlich hatte Kapitän Britanow, da er wusste, dass eine Rückkehr auf das Boot der Tod für alle an Bord sein würde, die K-219 versenkt, indem er ein Torpedorohr öffnete und sich selbst durch die vordere Notausstiegsluke rettete. Fest steht, dass er auf einem Rettungsfloß gefunden wurde und an Bord der Fyodor ging.

Vier Männer starben an Bord der K-219, dies waren Waffenoffizier Alexandr Petrachkow, Maschinist Igor Kharchenko, Waffenmaat Nikolai Smaglyuk und Reaktortechniker Sergej Preminin.

Kapitän Britanow wurde nach seiner Rückkehr nach Russland Verletzung seiner Sorgfaltspflicht, Hochverrat und Sabotage vorgeworfen; er erwartete seinen Prozess im damaligen Swerdlowsk bis er im Mai 1987 vom neuen Verteidigunsminister von allen Anklagen befreit wurde.

Datei:K-219komplett.jpg
K-219 in Längsansicht an der Wasseroberfläche

Reaktionen der Marinen

Die sowjetische Marine verlautbarte, die Raketenexplosion sei durch eine Kollision mit einem amerikanischen U-Boot verursacht worden. Gestützt wurde diese These dadurch, dass die USS Augusta Ende Oktober 1986 mit Kollisionsschäden in ihren Heimathafen einlief. Wahrscheinlich ist jedoch, dass die Augusta in den Wirren nach dem Sinken mit einem sowjetischen U-Boot der Delta-Klasse kollidierte, welches kurze Zeit später ebenfalls mit Kollisionsschäden nach Russland zurückkehrte.

Die US Navy gab folgendes Statement zu den Vorwürfen ab:

“The United States Navy normally does not comment on submarine operations, but in the case, because the scenario is so outrageous, the Navy is compelled to respond.
“The United States Navy categorically denies that any U.S. submarine collided with the Russian Yankee submarine (K-219) or that the Navy had anything to do with the cause of the casualty that resulted in the loss of the Russian Yankee submarine.”

zu deutsch:

„Die United States Navy kommentiert normalerweise keine Unterseeboot-Operationen. In diesem Fall jedoch, weil das Szenario dermaßen empörend ist, sieht sich die Navy zu einer Antwort verpflichtet.
Die United States Navy bestreitet kategorisch, dass ein US-Unterseeboot mit dem russischen U-Boot der Yankee-Klasse (K-219) kollidiert ist oder dass die Navy irgendetwas zu tun hatte mit dem Ablauf des Unfalles, der mit dem Verlust des russischen Yankee-U-Bootes endete.“

Sowohl die amerikanische wie auch die russische Regierung veröffentlichten im Laufe des 3. Oktobers Meldungen zu dem Unglück, die US Navy gab eine Pressekonferenz, in der sie Karten mit dem von Verstrahlung bedrohten Gebiet zeigte.
Beide Marinen teilten mit, dass zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Nuklearexplosion oder von Kontamination der Umgebung bestanden habe.

Folgen

Die K-219 wurde nie gehoben, liegt also heute noch in circa 5.500 Metern Tiefe. 1986 und 1987 hat das Russian marine insitute ein Tieftauchboot mit einer Kamera zum Wrack geschickt. Angeblich soll diese hunderte Bilder geschossen haben, die jedoch bis heute der Geheimhaltung unterliegen. Man geht davon aus, dass 32 nukleare Gefechtsköpfe an Bord des U-Bootes waren, deren Gesamtmasse auf ungefähr 200 Pfund geschätzt wird. Auch diese nukleare Fracht liegt soweit bekannt noch am Meeresgrund.

Fest steht, dass auf Wrackteilen, die nach dem Sinken an der Oberfläche schwammen, Spuren von Plutonium gefunden wurden. Das U-Boot-Wrack dürfte allerdings in eine Art Lehmboden gesunken sein, von dem Tests zeigten, dass er in der Lage ist, Plutonium zu absorbieren. Da die Wasserbewegung in diesen Tiefen sehr langsam ist, ist es wahrscheinlich, dass sich kaum Radioaktivität verbreitet hat. Auch über weitergehende Verbreitung durch die Nahrungskette ist nichts bekannt.

Literatur

Der ehemalige Marineattaché in Moskau, Peter Huchthausen schrieb zusammen mit dem ehemaligen Ersten Offizier der K-219 Igor Kurdin, der direkt vor der letzten Fahrt von K-219 das Boot verließ, den Tatschenbericht Hostile Waters, der 1997 im Arrow Books Verlag erschien, jedoch bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde.

Ebenfalls 1997 veröffentlichte Warner Brothers den HBO-Film Hostile Waters (deustcher Titel inzwischen Im Fahrwasser des Todes) mit Rutger Hauer, Martin Sheen und Max von Sydow, welcher in Deutschland auf VHS-Kassette erschienen ist. Gegen diesen Film ging Kapitän Britanow gerichtlich vor, da von ihm keine Genehmigung vorlag, seine Person darzustellen. Er gewann im September 2004 den Prozess und bekam Schadenersatz in einer nicht genannten Höhe zugesprochen.


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