Nieuw Nederland

Nieuw Nederland (dt. zumeist: Neu-Niederland) ist eine ehemalige niederländische Kolonie an der Ostküste Nordamerikas. Angeregt durch die 1609 von Henry Hudson unternommene Entdeckungsreise kamen niederländische Pelzhändler in das Gebiet am Hudson River, das ab 1623 von der Niederländischen Westindien-Kompanie (WIC) verwaltet wurde.
Die Kolonie umfasste Siedlungen auf Manhattan und Long Island sowie entlang der Flüsse Hudson, Delaware und Connecticut. Pelze und der auf den fruchtbaren Böden angebaute Tabak wurden zu den Hauptexportgütern ins Mutterland. Nach der Eroberung Nieuw-Amsterdams durch die Briten im Jahr 1664 wurde die Kolonie nach James, Herzog von York, einem Bruder des englischen Königs Charles II., in „New York“ umbenannt. Eine Rückeroberung der Niederländer im August 1673 währte nur fünfzehn Monate lang, bis die Kolonie am 10. November 1674 als eines der Resultate des Friedens von Westminster endgültig an die Briten übergeben wurde.
Geschichte
Pelzhändler und Handelskompanien
Obwohl der Küstenstreifen im Mündungsgebiet des später als „Hudson River“ bezeichneten Flusses schon seit den Entdeckungsreisen Verrazanos und Gomez' im 16. Jahrhundert bekannt war, begann das Interesse der Niederländer an dieser Gegend erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Der Engländer Henry Hudson war den später nach ihm benannten Fluss 1609 hinaufgesegelt und hatte bei einigen der dort lebenden Indianer Takak und Pelze eingetauscht. Als die Nachricht von Hudsons Reise in die Niederlande gelangte, waren Teile der Amsterdamer Kaufmannschaft von der Aussicht auf Gewinne aus dem lukrativen Pelzhandel elektrisiert. Mehrere konkurrierende Gruppen von Kaufleuten, Reedern und Schiffern schickten in den Jahren nach 1610 Schiffe nach Nordamerika und überboten sich gegenseitig im Preis für die von den Indianern eingehandelten Pelze.

Als schon bald klar wurde, dass die zu erzielende Gewinnspanne im ohnehin kostenintensiven und risikobehafteten Überseegeschäft durch diese Praxis drastisch sank, verständigten sich die einstmaligen Konkurrenten und gründeten die Compagnie van Nieuwnederlant (Neuniederland-Kompanie). Diese Handelskompanie erhielt von den Generalstaaten am 27. März 1614 ein Monopol, das ihnen für die folgenden drei Jahre vier Schiffsreisen in das Gebiet zwischen 40° und 45° nördlicher Breite erlaubte. Im Oktober 1618, zehn Monate nach Ablauf des Handelsmonopols, bewarb sich die Kompanie um eine neue Charter. Zu diesem Zeitpunkt wurde von den Generalstaaten aber bereits die Gründung einer neuen Kompanie, der Geoctroyeerde West-Indische Compagnie (Niederländische Westindien-Kompanie, kurz WIC) als Pendant zur VOC erwogen.
Kurz nachdem 1621 nach zwölfjährigem Waffenstillstand der Freiheitskampf der Niederländer gegen die Spanier wieder aufgeflammt war, stellten die Generalstaaten eine Charter für die neugegründete Westindien-Kompanie aus. Dabei hatten sie nicht so sehr die Besiedlung überseeischer Gebiete als vielmehr deren wirtschaftliche Ausbeutung und zugleich eine militärische Unterstützung durch die Schiffe der privat finanzierten Handelskompanie im Sinn. Aus diesem Grund dauerte es auch zwei Jahre, bis ausreichende Geldmittel bereitstanden, da die niederländische Finanzwelt dem Projekt zunächst abwartend gegenüberstand. Erst im Jahre 1623 erreichte das erste Kompanieschiff die Kolonie.
Erste Besiedlung und die Gründung von Nieuw Amsterdam
Bereits 1622 hatte der englische Botschafter im Haag britische Ansprüche auf das Gebiet um den Hudson River angemahnt. Deshalb wurde es aus Sicht der Niederländer notwendig, die eigenen Nordamerika-Interessen durch die Schaffung von Tatsachen zu untermauern. 1624 erreichte das Schiff Eendracht, mit einigen Dutzend Siedlern an Bord die Neue Welt. Um möglichst weite Gebietsansprüche zu manifestieren, wurden die Kolonisten auf mehrere Punkte am Connecticut River, am Delaware River, an der Mündung des Hudson und weiter stromaufwärts verteilt. An dem Punkt, an dem die heutige Stadt Albany liegt, wurde 1624 Fort Orange (ursprünglich Fort Nassau, 1617 aber durch eine Flut zerstört und aufgegeben) gegründet. Im April 1625 erhielt Willem Verhulst, der erste Direktor der Kolonie die Anweisung, die Siedler in einer größeren Ansiedlung zu konzentrieren. Als Verhulst bei der Gründung von Nieuw Amsterdams an der südlichen Spitze der Insel Manhattan Führungsschwächen erkennen ließ, wurde er im Frühjahr 1626 durch Pieter Minuit ersetzt. Minuit kaufte den Indianern die Insel Manhattan im Verlauf des Jahres 1626 für die Summe von 60 Gulden ab, wobei die Indianer den Gegenwert wahrscheinlich in Form verschiedener Handelswaren erhielten. Im November 1626 erreichte die Nachricht Amsterdam und Pieter Janszoon Schagen, mit der Leitung der Westindien-Angelegenheiten betraut, gab die Nachricht in dem heute berühmten Schagen-Brief an die Generalstaaten weiter.
Siedlungsproblematik und die Reaktion der WIC
Menschen, die im 17. Jahrhundert Europa verließen und in die Neue Welt aufbrachen, hatten verschiedene Gründe für ihre Entscheidung. Die wichtigsten Motive für eine Emigration waren wirtschaftlicher oder religiöser Natur. Daran gemessen hatten die Niederländer nur wenig Anlaß, die Strapazen der im Schnitt zwei- bis dreimonatigen Schiffsreise auf sich zu nehmen. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts boomte die Wirtschaft der Niederlande; man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Gouden eeuw, dem Goldenen Zeitalter. Ähnlich sah es mit der religiös motivierten Auswanderung aus: im Unterschied zu den englischen Kolonien kamen nur sehr wenige Religionsflüchtlinge nach Nieuw Nederland, weil die Republik der Sieben Vereinigten Niederlande im Vergleich zu anderen europäischen Staaten der Zeit in Glaubensfragen toleranter war. Die Folge hieraus war, daß Nieuw Nederland bis zur Mitte des Jahrhunderts unter einem chronischen Mangel an Siedlern zu leiden hatte, was die Kolonie – im Vergleich zu anderen Territorien an der Ostküste Nordamerikas – in ihrer Entwicklung hemmte.
Die WIC begegnete diesem Problem mit unterschiedlichen Maßnahmen. Zum einen warb sie über Werbeschriften im Ausland verstärkt um deutsche, flämische und wallonische Emigranten, zum anderen versuchte sie potentielle Siedler durch eine Lockerung der Handelsbestimmungen anzulocken. Hierbei standen sich in der WIC zwei Interessenlager gegenüber: Die Handelsfraktion wollte die Besiedlungskosten niedrig halten und möglichst große Gewinne aus dem Pelzhandel erzielen. Die Siedlungsfraktion verfolgte den genau entgegengesetzten Ansatz und erhoffte sich aus einer stärkeren landwirtschaftlichen Nutzung der Kolonie auf lange Sicht gesehen eine Ablösung des Baltikums als Lieferanten für das in den Niederlanden benötigte Getreide. Ein breitflächiger Getreideanbau direkt in Übersee hätte zudem womöglich die äußerst kostspieligen Versorgungslieferungen nach Brasilien oder Curaçao ersetzen können.
Im Juni 1629 kam es zu einem Kompromiß. Das Monopol der WIC auf den lukrativen Pelzhandel blieb zunächst bestehen und im Gegenzug ermöglichte die Handelskompanie einigen ihrer finanzstarken Direktoren den Aufbau einer erblichen Grundherrschaft in Übersee. Die WIC überließ den Grundherren, den sogenannten patroonen, kleine Einheiten privaten Landbesitzes, auf denen diese weitgehende Rechte – von der Steuererhebung bis hin zur Rechtsprechung – erhielten. Im Gegenzug verpflichtete sich der patroon, innerhalb von vier Jahren mindestens fünfzig Menschen im Alter von über fünfzehn Jahren auf seinem Besitz anzusiedeln. Doch das Patronatsystem scheiterte. In den nach 1639 ausbrechenden Konflikten mit den Indianern gingen alle Siedlungen bis auf das östlich von Fort Orange gelegene Rensselaerswijck unter.
Aufgabe des Pelzhandelsmonopols und Indianerkrieg

Bis zur Aufgabe des Pelzhandelsmonopols durch die WIC nahm der Export von Biberpelzen die zentrale Rolle in der Wirtschaft Nieuw Nederlands ein. Die Pelze wurden von den in der Region lebenden Indianern in die Handelsstützpunkte der Niederländer gebracht und dort zu einem von der WIC festgelegten Preis gegen andere Handelswaren eingetauscht. 1624 exportierte die WIC rund 5.000 Pelze im Gesamtwert von rund 27.000 Gulden ins Mutterland. Obwohl 1635 bereits rund 16.000 Pelze im Wert von rund 135.000 Gulden in den Niederlanden ankamen, wurden die Erwartungen der unter finanziellem Druck stehenden Handelskompanie längst nicht erfüllt. Von 1634 an häuften sich zudem Nachrichten über das Vordringen englischer Siedler in das von den Niederländern beanspruchte Gebiet. Vier Jahre später gab die WIC schließlich nach und ersetzte das Handelsmonopol auf Pelze durch einen Zoll auf alle Im- und Exporte. Gleichzeitig gab sie ihre bisherige Landvergabepolitik auf und bot allen Auswanderern unentgeltlich so viel Land an, wie diese bebauen konnten.
Dieser Wandel von einer Handels- zu einer Siedlungskolonie führte zu Konflikten mit den Indianern. Zum einen sorgte der rapide Anstieg des Landbedarfs von Seiten der niederländischen Siedler für Irritationen, zum anderen kam es durch die Aufgabe der bislang durch die WIC garantierten Pelzpreise zu Spannungen. Die Auseinandersetzungen eskalierten zwischen 1643 und 1645 in einem blutigen und von beiden Seiten mit großer Härte ausgetragenen Krieg, in dessen Folge der bisherige Direktor Willem Kieft durch Petrus Stuyvesant abgelöst wurde.
Die Ära Stuyvesant
In die Amtszeit Stuyvesants fällt ein starker Anstieg der Einwohnerzahl Nieuw Nederlands. Die Aufhebung des Monopols auf den Pelzhandel durch die WIC im Jahr 1638 hatte die wirtschaftlichen Anreize zur Auswanderung nicht entscheidend steigern können. Erst die in den Niederlanden etwa um die Jahrhundertmitte einsetzende Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums brachte die Wende. Immer mehr Siedler traten in den 1650er Jahren die Reise über den Atlantik an und bis 1664 wuchs die Kolonie auf etwa sieben- bis achttausend Bewohner an.
Auf wirtschaftlicher Ebene begann der seit Mitte der 1630er Jahren erfolgreich in Nieuw Nederland angebaute Tabak die Pelze als wichtigstes Ausfuhrgut zu verdrängen. Hierbei spielten die in europäischen Handelsplätzen wie London oder Amsterdam zu erzielenden Gewinne, die weit über den Gewinnspannen für Biberpelze lagen, eine entscheidende Rolle. Dabei wurde der in der Kolonie selbst angebaute Tabak auf der Exportebene mengenmäßig noch von dem aus Virginia stammenden Tabak übertroffen. Noch 1658 kam der Hauptanteil des von Nieuw Amsterdam aus verschifften Blättertabaks aus englischem Anbau.
Im Inneren hatte Stuyvesant mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. Neben der Tatsache, daß die ungewöhnlich bunte Mischung von Siedlern unterschiedlichster Herkunft, Sprache und Religon zu Konflikten innerhalb der Gesellschaft Nieuw Nederlands führte, hatte sich schon seit der Amtszeit Willem Kiefts eine Oppositionsbewegung gegen die WIC als Eigentümerin der Kolonie gebildet. Bis 1657 erkämpfte diese Opposition weitergehende Rechte in Fragen der Verfassung und der Bürgerprivilegien. In ihren Denkschriften griff sie dabei die WIC und ihren Vertreter Stuyvesant in scharfer Form als „Ausbeuter“ und „Tyrannen“ an. Trotz aller Streitigkeiten ging Nieuw Nederland am Ende der Ära Stuyvesant aber nicht aufgrund innerer Probleme sondern durch den Konflikt auf weltpolitischer Ebene verloren.
Die Kolonie unter den Briten
Nach dem Tod Oliver Cromwells und der Wiederherstellung der englischen Monarchie unter Charles II. begann eine Phase agressiverer britischer Außenpolitik gegenüber ihren niederländischen Konkurrenten. Einer der ersten Schritte war eine gegen den niederländischen Handel gerichtete Verschärfung der Navigationsakte im Jahr 1660. Mit Nieuw Nederland als Durchgangsstation für niederländische Güter in die englischen Kolonien Nordamerikas und umgekehrt für Virginiatabak und andere überseeische Waren nach Europa waren diese Handelsbeschränkungen für die niederländischen Kaufleute aber leicht zu umgehen. Gleichzeitig war es für die Briten zur Festigung ihrer Macht in Übersee und nicht zuletzt aus strategischen Gründen wichtig, die gesamte Ostküste Nordamerikas von Nova Scotia bis Carolina in ihren Besitz zu bringen. Am 12. März 1664 erhielt der Bruder des englischen Königs, James, Herzog von York weite Teile der englischen Kolonien an der nordamerikanischen Ostküste zugesprochen, inklusive Nieuw Nederlands. Schon im Mai 1664 verließ ein britisches Expeditionskorps unter Richard Nichols den englischen Hafen Portsmouth.
1664 segelte eine britische Flotte in den Hafen von Neu-Amsterdam und übernahm die Kolonie. Der niederländische Gouverneur Peter Stuyvesant war bei den Einwohnern unbeliebt, teilweise aus dem Grund, weil er versuchte, die religiöse Freiheit zu beschränken. Möglicherweise gab es wegen der Unbeliebtheit Stuyvesants keinen signifikanten Widerstand gegen die Übernahme der Engländer. Der Friede von Breda bestätigte danach die Übernahme der niederländischen Besitzungen Nordamerikas durch die Engländer. Die Niederlande erhielten im Gegenzug Suriname von England.
Im Dritten Englisch-Niederländischen Krieg wird die Kolonie nochmals kurz von den Niederländern besetzt, geht jedoch in Folge des Zweiten Friedens von Westminster 1674 endgültig an England.
Literatur
Quellen
Moderne Quelleneditionen
- Charles T. Gehring (Hrsg.): Delaware papers (Dutch period): a collection of documents pertaining to the regulation of affairs on the South River of New Netherland, 1648–1664, Baltimore 1981, ISBN 0-8063-0944-X
- Charles T. Gehring (Hrsg.): Council minutes, 1655–1656, Syracuse NY 1995, ISBN 0-8156-2646-0
Zeitgenössische Quellen
- Adriaen van der Donck: Beschryvinge van Nieuvv-Nederlant (ghelyck het tegenwoordigh in Staet is) begrijpende de nature, aert, gelegentheyt en vrucht-baerheyt van het selve lant ..., 2. erweiterte Auflage, Amsterdam 1656 Digitale Reproduktion der Universitätsbibliothek Utrecht
- Joost Hartgers: Beschryvinghe van Virginia, Nieuw Nederlandt, Nieuw Engelandt, en d' Eylanden Bermudes, Berbados, en S. Christoffel dienstelyck voor elck een derwaerts handelende, en alle voortplanten van nieuw Colonien, Amsterdam 1651 Digitale Reproduktion der Universitätsbibliothek Utrecht
- Adriaen van der Donck: Vertoogh van Nieu-Nederland weghens de gheleghentheydt, vruchtbaerheydt, en sobe-ren staet deszelfs, 's-Gravenhage 1650 Digitale Reproduktion der Universitätsbibliothek Utrecht
- Brief Peter Schaghens (1626) über den Kauf von Manhattan Island für 60 Gulden Kommentierte Digitale Reproduktion mit ndl. / engl. Transkriptionen (New Netherland Project) – auch als PDF verfügbar
Darstellungen
- Jaap Jacobs: New Netherland: A Dutch Colony in Seventeenth-Century America, Leiden [u.a.] 2005, ISBN 90-0412-906-5 – Referenzwerk zur Geschichte Nieuw Nederlands
- George M. Asher: A Bibliographical and Historical Essay on the Dutch Books and Pamphlets relating to New Netherland and to the Dutch West-India Company and to its possessions in Brazil, Amsterdam 1854ff. Digitale Reproduktion der Universitätsbibliothek Utrecht
Weblinks
- New Netherland Project – Das von New York State Library und der New Yorker Holland Society finanzierte Projekt widmet sich seit 1974 der Veröffentlichung von Quellen zur Geschichte Nieuw Nederlands.