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Urkunden des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

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Die Urkunden des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis zur Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg sind für die Geschichtswissenschaft, insbesondere für die historischen Hilfswissenschaften, genauer gesagt, die Diplomatik, von außerordentlich wichtiger Bedeutung. Anhand dieser Quellen kann man etwas über die politischen Aktivitäten, aber zum Teil auch etwas über private Angelegenheiten erfahren. Da viele im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen sind, sind diejenigen, die der Forschung zugänglich sind, um so bedeutungsvoller.

Zunächst einmal versteht die Geschichtswissenschaft unter einer Urkunde aus diesem Zeitraum, also ungefähr aus der Zeit vom 3./4. Jahrhundert bis ins 15. Jahrhundert, eine rechtskräftige Aufzeichnung, die einen Vorgang bekundet. Sie ist ein für sich alleine bestehendes Schriftstück, in dem Rechtsangelegenheiten in ganz bestimmten, nach Person, Zeit, Ort und Inhalt wechselnden Formen verbrieft worden sind.

Im Zusammenhang mit jeder Urkunde werden folgende Personen(kreise) erwähnt:

  • der Urheber
  • der Empfänger
  • der Aussteller, der nicht mit dem Urheber identisch sein muss

Die organisierende Beurkundungsstelle nennt man Kanzlei; die Ähnlichkeit der Merkmale aller in einem bestimmten Zeitraum aus derselben Kanzlei hervorgegangenen Urkunden nennt man Kanzleimäßigkeit.

Der Text einer solcher Urkunde heißt Diktat (von lat. dictare = konzipieren), der Verfasser wird daher Diktator genannt. Der Diktator muss nicht mit dem Schreiber identisch sein.

Die Ausfertigung einer Urkunde, die auf Anordnung oder mit Genehmigung des Ausstellers dem Empfänger ausgehändigt wurde, nennt man das Original ( = Autograph). Alle anderen handschriftlichen Texte von Urkunden, welche im Sinne dieser Definition nicht als Originale angesehen werden können, werden lediglich als Abschriften bezeichnet und in ihrem Wert eingestuft. (Ob beglaubigte Abschriften als Original gelten können, ist umstritten. Gewöhnlich bezeichnet man sie als sekundäre Stücke.)

Eine Urkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit kann als Original, als Konzept (dann eventuell mit für die Forschung wichtigen Korrekturen, Streichungen etc. versehen), als Kopie bzw. Abschrift oder als Registereintragung (z.B. in Kopialbüchern, Cartularien, Traditionsbüchern) oder im größten Glücksfall in allen diesen Formen überliefert sein.

Man unterscheidet grob folgende Urkunden aus der Zeit des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (wobei die Grenzen fließend sind):

1. öffentliche Urkunden, die von einer souveränen Autorität ausgestellt wurden

  • Papsturkunden
  • Kaiser- bzw. Königsurkunden
  • weitere Herrscherurkunden (z. B. von Territorialfürsten)

2. Privaturkunden, d. h. Urkunden von nicht-souveränen Gewalten

  • Klosterurkunden
  • Urkunden niederer Adeliger
  • Urkunden von Städten

Nach dem Inhalt der Urkunden können folgende Varianten unterschieden werden:

  • Geschäftsurkunden
  • Charta
  • Beweisurkunden
  • Notitia
  • Mandate

Urkundenformeln

Zur Sicherung der Glaubwürdigkeit waren Urkunden - vor allem im Mittelalter - an feste Formen (Urkundenformeln) gebunden.

Eine Idealurkunde hatte folgenden Aufbau:

I. (Eingangs-)Protokoll:

  1. Invocatio (Anrufung Gottes: "In nomine sanctae et individuae trinitatis...")
  2. Intitulatio (meist mit Devotionsformel; Nennung des Ausstellers, z.B. Cvnradus dei gracia romanorum rex secvundus)
  3. Inscriptio, oft mit Salutatio (Nennung des Empfängers, oft mit Grußformel)
  4. Arenga (rhetorisch gehaltene Begründung des folgenden Haupttextes)

II. Text oder auch Kontext (= Kern der Urkunde; bringt also den eigentlichen Inhalt)

  1. Promulgatio (Willenserklärung an den Empfänger; etwa: "notum sit...")
  2. Narratio (Erzählung des Tatbestandes, der Rechtsgrundlage für die beurkundeten Vorgänge)
  3. Dispositio (eigentlicher Rechtsakt)
  4. Sanctio oder Poenformel (Strafandrohung bei Übertretung der dispositio, häufig hohe Geldstrafe)
  5. Corroboratio (Siegelbefehl, Zeugenreihe)

III. Schlussprotokoll, auch Eschatokoll genannt

  1. Subscriptio (Unterschriften, Momogramm, Rekognitionszeichen des Kanzlers, Scriptumformel, Bene valete, so genannte Rota mit Devise des betreffenden Papstes, Bulle an Hanf- oder Seidenschnur)
  2. Datierung nach Jahreszahl, Indiktion, Herrscherjahren, Mondstand
  3. Apprecatio (Segenswunsch)
  4. Recognitionszeile (Zeichen des Notars/Kanzlers, bei Königsurkunden nominell der Reichserzkanzler, der Erzbischof von Mainz)

Editionen

Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser werden im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica (MGH) seit dem 19.Jh. herausgegeben.

Siehe auch: Diplomatik, Privileg, Urkundenkritik