Sakralkönigtum
Die Vorstellung vom Königsheil bezeichnete die insbesondere im Mittelalter, eventuell jedoch schon bei den Germanen in Europa verbreitete Vorstellung, das der König über Kräfte verfüge, die über das menschliche Maß hinaus gehen.
Das Königsheil bei den Germanen
Etymologie: Menschliche und Übermenschliche Dimension des Königheils
Den Beginn der Kontroverse über das Königsheil markiert Wilhelm Grönbechs 1909/12 veröffentlichtes und 1937 ins Deutsche übersetzte Werk "Kultur und Religion der Germanen". Grönbech entwickelte ausgehend vom gemeingermanischen Wortstamm *hail seine Definition von einem "Königsheil" unter den Germanen. Dieses umfasse zum einen menschliche Eigenschaften, die einen Germanen dazu befähigten, König zu sein: Ehrgeiz, Schlauheit, Redegewandtheit, Charisma, körperliche Stärke und anderes. Des weiteren umfasse das germanische Königsheil jedoch auch eine Dimension des Übermenschlichen: Neben dem Anspruch "heil" zu bleiben (Unverwundbarkeit in der Schlacht) vor allem die Fähigkeit, Fruchtbarkeit der Äcker zu spenden und Heilkraft zu besitzen. Beide Dimensionen seien in der germanischen Vorstellungswelt nicht voneinander getrennt gewesen. Überhaupt sei eine strikte Trennung von menschlicher und göttlicher Sphäre den Germanen fremd gewesen. Ebenso müsse dieses Königsheil erblich gewesen sein, da der Germane als „Sippenwesen“ an die Erblichkeit aller Fähigkeiten geglaubt habe. Insgesamt lässt sich Grönbechs Begriff vom Königsheil mit den lateinischen Ausdrücken ‚salus‘ (Gesundheit, Wohlergehen), ‚felicitas‘ (Fruchtbarkeit, Glückseligkeit, Erfolg) und ‚fortuna‘ (Kriegsglück, wohlgesonnenes Schicksal) wiedergeben.
Lange Zeit herrschte über die Dimension der menschlichen Fähigkeiten und der Unverwundbarkeit als Bestandteil des germanischen Königsheils in der Forschung weitgehende Einigkeit. Allerdings verschob sich seit den 1930er bis in die 1950er Jahre der Begriff des ‚Königsheils‘ dahingehend, dass unter Königsheil beinahe ausschließlich die übermenschliche Dimension, eine "Königsheiligkeit" (lat.: ‚salus‘) gesehen wurde. Um diesen übernatürlich aufgeladenen Begriff des Königsheils entbrannte nun die eigentliche Kontroverse, in der es plötzlich auch um ganz grundsätzliche Fragen ging: Ist den Germanen überhaupt eine religiöse Dimension zuzugestehen? Ist unser Bild vom Mittelalter durch das ‚Geschichtsschreibungsmonopol‘ der römisch-christlichen Überlieferung determiniert und möglicherweise verfälscht? Müsste man anstatt von einem Bruch der Kultur zwischen Antike und Mittelalter nicht eher von einer Kontinuität der Kulturträger, von ‚germanischer Antike‘ und ‚germanischem Mittelalter‘ sprechen?
Literatur
- Ejerfeldt, Lennart: Germanische Religion. In: Asmussen, J.P. u.a. (Hrsg.): Handbuch der Religionsgeschichte, Band 1, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1971, S. 277-342.
- Höfler, Otto: Das germanische Kontinuitätsproblem. In: Historische Zeitschrift 157 (1938), S. 1-26.
- Höfler, Otto: Der Sakralcharakter des germanischen Königtums. In: Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte (Hrsg.): Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. Band 3, Sigmaringen, Thorbecke Verlag, 1956, S. 75-104.
- Höfler, Otto: Germanisches Sakralkönigtum, Band 1 (Der Runenstein von Rök und die germanische Individualweihe), Tübingen, Niemeyer Verlag, 1952.
- Kienast, Walther: Germanische Treue und „Königsheil“. In: Historische Zeitschrift 227 (1978), S. 265-324.
- Picard, Eve: Germanisches Sakralkönigtum? Quellenkritische Studien zur Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung. Heidelberg, Carl Winter Universitätsverlag, 1991.
- Schlesinger, Walter: Das Heerkönigtum. In: Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte (Hrsg.): Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. Band 3, Sigmaringen, Thorbecke Verlag, 1956, S. 105-142.