Bacha bazi
Baccha Baazi (persisch بچه بازی Battscha Bazi, DMG Bačča Bāzī) ist eine afghanische Form der Kinderprostitution, bei der ein als Frau verkleideter Tanzjunge (Bacchá) erst vor Männern tanzt und dann von ihnen sexuell missbraucht wird.[1]
Kultureller Hintergrund

Beim Baccha Baazi (wörtlich „Knabenspiel"[2]) handelt es sich um ein in Zentralasien weit verbreitetes Phänomen. Im 19. Jahrhundert berichtete der Forschungsreisende und Diplomat Eugene Schuyler über die Praktik des Knabenspiels und über das hohe Ansehen, das die Tänzer besitzen.[3] Das Phänomen des Knabenspiels hängt mit der Akzeptanz des männlichen Tänzers im Mittleren Osten zusammen: Er verkörpert ein poetisches Ideal persischer und türkischer Lyrik, in der die Liebe zu jungen Pagen, Soldaten und anderen Berufsanfängern gefeiert wird. Schon aus vorislamischer Zeit stammen Berichte über männliche Tänzer, die in der Regel als „Knaben" bezeichnet werden. Im Zuge der Islamisierung verbreitete sich in Zentralasien die Sitte, dass junge Sklaven als Handlanger, Musiker und Tänzer engagiert wurden.[4] Sie spielten beispielsweise in der Dichtung von Omar Khayyam und Hafes eine Rolle.
Die Tradition der Tanzjungen verschwand teilweise unter dem Einfluss der Kolonialmächte nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Westdeutsche Rundfunk sendete am 30. Januar 1997 in der Reihe MusikPassagen einen Bericht über das Tanz-, Musik- und Lustknabenspiel ("bacabozlik") bei der usbekischen Bevölkerung Afghanistans, "eine seit mehr als tausend Jahren berühmte Tradition Mittelasiens" [5] Es handelte sich um "ein Collage-Stück aus Musiken, Liedtextübersetzungen und O-Tönen der Orientalistin Ingeborg Baldauf".[6] Die Sendung nimmt Bezug auf Feldforschungen aus den 1970er Jahren. Zur Sendezeit schien die Praktik allerdings gänzlich verschwunden zu sein.[7]
Siehe auch: Homosexualität in der persischen Liebesdichtung
Heutige Situation in Afghanistan
Die Tanzjungen sind zwischen 8 und etwa 14 Jahren alt.[8] Auf den Baccha Baazi-Partys sitzen Männer auf dem Boden, dabei wird gesungen und musiziert. In der Mitte tanzt ein Junge in seidener Frauenkleidung, manchmal mit Make-up und mit Glöckchen an den Handgelenken. Die Lieder handeln oft von unerwiderter Liebe oder Begierde. Es gibt auch Wettbewerbe zwischen verschiedenen Bacchis.[1]
Laut Unicef ist diese Form der Kinderprostitution in Afghanistan seit Jahrhunderten gesellschaftlich akzeptiert und weit verbreitet. Ein UN-Mitarbeiter nennt diese Praxis Kindersklaverei. Die Kinder werden teilweise von Familien ärmlicher Eltern gegen Bezahlung hergegeben, teilweise entführt oder sind Waisen von der Straße.[1]
Für mächtige Männer stellten Bacchis Statussymbole dar und sie besaßen gleich mehrere. Bei Partys werden sie herumgereicht, um Sex mit erwachsenen Männern zu haben. Die Jungen werden auch baccha bereesh, „Jungen ohne Bart", genannt.[1] In einem anonymen Interview berichtet allerdings ein 40-jähriger Mann, er habe drei Jungen zwischen 15 und 18 Jahren ausschließlich als Tänzer angestellt. Es gebe zwar Austausch von Zärtlichkeiten, aber Sex spiele keine Rolle.[9]
Während der Taliban-Herrschaft waren Baccha Baazi offiziell verboten, danach sei es aber zu einem Gewerbe gewachsen. Es gibt DVDs von Bacca-Baazi-Abenden und spezialisierte Zuhälter. Die tadschikischen und usbekischen Warlords der Nordallianz scheinen zu den Haupttätern zu gehören, aber auch im Süden und in Kabul sowie im Kreis der afghanischen Sicherheitskräfte sei der „Brauch“ verbreitet. Offiziell für Polizei und Armee gedungene Jungen im Alter von 10 bis 15 Jahren würden nebenbei als Sexsklaven ihrer Kollegen dienen. Im von Deutschland kontrollierten Gebiet um Kunduz und Mazār-i Scharif werde Bacca Baazi alltäglich offen ausgelebt.[1] Auch die aktuellen Veröffentlichungen von WikiLeaks zeugen davon.[10]
Die Ursache für dieses pädophile Handeln wird im afghanischen Rollenverständnis gesehen. Danach seien Frauen nicht für Sexualität, sondern nur zum Gebären gedacht, Tanzjungen hingegen zum sexuellen Vergnügen. Dieser Widerspruch zur gleichzeitigen allgemeinen Ablehnung von Homosexualität wird dadurch überwunden, dass die Sexualiät mit den Tanzjungen nicht als Homosexualität, sondern als Spaß angesehen werde.[1]
Nach dem Beginn der Pubertät werden die Jungen verstoßen und oft mit einer älteren Frau verheiratet.[1] Ein ehemaliger Bacchá erzählte, er würde mit einer Tochter seines Liebhabers verheiratet werden.[11]
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g Florian Flade: Baccha Baazi – Afghanistans Kinderprostituierte: Unter den Augen der westlichen Truppen wird in Afghanistan eine totgeschwiegene Form des Kindesmissbrauchs praktiziert. In: Die Welt. 27. August 2010, abgerufen am 29. August 2010.
- ↑ Visit of the Special Representative for Children & Armed Conflict to Afghanistan. (PDF) UNO, Februar 2010, archiviert vom am 29. August 2010; abgerufen am 29. August 2010 (englisch).
- ↑ Eugene Schuyler/Vasili Vasilewitsch Grigorev, Turkistan: Notes of a Journey in Russian Turkistan, Khokand, Bukhara and Kuldja, London 1876, Bd. I, S. 132f.
- ↑ Shay, The Male Dancer
- ↑ Zitiert nach dem Pressetext zur Sendung, den mir Herr Manfred Fuhr vom WDR freundlicherweise zur Verfügung stellte.
- ↑ Zitiert nach einer E-Mail von Dr. Fuhr.
- ↑ Die CD mit dabei verwendeter Musik ist bei Zweitausendeins erhältlich: Traditional Musicians. A Journey To An Unknown Musical World aus der Reihe World Network, 28: Afghanistan, hrsg. von Christian Scholze und Jean Trouillet in Zusammenarbeit mit Jan Reichow, 1994
- ↑ Antonia Rados: Sex-Sklaven in Afghanistan. Berliner Zeitung, 1. April 2010
- ↑ "He says he has never slept with his boys, though he admits he hugs and kisses them." (Rustam Qobil)
- ↑ Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Botschaften durch WikiLeaks#Afghanistan, abgerufen am 9. Dezember 2010
- ↑ Afghan boy dancers sexually abused by former warlords. Reuters, 18. November 2007
Literatur
- Ingeborg Baldauf, Die Knabenliebe in Mittelasien. Bacabozlik. Berlin 1988. – [Studie über das „Knabenspiel” (batscha-bâz-lik) bei den Usbeken Afghanistans.]
Weblinks
- Boys in Afghanistan Sold Into Prostitution, Sexual Slavery. In: Digital Journal. 20. November 2007.
- The Dancing Boys of Afghanistan, Frontline-Dokumentation
- Rustam Qobil, The sexually abused dancing boys of Afghanistan
- Anthony Shay, The Male Dancer in the Middle East and Central Asia, abgerufen am 16. September 2010
- Ghaith Abdul-Ahad: The dancing boys of Afghanistan. Guardian, 12. September 2009