Industrielleneingabe
Die Industrielleneingabe war ein Brief, der in der Spätphase der Weimarer Republik an den Reichspräsidenten gerichtet war. Am 19. November 1932 erhielt Reichspräsident Hindenburg das Schreiben, unterzeichnet von neunzehn Industriellen, Bankiers und Vertretern der Landwirtschaft mit der Aufforderung, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen.
Vorausgegangen waren zwei ähnliche Versuche, die Nazis durch Unterschriftenlisten an die Macht zu bringen, nämlich eine Eingabe der "Wirtschaftspolitischen Vereinigung Frankfurt" vom 27. Juli 1931 und eine Erklärung von 91 Professoren vom Juli 1932.
Die Idee zur Industrielleneingabe war im Keppler-Kreis entstanden und wurde von Heinrich Himmler unterstützt. Der Text stammte von Hjalmar Schacht. In der neueren Forschung wird seit der Studie von Henry A. Turner die Eingabe für einen Misserfolg gehalten: Schacht zeigte sich im Anschluss enttäuscht zeigte, dass nur so wenige und so wenig bedeutende Unternehmer hatten überzeugt werden können. Die meisten Schwerindustriellen hatten abgewunken, weshalb Schacht in einem Brief an Hitler witzelte, sei würden ihren Namen "deshalb mit Recht von ihrer Schwerfälligkeit" tragen. Tatsächlich hatte er gehofft, noch viel mehr Unternehmer gewinnen zu können, unter anderem Cuno, Haniel, Robert Bosch, Fink, Keudell, Ullrich, Wenzel, Brandes und Siemens, die indes abgelehnt hatten. Ein Misserfolg war in dieser Interpretation auch die Terminierung der Eingabe: Weil Reichskanzler Franz von Papen am 17. November 1932 seinen Rücktritt erklärt hatte, machte sich Hitler Hoffnungen auf sein Gespräch mit dem Reichspräsidenten am 19. November. Zu seinem Ärger gelang es aber nicht, die Eingabe vor diesem Termin einzureichen. Sie hatte auch keinen unmittelbaren Erfolg, Hindenburg lehnte Hitler als Reichskanzler weiterhin ab und ernannte stattdessen Kurt von Schleicher.
Die ältere historische Forschung, zumal aus der DDR, nimmt dagegen an, dass die Eingabe doch eine Erfolg war. Die führenden Montanindustriellen Albert Vögler, Paul Reusch und Friedrich Springorum hatten bei ihrer Ablehnung signalisiert, sie seien „an und für sich“ einverstanden. Dies wurde als Ausdruck ihrer wahren Überzeugung gewertet, wohingegen Henry Turner vermutet, dies wäre schlichte Höflichkeit gewesen, mit der sie ihr Nein kaschierten. Nach einigen Angaben wollte auch Paul Silverberg unterschreiben, aber an ihn hatte sich niemand gewandt, weil er jüdischer Abstammung war. Als Beleg werden in der älteren Forschung auch die Memoiren von Emil Helfferich angeführt, in denen es heißt, dass Hindenburg am 30. Januar 1933 bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler diese Eingabe unbedingt dabei haben wollte.
Unterzeichner waren:
- Hjalmar Schacht (ehemaliger Reichsbankpräsident, Mitglied im Keppler-Kreis)
- Fritz Thyssen (Aufsichtsratsvorsitzender der Vereinigten Stahlwerke)
- Friedrich Reinhart (Direktor der Commerzbank, Mitglied im Keppler-Kreis)
- August Rosterg (Generaldirektor der Wintershall AG, Mitglied im Keppler-Kreis)
- Kurt Freiherr von Schröder, (ein Kölner Privatbankier mit Aufsichtsratsposten in der IG Farben, Mitglied im Keppler-Kreis)
- Senator Fritz Beindorff (im Aufsichtsrat der Deutschen Bank)
- Emil Helfferich (Aufsichtsratsvorsitzender der HAPAG, Mitglied im Keppler-Kreis)
- Franz Heinrich Witthoefft (Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank, Mitglied im Keppler-Kreis)
- Ewald Hecker (Aufsichtsratsmitglied der Commerzbank, Präsident der Industrie- und Handelskammer Hannover, Mitglied im Keppler-Kreis)
- Kurt Woermann (Aufsichtsratsmitglied der Commerzbank, mittelständischer Reeder aus Hamburg und Mitglied der NSDAP)
- Carl Vincent Krogmann (Reeder, Bürgermeister von Hamburg, Mitglied der Handelskammer Hamburg und Mitglied im Keppler-Kreis, Mitglied der NSDAP)
- Kurt von Eichborn (Teilhaber einer Breslauer Privatbank)
- Eberhard Graf von Kalckreuth (Präsident des Reichslandbundes)
- Robert Graf von Keyserlingk-Cammerau (Vertreter der Landwirtschaft, Geheimer Oberregierungsrat)
- Erwin Lübbert (Vorsitzender der AG für Verkehrswesen, Leiter eines mittelständischen Berliner Bauunternehmens, Mitglied im Wirtschaftsrat des Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten))
- Erwin Merck (Hamburger Unternehmer)
- H.K. von Oppen-Dannenwalde (Vertreter der Landwirtschaft)
- Kurt Gustav Ernst von Rohr-Manze (Vertreter der Landwirtschaft)
- Rudolf Ventzki (württembergischer Landmaschinenhersteller)
Literatur
- Eberhard Czichon, Wer verhalf Hitler zur Macht, Köln 1967
- Wolfgang Michalka und Gottfried Niedhart (Hg.), Die ungeliebte Republik. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik Weimars 1918 - 1933, dtv München, 1980, ISBN 3-423-02918-8 (hier der Text, S. 340ff, der aber nur sechzehn Unterschriften trägt)
- Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP 1930 - 1933. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 45) ISBN 3-525-35703-6
- Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, ISDN 3-88680-143-8
- Jahresbericht der Deutschen Bank und Discontogesellschaft für 1932
- Geschäftsbericht des Vorstandes der Commerzbank für 1933
- Erich Helfferich, 1932-1946 Tatsachen, Ein Beitrag zur Wahrheitsfindung, Jever 1969
- Karl Vincent Krogmann, Es ging um Deutschlands Zukunft 1932-1939, Landsberg/Lech 1976
- Kurt Gossweiler, Aufsätze zum Faschismus, Berlin 1986