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Halt auf freier Strecke

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Film
Titel Halt auf freier Strecke
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 2011
Länge 110 Minuten
Stab
Regie Andreas Dresen
Drehbuch Andreas Dresen
Cooky Ziesche
Produktion Peter Rommel
Kamera Michael Hammon
Schnitt Jörg Hauschild
Besetzung

Halt auf freier Strecke ist ein Spielfilm des deutschen Regisseurs Andreas Dresen aus dem Jahr 2011. Das Drama um einen Berliner Familienvater (gespielt von Milan Peschel), der langsam an einem Hirntumor verstirbt, feierte ihre Uraufführung am 15. Mai 2011 in der Sektion Un certain regard der 64. Filmfestspiele von Cannes.[1] Es handelte sich um den einzigen Beitrag aus Deutschland in den offiziellen Sektionen des Festivals.

Der Film wurde von Peter Rommel (Rommel Film) in Koproduktion mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) und in Kooperation mit dem deutsch-französischen Fernsehsender ARTE sowie der Iskremas Filmproduktion produziert.[2]

Handlung

Der 44-jährige Frank Lange wird mit seiner Krebsdiagnose kontrontiert: der entdeckte Gehirntumor ist bösartig und nicht operabel, wie ihm sein Arzt im Krankenhaus mitteilt. Dem Familienvater, der mit Ehefrau Simone und den beiden Kindern Lili und Mika in einem neuen Reihenhaus am Berliner Stadtrand lebt und einer geregelten Arbeit nachgeht, werden nur noch wenige Monate gegeben. Unterstützt von seiner Familie nutzt er sein iPhone um täglich das Fortschreiten seiner Krankheit zu dokumentieren. Später wird er auch zu Hause betreut. Die Strahlen- und Chemotherapie laugt Frank aus. In Wahnvorstellungen sieht er seinen Hirntumor als Schauspieler und prahlenden Gesprächspartner bei Harald Schmidt sitzen.

Die beiden halbwüchsigen Kinder müssen mit dem Persönlichkeitswechsel des Vaters zurechtkommen und sind überfordert mit der Situation, ebenfalls Ehefrau Simone ringt um Fassung und Kraft. Der Gehirntumor raubt Frank sein Gedächtnis, dann die Orientierungsfähigkeit, die Kontrolle über seine Körperfunktionen. Er wird zum Pflegefall, terrorisiert seine Umwelt und ist aufgrund seiner Schmerzen ständig auf Morphium angewiesen. Schließlich verliert Frank auch sein Sprachvermögen. Er stirbt zu Hause bei seiner Familie. Der Film endet mit den Worten der Tochter Lili, die Turmspringen trainiert: „Ich muss zum Training.“, entgegnet sie.

Entstehungsgeschichte

Der Film wurde 2010 in Deutschland gedreht, nach einem von Auflösung, Trennung und Not geprägten Jahr des Regisseurs und seines Bekanntenkreises. Andreas Dresen recherchierte mehrere Monate mit Cooky Ziesche über das Thema und interviewte Sterbebegleiter, Ärzte und Hinterbliebene. Aus den aufgenommenen Gesprächen entstand eine Datenbank, die mit den Schauspielern und später dem gesamten Produktionsteam, das aus sieben Personen bestand, diskutiert wurde. Daraus entwickelten sich die Figuren und eine Szenenabfolge. Ein Filmskript gab es beim Dreh nicht, woraufhin die Schauspieler die gesamten Dialogen improvisieren mussten. Dresen betonte in der Pressemappe zum Film beim Erscheinen in Cannes, dass die Geschichte zu Halt auf freier Strecke nicht von persönlichen Erlebnissen geprägt war – Dresens Vater war zehn Jahre zuvor an einem Gehirntumor verstorben.[3]

Für die Hauptrollen des Ehepaares wurden Milan Peschel und Steffi Kühnert verpflichtet, letztgenannte hatte bereits mit Dresen an den Filmen Halbe Treppe (2002) und Wolke 9 (2008) zusammengearbeitet. Die Rolle der Tochter wurde mit einer echten Berliner Nachwuchssportlerin besetzt, die ähnliche Erfahrungen in ihrer Familie gemacht hatte. Dresen wählte die Lilli-Darstellerin aus vier Mädchen aus. Der jüngere Sohn Mika wurde über eine Castingagentur entdeckt. Als Ärzte und Krankenpfleger wurde echtes Personal verpflichtet, die ihre Erfahrungen in den Film miteinbrachten.[4]

Kritiken

Bei der Premiere des Films auf den Filmfestspielen von Cannes wurde Halt auf freier Strecke ausnahmslos Lob von deutscher Seite zuteil. Andreas Borcholte (Spiegel Online) sah in Dresens Regiearbeit einen Kandidaten für den offiziellen Wettbewerb um die Goldene Palme und Milan Peschel als Favorit auf den Darstellerpreis anstatt einen Beitrag aus der Nebensektion. Der Film sei ein „berührendes Sterbedrama“ und es sei erstaunlich und beeindruckend zugleich, wie der Regisseur „seinem Publikum alltägliche, aber dadurch nicht minder existenzielle Dramen“ nahe bringe. Borcholte lobte die „die stillen, kleinen Szenen“ von Halt auf freier Strecke, der ohne „exploitative Schock- und Skandalmomente“ auskomme.[5] Hanns-Georg Rodek (Berliner Morgenpost) wunderte sich in einer Kurzkritik ebenfalls darüber, dass Dresens bisher bester Film „in der zweitwichtigsten Reihe“ landete und gleichzeitig Gus Van Sants verkitschter Krebsfilm Restless die Sektion eröffnen durfte.[6]

Laut Tobias Kniebe (Süddeutsche Zeitung) scheue sich Dresen nicht, „alles zu zeigen“ - tropfende Speichelfäden, letzter Sex, die letzte Inkontinenzwindel. Gleichzeitig treibe er das „müde alte Stilmittel des Realismus“ auch mit Dialogen und Besetzung zu „eindrucksvollen Höhepunkten“. Bis auf die Traumszene, die einer „Befreiung“ gleichkomme, vermeide Dresen „alles Metaphysische, auch alle Worte darüber, was dieses Leben, das da zuende geht, nun bedeutet haben könnte“.[7] Der „vielleichzt wichtigste unter den jüngeren deutschen Filmemachern“ bleibe sich laut Susanne Ostwald (Neue Zürcher Zeitung) stilistisch treu. Dresens genaue Realitätsdarstellung enthalte absurden Humor, was man sonst nur aus dem britischen Kino kenne. Die überzeugenden Darstellungen der Schauspieler seien kaum auszuhalten.[8] Die Frankfurter Rundschau attestierte dem Regisseur große Sensibilität und Aufrichtigkeit im Umgang mit dem stetigen Verfall der männlichen Hauptfigur und der Überforderung der Familie.[9]

Einzelnachweise

  1. vgl. Spielplan bei festival-cannes.com (englisch; aufgerufen am 19. Mai 2011).
  2. vgl. englischsprachige Cannes-Pressemappe, S. 16 (aufgerufen am 18. Mai 2011).
  3. vgl. englischsprachige Cannes-Pressemappe, S. 12–13 (aufgerufen am 18. Mai 2011).
  4. vgl. englischsprachige Cannes-Pressemappe, S. 13 (aufgerufen am 18. Mai 2011).
  5. vgl. Borcholte, Andreas: Im Kino gewesen und geweint bei Spiegel Online, 15. Mai 2011 (aufgerufen am 19. Mai 2011).
  6. vgl. Rodek, Hanns-Georg: Cannes 2011: Mystische Version der Genesis mit Brad Pitt. In: Berliner Morgenpost, 17. Mai 2011 (aufgerufen via LexisNexis Wirtschaft).
  7. vgl. Kniebe, Tobias: Aus dem Nest gefallen. In: Süddeutsche Zeitung, 16. Mai 2011, S. 11.
  8. vgl. Ostwald, Susanne: Das Leben geschaut bei nzz.ch, 18. Mai 2011 (aufgerufen am 19. Mai 2011).
  9. vgl. Sirenen mit scharfen Zähnen bei fr-online.de, 15. Mai 2011 (aufgerufen am 19. Mai 2011).