Kastell Őcsény-Szigethpuszta
Őcsény-Szigetpuszta | |
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Alternativname | Ad Latus ? Alisca ad latus ? |
Limes | Pannonischer Limes |
Abschnitt | 7 |
Datierung (Belegung) | um 100 n. Chr. ? bis ? |
Typ | Kohortenkastell |
Einheit | a) Cohors I Noricorum ? b) Cohors II milliaria Brittonum ? c) ? |
Größe | 158 × 193 m |
Bauweise | a) Holz-Erde ? b) Stein |
Erhaltungszustand | unausgegrabenes, fast unüberbautes Kastell, stellenweise von unerlaubten Grabungen betroffen |
Ort | Őcsény |
Geographische Lage | 46° 19′ 33″ N, 18° 46′ 9,8″ O |
Höhe | 87 m |
Vorhergehend | Kastell Szekszárd (nordwestlich) |
Anschließend | Kastell Várdomb (Ad Statuas) (südlich) |
Das Kastell Őcsény-Szigetpuszta, das auch unter den Namen Ad Latus und – historisch wahrscheinlicher – Alisca ad latus bekannt geworden ist, war ein römisches Militärlager, das als Kohortenkastell einen Abschnitt des pannonischen Donaulimes sicherte. Die bis heute archäologisch kaum untersuchte, fast unüberbaute Anlage wurde nahe des Westufers der Donau errichtet und befindet sich auf einer seit der Antike sumpfigen Gemarkung nahe des Dorfes Őcsény, im ungarischen Komitat Tolna.
Lage
Őcsény-Szigetpuszta liegt in einer Niederung, die sich zwischen den Bergen von Szekszárd und der Donau erstreckt. Das Kastell wurde aus rein strategischen Überlegungen im sumpfigen Terrain der ausladenden antiken Donauauen errichtet und war durch eine eigene Wegeverbindung mit der Limesstraße verbunden, die diesen schwierigen, hochwassergefährdeten Geländeuntergrund umläuft. Funde einer vorrömischen, keltischen Besiedlung gibt es in diesem Bereich offensichtlich nicht.[1] Durch die Kanalisierung liegt die Donau heute wesentlich weiter östlich, doch zeigen die noch deutlich sichtbaren Altarme, wie nahe der Fluß in der Vergangenheit an der Garnison vorbeifloß. Rund sieben Kilometer Luftlinie nordwestlich liegt die Stadt Szekszárd. Hier wird ein weiteres Kastell vermutet, das möglicherweise ein Vorgängerbau von Őcsény-Szigetpuszta war oder parallel bestand. Das antike Szekszárd blieb auch nach der Errichtung des Kastells im Sumpfland ein wichtiger regionaler Bezugspunkt, wie die aufwendige Architektur und der offensichtliche Wohlstand vieler seiner Bewohner vermuten lassen.
Name
Die einzige Quelle für eine relative Präzisierung der antike Namen in dieser Region, die Itinerarium Antonini, ein Verzeichnis wichtiger römischen Reichsstraßen und Siedlungen, stammt aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Leider fehlen dort zwischen einigen Kastellen die Meilenangaben, so daß gerade im Fall von Őcsény-Szigetpuszta eine eindeutige Ansprache des Kastells mit einem der für diese Region bekannten lateinischen Namen nicht möglich ist. Das in dem Verzeichnis genannte Alisca ad latus wird in der Fachwelt immer noch heftig diskutiert. Einige Forscher haben den überlieferten Ausdruck in zwei Teile zerlegt und das Wort Alisca auf den mutmaßlichen Kastellplatz von Szekszárd angewendet, während Ad Latus, was in etwa abseits, seitwärts bedeutet, für die baulichen Überreste von Őcsény-Szigetpuszta eingesetzt wurde. Auch der Limeskenner Zsolt Visy unterstützte in der Vergangenheit die Hypothesen der Archäologen Mór Wosinsky (1854–1907) und József Csalog (1908–1978), die Őcsény-Szigetpuszta als ad latus bezeichneten.[2] Dieser Ausdruck würde zur geographischen Lage des Kastells passen, da Őcsény-Szigetpuszta am Ende einer Abzweigung der Limesstraße liegt. Im Gegensatz zu Csalog galt für Wosinsky dieses ad latus jedoch nicht als Eigenname, sondern gab lediglich die örtliche Situation der Anlage wieder. Seiner Meinung nach war der eigentliche Name des Kastells von Őcsény-Szigetpuszta Contra Tautantum.[3] Diese Bezeichnung wiederum stammt aus dem spätantiken Staatshandbuch Notitia Dignitatum[4] und wird bis heute für unterschiedliche Kastelle entlang des ungarischen Donaulimes diskutiert [5]. Die meisten Forscher haben in der Vergangenheit diese Thesen jedoch abgelehnt und teilweise Őcsény-Szigetpuszta mit dem antiken Alisca gleichgesetzt.[3] Da aus Szekszárd zwar bisher kein Kastell, aber vorrömische keltische Funde und eine darüberliegende, ausgedehnte römische Zivilsiedlung mit reichen Gräberfeldern bekannt sind, wird das frühe Kastell von Alisca dort gesucht.[1] Später könnte dann aufgrund neuer strategischer Überlegungen – abseits des Lagerdorfes (Vicus) – im Sumpf eine neue Garnison errichtet worden sein, die dann als Alisca ad latus bezeichnet wurde.
Forschungs- und Baugeschichte
Wie am Unterbau der zum Kastell führenden römischen Straße festgestellt wurde, müssen die Bauten, die auf dem weichen Untergrund errichtet wurden, wohl ebenfalls eine solide Fundamentierung erhalten haben. Der antike Weg wurde mit einem hohen, dammartigen Unterbau gesichert, der sich teilweise noch heute im Gelände abzeichnet. Auf einer 1953 entstandenen Luftaufnahme läßt sich die im Volksmund als Teufelsdamm bekannte Trasse rund sieben Kilometer weit verfolgen.[3] Das von Nordwesten kommende Straßenbauwerk mündet vor dem westlichen Lagertor – wohl der Porta decumana, dem rückwärtigen Zugang – an einer der beiden Schmalseiten des rund 158 × 193 Meter umfassenden, rechteckigen Kastells.[2] Dieses folgte in seinem konzeptionellen Aufbau dem in der frühen Kaiserzeit geprägten standardisierten Bauschemas römischer Kastelle und besaß vier abgerundete Ecken (Spielkartenform) in denen je Wachturm stand. Weitere Zwischentürme und die Tore flankierende Türme gehörten neben den vorgelagerten Verteidigungsgräben ebenfalls zum üblichen Bauprogramm einer Garnison. Üblicherweise besaß ein Kastell bis zum Beginn der Spätantike vier Tore. Jeweils eines an den beiden Schmal- und Längsseiten. Im Kreuzungspunkt der von diesen vier Toren im Lagerinneren weitergeführten Straßen stand die Principia, das Stabs- und Verwaltungsgebäude der Garnison. Aufgrund der Oberflächenfunde wird eine Gründung in der Zeit um 100 n. Chr. oder später[1] – jedoch im 2. Jahrhundert – angenommen.
Von den antiken Bauten ist aus Őcsény-Szigetpuszta aufgrund der fehlenden Grabungen bis heute jedoch nichts bekannt geworden. Bei einer von Unbefugten durchgeführten Grabung wurde die westliche steinerne Wehrmauer fast vollständig freigelegt und ein Profil erstellt, das die Stärke der Mauer mit 1,4 Metern angibt.[2] Dieses Maß ist typisch für Wehrmauern mittelkaiserzeitliche Kastellanlagen.[6] Für die Verkehrsanbindung ist noch eine weitere im Luftbild sichtbar werdende Straße von Bedeutung, die schnurgerade, in fast nördliche Richtung laufend, das Nordtor des Kastells verläßt und zu einem Wachturm führt, der bei Szekszárd-Bárányfok liegt.[7]
Südlich des Kastells ist aufgrund von Überflügen eine rechteckige Grabenanlage mit einem Umfang von 120 × 170 Metern bekannt geworden. Sollte es sich dabei um ein römisches Bauwerk handeln, könnte es sich um ein Holz-Erde-Lager handeln.[8]
Truppe
Auf Grund von aufgelesenen Ziegelstempeln aus Őcsény-Szigetpuszta und hinzugezogener Militärdiplome nahm die Wissenschaft lange Zeit an, daß das Kastell als Holz-Erde-Lager von der Cohors I Noricorum (1. Kohorte der Noriker) errichtet worden war. Diese Einheit soll bis zum Ende der Markomannenkriege (166–180) in Őcsény-Szigetpuszta stationiert gewesen sein und war davor nur einmal, unter Kaiser Hadrian (117–138), kurzzeitig von der Cohors II milliaria Brittonum (2. Doppelkohorte der Briten) abgelöst worden. Weitere Kastellbesatzungen waren im Anschluß unbekannt.[2] Der Epigraphiker Barnabás Lőrincz hat 2001 eine völlig neue Aufstellung der Truppen vorgenommen. Danach erscheint das Bild wie folgt:[9]
Zeitstellung | Truppenname | Bemerkung |
106–176 n. Chr. | Cohors III Lusitanorum pia fidelis | Die 3. Kohorte der Lusitanier, pflichtbewußt und treu wurde vor dem zweiten Dakerkrieg Kaiser Traians (105/106) aus der Provinz Niedergermanien nach Niederpannonien verlegt.[10] |
176–Ende 2. Jh. n. Chr. | Ala I civium Romanorum ? | Die 1. Reitertruppe römischen Bürgerrechts wurde zu Beginn der Regierungszeit Kaiser Vespasians (69–79) nach Pannonien verschoben und lag bis 101 wohl im Auxiliarkastell Cornacum in Garnison. Anschließend nahm die Truppe an Traians Dakerkriegen teil (101/102 und 105/106) und blieb dannach kurzzeitig als Besatzungstruppe in der neuen Provinz Dakien. Doch bereits um 113/114 ist die Einheit wieder in Niederpannonien. Sie wird wahrscheinlich in Rittium an der Limesstrecke von Syrmien kaserniert gewesen sein. Zwischen 118/119 bis 138 läßt sich ihr damaliger Garnisonsort in Niederpannonien noch nicht nachweisen, es könnte sich jedoch um Burgenae gehandelt haben. Anschließend war sie bis 176 im Limeskastell Intercisa. 149 nahm eine Vexillation der Truppe am Krieg des Kaisers Antoninus Pius in Mauretanien teil. Von Intercisa aus kam die Ala möglicherweise nach Őcsény-Szigetpuszta und blieb dort bis 200. Der nächste Standort war Teutoburgium. 252 nahm die Truppe am Perserkrieg des Kaisers Trebonianus Gallus teil.[11] |
3. Jh. n. Chr. | Cohors I Montanorum ? | In spätflavischer Zeit war die 1. Kohorte der Bergbewohner zunächst im Kastell Klosterneuburg und anschließend in der Umgebung von Aquincum stationiert,[12] möglicherweise in Albertfalva. Als anderer zeitgleicher Standort dieser Truppe könnte allerdings auch das am kroatischen Donaulimes gelegene Cornacum herangezogen werden.[13] |
Für die Aufstellung dieser Truppenliste setzte Lőrincz die Theorie voraus, daß Őcsény mit Ad Latus und Szekszárd mit Alisca gleichzusetzen ist. Daher war nach seiner Überlegung u.a. die Cohors I Noricorum in Szekszárd stationiert.
Funde
Das hauptsächlich dokumentierte Material vom Platz sind zahlreiche Lesefunde, die bei Prospektionen an der Oberfläche zu Tage traten. Dazu zählen unter anderem Münzen, Keramik und die bereits erwähnten Ziegelstempel.
Zum weiteren Fundgut aus Őcsény zählt neben einem Schildbuckel auch die 1828 entdeckte, einzige bisher bekannt gewordene kranzverzierte Grabstele aus Kalkstein, den der höchstwahrscheinlich keltischstämmige militärische Kundschafter (Explorator) Aelius Ressatus noch zu Lebzeiten für sich, seine Frau und die verstorbene Tochter gesetzt hat. Der genannte hatte unter Kaiser Hadrian das römische Bürgerrecht erhalten:[14][15][16]
- D(is) M(anibus)
- C(aiae) Val(eriae) Alpin(a)e
- a(n)norum
- VIII hic sit
- a est pat(e)r et
- mater fili(a)e
- ben(e) mer(e)nti
- posuerunt
- et sibi vivis
- Ael(ius) Ressatus
- explorat(or) et
- Val(eria) Aelias
- mater
Übersetzung:
Den Totengöttern. Der Gaia Valeria Alpina, 8 Jahre alt; sie ist hier beigesetzt; der wohlverdienten Tochter haben Vater und Mutter (dieses Grabmal) aufgestellt und für sich selbst zu Lebzeiten, Aelius Ressatus, Kundschafter und Valeria Aelias, die Mutter.
Fundverbleib
Funde wie der oben genannte Grabstein befinden sich heute im Wosinsky Mór Múzeum in Szekszárd.
Denkmalschutz
Die Denkmäler Ungarns sind nach dem Gesetz Nr. LXIV aus dem Jahr 2001 durch den Eintrag in das Denkmalregister unter Schutz gestellt. Zuständig ist das Staatliche Amt für das Kulturelle Erbe (Kulturális Örökségvédelmi Hivatal; KÖH) in Budapest. Der Burgus Dunakeszi sowie alle anderen Limesanlagen gehören als archäologische Fundstätten nach § 3.1 zum national wertvollen Kulturgut. Alle Funde sind nach § 2.1 Staatseigentum, egal an welcher Stelle der Fundort liegt. Verstöße gegen die Ausfuhrregelungen gelten als Straftat bzw. Verbrechen und werden mit Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren bestraft.[17]
Siehe auch
Literatur
- Jenő Fitz: Der Römische Limes in Ungarn. Fejér Megyei Múzeumok Igazgatósága, 1976.
- Zsolt Visy: Der pannonische Limes in Ungarn. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, ISBN 3806204888.
Einzelnachweise
- ↑ a b c Hermann Vetters, Manfred Kandler (Hrgs.): Akten des 14. Internationalen Limeskongresses 1986 in Carnuntum. Österreichische Akademie der Wissenschaften, 1990. S. 554.
- ↑ a b c d Zsolz Visy: Der pannonische Limes in Ungarn. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, ISBN 3806204888, S. 117.
- ↑ a b c Hermann Vetters, Manfred Kandler (Hrgs.): Akten des 14. Internationalen Limeskongresses 1986 in Carnuntum. Österreichische Akademie der Wissenschaften, 1990. S. 553.
- ↑ Not. Dign. Occ. XXXIII 55.
- ↑ Unter anderem Zsolt Mráv: Castellum contra Tautantum. Zur Identifizierung einer spätrömischen Festung. In: Ádám Szabó, Endre Tóth: Bölcske. Römische Inschriften und Funde – In memoriam Sándor Soproni (1926–1995) Libelli archaeologici Ser. Nov. No. II. Ungarisches Nationalmuseum, Budapest 2003. ISBN 963-9046-83-9.
- ↑ Anne Johnson (dt. Bearbeitung von Dietwulf Baatz): Römische Kastelle. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1987, ISBN 3-8053-0868-X, S. 84.
- ↑ Zsolz Visy: Der pannonische Limes in Ungarn. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, ISBN 3806204888, S. 118.
- ↑ Zsolz Visy: Der pannonische Limes in Ungarn. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, ISBN 3806204888, S. 119.
- ↑ Barnabás Lőrincz: Die römischen Hilfstruppen in Pannonien während der Prinzipatszeit. Teil I: Die Inschriften. Forschungsgesellschaft Wiener Stadtarchäologie, Wien 2001, ISBN 3902086025, S. 104.
- ↑ Barnabás Lőrincz: Die römischen Hilfstruppen in Pannonien während der Prinzipatszeit. Teil I: Die Inschriften. Forschungsgesellschaft Wiener Stadtarchäologie, Wien 2001, ISBN 3902086025, S. 38.
- ↑ Barnabás Lőrincz: Die römischen Hilfstruppen in Pannonien während der Prinzipatszeit. Teil I: Die Inschriften. Forschungsgesellschaft Wiener Stadtarchäologie. Wien 2001. ISBN 3902086025. S. 18.
- ↑ Barnabás Lőrincz: Die römischen Hilfstruppen in Pannonien während der Prinzipatszeit. Teil I: Die Inschriften. Forschungsgesellschaft Wiener Stadtarchäologie, Wien 2001, ISBN 3902086025, S. 81.
- ↑ Barnabás Lőrincz: Die römischen Hilfstruppen in Pannonien während der Prinzipatszeit. Teil I: Die Inschriften. Forschungsgesellschaft Wiener Stadtarchäologie. Wien 2001. ISBN 3902086025. S. 90.
- ↑ Alice Sz. Burger: Bemerkungen und Nachträge zu CIL III 3299. In: Folia Archaeologia, Bd. 17. Magyar Nemzeti Múzeum, Budapest 1965. S. 103–109.
- ↑ Alice Sz. Burger, Ferenc Fülep: Die römischen Inschriften Ungarns (RIU). Gebiet zwischen der Drau und der Limesstrecke Lussonium–Altinum. Bd. 4. Akadémiai Kiadó, Budapest 1984. S. 14.
- ↑ CIL 03, 03299
- ↑ Siehe hierzu: Kulturális Örökségvédelmi Hivatal.