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Fürstentum Nitra

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Das Neutraer Fürstentum oder Nitraer Fürstentum (Fürstentum von Nitra/Neutra, slowakisch: Nitrianske kniežatstvo, Nitriansko, Nitrava) war ein slawischer Staat im Mittelalter in der heutigen Slowakei und einigen angrenzenden Gebieten. Seine Hauptstadt war die Stadt Nitra (dt. Neutra). Es handelt sich um den ältesten bekannten Staat der heutigen Slowaken (abgesehen vom Reich des Samo). Im 9. Jahrhundert ist die Namensform Nitrava nachgewiesen, was eine Parallelform zum slawischen Namen des benachbarten Mährens -Morava- darstellt.

Es war zunächst selbständig (bis 833), dann Teil von Groß-Mähren (bis Anfang des 10. Jahrhunderts), dann Teil von Ungarn (1001-1030 vorübergehend Teil von Polen). 1108 wurde es aufgelöst.

Selbständiger Staat

Entstanden ist es spätestens Ende des 8. Jahrhunderts parallel zum dem Mährischen Fürstentum, das sich im heutigen Südmähren und in den westslowakischen Grenzgebieten befand. Beide Fürstentümer waren in Kämpfe gegen die Awaren im heutigen Ungarn verwickelt, die um 800 von den Franken total geschlagen wurden. Anfang des 9. Jahrhunderts umfasste das Neutraer Fürstentum die heutige Slowakei, angrenzende Teile des heutigen nordöstlichen Ungarns, sowie die westliche Karpato-Ukraine (es ist aber zum Teil umstritten, ob die östlichste Slowakei und die Karpato-Ukraine nicht erst später im Laufe des 9. Jahrhunderts angeschlossen wurden). Im Jahre 828 wurde in Nitra (Nitrava – vergleiche Morava) vom Salzburger Bischof Adalram am Sitz des regierenden Fürsten Pribina (Privina) die erste bekannte Kirche der heutigen West- und Ostslawen geweiht. Fürst Pribina ist es gelungen den fränkischen Einfluss in der Slowakei abzuschwächen.

Teil von Groß-Mähren

Im Jahre 833 wurde das Gebiet an das Mährische Fürstentum unter Fürst Mojmír I. angeschlossen, der dabei Pribina aus Nitra verjagte. Pribina gründete einige Jahre später das Plattensee-Fürstentum im heutigen südwestlichen Ungarn. Durch diese Eroberung von 833 entstand das legendäre Groß-Mähren, dem dann im Laufe des 9. Jahrhunderts weitere Gebiete Mitteleuropas angeschlossen wurden. Das Neutraer Fürstentum behielt innerhalb Groß-Mährens von Anfang an eine gewisse Selbständigkeit und es fungierte als Lehnfürstentum für jüngere Mitglieder der in Groß-Mähren regierenden Mojmiriden. So war beispielsweise der mächtigste großmährische Fürst Sventopluk, bevor er 871 der Fürst von Groß-Mähren wurde, zuerst (seit etwa 850) der Fürst von Nitra und etwa 867 – 870 der Lehnfürst von Nitra. Im Jahre 870 wurde es vorübergehend – im Gegensatz zum heutigen Mähren – von Ludwig dem Deutschen regiert. Im Jahre 880 entstand hier das einzige bekannte Bistum Groß-Mährens. Sein erster Bischof war Wiching. Um 900 war Svätopluk II. der Lehnfürst von Nitra. Dieser kämpfte mit seinem im heutigen Mähren herrschenden Fürsten Mojmír II. um die Vorherrschaft im Großmährischen Reich, was zur Schwächung des Reiches führte und schließlich in 907 zu seiner Zerstörung durch die aus Asien angekommenen nomadischen Ungarn führte.

Oberherrschaft ungarischer Stammesführer

Die Ereignisse am Anfang des 10. Jahrhunderts sind recht unklar. In den 20er Jahren machte Lél, einer der ungarischen Stammesführer (die Ungarn bestanden damals noch aus zahlreichen Stämmen), Nitra und die südwestliche Slowakei, also den Kern des Neutraer Fürstentums, zu seinem Sitz. Der Rest der Slowakei zerfiel für Jahrhunderte - bis er sukzessive vom 11. bis zum Anfang des 14. Hurhunderts von den Ungarn erobert wurde - in kleine, um bestimmte Burgstätten situierte slowakische Fürstentümer.

Nachdem die Ungarn, darunter auch Lél, 955 am Lechfeld geschlagen wurden, wurde Lél von den Ungarn exekutiert und seine Besitztümer erhielten die Arpaden. Konkret war es wahrscheinlich der arpadische Stammesführer Zoltan, der 955 das Neutraer Fürstentum erhielt, während sein Sohn Taksony im heutigen West-Ungarn regierte. Umstritten bleibt, ob Zoltan ca. 955 – 970 die Oberherrschaft Böhmens (siehe Přemysliden) in der heutigen Westslowakei bis zur Waag akzeptieren musste.

Als im heutigen Ungarn Geza von Arpad 971 zum Fürsten in West-Ungarn wurde, mit der Bildung eines einheitlichen Ungarns begonnen hatte und seinen Sitz nach Esztergom (an der slowakischen Grenze) verlegte, machte er seinen Bruder Michael zum Lehnfürst im Neutraer Fürstentum (971-995). Michael’s Frau war Adelajda (Adelhaid) die Beleknegini, die Tochter des Polnischen Fürsten Mieszko I.. Durch Handel und Diplomatie ist es Michael gelungen, den ungarischen Einfluss in weitere Teile der Slowakei auszuweiten. Da er jedoch zu mächtig wurde, ließ ihn Geza 995 ermorden und Michaels Söhne Vazul und Ladislaus der Kahle flüchteten ins Ausland. Gleichzeitig ernannte Geza seinen Sohne Waik (nach seiner Taufe als Stephan I. der Heilige bekannt) zum neuen Fürsten von Nitra (995-1001). Stephan brachte seine bayerische Frau Gisela in die alte christliche Stadt Nitra mit, was eines der Gründe ist, weswegen er später ein eifriger Christianisierer des heutigen Ungarns wurde. Stephan hatte eine freundschaftliche Beziehung zu slowakischen Adeligen aus der heutigen Slowakei (vor allem zu den Poznans und Hunts). Diese haben ihm dann auch geholfen, nach dem Tod seines Vaters im Jahre 997, den ungarischen Stammesführer Koppány aus Somogy, der der neue Herrscher nach Geza werden wollte, zu schlagen, wofür die slowakischen Adeligen später auch reich belohnt wurden.

Teil von Polen

Im Jahre 1000 wurde Stephan I. zum König von Ungarn gekrönt. Gleich danach, im Jahre 1001, hat Polen die gesamte heutige Slowakei, einschließlich des bis dato in ungarischen Händen befindlichen Neutraer Fürstentums (damals die südliche Slowakei) erobert. Polen ernannte die seinerzeit ins Ausland geflüchteten Cousins von Stephan, Ladislaus den Kahlen (1001 – starb 1029) und danach Vazul (1029-1030) zu Fürsten in dem nunmehr polnischen Neutraer Fürstentum.

Teil von Ungarn

1030 hat König Stephan die Polen gezwungen sich aus der Slowakei zurückzuziehen und hat begonnen die gesamte Slowakei Ungarn anzuschließen und damit das Gebiet des Neutraer Fürstentums (wieder) auszuweiten, was im Wesentlichen im 12. Jahrhundert (im Osten jedoch erst Anfang des 14. Jahrhunderts ) vollzogen war. 1031 hat Stephan Vazul in Nitra blenden lassen, um zu verhindern, dass er – als Stephans Cousin – der nächste König von Ungarn wird. Den drei Söhnen von Vazul - Levente, Andreas (der künftige König Andreas I.) und Bela (der künftige König Béla I.) – sowie dem Sohn Domoslav (Bonuslaus) von Ladislaus dem Kahlen ist es gelungen, ins Ausland zu flüchten. Domoslav wurde 1042 von Böhmen vorübergehend als Herrscher in der Westslowakei eingesetzt. Andreas und Bela hingegen sind später nach Ungarn zurückgekehrt und haben 1046 den ungarischen König Peter Orseolo abgesetzt. Andreas ist als Andreas I. König von Ungarn geworden (1046-1063) und 1048 erhielt sein Bruder Bela einen Drittel Ungarns, nämlich das Neutraer Fürstentum samt oberem Theiß-Lauf, vom Andreas als das Neutraer Grenzfürstentum mit Sitz in Neutra als Lehen. Es wird in den historischen Quellen oft als „tercia pars regni“ oder Ducatus bezeichnet. Béla erhielt den Titel eines Herzogs. All die Nachfolger von Béla waren so wie Béla Mitglieder der im heutigen Ungarn regierenden Arpaden und waren meist zukünftige Könige von Ungarn (Thronanwärter). Vor allem vor 1077 führten die Herzöge eine unabhängige Außen- und Innenpolitik (eigene Münzen, eigene Armee, eigene internationale Beziehungen etc.) und das Grenzfürstentum wurde auch vom Papst und den deutschen Kaisern praktisch als eigenständiger Staat behandelt. Als sich beispielsweise der König Andreas I im Konflikt mit dem Byzantinischen Reich befand, hat der byzantinische Kaiser Béla kontaktiert.

1059 flüchtete Béla nach Polen, nachdem Andreas I. dessen eigenen Sohn Salomon (statt wie erwartet Béla) krönen ließ. 1060 ist Béla nach Ungarn zurückgekehrt und hat den König geschlagen. Der verwundete Andreas I, der mit der Tochter des deutschen Kaisers Heinrich III. verheirat war, schickte seinen Sohn Salomon nach Deutschland und anschließend starb er (1061). Bela wurde der neue König von Ungarn und blieb parallel dazu der Grenzfürst von Neutra. Nach Belas Tod 1063, machte Heinrich Salomon zum neuen König von Ungarn und die Söhne von Bela – Geza, Ladislaus und Lampert - flüchteten nach Polen zu ihrem Verwandten, dem Herrscher Boleslaus II.. Nachdem Heinrich Ungarn verließ, hat Boleslaus II. Salomon angegriffen und geschlagen, und er hat ihn gezwungen Geza als König von Ungarn zu akzeptieren. Schließlich wurde jedoch 1064 zwischen Salomon und den Söhnen von Bela Frieden geschlossen. Im Sinne diese Friedens ist Salomon König von Ungarn geblieben (1063-1074) und Ladislaus erhielt das Neutraer Grenzfürstentum. Genauer gesagt ist Géza der Herzog der Slowakei (11 Komitate) geworden, Ladislaus erhielt den oberen Theiß-Lauf (4 Komitate) und Lampert blieb mit Geza in Neutra, ohne eigene Gebiete erhalten zu haben. Bald brachen jedoch neue Konflikte aus und 1074 haben die drei Söhne von Bela Salomon geschlagen, wonach Geza (1074-1077) zum neuen König Ungarns wurde und sein Bruder Ladislaus der neue Herzog des Neutraer Grenzfürstentums und seit 1077 der König von Ungarn.

Im Jahre 1077 ist Lampert der Herzog von Nitra geworden, König Ladislaus – der ja seinerzeit selber diesen Posten innehatte - hat jedoch seine Macht deutlich eingeschränkt und hat ihm die selbständige Armee genommen. 1081 hat König Ladislaus den ehemaligen König Salomon, der seit 1074 noch in Pressburg (Bratislava) und Umgebung herrschte, endgültig geschlagen. 1095 ist Álmos, bis dato der Herzog von Kroatien (1084 – 1091) und König von Ost-Kroatien (1091-1095), der neue Herzog von Neutra geworden. 1098 entstand zwischen Koloman, dem König von Ungarn, und Álmos, der von Deutschland und Böhmen unterstützt wurde, ein Konflikt, da sich Koloman 1097 zum König von Kroatien proklamierte (Krönung erst 1102). 1108 haben die beiden Frieden geschlossen, aber Koloman hat ihn verletzt und ließ Almos 1108 oder 1109 blenden und in ein Gefängnis stecken, um zu verhindern, dass er der künftige König von Ungarn wird.

Diese Tat von 1108/1109 bedeutete das Ende des Neutraer Fürstentums und damit eine vollständige Eingliederung der Slowakei in das Königreich Ungarn, die (jedenfalls für die bereits von Ungarn eroberten slowakischen Gebiete) von 1108 bis 1918 dauerte.