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Épistémologie

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Definition der Epistemologie in Frankreich

Im Französischen wird bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen Epistemologie (von griechisch επιστήμη, epistéme - Wissenschaft, Wissen + λόγος, lógos - auch Wissenschaft, Lehre) und Erkenntnistheorie unterschieden; der Begriff "Epistemologie" wurde jedoch bis fast zum Ende des 20. Jahrhunderts noch zur Bezeichnung der "Philosophie der Wissenschaften", aber in einem bestimmten Sinne (André Lalande, Vocabulaire technique et critique de la Philosophie, Paris 1947) ungenau verwendet. Im gegenwärtigen Denken wird der Unterschied zwischen Erkenntnistheorie und Epistemologie mit dem Ziel betont, die Fragen der Wissenschaften unter ausdrücklichem Ausschluss "traditioneller" philosophisch-weltanschaulicher Grundfragen zu erforschen.

Gaston Bachelard

Seit den 1930er Jahren hat sich die Epistemologie in Frankreich als eine Richtung der gegenwärtigen Philosophie konstituiert. In Frankreich wurde vor allem Gaston Bachelard als Begründer der modernen Epistemologie angesehen, den er als "einen neuen Typ der Philosophie", als das "Selbstbewusstsein" der Wissenschaften bezeichnete und diesen neuen Typus der Philosophie - im Anschluss an die Phänomenologie - sowohl der damaligen spiritualistischen Universitätsphilosophie (Louis Lavelle, René Le Senne, Emile Chartier Alain u.a.), welche die Beschäftigung der Philosophie mit Fragen der Wissenschaften ablehnte, wie auch dem Neopositivismus, welcher die logischen Untersuchungen in den Mittelpunkt stellte, entgegensetzte.

Bachelard und seine Nachfolger haben die Positionen der idealistischen Philosophie nie verlassen und bewegen sich, ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Ideen, zwischen zwei Varianten des subjektiven Idealismus: Phänomenologie und Positivismus. Gemeinsam ist ihnen die Verneinung des Widerspiegelungscharakters der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Negierung der objektiven Wahrheiten. In "Nouvel esprit scientifique" (Paris 1934) und "La philosophie du non. Essai d'une philosophie de nouvel esprit scientifique" (Paris 1940) formuliert Bachelard die grundlegenden Thesen seines idealistischen Rationalismus, mit denen er ausdrücklich an Henri Bergsons Auffassungen über "intuition", "schöpferische Evolution", "Elan vital" u.a. anknüpft.

Die Wissenschaften betrachtet er als eine besondere Art der Rationalität, sie sind Innovation, Schöpfung. Da jede Wissenschaft eine besondere Art der Rationalität, der Subjektivität darstellt und die Rationalität somit nur "regional" ist, befürwortet Bachelard einen "epistemologischen Pluralismus", der die positivistische Trennung nicht nur zwischen den einzelnen Wissenschaften, sondern auch zwischen den Wissenschaften und der Philosophie gleichkommt. Die Spezifität einer jeden Wissenschaft wird verstärkt von den Vertretern der neueren Epistemologie vorgebracht, die von einem "nouvel esprit scientifique" sprechen (z.B. Michel Serres) und dies als Hauptargument gegen jede philosophische Fragestellung betrachten.

Strukturalistische Epistemologie

Die Vertreter der französischen Epistemologie räumen der Wissenschaftsgeschichte einen besonderen Platz ein. Gegen jene positivistische Geschichtsschreibung, die die Geschichte primitiv linear deutet, heben die Epistomologen, was vor allem in der These von der "histoire récurrente" ("retrospektive Geschichte") zum Ausdruck kommt, Diskontinuität und rationalistisch-konstruktivistische Züge hervor. An diese Auffassung knüpft Michel Foucault in "Les mots et les choses" (Paris 1966) und "L'archéologie du savoir" (Paris 1969) an, die die Auseinandersetzungen um die Epistemologie in Frankreich belebten und den Versuch darstellten, eine strukturalistische Epistemologie auszuarbeiten.

Der zentrale Begriff dieser Epistemologie ist der Begriff "Episteme", mit ihm ist die unbewusste Struktur des Denkens jeder Epoche gemeint, die den Wissenschaften das Gepräge gibt. Mit dem Begriff "Episteme", d.h. mit der These von der unbewussten Struktur des Denkens, ist der "theoretische Antihumanismus" der strukturellen Epistemologie verbunden, der in der Zielstellung gipfelt, "sogar die Idee vom Menschen in der Forschung und im Denken überflüssig zu machen" (Foucault, Absage an Sartre, in: Alternative 1967, H.54). Die Auseinandersetzung der strukturalen Epistemologie mit der subjektivistischen, psychologisierenden Betrachtungsweise, mit dem abstrakten Humanismus kann nur notdürftig die für das Denken charakteristische Trennung der Wissenschaften, einschließlich der "Wissenschaften vom Menschen", von der Gesellschaft verhüllen, wie sie in der Epistemologie bei der Analyse des "Diskurses" - der Sprache, betrachtet als synchron zusammenwirkendes autonomes System - und der mit ihr erzeugten Pseudoobjektivität zum Ausdruck kommt.

Louis Althusser

In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts unternahm Louis Althusser den Versuch, eine Epistemologie auf marxistischen Grundlagen auszuarbeiten, die sich auf eine neue "epistemologische Lektüre" des Marxschen "Kapitals" gründen sollte. Sein Versuch sollte vor allem dem Mechanismus der subjektivistischen und abstrakt humanistischen Fehlinterpretation der marxistischen Grundlagen entgegentreten. Dabei stützte er sich jedoch weitgehend auf die Thesen von Bachelard und Foucault, worin mit dem "epistemologischen Schnitt" Ideologie und Wissenschaft gegenübergestellt wurden, womit er allerdings mit der marxistischen Betrachtungsweise teilweise in Konflikt geriet.