Zum Inhalt springen

Reich Gottes

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 24. August 2005 um 14:45 Uhr durch Stefan B. Link (Diskussion | Beiträge) (neu geschrieben: Definition, erste Abschnitte der Erläuterung). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das Reich Gottes oder die Königsherrschaft Gottes (griech. basileia tou theou) ist im Judentum die sichtbare Herrschaftsaufrichtung JHWHs in Israel mit dem Ende von Exil und Fremdherrschaft und im Christentum der Zustand der endgültigen Erlösung der Menschheit. Oft ist auch vom Himmelreich (griech. basileia tôn ouranôn) die Rede -- dies ist zu verstehen als Herrschaft des Himmels, nicht etwa als Ein Land im Himmel.

Ursprung

Der Begriff stammt aus der spät-alttestamentlichen Apokalyptik und stellt ursprünglich den Fremdherrschaften im Land Israel (Babylonier, Perser, Römer), aber auch der Gottvergessenheit Israels selbst die kommende sichtbare Herrschaftsaufrichtung JHWHs entgegen. Diese wird als umfassendes Gottesgericht hereinbrechen. Die Übertreter des Gesetzes und die Heiden werden bestraft und verworfen werden, die Gerechten erhalten den Zugang zum Gottesreich. Umkehrpredigt und Bußtaufe Johannes des Täufers sind noch ganz von diesem Hintergrund bestimmt.

Im Christentum

Etymologisch

Auf Griechisch heißt Reich Gottes >basileia tou theou<: (Königs-)Herrschaft Gottes. Reich Gottes besagt also die Herrschaft (Sozialordnung) der unbedingten Liebe, die entsteht, wenn Menschen aus dem Geist Gottes heraus leben. Im Matthäus-Evangelium wird nicht vom Reich Gottes gesprochen, sondern das Wort >Gott< wird mit dem Wort >Himmel< umschrieben, weil der Evangelist den Namen Gottes nicht aussprechen will. So heißt es nur bei ihm >Reich der Himmel<, Himmelreich.

Definition

>Reich Gottes< bezeichnet einen menschlichen Zustand, bei dem Menschen nicht mehr aus Angst um sich selbst handeln – die die Wurzel allen Egoismus ist –, sondern in Liebe zum Nächsten, weil Menschen sich bedingungslos und absolut in Gott geborgen wissen [weder Schuld ("bedingungslos") noch Tod ("absolut") können sie vom Geborgensein in Gott trennen], so dass Gott den Menschen im Bewusstsein so gegenwärtig wird, dass deren Zusammenleben von Gerechtigkeit und Frieden geprägt wird.

Erläuterung

Im Glauben an das Geborgensein in Gott können Menschen ihre existentiellen Ängste überwinden, so dass sie nicht mehr unmenschlich und lieblos werden müssen. Denn das Glaubens-Bewusstsein hilft einem, gelassener und liebevoller zu werden, sich durch Verlust und Versagen nicht entmutigen zu lassen und unabänderliche Leiden zu akzeptieren, weil man Glück und Sinn nicht mehr nur von Weltlichem erwartet, sondern vom ewigen Leben (absoluten Geborgensein) in Gott. Durch die Angst-Überwindung im Glauben könnte das menschliche Zusammen auf seinen vielen Ebenen durchherrscht sein von Liebe, Friede und Gerechtigkeit.

Das Reich Gottes entsteht zwar nicht ohne den menschlichen Willen, aber auch nicht ursächlich durch den Willen. Ursächlich entsteht das Reich Gottes durch das Geborgensein in Gott, weil der Glaube an das Geborgensein in Gott letztlich erst die Liebe des Reiches Gottes ermöglicht, motiviert und begründet. Weil das Reich Gottes ursächlich durch das Geborgensein in Gott entsteht, kann man sagen, dass Gott es eigentlich ist, der im Handeln der Menschen den gesellschaftlichen Zustand des Reiches Gottes bewirkt (heraufführt), dass Gott der eigentlich Handelnde im Lieben ist. Das Reich Gottes ist der Ort, an dem nur noch Gottes Wille herrscht, nämlich dass man sich bedingungslos und absolut in Gott geborgen weiß ( = gläubig ist) und dass man diese Liebe weitergibt ( = Glaube als Liebestat).

Der Begriff Reich Gottes bezeichnet sehr wohl etwas Weltliches, aber auch etwas Jenseitiges nach dem Tod, denn Reich Gottes meint auch den Tod überdauerndes Geborgensein in Gott und Vollendetwerden aller Menschen in Gott nach dem Tod.

Jesus spricht in diesem Sinn vom kommenden und auch schon gegenwärtigen Gottes- oder Himmelreich. Charakteristisch für ihn ist jedoch, dass die Perspektive sich umkehrt. Der göttliche Zorn tritt zurück hinter einer göttlichen Liebeszuwendung zu den Armen, Machtlosen, Ausgeschlossenen, Kranken, Sündern, Kindern und sogar Heiden (vgl. Matth. 15,21-28). Diejenigen, die nach allgemeinem Maßstab und eigener Einschätzung als wertlos und verworfen galten, sind bei ihm die, die zuerst zum Gottesreich eingeladen sind: Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten (Matth. 20,16).

Außerdem erklärt Jesus, dass die Gottesherrschaft in seinem Wirken (z. B. durch Wunder) bereits anfängt (z.B. Luk. 11,20), und verschiebt den Akzent von der Zukunft auf die Gegenwart: Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es! Denn: Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch. (Evangelium des Lukas 17,20-21).

(Matt.19,23) Jesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich, ich sage euch: Ein Reicher wird schwer ins Himmelreich kommen. Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Reich Gottes komme. Als das seine Jünger hörten, entsetzten sie sich sehr und sprachen: Ja, wer kann dann gerettet werden? Jesus aber sah sie an und sprach zu ihnen: Bei den Menschen ist das unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.

Die nachösterliche christliche Verkündigung knüpfte hier an. Durch Tod und Auferstehung Christi ist der glaubende Mensch bereits erlöst und befindet sich im Zustand der Naherwartung des Reiches Gottes (Parusie). Der gekreuzigte und auferstandene Herr ist die "Gottesherrschaft in Person". Der Mensch, der sich ihm öffnet und sein Kreuz teilt, ist eins mit Gott und der Liebe und verändert seine Maßstäbe (s. Bergpredigt). Das Kommen des Reiches Gottes und die, die daran mitwirken, besiegen Sorgen und Leid, Krieg und Hass schon jetzt und vollkommen am Ende aller Tage.

Christliche Identität

In der Kirchengeschichte ist von diesem Impuls vieles wirksam geworden, teils durch bekannte und unbekannte Christen (Heilige), teils in säkularisierter Gestalt und auch gegen die etablierten Kirchen gewendet. Der Graben zwischen "real existierenden Kirchen" und Reich-Gottes-Glauben bleibt aber unübersehbar. Das war auch das Schicksal aller neuen Glaubensgemeinschaften, die das Gottesreich reiner darstellen wollten. Diese Spannung auszuhalten und möglichst zu verringern, kann geradezu als Definition christlicher Existenz gelten.

Siehe auch