Grande Armée
La Grande Armée (französisch für Die große Armee) ist der Name, den die kaiserlich französische Armee zwischen 1805 und 1815 führte.[1] Da es zwischen Ende 1808 und Anfang 1812 keine bestimmte „Armee“ – bzw. Armeegruppe – gab, die diese Bezeichnung führte, unterscheidet man in Frankreich häufig zwischen der „Grande Armee von 1805“ oder „premier grande armée“ und der „Grande Armee von 1812“ oder „deuxième grande armée“.[[1]] Analog dazu wird auch die Armee, die Kaiser Napoleon nach dem katastrophalen Feldzug in Rußland 1812 im Frühjahr 1813 (praktisch) neu aufgestellt hat, auch als die „Grande Armee von 1813“ bezeichnet. Dem entsprechend wird die Armee, die der Kaiser nach seiner Rückkehr von Elba und seiner erneuten Thronbesteigung 1815 neu formierte, oft als die „Grande Armee von 1815“ bezeichnet.
Die Grande Armee von 1805
Am 30. August 1805[2] ordnete Kaiser Napoleon I. an, daß L'Armée des côtes de l'Océan (französisch für „die Armee an der Küste des Ozeans“), die er ab 1803 für die geplante Invasion von England an der französischen Küste, vor allem bei Boulogne-sur-Mer, versammelt hatte, künftig als „Grande Armée“ zu bezeichnen sei. Die Grande Armee hatte eine Stärke von sechs Armeekorps (corps d’armée). Die Armeekorps, an deren Spitze Kaiser Napoleon in der Regel einen maréchal de France (bzw. später maréchal d’Empire) stellte, waren permanente Armeeabteilungen, die sich aus Einheiten aller Waffengattungen zusammensetzten, um weitgehend selbständig operieren zu können. Jedes dieser Armeekorps bestand aus einem Generalstab, zwei bis fünf Infanteriedivisionen, einer leichten Kavalleriedivision, und einer zusätzlichen (d.h. über die Divisions-Artillerie hinaus) Artillerie-Reserve von drei bis fünf Artillerie-Kompanien, eine Pionier-Kompanie sowie einigen weiteren Unterstützungstruppen. Der Troß war auf ein Minimum beschränkt, so daß zum Transport der notwendigen Güter auf unterwegs requirierte Fuhrwerke zurückgegriffen werden mußte. Die neugeschaffenen Armeekorps wurden von den Marschällen Bernadotte (1.), Marmot (2.), Davout (3.), Soult (4.), Lannes (5.), Ney (6.) und Augereau (7.)[3] geführt. Ihre Stärke variierte, je nach Anzahl der zugeordneten Divisionen, zwischen 18000 und 40000 Mann. Außerhalb dieser sieben Armeekorps blieb die gesamte schwerer Kavallerie. Kaiser Napoleon stellte die sieben vorhandenen „schweren“ Kavalleriedivisionen[4] als „Reservekavallerie“ unter den Befehl von Marschall Prinz Murat. Die kaiserliche Garde stand unter dem Befehl von Marschall Bessières; sie besaß 1805 die Stärke einer Division. Zum Transport von Lebensmittel, Medikamenten und Kranken wurde diese Armee noch durch acht Equipagen Bataillons erweitert (zusammen etwas über 3000 Mann), die noch durch eine Kompanie Handwerker ergänzt wurde.[5] Damit verfügte Kaiser Napoleon zu Beginn des Krieges mit Österreich über ein mobiles Feldheer von rund 190000 Mann.[6] Die französischen Truppen im zu Frankreich gehörenden Königreich Italien, die unter dem Befehl von Marschall Masséna standen (40000 Mann) [7], und das Armeekorps unter General St. Cyr (18000 Mann)[8] , das in das Königreich Neapel einmarschieren sollte, werden nicht zur „grande armée“ gezählt. Das gleiche gilt für die Truppen im Inneren Frankreichs, die überwiegend zur Nationalgarde gehörten.[9] Insgesamt besaß die französische Armee im Spätsommer 1805 eine Stärke von rund 450000 Mann.
Kurz nach Ausbruch des Krieges mit Österreich (1805) wurden die französischen Truppen – mehr oder weniger freiwillig – durch Truppenkontingente aus Baden, Württemberg und Bayern verstärkt (1805 30000 Mann)[10] , die unter das Kommando des französischen Oberkommandos gestellt wurden. Für den Krieg mit Preußen erweiterte Kaiser Napoleon die Grande Armee um das 8. Armeekorps unter Marschall Mortier und das 9. unter Prinz Jérôme Bonaparte.[11] Diese setzten sich weitgehend aus italienischen-, polnischen- und aus Truppen der Rheinbund-Staaten zusammen, die überwiegend aus Baden, Bayern und Württemberg kamen.[12] Im Winter 1807 kam vorübergehend noch ein 10. Armeekorps unter Marschall Lefebvre hinzu (aus polnischen und sächsischen Truppen). Das Armeekorps wurde im Mai 1807 wieder aufgelöst, seine Truppen als Besatzung von Danzig eingesetzt.[13] Fast gleichzeitig befahl Kaiser Napoleon die Errichtung drei weiterer Armeekorps: das Reservekorps unter Marschall Lannes [14], das polnische Korps unter Fürst Poniatowski und das Beobachtungskorps (corps d’observation) unter Marschall Brune. Damit erreichte die Grande Armee Anfang Juni 1807 eine Gesamtstärke von rund 325000 Mann.[15]
Obwohl Kaiser Napoleon faktisch sein eigener Generalstabschef war, so erteilte er doch alle Anweisungen an seine Armee indirekt über den Grand État-Major Général (Generalstabschef) Marschall Berthier und folgte hier, wie in vielen anderen Punkten, dem strengen französischen Hofritual nach dem Vorbild von König Ludwig XIV. Der Grand État-Major Général erhielt dadurch formell eine Stellung, die in etwa dem Generalstabschef des späteren preußisch-deutschen Heeres entsprach. Der umfangreiche Stab des Grand État-Major Général setzte die allgemein formulierten Anweisungen des Kaisers in konkrete Befehle für die einzelnen Einheiten um, die dann durch zum Stab gehörenden Orsonannzoffiziere überbracht wurden.
Kurz nach dem Kongreß von Erfurt 1808 löste Kaiser Napoleon die „Grande Armee“ praktisch auf und setzte an ihre Stelle die 80000 Mann[16] starke Besatzungsarmee in Deutschland, die den Namen „Armée du Rhin“[17] (französisch für Rheinarmee) erhielt und die er unter den Oberbefehl des Herzogs von Auerstädt (Davout)[18] stellte. Er entließ die Truppen der Rheinbundstaaten und verlegte fünf der Armeekorps vom Rhein nach den Pyrenäen und übernahm anschließend selbst den Oberbefehl in Spanien.
Der Krieg auf der Iberischen Halbinsel fand auf dem Territorium des Königreichs Spanien statt, das von Frankreich nicht als feindliches Land betrachtet wurde. Daher gehört die Geschichte dieses Krieges nicht zur Geschichte der „Grande Armee“. Die beiden Armeen, mit denen Kaiser Napoleon 1809 den Krieg gegen Österreich führte, wurden offiziell als „armée d’Italie“ (Armee von Italien) und als „armée d’Allemagne“ (Armee von Deutschland) bezeichnet, wobei die erste südlich, die zweite nördlich der Alpen operierte, auch wenn während dieses Feldzuges inoffiziell meist weiterhin von der „Grande Armee“ die Rede war.[19]
Die Grande Armee von 1812
Mit der Ernennung von Marschall Berthier, Fürst von Neufchâtel und Fürst von Wagram, den Kaiser Napoleon über zwei Jahre im diplomatischen Dienst verwendet hatte, zum „grand état-major général de la grande armée” (d.h. Generalstabschef der Großen Armee) am 16. Januar 1812 wurde die (Bezeichnung) „Grande Armee” offiziell erneuert.[20] Wenig später, am 27. Januar, erhielten die mit Frankreich „verbündeten” Staaten die Anweisung, die Kontingente, die sie im Kriegsfall zu stellen hatten, auf Kriegsfuß zu setzen und ab 15. Februar zur Verfügung zu stellen. Die Garde und die italienische Armee erhielten den Marschbefehl nach Deutschland. Allerdings schon vorher, im August 1811, hatte Marschall Davout den Befehl erhalten, sich mit einer Armee aus rund 150000 Franzosen und 50000 Polen zwischen Elbe und Danzig bereitzuhalten, um mit dieser jederzeit die Weichsel überschreiten zu können.[21] Diese Armee erhielt am 14. November 1811 die (vorläufige) Bezeichnung „Beobachtungs-Armee an der Elbe“ („corps d’observation de l’Elbe“).[22]
Am 3. März 1812 erschien die detaillierte „ordre de bataille“ (französisch für Schlachtordnung; meint hier jedoch die vorgesehene organisatorische Gliederung) der „Grande Armee“, nach der die einzelnen Einheiten, d.h. die Bataillone und Esquadrons (Schwadronen), den größeren Verbänden zugewiesen wurden. Danach sollte sich die Grande Armee zusammensetzen aus dem Großen Hauptquartier, 11 Armeekorps mit insgesamt 34 Divisionen und 22 leichten Kavalleriebrigaden, die kaiserliche Garde (in der Stärke eines starken Armeekorps)[23] , die Kavalleriereserve (untergliedert in 4 Kavalleriekorps mit 11 Kavalleriedivisionen) sowie die Großen Parks (Artilleriepark, Equipagenpark mit 26 Equipagen Bataillons, Geniepark mit großem Brückenpark von sechs Schiffsbrücken) zusammensetzen. Nach der „ordre de bataille“ gehörten weder die französischen Truppen in Spanien (300000 Mann), noch in Italien (50000 Mann)[24] , noch im Inneren Frankreichs zu der Großen Armee.
Die im Laufe des Frühjahrs 1812 aufgestellte „Grande Armee“ kann als die gemeinsame Armee des Französischen Kaiserreichs und der von ihm abhängigen Gebiete betrachtet werden.[25] Zu diesen gehörte auch der Rheinbund (amtlich: „la Confédération du Rhin“). In der Rheinbundakte von 1806 wird in Artikel XII der Kaiser von Frankreich und König von Italien zum „Protektor“ des Rheinbundes erklärt. Die Fürsten des Rheinbundes waren zwar im Inneren ihres Landes weitgehend souverän, aber in Artikel XXXVIII der Akte wird für den Kriegsfall – und zwar für jeden Krieg, den Frankreich führte – der Umfang der Kontingente festgelegt, die seine Mitgliedsstaaten zu stellen hatten.[26] Durch weitere Verträge wurden deren Kontingente[27] vollständig in die französische Armee integriert und ohne weitere Einschränkungen unter den Befehl des französischen Kaisers gestellt. Die Kontingente wurden im Frühjahr 1812 z.T. sogar Bataillons- oder Equadronsweise über die gesamte kaiserliche Armee verteilt. Jede Division, jedes Armeekorps der Grande Armee, selbst die Garde und das Große Hauptquartier, enthielten deshalb Einheiten, der von Kaiser Napoleon abhängigen Gebiete – also von Portugal bis Dalmatien [Illyrien] und von Rügen bis Kalabrien.
Ein besonderer Militärallianzvertrag vom 27. September 1803[28] räumte Frankreich das Recht ein, in den Schweizer Kantonen 4 Regimenter mit einer Gesamtstärke von 12000 Mann zu werben.[29] Das 1806 selbständig gewordene Fürstentum Neufchâtel (Neuenburg) hatte ein Bataillon zu stellen.[30] Die polnischen Truppen in der Grande Armee waren entweder Teil des Kontingents des Herzogtums – später Großherzogtum – Warschau, das zum Rheinbund gehörte, oder sie waren Freiwillige der 1797 gegründeten, in Gesamtpolen bzw. in Litauen rekrutierten Polnischen Legion(en) (légions Polonaises)[31] , bzw. der im Oktober 1808 gegründeten Weichsel Legion (légion de la Vistule). Die Weichsel Legion, die vier Regimenter umfaßte, war somit ein integrales Teil der französischen Armee und gehörte nicht zum Kontingent des Großherzogtums Warschau, das ca. 50000 Mann umfaßte.[32] Insgesamt gehörten rund 95000 Polen der Großen Armee an und waren damit nach den „Reichsfranzosen“ (d.h. den Bewohnern des französischen Kaiserreichs) die zweitstärkste Gruppe, wenn man die Deutschen aus den Staaten des Rheinbundes einzeln zählt. Ebenfalls ein fester Bestandteil der französischen Armee war die légion des Portugaise (die Portugiesische Legion), die fünf Regimenter Infanterie und zwei Regimenter Kavallerie umfaßte.[33] Fest in die Großen Armee integriert waren außerdem noch die gesamte Armee des Königreichs Italien (rund 25000 Mann), das in Personalunion vom französischen Kaiser regiert wurde[34] , sowie Soldaten aus den sogenannten „Illyrischen Provinzen“ (also aus Kärnten, Slowenien, Istrien und Dalmatien), die ein Teil des französischen Kaiserreichs waren.
Die Stärke der einzelnen Truppenkontingente, welche die Rheinbundstaaten zu stellen hatten, war 1806 durch die Rheinbundakte (ohne Mitwirkung der betreffenden Staaten) festgelegt worden. Während in Friedenszeiten Frankreich sich mit einem Teil der erlaubten Soldaten begnügte (z.B. als Besatzung für die preußischen Festungen), hatten die Staaten des Rheinbundes im Kriegsfall Truppen zu stellen, die etwa 1% ihrer jeweiligen Bevölkerung entsprachen. Danach hatten die größeren Staaten im Frühjahr 1812 mindestens folgende Kontingente zu stellen: Bayern 30000, Westfalen 25000, Sachsen 20000, Württemberg 12000, Baden 8000, Berg 5000, Hessen (-Darmstadt) 4000. Insgesamt hatte der Rheinbund fast 130000 Mann für Frankreich aufzubieten,[35] davon kamen aus dem Fürstentum Lichtenstein 40 Mann.[36] Solche Truppenstärken waren durch freiwillige Werbung alleine nicht zu erreichen, so daß in diesen Ländern die Wehrpflicht (Konskription) immer weiter ausgebaut werden mußte. Auf starken Druck der französischen Regierung mußten im Frühjahr 1812 fast alle Staaten Frankreich ein etwas größeres Kontingent zu Verfügung, als nach dem Vertrag eigentlich vorgesehen war.[37] Diese Soldaten wurden jedoch nicht alle der Großen Armee überwiesen, ein Teil blieb in Preußen und Polen als Besatzungstruppen zurück, ein weiter kam im Krieg auf der Iberischen Halbinsel zum Einsatz. Die größten Kontingente wurden weitgehend in besonderen Armeekorps zusammengefaßt, die Bayern im 6., die Westfalen im 8. und die Sachsen im 7. Armeekorps; die Württemberger bildeten die 25. Division im 3. Armeekorps, die Badenser, Hessen und Berger gemeinsam die 26. Division im 9. Armeekorps.
Das Königreich Preußen gehörte nicht dem Rheinbund an. Nach dem am 24. Februar 1812 abgeschlossenen Allianz-Vertrag hatte das Königreich Preußen nicht nur 20000 Soldaten stellen, selbst zu besolden und zu ergänzen, sondern es hatte auch der ganzen französischen Armee von rund 400000 Mann den freien Durchzug zu gewähren und alle Festungen (außer in Schlesien) und Einrichtung zu überlassen, sie für die Kriegsführung mit Rußland benötigte.[38] Das preußische Kontingent wurde überwiegend als 27. Division in die „Großen Armee“ integriert und dem 10. Armeekorps zugeteilt.
Mit dem Kaiserreich Österreich schloß Frankreich am 14. März 1812 einen besonderen Militär-Allianz-Vertrag ab. Nach diesem stellte Österreich dem französischen Kaiserreich für einen Krieg mit Rußland ein Armeekorps von 30000 Mann zu Verfügung, das es selbst besoldete und ergänzte und über das Wien sich den Oberbefehl vorbehielt.[39] Das Österreichische Armeekorps, zu dessen Kommandierenden General Fürst Schwarzenberg berufen wurde, gehörte somit nicht zur französischen „Großen Armee“ von 1812, es war aber trotzdem ein Teil des großen Heeres mit der Kaiser Napoleon in Rußland einmarschierte und es erhielt während dieser Zeit alle (militärischen) Befehle aus dem französischen Hauptquartier.
Die Stärke der Armee, die Kaiser Napoleon im Juni 1812 in Preußen und im Großherzogtum Warschau an der Westgrenze Rußlands aufmarschieren ließ, betrug – ohne das österreichische Auxilliarkorps – etwas über 420000 Mann. Die Armee setzte sich zusammen aus dem Großen Hauptquartier[40] (Berthier), dem 1. (Davout), 2. (Oudinot), 3. (Ney), 4. (Eugène, Vizekönig von Italien), 5. (Fürst Poniatowski), 6. (Gouvion St. Cyr, später Wrede), 7. (Reynier), 8. (König Jerôme, später Vandamme, dann Junot) und dem 10. Armeekorps (Macdonald), die kaiserliche Garde[41] (aus vier Divisionen und einer starken Kavalleriedivision). Die schwere Kavallerie war zusammengefaßt als Kavalleriereserve unter dem König von Neapel (Murat), die in vier Kavalleriekorps untergliedert war, die unter dem Befehl von Nansouty (1.), Montbrun (2.), Grouchy (3.) und Latour-Maubourg (4.) standen. Unter Einbeziehung des österreichischen Hilfskorps unter Fürst Schwarzenberg, das mehr als 30000 Mann stark war, ergab das eine Armee von über 450000 Mann. Zu diesen Truppen sind noch die drei „Großen Parks“ (zusammen über 22000 Mann und 16000 Pferde) hinzuzurechnen, die als Armeetruppen[42] den Armeekorps unmittelbar nachfolgten, so daß sich (in runden Zahlen) eine Gesamtstärke von etwa 475000 Mann ergibt.[43] Diese Armee überquerte unter der Führung des Kaisers ab 24. Juni 1812 die damalige russische Grenze und eröffnete dadurch den Russlandfeldzug von 1812.
Hinter diesen Truppen der ersten Linie folgten bald Reserve- und Ersatzeinheiten für die Hauptarmee, zusätzliche Pioniereinheiten, weitere Brückenkolonnen, Pferde-Depots, der Belagerungspark für Riga und andere Festungen, Nachschub- und Versorgungstruppen, Feldkriegskommissariat, Gendarmerie (hier als Feldpolizei), Feldpostämter, Intendanturen sowie etliche Bataillone Handwerker.[44] Ergänzt wurden die Einheiten noch durch in Litauen[45] aus Freiwilligen neu zusammengestellte Truppen (darunter zahlreiche polnische Deserteuren der russischen Armee).[46] Insgesamt hatten diese zusätzlichen Truppen eine Stärke von etwa 35000 bis 40000 Mann.
Für die Deckung der Operationsbasis und der Etappe der Hauptarmee hatte das 9. Armeekorps unter Marschall Victor (39000 Mann) zu sorgen. Ihre Hauptaufgabe war zunächst die Sicherung von Berlin – und damit auch von Preußen – und der Nachschubwege über die Oderbrücken. Während des Feldzuges gegen Rußland verlegte das Armeekorps sein Operationsgebiet allmählich nach Osten bis in die Gegend um Smolensk. In dritter Linie folgte vom Rhein her, sozusagen als Reservearmee, das 11. Armeekorps unter Marschall Augereau mit 35000 (später 55000) Mann. Dieses Armeekorps befand sich im Juni somit noch in seiner Formierungsphase. Während des Krieges mit Rußland übernahm ein Teil des Armeekorps die Sicherung der Nachschublinien bis in die Gegend jenseits von Wilna und Minsk, der andere den Schutz der pommerschen und preußischen Ostseeküste gegen britische oder schwedische Landungen. Dieses Armeekorps bestand jedoch überwiegend aus provisorischen Marschregimentern und aus Strafregimentern von „réfractaires“ [47], die bestenfalls als Besatzungstruppen eingesetzt werden konnten. Diese wurden noch ergänzt durch eine Division Neapolitanern (33. Division) sowie eine Division aus Soldaten der kleinen Rheinbundstaaten (34. Division). Im Dezember 1812 übernahmen seine Divisionen die Deckung der Reste der Hauptarmee. Wenn diese Verbände zusammenzählt werden, dann ergibt sich daraus für die „Grande Armee von 1812“ eine Gesamtstärke von mehr als 610000 Mann.
Darüber hinaus standen zwischen Tilsit und Hamburg außerdem noch zahlreiche Besatzungs-, Ersatz-, Depot- und Nachschubtruppen. Zu diesen gehörte auch eine dänische Division von ca. 10000 Mann bei Hamburg. Wie knapp 1812 die Anzahl der Frankreich zur Verfügung stehenden Soldaten geworden war, zeigt sich daran, daß bei diesen rückwärtigen Truppen zahlreiche sekundäre Posten nur noch mit Invaliden und Rekonvaleszenten besetzt werden konnten.[48] Ein weiterer Teil der Besatzungsarmee bestand aus Nationalgarde der Jahrgangsklassen 1809 bis 1812 – was eigentlich gegen das Gesetz verstieß.[49] Die Gesamtzahl der Besatzungsarmee in Norddeutschland veränderte sich allerdings durch den Zuzug und Abgang aus Frankreich und den Rheinbundstaaten fortwährend, schwankte aber meist um etwa 70000 Mann. Wenn man diese unverzichtbaren rückwärtigen Sicherungs- und Nachschubtruppen einberechnet, dann betrug die Gesamtstärke der französischen Armee von 1812 östlich des Rheins etwa 660000 bis 680000 Mann.[50]
Feldzug in Russland
Die Grande Armee drang im Juni 1812 in das russische Reich ein. Es gelang ihr jedoch nicht, die weit unterlegene russische Armee zu einer Entscheidungsschlacht zu stellen.
Am 7. September erwartete Kutusow dann bei Borodino vor Moskau die bereits durch Gewaltmärsche und Krankheiten dezimierten Truppen Napoleons. Zwar gelang es diesen noch, am 14. September Moskau zu erreichen, zwei Drittel der Soldaten waren jedoch bereits gestorben, zum Großteil an Erschöpfung. Der anschließende Rückzug aus Russland führte zur weitgehenden Vernichtung der französischen und verbündeten Armeekorps. Der Rest der Armee konnte in der Schlacht an der Beresina vom 26. bis 28. November 1812 unter schweren Verlusten den Übergang über den Fluss erzwingen.
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Romantisierende Darstellung in der Historienmalerei: Napoleon reitet während der Schlacht bei Jena an seiner Alten Garde vorbei. Ölgemälde von Emile Vernet
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Offizier des 1. Karabinier-Regiments, 1810-1815 (von Antoine Charles Horace Vernet)
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Leutnant Charles Legrand vom 12. Kürassier-Regiment um 1808; Ärmelaufschläge und Kragen in jonquillengelber Abzeichenfarbe (Ölgemälde von Antoine-Jean Gros)
Anmerkungen
- ↑ Charles Rabou, La Grande Armée, 1865, T. I
- ↑ Befehl vollständig abgedruckt in Liskenne u. Sauvan, Bibliothèque Militaire, 1853, T. VII, 11ff
- ↑ das Armeekorps wurde am 21. Februar 1807 aufgelöst (Liskenne u. Sauvan, T. VII, 219)
- ↑ darunter eine unberittene Division Dragoner (division dragons á pied)
- ↑ Hoepfner, Der Krieg von 1806, 1850,105
- ↑ Rabou, La Grande Armée, 1865, T. I, 17
- ↑ Armée d’Italie
- ↑ Armée de Naples
- ↑ diese Truppen werden im Befehl vom 30. August 1805 nicht genannt, obwohl die Armée d’Italie in manchen Darstellungen auch als 8. Armeekorps bezeichnet wird
- ↑ nach Liskenne u. Sauvan 1853, T. VII, 17, hatte Baden 4000, Württemberg 7000 und Bayern 26000 Mann zu stellen; im Verzeichnis der 1805 tatsächlich vorhandenen Truppen werden zusammen aber nur rund 28000 Mann aufgelistet (Liskenne u. Sauvan 1853, T. VII, 95ff)
- ↑ Liskenne u. Sauvan 1853, T. VII, 219ff
- ↑ Rabou, La Grande Armée, 1865, T. I, 79
- ↑ Liskenne u. Sauvan 1853, T. VII, 221ff
- ↑ an seiner Stelle übernahm Marschall Masséna den Befehl über das 5. Armeekorps
- ↑ Liskenne u. Sauvan 1853, T. VII, 228
- ↑ dazu kamen noch rund 12000 Mann als Besatzungstruppen in den Hansestädten Hamburg und Lübeck, vgl. Fiedler, Heerwesen der Neuzeit, Bd. III.2, Zeitalter der Revolutionskriege, 1988, 83
- ↑ Liskenne u. Sauvan 1853, T. VII, 235
- ↑ duc d’Auerstaedt (seit 2. Juli 1808)
- ↑ Liskenne u. Sauvan 1853, T. VII, 238ff ; Rabou, La Grande Armee, 1865, bezeichnet die Armee während des Feldzuges von 1809 immer nur als „l’armée française“ (also „die französische Armee“).
- ↑ Correspondance de Napoléon I., 1867, T. XXIII, Nr. 18442; Depesche N. an Berthier; die Ernennung erfolgte zum 1. Februar 1812 verbunden mit der Aufforderung, die Armee möge sich ab 15. Februar bereit halten. In den Briefen davor wird Berthier stets als „major général de armée d’Espagne“ tituliert (Generalstabschef der Armee von Spanien).
- ↑ Rabou, La Grande Armee, 1865, T II., 94; Yorck v. Wartenburg, Napoleon as a General, 1902, Vol. 2, 106
- ↑ Correspondance de Napoléon I., 1867, T. XXIII, 656; in seinen Depeschen an „le Maréchal Davout, Prince d’Eckmühl“ oder an den Kriegsminister, General Clarke, spricht Kaiser Napoleon vor Februar 1812 nirgends von einer „grande armée“. Die Bezeichnung wird zu dieser Zeit nur gelegentlich im Zusammenhang mit organisatorischen Fragen benutzt.
- ↑ Sicard, Histoire des institutions militaires des Français, 1834, T. 2, 141
- ↑ Rabou, La Grande Armee, 1865, T II. 97
- ↑ Pfister, Aus dem Lager des Rheinbundes, 1897, 18ff
- ↑ Rheinbundakte vollständig abgedruckt in A. Buschmann, Kaiser und Reich, 1984
- ↑ nur die Kontingente , nicht die übrigen Truppen in der Heimat
- ↑ Fieffé, Histoire de Troupes étrangères en service au France, 1854, T. II, 120. Der Vertrag wurde im März 1812 an verschiedenen Punkten geändert, ebd. 125ff
- ↑ nach dem Vertrag von 1803 waren sogar 16000 Mann erlaubt, diese Zahl wurde später auf 12000 Mann reduziert; vgl. auch Fiedler, Heerwesen der Neuzeit, 1988,71
- ↑ Fieffé, Histoire de Troupes étrangères en service au France, 1854, T. II, 120ff und 126ff
- ↑ Fieffé, Histoire de Troupes étrangères en service au France, 1854, T. II, 40ff und 130ff
- ↑ Fieffé, Histoire de Troupes étrangères en service au France, 1854, T. II, 134ff, Sicard, Histoire des institutions militaires des Français, 1834, T. 2, 360; Foord, Napoleon’s Russian Campaign of 1812, 1915, 7
- ↑ nach dem Dekret vom 8. Mai 1808, Fieffé, Histoire de Troupes étrangères en service au France, 1854, T. II, 141ff
- ↑ daher der offizielle Titel Kaiser Napoleons „l’empereur et roi“ (französisch für Kaiser und König)
- ↑ Pfister, Aus dem Lager des Rheinbundes, 1897, 9f; Fiedler, Heerwesen der Neuzeit, 1988, 112ff
- ↑ Fiedler, Heerwesen der Neuzeit, Bd. III.2, Zeitalter der Revolutionskriege, 1988, 114
- ↑ das Königreich Württemberg z.B. stellte 13541 Mann; davon mußten überdies 867 Mann ausgetauscht werden, da die Franzosen an deren „Feldtauglichkeit“ zweifelten; Pfister, Aus dem Lager des Rheinbundes, 1897, 20ff
- ↑ Beitzke, Geschichte des russischen Krieges im Jahr 1812, 1862, 25
- ↑ Beitzke, Geschichte des russischen Krieges im Jahr 1812, 1862, 24; Welden, Der Feldzug der Österreicher gegen Rußland im Jahre 1812, 1870, 2 u. 5ff
- ↑ insgesamt fast 4000 Mann
- ↑ Die kaiserliche Garde umfaßte im Sommer 1812 mehr als 56000 Mann, davon rückten aber nur etwa 47000 Mann zur „Grande Armee“ ins Feld. Die Garde stand unter der Führung von drei Marschällen: Lefebvre (Alte Garde), Mortier (Junge Garde und Weichsel Legion), Bessieres (Kavallerie). E. Marco de St.-Hilaire, Geschichte der Kaisergarde, 1848, 296
- ↑ d.h. Truppen, die direkt dem Hauptquartier, aber keinem bestimmten Armeekorps zugeordnet waren
- ↑ Rabou, La Grande Armee, 1865, T I. 96; Chambray, 1823, T.2, Tableaux II (S.466) Die auf Akten und Depeschen beruhende Zusammenstellung des Marquis de Chambray hat sich später in der Fachliteratur weitgehend durchgesetzt. Sie werden durch die eingehenden Forschungsarbeiten unter Kaiser Napoleon III. und der des späteren französischen Generalstabs als zuverlässig bestätigt (vgl. G. Fabry, Campagne de Russie 1812, 1900). Die Zahlen gelten nur für Mitte Juni 1812.
- ↑ ca. 3000 Mann (Bäcker, Metzger, Sattler, Schmiede, Schneider, Schuster, Waffenschmiede, Wagner, etc)
- ↑ wozu damals auch das heutige Weißrußland zählte
- ↑ Liebert, Die Rüstungen Napoleons für den Feldzug von 1812, Beiheft zum Mil.W.Bl. 1888.
- ↑ Französisch für Aufsässige oder Widerspenstige; darunter wurden damals Soldaten bezeichnet, die versuchten, sich ihrer Dienstpflicht bei der Armee zu entziehen.
- ↑ Rabou spricht in seiner großen Geschichte der Grande Armee von etwa 40000. Rabou, La Grande Armee, 1865, T II. 96
- ↑ die Nationalgarde durfte eigentlich nur im Inland eingesetzt werden; Fiedler, Heerwesen der Neuzeit, Bd. III.2, Zeitalter der Revolutionskriege, 1988, 90
- ↑ allerdings unter Einberechnung des österreichischen Hilfskorps; ohne dieses waren es nur um die 640000 - 650000 Mann. vgl. Chambray, 1823, T.2, Tableaux II
Literatur
- Karl J. Mayer: Napoleons Soldaten. Alltag in der Grande Armée (= Geschichte erzählt, Bd. 12), Primus Verlag, Darmstadt 2008, ISBN 978-3-89678-366-0.