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Benutzer:Mezzopiano/Rekognitionsheuristik

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Die Rekognitionsheuristik (engl. recognition heuristic), auch Wiedererkennungsheuristik genannt, ist eine Urteilsheuristik der Kognitionspsychologie. Sie besagt, dass bei der Beurteilung von mehreren Objekten hinsichtlich eines Kriteriums unter bestimmten Umständen deren Wiedererkennung (engl. recognition) als alleinige Entscheidungshilfe genutzt wird.

Hintergrund

Nach Herbert A. Simons Konzept der begrenzten Rationalität sind die kognitiven Fähigkeiten des Menschen eingeschränkt[1]. Aus diesem Grund ist für viele komplexe Probleme der optimale, normative Lösungsweg mit zu großer Anstrengung verbunden. Zur Lösung solcher Probleme greifen Menschen deswegen auf Heuristiken oder Faustregeln zurück, also vereinfachende Entscheidungsstrategien, um zu einer möglichst guten Lösung zu gelangen, welche aber nicht zwangsläufig optimal sein muss[2]. Die Idee, dass Menschen zur Lösung von Problemen vereinfachende Heuristiken nutzen, wurde im Folgenden von vielen Forschern aufgegriffen, die in unterschiedlichen Bereichen Heuristiken postulierten.

Die Rekognitionsheuristik wurde im Rahmen eines Forschungsprogramms von Gerd Gigerenzer und Kollegen vorgeschlagen, welches den Fokus auf schnelle und einfache Heuristiken legt und die Bedingungen, unter denen diese erfolgreich sein können[3]. Dabei wird angenommen, dass Menschen über eine Sammlung von Entscheidungsstrategien verfügen (eine sog. adaptive toolbox[4]), aus welcher sie je nach Situation und Aufgabe die passende Strategie auswählen.

Ursprünglich war die Rekognitionsheuristik als erster Teil des take-the-best-Algorithmus aufgestellt worden[5]. Schließlich wurde sie jedoch als allein stehendes Modell postuliert[6].

Erläuterung

Die Rekognitionsheuristik ist eine spezifische Entscheidungsstrategie für vergleichende Urteile. Sollen zwei Objekte hinsichtlich eines bestimmten Kriteriums beurteilt werden, besagt sie Folgendes[6]:

„If one of two objects is recognized and the other is not, then infer that the recognized object has the higher value with respect to the criterion.“

„Wenn von zwei Objekten das eine erkannt wird und das andere nicht, schließe daraus, dass das erkannte Objekt den höheren Wert auf dem Kriterium hat.“

Ein typisches und oft untersuchtes Paradigma ist die Aufgabe, zu beurteilen, welche von zwei Städten mehr Einwohner hat, wie zum Beispiel San Diego oder San Antonio. Kennt eine Person nur eine der beiden Städte, so sollte sie diese bei Anwendung der Rekognitionsheuristik als größer beurteilen.

Ökologische Rationalität

Der Rekognitionsheuristik liegt die Annahme zugrunde, dass in bestimmten Umwelten das Erkennen bzw. Nicht-Erkennen eines Objekts systematisch mit dem zu beurteilenden Kriterium zusammenhängt – beispielsweise weil Städte mit mehr Einwohnern häufiger als Städte mit weniger Einwohnern in den Medien erwähnt werden. Das Erkennen bzw. Nicht-Erkennen einer Stadt wäre somit ein valider Hinweis auf ihre Einwohnerzahl. Die Stärke dieses Zusammenhangs wird Rekognitionsvalidität genannt. Die Idee, dass der Einsatz einer bestimmten Entscheidungsstrategie davon abhängig ist, ob sie in einer bestimmten Umwelt erfolgreich ist, wird als ökologische Rationalität bezeichnet[5].

Ignoranz-basiertes Entscheiden

Eine weitere zentrale Annahme von Gigerenzer und Kollegen ist, dass es sich bei der Rekognitionsheuristik um eine non-kompensatorische Strategie handelt: Das Erkennen bzw. Nicht-Erkennen eines Objekts wird als alleinige Information benutzt. Die Entscheidung basiert folglich ausschließlich auf dieser Information und alle weiteren Informationen werden ignoriert[7].

Randbedingungen für die Anwendung

Mehrere Randbedingungen werden für die Verwendung der Rekognitionsheuristik aufgestellt[6]:

  • Die Rekognitionsheuristik sollte nur verwendet werden, wenn Wiedererkennen tatsächlich mit dem zu beurteilenden Kriterium in Zusammenhang steht, es also eine valide Information bietet. Konkret sollte Wiedererkennen nur dann die Entscheidung beeinflussen, wenn die Entscheidungen dadurch besser werden als durch Raten.
  • Die Anwendung der Rekognitionsheuristik setzt voraus, dass einige Objekte nicht erkannt werden. Erst dadurch kann es zum Vergleich von erkannten und unerkannten Objekten kommen.
  • Die Rekognitionsheuristik bezieht sich nicht auf den Vergleich von Objekten im Gedächtnis (im Gegensatz zur Verfügbarkeitsheuristik). Einzig das Erkennen bzw. Nicht-Erkennen eines Objekts ist entscheidend.
  • Das Wiedererkennen eines Objekts soll sich auf die natürliche Umgebung einer Person beziehen und nicht auf ein experimentell manipuliertes Wiedererkennen.

Zentrale Befunde

[...]

Less-is-more-Effekt [...]

Kritik

Um den Status der Rekognitionsheuristik hat sich eine hitzige Debatte entwickelt [8]. Befunde widerlegen mehrere Annahmen der Rekognitionsheuristik. Diese werden im Folgenden betrachtet.

Nonkompensatorische Verwendung der Rekognitionsinformation

Die ursprüngliche Fassung der Rekognitionsheuristik nimmt an, dass Rekognition als einziges Merkmal bei der Urteilsbildung verwendet wird[6]. Mehrere Befunde stellen diese alleinige (nonkompensatorische), Verwendung der Rekognitionsinformation infrage.

Personen scheinen auch andere Information in ihr Urteil einzubeziehen, wenn diese zusätzlich Aufschluss über die beurteilte Größe gibt (etwa, ob die Stadt, die beurteilt wird, eine Fußballmannschaft stellt)[9]. Zudem wählen Personen das wiedererkannte Objekt seltener, wenn es tatsächlich die falsche Wahl wäre, was ebenfalls dafür spricht, dass Rekognition nicht als alleinige Information benutzt wird[10].

Binäre Natur der Rekognitionsinformation

Die Rekognitionsheuristik impliziert, dass Rekognition eine binäre Information darstellt, dass ein Objekt also erkannt wird oder nicht[6]. Es zeigt sich jedoch, dass, je schneller ein bekanntes Objekt (i.e. der Name einer Stadt) erkannt wird, desto häufiger wird es gegenüber einem unbekannten Objekt als größer eingeschätzt[9]. Die Verarbeitungsflüssigkeit scheint den Urteilsprozess demnach zusätzlich zu beeinflussen.

Die Rekognitionsheuristik als Prozessmodell

Studien zur Rekognitionsheuristik führen eine hohe häufig Übereinstimmung zwischen Urteilen von Personen und den Vorhersagen („adherence rates“) der Rekognitionsheuristik als Beleg für deren Verwendung an. Die Übereinstimmung zwischen diesen Vorhersagen und den Beobachtungen bedeutet jedoch nicht zwingend, dass der angenommene Prozess den Entscheidungen zugrunde lag. Wenn alternative Strategien (etwa die Nutzung von Wissen) die gleichen Vorhersagen treffen wie die Rekognitionsheuristik, erlaubt dieses Maß keine klare Aussage über die tatsächlich verwendete Strategie. Wird das Maß in diesem Fall dennoch verwendet, wird das Ausmaß der Verwendung der Rekognitionsheuristik überschätzt[11].

Allgemein ergibt sich auch für gänzlich fiktive ‚Heuristiken‘ eine recht hohe Übereinstimmung zwischen den vorhergesagten und beobachteten Urteilen, wenn diese Information verwenden, die tatsächlich mit der Urteilsdimension zusammenhängen[12].

Zusammenfassend lässt sich also aus der hohen Vorhersageleistung der Rekognitionsheuristik als theoretisches Modell nicht ableiten, dass Wiedererkennen als Hinweis bei der Entscheidungsfindung herangezogen wird, und erst recht nicht, dass es als einziger Hinweis verwendet wird. Verfechter der Rekognitionsheuristik argumentieren dagegen, dass deren Kritiker kaum alternative Modelle vorgeschlagen haben[13].

Siehe auch

Quellen

  1. Simon, H. A. (1956). Rational choice and the structure of the environment. Psychological Review, 63(2), 129-138.
  2. Simon, H. A. (1990). Invariants of human behavior. Annual Review of Psychology, 41, 1-19.
  3. Gigerenzer, G., Todd, P. M., & the ABC Research Group. (1999). Simple heuristics that make us smart. New York: Oxford University Press.
  4. Gigerenzer, G., & Selten, R. (Eds.). (2001). Bounded rationality: The adaptive toolbox. Cambridge: The MIT Press.
  5. a b Gigerenzer, G., & Goldstein, D. G. (1996). Reasoning the fast and frugal way: Models of bounded rationality. Psychological Review, 103(4), 650-669. doi:10.1037//0033-295X.103.4.650
  6. a b c d e Goldstein, D. G., & Gigerenzer, G. (2002). Models of Ecological Rationality: The Recognition Heuristic. Psychological Review, 109(1), 75-90. doi:10.1037//0033-295X.109.1.75
  7. Goldstein, D. G., & Gigerenzer, G. (1999). The recognition heuristic: How ignorance makes us smart. In G. Gigerenzer, P. M. Todd, & the ABC Research Group (Eds.), Simple heuristics that make us smart (pp. 37–58). New York: Oxford University Press.
  8. Marewski, J. N., Pohl, R. F., & Vitouch, O. (2010). Recognition-based judgments and decisions: Introduction to the special issue (Vol. 1). Judgment and Decision Making, 5(4), 207-215. (PDF-Datei; 120 KB)
  9. a b Newell, B. R., & Fernandez, D. (2006). On the Binary Quality of Recognition and the Inconsequentiality of Further Knowledge: Two Critical Tests of the Recognition Heuristic. Journal of Behavioral Decision Making, 19(4), 333-346. doi:10.1002/bdm.531
  10. Pohl, R. F. (2006). Empirical tests of the recognition heuristic. Journal of Behavioral Decision Making, 19(3), 251-271. doi:10.1002/bdm.522
  11. Hilbig, B. E. (2010). Precise models deserve precise measures: A methodological dissection. Judgment and Decision Making, 5(4), 272-284. (PDF-Datei; 193 KB)
  12. Hilbig, B. E. (2010). Reconsidering “evidence” for fast-and-frugal heuristics. Psychonomic Bulletin & Review, 17(6), 923-930. doi:10.3758/PBR.17.6.923
  13. Gigerenzer, G., & Goldstein, D. G. (2011). The recognition heuristic: A decade of research. Judgment and Decision Making, 6(1), 100-121. (PDF-Datei; 217 KB)

Literatur

Bröder, A. (2005). Entscheiden mit der "adaptiven Werkzeugkiste": Ein empirisches Forschungsprogramm. Lengerich: Pabst.

Gigerenzer, G., Todd, P. M., & the ABC Research Group. (1999). Simple heuristics that make us smart. New York: Oxford University Press.