Berthold Storfer
Kommerzialrat Berthold Storfer (* 16. Dezember 1880 in Czernowitz, damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine; † November 1944 im KZ Auschwitz) war Leiter des Ausschusses für jüdische Überseetransporte, der die Auswanderung von Juden im Machtbereich des nationalsozialistischen Deutschen Reichs ins Gebiet des damaligen britischen Mandatsgebietes Palästina organisierte.
Herkunft, Leben bis 1938
Storfer ließ sich als einziger seiner jüdischen Familie christlich taufen. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Major der Kavallerie der k. u. k. Armee teil und wurde vielfach dekoriert. Nach dem Krieg war er als Bankier und Finanzier tätig; seine geschäftlichen Interessen erstreckten sich insbesondere auf den Balkan.
Eintritt in humanitäre Tätigkeit
Nach dem „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich vom 12. März 1938 und der damit einsetzenden Radikalisierung der Judenverfolgung im deutschen Einflussgebiet versuchten viele jüdische Menschen zu emigrieren. Aufgrund der damit verbundenen Probleme berief der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt zum 6. Juli 1938 eine internationale Flüchtlingskonferenz nach dem französischen Ort Evian ein.
Für die jüdische Gemeinde Wiens wurde neben dem Leiter, dem Gemeindevorsitzenden Dr. Josef Löwenherz und Prof. Heinrich Neumann von Hethars auch Storfer zur Konferenz delegiert. Vom Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart wurde diese Delegation verpflichtet, demnächst in Konzentrationslager zu verschleppende Juden gegen ein Lösegeld freizukaufen. Die Konferenz endete erfolglos.
Erzwungene Hilfsdienste für das Reichssicherheitshauptamt
Die aufgrund der britischen Palästina-Politik illegale Einwanderung ins Mandatsgebiet entwickelte sich zur Massenflucht. Soweit nationalsozialistische Behörden daran beteiligt waren (bis 1941 wurde die Auswanderung von Juden von den Nationalsozialisten unter gleichzeitiger Beschlagnahme aller Vermögenswerte der Emigranten forciert), wurde sie für die österreichischen Gebiete organisiert von der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien“ unter SS-Obersturmbannführer und SD-Führer Adolf Eichmann, der als Leiter der Abteilung IV D 4 (später IV B 4) des Reichssicherheitshauptamts die Zwangsausreise jüdischer Österreicher betrieb. Später wurde die Auswanderung durch eine einzige nationalsozialistische Organisation, die Reichszentrale für jüdische Auswanderung betrieben. Deren Leiter war der Chef des SD und SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Geschäftsführer ab Oktober 1939 wiederum Adolf Eichmann.
Die Route der jüdischen Flüchtlinge insbesondere Österreichs führte die Donau hinab an einen Schwarzmeerhafen und von dort ins britische Mandatsgebiet Palästina. Eichmann drohte Storfer: „Entweder ihr verschwindet über die Donau oder in die Donau!“. Auf Befehl der SS übernahm Storfer, der von den Nationalsozialisten, den Nürnberger Gesetzen entsprechend, trotz seiner christlichen Taufe als Jude angesehen wurde, die Leitung aller Flüchtlingstransporte aus dem nun Ostmark genannten Österreich, dem sogenannten Altreich und dem Protektorat Böhmen und Mähren. Die bislang mit der Organisation der Auswanderung befassten zionistischen Organisationen Hechaluz und Betar beschuldigten Storfer, ein Kollaborateur der SS zu sein. Von den im nationalsozialistischen Einflussbereich noch vorhandenen jüdischen Organisationen wurde die Tätigkeit Storfers gewürdigt; auch Erich Frank, Leiter des Hechaluz in Berlin, nahm seine Kritik an Storfer später zurück. Im Gegensatz zu Hechaluz und Betar, die vor allem junge Menschen zum Aufbau des kommenden Staates Israel ins Land holten, organisierte Storfer die Flucht von Menschen aller Altersklassen, auch von freigekauften KZ-Häftlingen und anderen geschwächten Personen. Ferner setzte Storfer durch, dass begüterte Flüchtlinge die Passage für nichtbegüterte mitbezahlten.
Storfer gelang trotz größter Schwierigkeiten die Organisation von insgesamt vier Transporten mit den Schiffen „Schönbrunn“, „Helios“, „Uranus“ und „Melk“, die am 3. September 1940 ausliefen. In den rumänischen Donau-Häfen Sulina und Tulcea wurden die Flüchtlinge vom 7. bis zum 19. Oktober 1940 auf die Seeschiffe „Atlantic“, „Pacific“ und „Milos“ eingeschifft, mit denen sie zwischen dem 14. und 20. November 1940 das Seegebiet vor Haifa erreichten. Die Schiffe waren allesamt in kaum seetüchtigem Zustand. Die Versorgung mit Wasser und Kohle war unzureichend, so dass Kabinenwände, Masten und Pritschen verfeuert werden mussten. Auf der „Atlantic“ brach Typhus aus, dem 15 Menschen erlagen. Diese Schiffe waren den Organisatoren zu Wucherpreisen überlassen worden.
Storfer verhalf 2042 österreichischen und 7054 deutschen und anderen Juden, insgesamt also 9096 Menschen, zur Flucht vor der sich ankündigenden sogenannten Endlösung der Judenfrage.
Im Oktober 1941 wurde die Ausreise von Juden aus dem nationalsozialistischen Einflussgebiet verboten. An die Stelle der Ausreise trat nunmehr die beabsichtigte Ermordung aller Juden im deutschen Einflussbereich.
Verfolgung, Tod
Nach dem Verbot der Emigration war Storfer nicht mehr aktiv. Im Herbst 1943 soll die SS geplant haben, ihn wegen geheimer Devisenangelegenheiten in die Schweiz zu entsenden, doch wurde dieses Vorhaben abgesagt. Auf die Ankündigung seiner Deportation tauchte Storfer unter, wurde jedoch verhaftet und ins KZ Auschwitz verbracht. Dort kam es nach Angabe Eichmanns im Herbst 1944 zu einer letzten Begegnung Storfers mit Eichmann. Eichmann stellt seine Erinnerung daran während seiner Vernehmungen in Jerusalem wie folgt dar: „Storfer? Ja, dann war es ein normales, menschliches Treffen gewesen. Er hat mir sein Leid geklagt. Ich habe gesagt: Ja, mein lieber Storfer, was haben wir denn da für ein Pech gehabt? Und ich habe ihm auch gesagt, schauen Sie, ich kann Ihnen wirklich gar nicht helfen, denn auf Befehl des Reichsführers kann keiner Sie herausnehmen. Ich hörte, dass Sie hier eine Dummheit gemacht haben, dass Sie sich versteckt hielten oder türmen wollten, was Sie doch gar nicht nötig gehabt haben. Und dann hab’ ich Höß gesagt, arbeiten braucht der Storfer nicht“. Dieses Zitat ist angesichts der realen Situation keinesfalls eine wahrhaftige Schilderung der Situation. Überlebende schilderten Gespräche mit Eichmann so, dass sie ihn nur stehend und in der dritten Person ansprechen durften, dabei von Eichmann auch geohrfeigt wurden. Eichmanns Schilderung ist daher als zynisch zu bewerten.
Im November 1944 wurde Storfer an einem nicht mehr ermittelbaren Tag in einer Gaskammer des KZ Auschwitz vergast.
Würdigung
Eine vielfach, zuletzt von Arno Lustiger angemahnte Ehrung Storfers in der Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ wird Storfer bisher nicht zuerkannt. Dieser Ehrentitel wird bislang ausschließlich nichtjüdischen Einzelpersonen verliehen. Da Storfer als Jude geboren wurde, wird er trotz seines Übertritts zum Christentum vom rabbinischen Gesetz als Jude angesehen, dem daher diese Ehrung versagt bleibt.
Literatur und Quellenangabe
- Arno Lustiger: Der Kommerzialrat charterte die rettende Flotte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Januar 2011, S. 30; gg. Gebühr unter diesem Titel auch verfügbar unter http://www.faz.de
- Zu Storfers Bemühungen, Juden die Emigration zu ermöglichen: Internetpräsenz „Juden in Krems“
Die Sekundärquellenlage zu Storfer wird demnächst durch eine angekündigte Arbeit von Gabriele Anderl erweitert werden (Stand: März 2011).
Personendaten | |
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NAME | Storfer, Berthold |
KURZBESCHREIBUNG | Leiter des Ausschusses für jüdische Überseetransporte |
GEBURTSDATUM | 16. Dezember 1880 |
GEBURTSORT | Czernowitz, damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine |
STERBEDATUM | November 1944 |
STERBEORT | KZ Auschwitz |