Wengen (Südtirol)
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Wengen (lad.: La Val, ital.: La Valle) ist eine Gemeinde im Gadertal in Südtirol (Italien).
Noch vor wenige Jahrzehnten war Wengen ein äußerst abgelegener Ort, der sich auf kaum einer Karte fand oder aber auf ganz alten aus der österreichischen Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Bis Anfang der 60er Jahre war Wengen nur über Geländefahrzeuge zu erreichen, davor wurden die wenigen Touristen im Talort Pederoa mit der Bushaltestelle an der Gadertalstraße noch mit dem Pferdefuhrwerk abgeholt. Inzwischen hat jedoch die „Globalisierung“ auch Wengen eingeholt. So gibt es inzwischen nicht nur einen Straßenanschluss, sondern auch die alten teilweise idyllischen Wege mit Holzzäunen und Vogelbeerbäumen zwischen den Gehöften sind durch geteerte Fahrwege ersetzt, so dass auch abgelegene Gehöfte dem Fremdenverkehr Angebote machen können.
- Touristische Übernachtungsmöglichkeiten: ca. 700 bis 800
- Religion: römisch-katholisch
- Wirtschaft: Landwirtschaft, Fremdenverkehr, (Kunst-)Handwerk
- Anfahrt: über die Gadertalstraße zum Talort Pederoa. Dort ist auch die Bushaltestelle.
Geografisches:

Die Gemeinde Wengen besteht aus einem Dutzend Gehöften oder Weilern, ladinisch „viles“, vgl. lateinisch „villa“. Diese Gehöfte liegen größtenteils in einem Tal, das vom Wengenbach durchflossen wird. Bei Rumestluns oder Al Bagn, dem ehemaligen Heilbad, mündet der von der Armentara kommende Rü dala Gana (Gana ist eine "wilde Frau") in den Wengenbach.
Im Osten wird das Tal begrenzt durch die Felsmassive „Neuner“ (2968 m) und „Zehner“ (3026 m). Diese Hausberge dienen als natürliche Sonnenuhr. Um neun Uhr steht die Sonne, von Wengen aus gesehen, über dem Neuner, entsprechendes gilt für den Zehner. (Ähnliche Namesgebung findet sich auch in anderen Alpenregionen, z. B. auch Elfer, Zwölfer usw.) An den Zehner schließt sich südwärts der Kreuzkofel (2907 m) an. Die oberen Teile des Wengentales gehören auch zum Naturpark Fanes-Senes-Prags.
Im Westen beim Talort Pederoa mündet der Wengenbach in die Gader. Auch auf der anderen Gadertalseite liegen einige Gehöfte dieser Gemeinde sowie nördlich und südlich des Wengentales an den Hängen oberhalb des Gaderbaches.
Der Süden des Tales wird vom Armentaraberg gebildet. Auf ihm liegen die Armentarawiesen, die sich durchaus mit der berühmten Seiser Alm vergleichen lassen. Die Hänge der Armentara sind bewaldet.
Der Norden des Tales wird von einer Berg- und Hügelkette gebildet, dessen Südseite die landwirtschaftliche Grundlage des Tales abgibt. Hier liegen die meisten „viles“. Hier gab es neben einigen Wäldern landwirtschaftliche Nutzflächen wie zum Beispiel Getreidefelder. Inzwischen hat Wengen aber auf Monokultur umgestellt, es gibt fast ausschließlich (neben den Wäldchen) nur noch Wiesen mit Kühen. Einige Gehöfte haben noch die einst typischen Gemüsegärten. Getreide wird noch vereinzelt auf kleinen Feldern angebaut.
Neben der Landwirtschaft ist der Fremdenverkehr Hauptwirtschaftszweig. Im etwas sonnenarmen Talort Pederoa – und ewig rauscht der Bach - ist an der Gadertalstraße ein kleines Industriegebiet entstanden mit (kunst-)handwerklichen Betrieben.
Nachbarschaft:
Wengen grenzt an drei Gemeinden, im Süden Abtei, in Westen St. Martin in Thurn und im Norden und Osten Enneberg, die Fanes im Osten gehört zur Gemeinde Enneberg. Wengen gehört mit diesen Gemeinden und Corvara zu den fünf ladinischen Gemeinden des Gadertales.
Osten: Hinter dem Neuner und Zehner liegt die Hochalm Fanes. Das ganze Gebiet, auch ein Streifen vor dem Neuner und Zehner, ist inzwischen Naturschutzgebiet. Die Fanes kann erwandert werden über einen Weg zwischen Neuner (rechts) und Pares-Berg (links) hindurch hoch zum Antoniojoch (2466 m). Wegen des Rollsplits verläuft der Aufsteig allerdings den letzten Teil vor dem Joch nach dem Motto „zwei Schritte vorwärts, einer zurück“.
Norden: Hinter der Kreuzspitze (Crusc da Rît, 1934 m) oder dem Riedjoch (Ju de Rît, 1863 m) liegt das nördliche Nachbartal mit dem alten Hauptort der Region Enneberg und dem Ort Sankt Vigil. Es führt als „Rautal“ zur Hütte „Pederü“ (1540 m), dann weiter zur Fanes.
Westen: Hinter der „anderen Wengenseite“ liegt als Paralleltal zur Gader das Kampilltal. Dort liegt auch der Peitlerkofel (2900 m), der den westlichen Horizont Wengens beherrscht.
Süden: Hinter der Armentara liegt das Gadertal, das hier in das Abteital übergeht (Alta Badia) mit den Orten Pedratsches (Pedraces) und Sankt Leonhard (lad. St. Linert).
Zur Geschichte:
Als ältestes Gehöft (oder Weiler) gilt Tolpëi hinter der Barbarakapelle und Alt-Wengen (vgl. Pitscheider (1991)). 1382 wird die alte Kirche Hl. Jenesius in Alt-Wengen erwähnt. 1491 Einweihungsurkunde der Kapelle Sankt Barbara. Diese hat die Funktion, mit ihrem Geläut und Glockenschlag akustisch das westliche Tal und die andere Wengenseite zu erreichen, da die alte Kirche ungünstig in einem Talwinkel gebaut wurde. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wird die alte Hl.-Jenesius-Kirche, da zu klein geworden, abgetragen bis auf den Turm. 1874 Einweihung der heutigen neuromanischen Hl. Jenesius-Kirche. Am Rande einer der Deckengemälde ist die Kirche selbst mit dem Neuner im Hintergrund abgebildet.
Durch die zentrale Lage der neuen Kirche ist die alte Barbarakapelle sozusagen funktionslos geworden.

Im neunzehnten Jahrhundert war Wengen mit seinem Heilbad (Al Bagn) in Rumestluns ("Rumschlungs") überregional bekannt. Auf alten Fotos im Burgmuseum in Sankt Martin in Thurn sind englische Touristen mit einheimischen Fremdenführern in Rumestluns abgebildet. Heutzutage ist das alte Bad durch einen Neubau ersetzt und die Quelle gilt als zu unergiebig, um einen Betrieb zu rentieren.
Mit Ende des ersten Weltkrieges kam Südtirol an Italien, so auch Wengen. Die Dolomitenfront verlief südlich der Gader. Die Fanes war österreichisches Nachschubgebiet. Es finden sich dort noch alte Militärstraßen und andere Reste aus der Kriegszeit.
Nach dem ersten Weltkrieg versuchte Mussolini Südtirol zu italienisieren. Jeder Ort, auch die ladinischen, bekam eine italienische Bezeichnung. Aus Wengen oder La Val wurde "La Valle". (Das Gehöft oberhalb von La Val wird allerdings schon auf österreichischen Karten italienisch "Campo" (Feld) genannt. Heute heißt es ladinisch Cians, gespr. Tschans.) Die ladinische Sprache wurde ob zu recht oder zu unrecht (Questione Ladina) während des italienischen Faschismus zum italienischen Dialekt erklärt.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der "Befreiungsausschuss Südtirol" aktiv. Strommasten wurden gesprengt, auch Polizisten wurden umgebracht, wobei die Täterfrage hier umstritten ist (Geschichte Südtirols). In Wengen wurde jedenfalls das Böllern verboten, das sonst an Feiertagen stattfand.
Letztendlich brach die moderne Zeit in den 80er Jahren in Wengen herein, als alle Gehöfte an geteerte Fahrwege angeschlossen wurden. Nicht zuletzt machte dies die neue Autonome Provinz Bozen-Südtirol möglich.
Einige alte Fotos von Wengen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden sich im Ladinischen Landesmuseum Schloss Thurn in St. Martin in Thurn.
Im Jahre 1930 wurde Lungiarü zusammen mit Wengen an St.Martin in Thurn angeschlossen, und Rina an Enneberg. Während Wengen ab dem Jahre 1965 eine eigene Gemeinde bildet, verblieb Lungiarü bei St. Martin in Thurn.
Ortsbezeichnungen

Neben den ladinischen Ortsbezeichnungen gibt es italienische und deutsche oder deutsch ausgesprochene ladinische Bezeichnungen. Inzwischen gibt es eine ladinische Schriftsprache und alle Ortsnamen haben jetzt offizielle ladinische Bezeichnungen. Einige dürften jedoch auch bei Ladinern eher ungebräuchlich sein, so heißt der Talort eben Pederoa und wohl selten "Pidrô". Erschwerend kommt hinzu, dass man bei der Abfassung der neuen Schriftsprache mit Sonderzeichen nicht gerade gespart hat, etwas seltsam für eine Sprache einer bäuerlichen Kultur.
Die Aussprache des Ladinischen folgt den Gepflogenheiten romanischer Sprachen, also Cians heißt Tschans und nicht "Zieans", Spëscia heißt Spescha ("Spessa"), j ist ein stimmhaftes "sch". Im folgenden ein erster Versuch, den ladinischen Bezeichnungen "Touristendeutsch" oder ähnliches gegenüberzustellen. Am besten lässt man sich die Aussprache von Einheimischen erklären.
Einen Hinweis geben auch die einheimischen Familiennamen wie Colz, Comploier, Frenes, Miribung, Tavella mit den ladinischen Ortsnamen Côz, Frëines, Miribun, Taéla.
ladinisch | deutsch |
Dlijia Nöia (vgl. lat. ecclesia, franz. église) | Neue Kirche, Hauptort von Wengen, La Val |
San Berbora | Kapelle Heilige Barbara |
Côz | Colz |
Pidrô | Pederoa (vgl. Gasthof/Albergo "Pider" in La Val) |
Al Bagn | Das Bad |
Rumestluns | "Rumschlungs" |
Spëscia | Spessa, Spescha? |
Ortsnamen, Höhe über NN, Bevölkerungszahl 2001 (nach ISTAT)
("Sasso delle Nove" in "Sasso delle Dieci" korrigiert)

italienisch | ladinisch | Höhe | Einwohnerzahl |
La Valle (insgesamt) | La Val | 1106 bis 3026 | 1232 |
Pederoa | Pidrô | 1150 | 244 |
San Genesio | San Senese | 1353 | 343 |
Aiarei | Aiarei | 1528 | 25 |
Biei/Ronco | Biëi/Runch | 1584 | 31 |
Campo | Ćians | 1471 | 59 |
Ciampei | Ćiampëi | 1516 | 28 |
Comploi | Ćiampló | 1267 | 85 |
Furnacia | Fornacia | 1568 | 20 |
Lunz | Lunz | 1308 | 43 |
Rumestluns | Rumestluns | 1400 | 28 |
Tolpei | Tolpëi | 1500 | 30 |
Case sparse, verstreute Häuser | ? | 1100 bis 1600 | 296 |
Sasso delle Dieci | Sass dles Diesc | ca. 1900 bis 3026 | 0 |
Literatur
- Stefania A. Pitscheider: Die sakrale Kunst in La Val/Wengen. Pluristamp, Bozen 2003.
- Karl Felix Wolff: Dolomitensagen. Sagen und Überlieferungen, Märchen und Erzählungen der ladinischen und deutschen Dolomitenbewohner. Mit zwei Exkursen Berner Klause und Gardasee. Unveränderter Nachdruck der 1989 in der Verlagsanstalt Tyrolia erschienenen sechzehnten Auflage. Verlagsanstalt Athesia Bozen 2003 [1913]. ISBN 88-8266-216-0 S. 462ff. werden Wengen und die Wengener erwähnt.