Dekubitus
Der Dekubitus (auch: Druckgeschwür, Dekubitalgeschwür, Wundliegegeschwür) ist definiert als "Bereich lokalisierter Schädigung der Haut und des darunterliegenden Gewebes" (European Pressure Ulcer Advisory Panel). In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der WHO wurde dem Dekubitus die Ziffer L89 zugeordnet.
Oft werden Dekubitalgeschwüre auch als "Pflegefehler" abgetan.
Dekubitusgeschwüre werden nach W.O. Seiler in vier Stadien eingeteilt:
- Stadium 1: Nicht wegdrückbare, umschriebene Hautrötung bei intakter Haut. Weitere klinische Zeichen können Ödembildung, Verhärtung und eine lokale Überwärmung sein.
- Stadium 2: Teilverlust der Haut; Epidermis bis hin zu Anteilen des Koriums sind geschädigt. Der Druckschaden ist oberflächlich und kann sich klinisch als Blase, Hautabschürfung oder flaches Geschwür darstellen.
- Stadium 3: Verlust aller Hautschichten einschließlich Schädigung oder Nekrose des subkutanen Gewebes, die bis auf, aber nicht unter, die darunterliegende Faszie reichen kann. Der Dekubitus zeigt sich klinisch als tiefes, offenes Geschwür.
- Stadium 4: Verlust aller Hautschichten mit ausgedehnter Zerstörung, Gewebsnekrose oder Schädigung von Muskeln, Knochen oder stützenden Strukturen wie Sehnen oder Gelenkkapseln, mit oder ohne Verlust aller Hautschichten.
Der Begriff Druckgeschwür weist schon auf einen Faktor hin, der maßgeblich an ihrer Entstehung beteiligt ist: die lokale Druckbelastung. Überschreitet von außen auf Gefäße einwirkender Druck den Kapillardruck der Gefäße, so kommt es zu trophischen Störungen. Dieser Grenzwert wird in der Literatur oft auch als physiologischer Kapillardruck bezeichnet. Verschiedene Studien zur Bestimmung des Kapillardruckes (u.a. von E.M. Landis, K.-D. Neander (leider ein Schwindler wie sich 2004 herrausstellte), Yamada und Burton) lieferten Druckwerte zwischen 32 und 70 mmHg, die zu einer Unterbrechung der Blutzufuhr führten.
Dauert eine Druckbelastung, die die Kapillardruckschwelle überschreitet, weiter an, kommt es durch die folgende Unterversorgung der Zellen mit Sauerstoff (Hypoxie) und Nährstoffen zu einer Absenkung des Sauerstoffpartialdrucks auf 0 mmHg (Ischämie) sowie einer Ansammlung von toxischen (sauren) Stoffwechselprodukten und daraus folgend zu einer Nekrosebildung des Gewebes sowie einer irreversiblen Schädigung von Nervenzellen. Der Anstieg der sauren Stoffwechselprodukte löst bei gesunden Menschen einen Reflex aus, der zu einer Umlagerung und damit Entlastung der gefährdeten Hautstellen führt, bevor die entsprechenden Areale bleibende Schädigungen erleiden. Bei älteren und kranken Personen sind diese Reflexe oft nur noch eingeschränkt oder nicht mehr vorhanden, so dass es bei diesen Personengruppen nicht zu der notwendigen Entlastung des Gewebes kommt. Auf die folgende Übersäuerung des Gewebes reagiert der Körper mit einer Weitstellung der Gefäße (Gefäßdilatation), so dass diese Hautareale stärker durchblutet werden - eine auch bei Druck bleibende Hautrötung - ein Dekubitus Grad I – ist die Folge.
Als besonders gefährdet gelten Stellen mit geringer Weichteildeckung (Muskeln oder Fettgewebe) und konvexen knöchernen Widerlagern, da entstehender Druck auf Grund des fehlenden Unterhautfettgewebes nicht genügend verteilt werden kann, wie die Kreuzbeinregion, die Fersen, die Rollhügel, der Oberschenkelknochen und die Knöchel.
Die Entstehung eines Dekubitus muss als multifaktorielles Geschehen gesehen werden, wobei zwischen intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren unterschieden wird. Während die intrinsischen Faktoren "in dem Patienten selbst" (reduzierte Mobilität, Alter, Ernährung, Austrocknung, Gewicht, Zusatzerkrankungen, Infektionen, Inkontinenz, Sensibilitätsstörungen, ...) begründet liegen, werden die extrinsischen Faktoren durch das Umfeld des Patienten bestimmt und lassen sich damit – im günstigen Fall – durch Mobilisierung und die Wahl eines geeigneten Hilfsmittels sowie korrekte Lagerung (siehe auch Dekubitusmatratze) und konsequente Pflege des Betroffenen positiv beeinflussen.
Als weitere extrinsische Faktoren, die die Entstehung eines Dekubitus begünstigen, gelten:
- Scherkräfte führen zu Verdrillungen der Blutgefäße; trophische Störungen sind die Folge. Gerade bei älteren Menschen, bei denen eine Abnahme des Wassergehaltes der Haut zu einem Elastizitätsverlust führt, kann es durch Scherkräfte auch zu einer Trennung ganzer Hautschichten voneinander kommen;
- Reibung führt zu Verletzungen an der Hautoberfläche;
- Temperaturen in unphysiologischen Bereichen und starke Feuchtigkeit führen zu einem Erweichen (Mazeration) der oberen Hautschicht, welche dadurch anfälliger für Verletzungen wird.
Weiterhin fördern folgende Faktoren einen Dekubitus:
- Fieber -> Schwitzen und erhöhter Sauerstoffverbrauch
- Inkontinenz, zusätzlich saurer pH
- Adipositas -> Druck durch mehr Gewicht, vermehrtes Schwitzen
- Weitere Faktoren: Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Abwehrschwäche und schlechter Allgemeinzustand
Als Instrumentarium zur Einschätzung des Dekubitusrisikos auf Grund intrinsischer Faktoren haben sich Skalen als günstig erwiesen, auf denen für verschiedene Kategorien (z.B. geistiger Zustand, körperlicher Zustand, Beweglichkeit, ...) Punkte vergeben werden. Patienten unter einer bestimmten Punktzahl gelten dann als gefährdet. Schon in den 50er Jahren wurde von Doreen Norton die Norton-Skala entwickelt. Erst 1985 wurde diese – an sich vollkommen unzureichende und zum Teil schwammig formulierte Skala – erweitert; man spricht von der modifizierten Norton-Skala. Neben der Medley- und Waterlow-Skala, die eher von spezifischen Patientenvorstellungen oder Pflegebereichen ausgehen, wird heute primär in den USA die Braden-Skala eingesetzt, welche u.a. die Kategorien "Reibung und Scherkräfte" sowie "sensorisches Empfindungsvermögen" einführt.
Offene Dekubitalgeschwüre können als Eintrittspforte für Erreger angesehen werden, welche nicht nur lokale Infektionen verursachen. Eine Dekubitalläsion kann daher zum Beispiel durch Streuung von Eiterherden über die Blutbahn eine ganze Reihe schwerwiegender und unter Umständen auch tödlicher Folgeerkrankungen wie Lungenentzündung (Pneumonie) oder sogar Blutvergiftung (Sepsis) nach sich ziehen.
Begriffliches
Der Begriff Dekubitus, ein neulateinisches, erst im 19. Jahrhundert geprägtes Wort, stammt vermutlich von decumbere, decubitum (sich niederlegen, vor allem zum Schlafen, zum Essen oder für den Beischlaf) ab. Möglich ist auch die Abstammung von decubare (liegen). Gemeint ist damit das "Sichdurchliegen" der Kranken. Ursprünglich wurden Druckgeschwüre als Gangraena per decubitum bezeichnet, was sich vom griechischen gangraina = "fressendes Geschwür" ableitet und "faulige Wunde durch das Liegen" bedeutete. Später blieb davon nur die Kurzform Dekubitus übrig. Das Wort Geschwür wird im deutschen Sprachraum seit dem 16. Jahrhundert verwendet. Es leitet sich von schwären (althochdeutsch sweran) = "schmerzen, schwellen, eitern" ab und bedeutete ursprünglich "das, was eitert".
Uneinigkeit herrscht in der Fachliteratur über den korrekten Plural des Wortes Dekubitus. Eigentlich der lateinischen u-Deklination zugehörig, wäre der korrekte Nominativ Plural Dekubitus (mit langem u), jedoch folgten ab dem dritten nachchristlichen Jahrhundert im Zuge einer allgemeinen Sprachvereinfachung viele Wörter einer "heteroklitischen Flexion", d.h. sie wurden der O-Deklination folgend gebeugt. Deshalb ist vermutlich auch Dekubiti korrekt.
Weblinks
Literatur
- H. Lubatsch: Dekubitusmanagement auf der Basis des Nationalen Expertenstandards. Schlütersche, 2004, ISBN 3-89993-121-1
- A. Fuchs: Dekubitus. Kohlhammer, 2004, ISBN 3-17-018255-2
- C. Bienstein, G. Schröder, M. Braun, K.-D. Neander (Hrsg.): Dekubitus – Die Herausforderung für Pflegende. DBfK-Vlg., 2000, ISBN 3-92-794416-5