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Christian Führer

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Christian Führer (2009)

Christian Führer (* 5. März 1943 in Leipzig) ist evangelischer Pfarrer i. R. Er war Gemeindepfarrer der Nikolaikirche in Leipzig, in der seit 1982 wöchentlich Friedensgebete stattfanden.

Leben

Führer stammt aus einer Pfarrersfamilie. Von 1961 bis 1966 studierte er an der Karl-Marx-Universität Leipzig Theologie. Nach der Ordination 1968 war er zunächst Pfarrer in Lastau und Colditz, bevor er 1980 Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig wurde.

Friedensgebete

Im Rahmen der Friedensdekade, die 1980 als gemeinsame Protestaktion der Evangelischen Jugendpfarrämter in Ost und West entstand, organisierte Führer Veranstaltungen, aus denen die seit dem 20. September 1982 jeden Montag in der Nikolaikirche stattfindenden Friedensgebete gegen das Wettrüsten in Ost und West entstanden. Ab 1986 wurden die Friedensgebete durch Christoph Wonneberger, den Pfarrer der Lukasgemeinde, koordiniert.[1]

1986 ließ Christian Führer Schilder mit der Aufschrift Nikolaikirche – offen für alle anbringen. 1987 organisierte er einen Pilgerweg im Rahmen des Olof-Palme-Friedensmarsches und einen Gesprächskreis Hoffnung für Ausreisewillige. 1988 moderierte er die Fürbittandachten für die anlässlich der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Berlin Verhafteten. Sein Vortrag Leben und Bleiben in der DDR machte die Montagsgebete zu einem Anziehungspunkt für Ausreisewillige.

Im Sommer 1988 beugte er sich dem Druck staatlicher Stellen und unterstützte die Superintendentur Leipzig Ost beim Ausschluss der Leipziger Bürgerinitiativen von der Gestaltung der Friedensgebete. Erst nach zwei Monaten intensiver Protestaktionen konnten Christoph Wonneberger und die organisierte Leipziger Opposition - wie Arbeitsgruppe Menschenrechte, Arbeitskreis Gerechtigkeit, Initiativgruppe Leben, Arbeitsgruppe Umweltschutz, Frauen für den Frieden - einen Kompromiss erreichen, der den Gruppen die Gestaltung der Friedensgebete unter der Leitung und Verantwortung eines Pfarrers ermöglichte. Die Gruppen wurden dann neben Christoph Wonneberger von den Pfarrern Klaus Kaden, Michael Turek und Hans-Friedrich Fischer unterstützt.[2]

Die Staatsorgane der DDR übten weiter Druck aus, um die Friedensgebete einzustellen. Seit Frühjahr 1989 spitzte sich die Situation zu, Zufahrtstraßen wurden kontrolliert, Verdächtige „zugeführt“. Am 9. Oktober gab es ein großes Aufgebot von Armee und Kampfgruppen, Polizei und Stasimitarbeitern in Zivil. Man hatte etwa 1000 SED-Genossen in die Nikolaikirche beordert, von denen bereits gegen 14 Uhr etwa 600 das Kirchenschiff füllten.

Ab Mittag wurde der "Appell" zur Gewaltlosigkeit dreier subversiver Leipziger Gruppen (Arbeitsgruppe Menschenrechte, Arbeitskreis Gerechtigkeit und der Arbeitsgruppe Umweltschutz) als illegal gedrucktes Flugblatt verteilt und nachmittags in den Kirchen der Innenstadt verlesen.[3] Kurz vor Schluss des Friedensgebetes in der Nikolaikirche, vor dem Segen des Bischofs, wurde ein "Aufruf" des Gewandhauskapellmeisters Kurt Masur, des Kabarettisten Bernd-Lutz Lange, des Theologen Peter Zimmermann und dreier Sekretäre der SED-Bezirksleitung (der so genannte „Aufruf der Leipziger Sechs“) verlesen, der ebenfalls zur Gewaltlosigkeit aufrief. Tatsächlich verlief die folgende Demonstration mit über 70.000 Teilnehmern (manche Quellen sprechen von bis zu 100.000) ohne jede Gewaltanwendung.[4]

Nach der Revolution

Nach 1989 setzte sich Führer besonders für Arbeitslose ein, es entstand die Kirchliche Erwerbsloseninitiative Leipzig, 1993 die Koordinierungsgruppe Kirchlicher Erwerbslosigkeitsinitiativen Sachsen. Seit dem Beginn der Montagsdemonstrationen gegen „Hartz IV“ lädt er wieder zu Friedensgebeten vor den Demonstrationen in die Nikolaikirche ein.

Nach anfänglicher Beteiligung an den Demonstrationen gegen "Hartz IV" spricht sich Christian Führer gerade dann für "Hartz IV" als "endlich eingeleitete[n] Beginn notwendiger Reformen unseres Sozialstaates" [5] aus, als am Tage zuvor, am 29. August 2004, die "Erklärung von Angehörigen ehemaliger DDR-Oppositionsgruppen: Wir protestieren gegen Hartz IV" [6] erschienen war.

Zusammen mit dem damaligen Oberbürgermeister von Leipzig, Wolfgang Tiefensee, meldete er im März 2002 den Ausspruch "Wir sind das Volk" als Marke (Klasse 35: Werbung) an.[7]

Nachdem am 24. Januar 2006 zwei im Irak tätige Ingenieure der Bennewitzer Firma Cryotec entführt worden waren, mobilisierte der Pfarrer in der Tradition der Montagsgebete hunderte Menschen zu Mahnwachen.

Auch bei den in Leipzig immer wieder stattfindenden Aufmärschen des Hamburger Rechtsextremisten Christian Worch (wie zuletzt am 3. Oktober 2006) zählt Führer zu den Initiatoren der friedlichen Gegendemonstrationen nach dem Vorbild von 1989.

Am 30. März 2008 hielt Führer seinen Abschiedsgottesdienst in der Nikolaikirche und ging in den Ruhestand.[8]

Ehrungen und Auszeichnungen

Literatur

Einzelnachweise

  1. Christoph Wonneberger - Der vergessene Held. MDR, 2009, abgerufen am 6. Oktober 2009.
  2. Christian Dietrich, Fallstudie Leipzig 1987 – 1989. Die politisch-alternativen Gruppen in Leipzig vor der Revolution. Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ Band VII/1, 1995, Freunde und Feinde: Dokumente zu den Friedensgebete in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989, Herausgegeben von Christian Dietrich und Uwe Schwabe im Auftrag des Archiv Bürgerbewegung e.V. Leipzig, Leipzig 1994 und Peter Wensierski: Handeln statt Beten, in: Der Spiegel, Nr. 43, 19. Oktober 2009, S. 42-46.
  3. Appell des organisierten Widerstandes zur Gewaltlosigkeit am 9. Oktober 1989
  4. Vgl.Leipziger Menschenrechtsgruppen 1989 (Blatt 9/ 1999): 9. Oktober 1989 - Tag der Entscheidung
  5. Christian Führer im Interview am 30. August 2004
  6. Erklärung von Angehörigen ehemaliger DDR-Oppositionsgruppen: "Wir protestieren gegen Hartz IV" vom 29. August 2004
  7. Eintrag beim Deutschen Patent- und Markenamt
  8. Stefan Klotz: Der Bergprediger von Sankt Nikolai, faz.net vom 31. März 2008
  9. Ex-Pfarrer Führer erhält Hans-Böckler-Medaille, ddp-Meldung vom 5. Mai 2008 auf derNewsticker.de, Abgerufen am 5. Mai 2008
  10. Mitteldeutscher Presseclub des Mitteldeutschen Rundfunk, 21. November 2008