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Vilnius

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Blick auf die Altstadt von Wilna und die dahinter entstehende Neue Mitte

Wilna (litauisch Vilnius ['vilɲus]) ist die Hauptstadt Litauens und des Distrikts Wilna (Vilniaus Apskritis) mit 541.600 (2003) Einwohnern. Sie liegt an der Mündung der Vilnia in die Neris, nur etwa 40 km von der weißrussischen Grenze entfernt.

Wilna ist katholischer Erzbischofssitz und seit 1579 Universitätsstadt. Im Juni 2005 wird die Europäische Humanistische Universität von Minsk nach Wilna übersiedeln und hier als vorläufige Exiluniversität geführt.

Namen der Stadt

Karte der Stadt Wilna (1576)

Entsprechend ihrem multiethnischen und multikulturellen Charakter ist die Stadt Wilna unter verschiedenen Namen bekannt. Die Litauer (die heute die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung darstellen) nennen sie Vilnius; dieser Name setzt sich allmählich auch in anderen Sprachen durch. Auf Polnisch heißt sie Wilno, auf Weißrussisch Вільня/Wilnja, auf Jiddisch Wilne, auf Russisch schließlich hieß sie ursprünglich Вильна/Wilna, wurde ab der sowjetischen Zeit aber nur noch als Вильнюс/Wilnjus bezeichnet.

Geschichte

Aula der Universität

Mittelalter und frühe Neuzeit

Wilna wurde unter Gediminas, Großfürst seit 1316, gegründet. Der Legende nach soll er bei der Jagd auf einem Hügel am Zusammenfluss der Neris und Vilnia gerastet haben. Dort träumte er von einem eisernen Wolf, der markerschütternd laut heulte wie hundert Wölfe. Der Pfeil, den er auf das Tier abfeuerte prallte an dessen stählernen Körper ab. Beunruhigt bat er seinen heidnischen Hohepriester Lizdeika um die Deutung dieser Episode. "Was die Götter dem Herrscher und dem litauischen Staat beschieden haben, mag geschehen: der eiserne Wolf steht auf einem Hügel, auf dem eine Burg und eine Stadt errichtet werden - die Hauptstadt Litauens und die Residenz der Herrscher. Die Festung aber müsse fest wie Eisen sein, dann würde ihr Ruhm weit durch die Welt hallen (Die litauischen Wörter für laut und berühmt klingen sehr ähnlich). Zu jener Zeit war die prächtige Wasserburg im westlich gelegenen Trakai Sitz des Herrschers.

Soweit die Legende. Archäologen sehen die Geschichte bodenständiger: Ihren Ausgrabungen nach hatten schon im 11. Jahrhundert Menschen an diesem taktisch vorteilhaften Ort gesiedelt. Erste Erwähnung in den geschichtlichen Akten findet Wilna als Hauptstadt der Litauer 1323. In jenem Jahr schreibt besagter Großfürst Gediminas einen in Latein verfasste Brief an die Hauptstädte jener Zeit. Darin wirbt er Kaufmänner, Wissenschaftler und Priester für unsere Stadt Vilnius - sozusagen als hochqualifizierte Gastarbeiter und lockt mit zwei Kirchen, also auch Religionsfreiheit. Diese Toleranz gegenüber den verschiedensten Glaubensrichtungen sollte die Entwicklung der Stadt noch lange bestimmen.

Ab 1377 war der ehrgeizige Jagiello (litauisch: Jogaila) Großfürst Litauens. 1385 schloss er mit Polen die ''Union von Krewo'' - der Preis dafür war die Christianisierung des Landes. Er löschte das ewige Feuer auf dem Hügel in Wilna und zerstörte den dazugehörigen heidnischen Tempel. Ein Jahr später, 1386, lies er sich taufen, heiratete wie vereinbart die polnische Königin Hedwig und bestieg als Wladislaw II. den Thron des neuen und mächtigen Großreiches aus Polen und Litauen: Die ''Rzeczpospolita''.

Zeitgleich wurde in Vilnius das Magdeburger Stadtrecht eingeführt. In Folge der polnisch-litauischen Union (1385/1569) kam die Stadt zunehmend unter polnischen Einfluss. Das 1570 von den Jesuiten gegründete Kollegium wurde 1579 zur Universität (Alma academia et universitas Vilnensis societatis JESU) mit Privileg des polnischen Königs Stefan Batory und Segen von Gregor XII. Gleichzeitig wurde Wilna das wichtigste Zentrum jüdischer Kultur in Nordeuropa. Aufgrund seiner geistigen Bedeutung hatte Wilna (wie auch Moskau und Kiew) den Beinamen Jerusalem des Nordens.

18. bis 20. Jahrhundert

Stadtmauer von Wilna

Im Großen Nordischen Krieg wurde Wilna in den Jahren 1702 und 1707 von schwedischen Truppen zerstört. Bis 1917 gehörte Litauen zum russischen Zarenreich. Im 19. Jahrhundert war Wilna auch das Zentrum des weißrussischen nationalen Lebens. Die wichtigsten weißrussischen Dichter und Schriftsteller publizierten ihre Werke damals in Wilna. In Wilna wurde auch die erste weißrussische Zeitung "Naša Niva" gegründet.

Nach der Unabhängigkeit Litauens wurde Wilna Hauptstadt Litauens, doch bereits 1920 wurde sie von Polen annektiert, was mit der polnischstämmigen Mehrheitsbevölkerung zu dieser Zeit begründet wurde. Für die nächsten 19 Jahre war Kaunas die neue Hauptstadt des Landes. Dabei blieb Wilna in der Zwischenkriegszeit auch das Zentrum der weißrussischen Kultur und die inoffizielle Hauptstadt von Westweißrussland.

Als die deutsche Wehrmacht im September 1939 in Polen einmarschierte, wurde der bis dahin polnisch besetzte Teil Litauens von der Roten Armee besetzt. Von September bis Oktober 1939 war Wilna Teil der Weißrussischen Sowjetrepublik, im Oktober wurde die Stadt formell an Litauen gegeben - nicht uneigennützig (siehe Hitler-Stalin-Pakt). Nach der Besetzung Litauens durch die UdSSR am 3. August 1940 wurde Wilna wieder Hauptstadt des Landes (Sozialistische Sowjetrepublik Litauen) und blieb es nach Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit 1990.

Karte von Litauen bis 1923

Bevölkerung

Bis zum Zweiten Weltkrieg war das damals zu Polen gehörende Wilna eine mehrheitlich von Polen und einer großen jüdischen Bevölkerungsgruppe bewohnte Stadt. Heute wohnen im Umland von Wilna immer noch sehr viele Polen. Allerdings bilden aus dem Raum Kaunas zugewanderte Litauer in der Stadt inzwischen die dominierende Volksgruppe. Im Jahr 2001 zählte Wilna 542.287 Einwohner. Davon machten Litauer 57,8 % aus, Polen 18,7 %, Russen 14 %, Weißrussen 4 %, Juden 0,5 %, Vertreter anderer Nationalitäten 5%.

Bevölkerungsgeschichte

Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Stadt mehrheitlich von Polen besiedelt. Als im Sommer 1941 die deutschen Wehrmachtstruppen nach Litauen vorstießen, fielen viele, insbesondere die jüdische Bevölkerung den Nationalsozialisten zum Opfer. In der Altstadt wurden zwei Ghettos eingerichtet, von denen das kleinere bis zum Oktober 1941 bereits wieder liquidiert wurde, was für mehrere Zehntausend Juden den Tod durch Erschießung im Wald von Paneriai (etwa 10 km westlich der Altstadt) bedeutete. Das zweite Ghetto bestand bis 1943, wobei verschiedene so genannte Aktionen auch hier eine weitere Dezimierung der jüdischen Bevölkerung zur Folge hatten. Die verbliebenen Juden wurden in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Nachdem im Nachkriegs-Wilna noch mehrere Tausend Juden (v.a. zugewandert aus anderen Teilen der Sowjetunion) gelebt haben, sind sie durch die Auswanderung nach Israel und in die USA heute auf eine kleine Minderheit geschrumpft. Dagegen leben in Wilna und vor allem in der ländlichen Umgebung weiterhin viele Polen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Übersiedlung nach Polen widersetzt haben (siehe auch Absatz Bevölkerung).

Sehenswürdigkeiten

Kathedrale Sankt Stanislaus

Nach der Unabhängigkeit Litauens von der Sowjetunion entwickelte sich das heutige Wilna innerhalb von 10 Jahren von einer sowjetischen in eine Stadt westlich-kosmopolitischen Stils.

Die Wahrzeichen der Stadt sind die Ruine der Burg von Gediminas auf dem gleichnamigen Hügel aus dem 14. und 15. Jh., sowie an ihrem Fuße die klassizistische römisch-katholische Kathedrale Sankt Stanislaus mit ihrem etwas abseits stehenden Glockenturm.

Ausgehend vom Burgberg bildet das Straßennetz der Altstadt von Wilna in Richtung Westen und Süden eine fächerartige Struktur. Die Altstadt, die sich an den Hängen auf dem linken Ufer der Neris hochzieht, hat eine Fläche von 360ha und zählt damit zu den größten und besterhaltenen Europas; seit 1994 zählt sie zum UNESCO-Weltkulturerbe. Viele Baustile hinterließen ihre Spuren, vor allem prägen sie der Barock, aber auch Gotik und Renaissance. Sehenswert sind die St. Annen-Kirche (Šv. Onos), ein gotisches Backsteingebäude zusammen mit der ebenfalls gotischen Bernhardiner-Kirche, die barocke Universitätsanlage mit der Johannes-Kirche (Šv. Jono).
Bekannt sind auch die barocke St. Kazimir-Kirche (Šv. Kazimiero), welche dem Nationalheiligen geweiht ist, und das Tor der Morgenröte (Aušros vartai). Das alte Rathaus wurde wie die Kathedrale zuletzt in klassizistischem Stil umgebaut. Eine der wenigen alten Kirchen außerhalb der Altstadt ist die von dem polnischen Ritter Sapiega gestiftete St. Peter-und-Paul-Kirche (Šv. Petro ir Pavilo), ein Meisterwerk des Barock. Diese Kirche, wie auch das Bild der wundertätigen Madonna in den "Aušros vartai", ist ein wichtiges Pilgerziel, vornehmlich für polnische Katholiken. Von den einstmals 96 Synagogen in Wilna ist eine einzige aus dem Jahr 1894 übrig geblieben. Interessant ist außerdem der oberhalb der Altstadt wunderschön gelegene Rasų-Friedhof, wo zahlreiche prominente Litauer und Polen (Józef Piłsudski) begraben sind, sowie der zentrale Markt auf dem nördlichen Ufer der Neris.

Romantisch und kleinstädtisch verträumt präsentiert sich das am rechten Ufer des Flüsschens Vilnele gelegene Stadtviertel Užupis (deutsch: Hinter dem Fluss), das seit Anfang der Neunziger vom unbeachteten Winkel zu einem Künstlerviertel (in unmittelbarer Nähe der Kunstakademie "Dailės akademija") wurde und nunmehr auch eine exquisite Adresse darstellt. Wilna ist im Ganzen eine wenig metropolitan wirkende Stadt mit viel Grün, das sich bis ins Zentrum zieht.

Altstadt von Wilna: Blick auf die Aušros Vartai („Tor der Morgenröte“, also Osttor)

Auf dem der Altstadt und dem Zentrum (Bebauung rund um den zentralen Gediminas-Prospekt ab der Jahrhundertwende) gegenüber gelegenen Ufer der Neris haben sich in den letzten Jahren die ersten Ansätze für ein modernes Büro- und Geschäftsviertel gebildet, mit dem Wilna zu einem Anziehungspunkt nicht nur für Touristen werden will. Bislang verlief die Entwicklung mehr oder weniger auf Brachflächen, in absehbarer Zeit werden aber die ärmlichen Holzhaus-Siedlungen, die sich unmittelbar nördlich anschließen, weichen müssen.

Universitäten

Wilna ist bereits seit 1579 Universitätsstadt und besitzt mehrere Hochschulen. Das litauische Hochschulgesetz 2000 sieht neben den 15 Universitäten (rund die Hälfte in Wilna) auch 26 "Kollegien" vor, die unseren Fachhochschulen entsprechen.

Am 9. Juni 2005 wird die "Europäische Humanistische Universität" von Weißrussland (wo sie 2004 aus politischen Gründen geschlossen wurde) nach Wilna übersiedeln und hier als vorläufige Exiluniversität geführt. Sie wird die zweite Privatuniversität des Landes und Europastudien, Sprach- und Politikwissenschaften anbieten.

Umgebung von Wilna

Eine moderne Sehenswürdigkeit ist der Fernsehturm, der 326 m hoch ist und in 190 m Höhe über eine Aussichtsplattform verfügt.

Etwa 30 km westlich von Wilna liegt Trakai, die mittelalterliche Hauptstadt Litauens mit seiner wieder aufgebauten Wasserburg.

Nördlich von Wilna im Dorf Purnuskes befindet sich der Europapark. Dort soll der geografische Mittelpunkt Europas (lit. Europos centras) liegen. Diese Berechnung französischer Wissenschafter um 1790 ist allerdings wegen fraglicher Gewichtung von Inseln umstritten. Die Mehrzahl der Geowissenschafter setzt den Mittelpunkt in der [Ukraine]] nahe der Grenze zur Slowakei an.

Verkehr

Die litauische Hauptstadt liegt verkehrstechnisch auf Grund seiner Nähe zur stark abgesicherten EU-Außengrenze zu Weißrussland in einer Art „totem Winkel“. Die Korridorzüge von Russland über Weißrussland nach Kaliningrad (s.u.) erlauben keinen Zu- oder Ausstieg in Wilna, obwohl sie den Bahnhof passieren. Die wichtigsten Verkehrströme vom Baltikum in die restliche EU verlaufen über Kaunas. Von dort führt eine Schnellstraße ins 100 Kilometer entfernte Wilna.

Eisenbahn

Wilna ist wichtiger Durchgangsbahnhof für den Transitverkehr Russland-Weißrussland-Kaliningrad, wobei der Ein- und Ausstieg bei den Korridorzügen nicht gestattet ist. Daneben existieren Eisenbahnverbindungen nach Kaunas und nach Klaipėda (Memel) über Šiauliai sowie internationale Bahnverbindungen nach Warschau (über Sestokai), Minsk und Riga.

Fernbus

Vom zentralen Busbahnhof fahren Fernbusse in sämtliche Nachbarländer, und in viele andere Länder der Europäischen Union. Daneben werden auch kleinere litauische Städte von Wilna aus angefahren.

Flugverkehr

Die Stadt Wilna verfügt über einen internationalen Flughafen. Mittlerweile hat verstärkte Konkurrenz zu günstigen Preisen (in die Hauptstädte Europas für unter 150 €) geführt, im deutschsprachigen Raum werden täglich Frankfurt/Main, Berlin und Wien, außerdem auch Hamburg und München angeflogen.

Straßen

Es bestehen Autobahnverbindungen über Kaunas an die Ostsee zum Fährhafen Klaipėda (Memel) und nach Panevėžys mit Anschluss an die Via Baltica sowie eine Fernstraßenverbindung ins nahe Weißrussland.

ÖPNV

Dem öffentlichen Nahverkehr dienen, da Wilna weder U-Bahn noch Straßenbahn hat, vor allem Omnibusse und Trolleybusse. Der Bau einer ersten Trambahnlinie ist projektiert, aber noch nicht begonnen. Die Lietuvos Geležinkeliai (Eisenbahngesellschaft) betreibt ein S-Bahn-ähnliches System von Vorortzügen.

Literatur

Weitere Artikel

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