Jugendstrafrecht (Deutschland)
Das Jugendstrafrecht ist das formelle und materielle Recht, das auf Jugendliche im Strafverfahren angewandt wird. Rechtsgrundlage ist dabei das Jugendgerichtsgesetz. Auf Heranwachsende findet das Jugendstrafrecht nach Maßgabe der §§ 105 ff. JGG Anwendung. Für Jugendliche ist die Anwendung zwingend.
Rechtspolitische Überlegung
Das Jugendstrafrecht ist ein Instrument, um auf nicht erwachsene Straftäter mit strafrechtlichen Konsequenzen zu reagieren. Das Jugendstrafrecht nimmt dabei Rücksicht auf die Minderjährigkeit der Beschuldigten bzw. Angeklagten. Dabei unterscheiden sich insbesondere die Rechtsfolgen von denen des allgemeinen Strafrechts. Während sich dort die Höhe der Strafe nach der Schuld des Täters bemißt, stehen im Jugendstrafrecht spezialpräventive Gesichtspunkte im Vordergrund.
Der Zweck des Jugendstrafrechts ist es, Verfehlungen von strafmündigen Minderjährigen (§ 19 StGB: mindestens 14 Jahre) durch Maßregeln und ggf. Strafen zu sühnen. Das JGG ist daher in erster Linie erzieherisch ausgerichtet und nur subsidiär strafend. Der Ultima-Ratio-Charakter des Strafrechts ist in dieser Form also noch einmal verschärft.
Das Jugendstrafrecht soll auch einen Beitrag zur sozialen Kontrolle leisten; augenscheinliche erzieherische Defizite werden durch Maßnahmen wie Heimunterbringung, sozialer Trainingskurs u. a. beantwortet.
Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) ist Spezialgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung. Das heißt: In erster Linie gelten die Vorschriften des JGG, die Vorschriften der beiden anderen Gesetze nur dann, wenn keine Regelung im JGG getroffen wurde.
Jugendkriminalität
Jugendkriminalität ist der Anknüpfungspunkt des Jugendstrafrechts. Typische Delikte Minderjähriger sind Diebstahl in Form des Ladendiebstahls, Sachbeschädigung (z. B. Graffiti-Sprayer), Körperverletzungsdelikte, Betrugsdelikte wie Beförderungserschleichung. Bei der Gruppe der Heranwachsenden nehmen die Verkehrsdelikte eine bedeutende Stellung ein.
Geschichte
Entwicklungspsychologisch sind Kinder erst ab einem gewissen Alter fähig, das Unrecht einer Tat einzusehen und nach dieser Erkenntnis zu handeln. Diese Erkenntnis ist zeitlich in die Zeit der Entstehung eines öffentlichen Strafrechts zu sehen. Das römische Recht sah für Kinder ab 7 Jahren eine Strafmündigkeit vor, sofern diese einsichtsfähig waren. Die Rechtssammlungen des Mittelalters (Sachsenspiegel o. ä.) sahen keine einheitlichen Vorschriften vor. Grundsätzlich setzte die Strafmündigkeit im Alter zwischen 7 und 14 Jahren ein. In Norwegen wurde der "halbbüßige" Mann (12 - 15 Jahre) mit der Hälfte der Strafe belegt. Taten von Kindern ab 7 Jahren wurden dem Vormund als Fahrlässigkeit angelastet. Regelmäßig wurde das Kind gezüchtigt (durch den Vormund oder den Verletzten). Todes- und Leibesstrafen (Folter) waren eingeschränkt. Die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) von 1532 sah in Art. 164 (Diebstahl) vor, dass beispielsweise der Täter unter 14 Jahre statt mit dem Tode nur mit einer Körperstrafe bestraft wurde.
Im Code Pénal von 1811 war die Einsichtsfähigkeit unter 16 Jahren vonnöten. Lag diese vor, wurde das gleiche Strafrecht angewandt. Erst mit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 wurde die Strafmündigkeit auf 12 Jahre festgesetzt, bis zum 18. Lebensjahr galten gemilderte Strafrahmen. Das moderne Jugendstrafrecht entstand mit dem Jugendgerichtsgesetz von 1923, das den Schwerpunkt auf Erziehungsmaßregeln legte.
Ziele
Mehr noch als im allgemeinen Strafrecht ist im Jugendstrafrecht die Wiederherstellung des sozial adäquaten Verhaltens Ziel. Die Bedeutung des Normlernens und Ausgleich von Sozialisationsdefiziten wird besonders hervorgehoben. Stets sind solche Ziele - die strafrechtliche Kontrolle - an den Schranken des Rechtsstaats und der Grundrechte zu messen. Insbesondere ist das Jugendstrafrecht ein Eingriff in das Erziehungsprivileg der Eltern nach Art. 6 GG.
Sanktionen
Die "Sanktionspalette" ist weit gefächert. Somit stehen dem Richter eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, um die passende Sanktion für den Täter zu finden. Ziel ist stets die Vermeidung von Sanktionen. Oftmals reicht bereits die Einleitung eines Strafverfahrens, um dem oder Jugendlichen die Ernsthaftigkeit ihrer Verfehlung vor Augen zu halten. Das Verfahren kann dann nach §§ 45 oder 47 JGG eingestellt werden. Dieser Reaktionsverzicht wird im Sinne erzieherischer Toleranz ausgeübt. Dies ist Teil der Diversion.
Informelle Reaktionen sind die Ermahnung, Weisungen und Auflagen. Formelle Verurteilungen sind Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder die Jugendstrafe. Auch Maßregeln des allgemeinen Strafrechts können (nach § 7 JGG) angewandt werden. Sicherungsverwahrung ist jedoch nicht zulässig.
Verfahren
Das Verfahren ist weitgehend mit dem allgemeinem Strafverfahren identisch und findet daher innerhalb des Strafrechtszweiges der ordentlichen Gerichtsbarkeit statt. Zusätzlich ist bei dem Verfahren noch die Jugendgerichtshilfe eingeschaltet. Die Bezeichnungen der Spruchkörper sind jedoch anders. Statt des Einzelrichters wird vom Jugendrichter, vom Jugendschöffengericht (beim Amtsgericht) und (beim Landgericht) von der Jugendkammer gesprochen.
Verhandlungen gegen Jugendliche sind nie öffentlich. Bei Heranwachsenden kann die Verhandlung öffentlich sein. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden kann davon abgesehen werden, ihnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (§ 74 JGG).
Literatur
- Bernd-Dieter Meier, Dieter Rössner, Heinz Schöch, Jugendstrafrecht, München 2003, ISBN 3406499139
- Michael Walter, Jugendkriminalität, 2. Auflage Stuttgart 2001, ISBN 3415027759
- Ulrich Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, 10. Auflage München 2003, ISBN 3406484476