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GuttenPlag Wiki

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Grafische Darstellung der Seiten in Guttenbergs Doktorarbeit, die laut Guttenplag Wiki Plagiate enthalten (Stand 27. Februar 2011)

Das GuttenPlag Wiki ist ein am 17. Februar 2011 gegründetes offenes Wiki, dessen Mitarbeiter Plagiate - die Übernahme von Textpassagen und Zitaten aus anderen Arbeiten ohne Quellenangaben - in der DissertationVerfassung und Verfassungsvertrag“ des CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg und weiteren seiner Veröffentlichungen dokumentieren. Diese Arbeit hatte erheblichen Anteil am Verlauf der Plagiatsaffäre Guttenberg und trug zu seinem Rücktritt von seinen politischen Ämtern am 1. März 2011 bei.

Gründung

Am 16. Februar 2011 berichtete die Süddeutsche Zeitung über eine anstehende Rezension des Jura-Professors Andreas Fischer-Lescano, in der dieser mehrere Plagiatsstellen in zu Guttenbergs Dissertation identifizierte.[1] Nachdem einzelne Blogger im Internet auf Anhieb weitere Plagiatsstellen gefunden hatten, regte der Salzburger Medienwissenschaftler Stefan Weber, der laut eigener Aussage mit dem Gründer des GuttenPlag Wiki in Kontakt steht, die gemeinsame weitere Plagiatssuche an.[2]

Der Gründer und Ansprechpartner des GuttenPlag Wiki ist unbekannt; er nennt sich dort „PlagDoc“.[3] Er legte am 16. Februar 2011 ein öffentlich zur Bearbeitung freigegebenes Google-Docs-Textdokument[4] an und rief über Twitter zur Mitarbeit auf.[5] Da das Google-Dokument aufgrund der zahlreichen Zugriffe innerhalb kurzer Zeit überlastet war, kopierte der Initiator die bis dahin vorhandenen Daten in ein Wiki des Anbieters Wikia.[6]

Ziele und Methode

Das GuttenPlag Wiki sammelt wahrscheinliche Quellen für unbelegte Textpassagen in Guttenbergs Doktorarbeit und dokumentiert deren wörtliche Übereinstimmungen sowie kleinere oder größere Abweichungen. Ziel sei nicht die Diskreditierung zu Guttenbergs, sondern die Sicherung der wissenschaftlichen Integrität von Doktortiteln in Deutschland. Das Projekt habe keine „politische Ausrichtung“.[7] Es wird nach Mitteilung von Beteiligten über den Fall zu Guttenberg hinaus auch weitere und künftige Plagiatsfälle recherchieren.[6]

Die Benutzer von GuttenPlag Wiki sammelten zunächst mögliche Quellennachweise für Plagiate und gliederten diese seitenweise. Ab dem 20. Februar 2011 wurden die Quellennachweise in eine fragmentweise gegliederte Struktur übertragen und dabei in Plagiatskategorien eingeordnet.[8]

Erster Zwischenbericht und Reaktionen

In wenigen Tagen fanden freiwillige Mitarbeiter Quellennachweise für mögliche Plagiate auf 270 Seiten der Dissertation.[9] Am 21. Februar 2011 veröffentlichte das GuttenPlag Wiki einen ersten Zwischenbericht zu Vorgehensweise, Ergebnissen, Bewertungen und dem geplanten weiteren Vorgehen. Danach verwendete Guttenberg bewusst, nicht versehentlich, in erheblichem Ausmaß fremde Quellen, ohne diese zu kennzeichnen. Seine Dissertation bestehe zu mindestens 21,5% aus Plagiaten.[10]

Am selben Tag kündigte zu Guttenberg bei einer Wahlveranstaltung der CDU an, seinen Doktorgrad dauerhaft nicht mehr zu führen.[11]

Der Deutsche Bundestag diskutierte am 23. Februar 2011 in einer „Aktuellen Stunde“ über die nun so genannte „Plagiatsaffäre“ und führte „angebliche Textübernahmefunde nach GuttenPlag-Wiki auf 270 Seiten der Dissertation“ als zusätzlichen Tagesordnungspunkt auf. In der Debatte bezeichnete zu Guttenberg das Wiki als „bemerkenswerte Seite“. Einige der dort erhobenen „Vorwürfe“ seien „hochrelevant“, da sie seine Entscheidung zur Rückgabe des Doktortitels ermöglicht bzw. erzwungen hätten; andere Textstellen als Plagiate zu kennzeichnen, sei „außerordentlich fragwürdig“.[12]

Universitätspräsident Rüdiger Bormann gab am 23. Februar 2011 bekannt, dass die Universität Bayreuth zu Guttenberg den Doktorgrad aberkenne.[13] Danach beschlossen einige Mitarbeiter des Projekts,[14] auf der Seite PlagiPedia weitere Doktorarbeiten auf mögliche Plagiate hin zu untersuchen.[15]

Plagiate in Guttenberg-Aufsatz von 2004

Am 25. Februar 2011 gab das GuttenPlag Wiki bekannt, dass eine weitere Arbeit Guttenbergs aus dem Jahr 2004 für die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung mit dem Titel „Beziehungen zwischen der Türkei und der EU“ Passagen enthalte, die nahezu unverändert und ohne Zitatangabe aus einem Strategiepapier der Europäischen Kommission vom 5. November 2003 übernommen worden seien.[16]

Zweiter Zwischenbericht

Am 1. März 2011 kritisierte das GuttenPlag Wiki, dass Guttenberg in seiner Rücktrittserklärung keine „klaren Worte zur offensichtlichen Täuschungsabsicht und zur Urheberschaft der Dissertation gefunden hat“.[17][18][19]

In einem zweiten Zwischenbericht vom selben Tag wurde festgestellt, dass auf 82 Prozent aller Seiten der Dissertation Plagiate enthielten und somit mindestens 49% des gesamten Textes plagiiert worden seien. Die Autoren bekräftigten daher, dass von bewussten und absichtlichen, nicht versehentlichen Plagiaten auszugehen sei.[20][21][22][23]

Medienwirkung

Viele Printmedien kommentierten das schnelle Zusammentragen von Plagiaten durch die Zusammenarbeit vieler freiwilliger und überwiegend anonymer Autoren im GuttenPlag Wiki positiv.[24][25][26][27] Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete es als „wohl [bekannteste] Internetgemeinde dieser Tage“,[28] Der Spiegel als „Paradebeispiel für die Macht der Masse“, der Tagesspiegel als Beispiel für Crowdsourcing, mit dem das „journalistische Monopol auf Recherche“ entfallen sei. Für Journalisten seien solche Wikis vielmehr eine „wichtige Quelle“, die sie jedoch weiterhin „auszuwerten, zu bewerten und pointiert zu beschreiben“ hätten.[29] Auch der Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht meinte, in diesem Fall habe ein „Mitmach-Recherche-Netz [...] die Recherche-Leitmassenmedien überflügelt“.[30] Andere Medien berichteten diesbezüglich über das Potential von „Schwarmintelligenz“ im Internet.Referenzfehler: Ungültige <ref>-Verwendung: „ref“ ohne Inhalt muss einen Namen haben.[25][31]

Nach zu Guttenbergs Rücktritt am 1. März 2011 kommentierte Spiegel Online unter der Schlagzeile „Netz besiegt Minister“, dass „ohne die akribische Dokumentation der Plagiate im GuttenPlag Wiki die Debatte versandet wäre.“ Dies zeige die gewachsene Macht des Internets:[32]

„Die Debatte um Guttenberg wäre anders verlaufen, hätte diese neue Macht nicht das getan, was sie am besten kann: Transparenz herstellen, Informationen verfügbar machen, Kommunikation optimieren. Der wohl entscheidende Faktor im Ringen um Guttenbergs Amt war die Offensichtlichkeit seiner Verfehlungen: Hätten all die fleißigen Helfer im GuttenPlag Wiki nicht klar und gewissermaßen wissenschaftlichen Standards folgend dokumentiert, was der Doktorand Guttenberg wo kopiert hat - die Diskussion wäre anders verlaufen. [...] Sie wiesen akribisch nach, welche Zeilen der Dissertation woher stammten, samt korrekter Quellenangabe. Sie ließen die Fakten für sich sprechen.“

Dies habe eine „übliche Verschleppungsstrategie“ verhindert und wahrscheinlich auch den Doktorvater Guttenbergs, Staatsrechtler Peter Häberle, dessen Nachfolger Oliver Lepsius sowie zehntausende deutsche Doktoranden und Professoren bewogen, zu Guttenbergs Behauptung öffentlich zurückzuweisen, er habe nicht absichtlich plagiiert.[33]

Für die Journalistin und Autorin Christiane Schulzki-Haddouti hätte zu Guttenberg „ohne dieses Wiki [...] nicht zurücktreten müssen." [34]

Strafrechtliche Relevanz

Laut Medienberichten bestätigte die Kommission zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft der Universität Bayreuth am 3. März 2011, zwei Wochen vor ihrem beabsichtigten Abschlussbericht, die Bewertung des GuttenPlag Wiki:[35]

„Was Guttenberg gemacht hat, ist Täuschung im Sinne dessen, was die Verwaltungsgerichte bislang geurteilt haben.“

Aus diesem Grund leitete die Staatsanwaltschaft Hof ein Ermittlungsverfahren ein. Bis dahin gingen über 80 Strafanzeigen gegen zu Guttenberg ein, die meisten wegen Urheberrechtsverletzungen, jedoch bisher keine seitens eines geschädigten Autoren der vom GuttenPlag Wiki ermittelten Plagiate.[36]

Einzelnachweise

  1. Roland Preuß und Tanjev Schultz: Plagiatsvorwurf gegen Verteidigungsminister - Guttenberg soll bei Doktorarbeit abgeschrieben haben, Süddeutsche Zeitung vom 16. Februar 2011.
  2. Das Internet schlägt zurück In: Deutschlandfunk, 18. Februar 2011. Abgerufen am 23. Februar 2011 
  3. FAQ. In: GuttenPlag Wiki. Abgerufen am 19. Februar 2011.
  4. Ursprüngliches Google-Dokument Eine kritische Auseinandersetzung mit Karl-Theodor Freiherr zu Guttenbergs Dissertation “Verfassung und Verfassungsvertrag”, abgerufen am 22. Februar 2011.
  5. Twitter-Nachricht von „PlagDoc“ vom 16. Februar 2010, abgerufen am 22. Februar 2011]
  6. a b GuttenPlag Wiki: Im Netz der Plagiate-Jäger In: Spiegel Online, 19. Februar 2011 
  7. GuttenPlag Wiki. 18. Februar 2011, abgerufen am 19. Februar 2011.
  8. FragmenteDokumentieren. In: GuttenPlag Wiki. 20. Februar 2011, abgerufen am 23. Februar 2011.
  9. Plagiat graphic.jpg. In: GuttenPlag Wiki. 20. Februar 2011, abgerufen am 20. Februar 2011.
  10. Zwischenbericht / Bewertung. In: GuttenPlag Wiki. 21. Februar 2011, abgerufen am 21. Februar 2011.
  11. Sebastian Fischer und Matthias Gebauer: Plagiatsvorwürfe: Guttenberg tauscht Doktor gegen Karriere In: Spiegel Online, 22. Februar 2011 
  12. Plenarprotokoll 17/92: Stenografischer Bericht zur 92. Sitzung des 17. Deutschen Bundestags am 23. Februar 2011 in Berlin, S. III, S. 10370
  13. Plagiats-Affäre: Uni Bayreuth entzieht Guttenberg den Doktortitel In: Spiegel Online, 23. Februar 2011. Abgerufen am 27. Februar 2011 
  14. Forum:PlagiPedia. In: GuttenPlat Wiki. Abgerufen am 27. Februar 2011.
  15. Matthias Kremp: Plagiapedia-Wiki: Plagiatejäger suchen den nächsten Täter In: Spiegel Online, 25. Februar 2011 
  16. Zweite Guttenberg-Arbeit unter Verdacht In: Spiegel ONLINE, 25. Februar 2011 
  17. Guttenplag Wiki, abgerufen am 01.03.2011
  18. Newsticker Sueddeutsche / dpa Meldung , erschienen am 01.03.2011 um 13:47 Uhr; abgerufen am 03.03.11
  19. Golem, Veröffentlicht am 01.03.2011 / 19:31; abgerufen am 03.03.11
  20. GuttenPlag Wiki 2. Zwischenbericht, abgerufen am 01.03.2011
  21. Newsticker Sueddeutsche / dpa Meldung , erschienen am 01.03.2011 um 13:47 Uhr; abgerufen am 03.03.11
  22. Golem, Veröffentlicht am 01.03.2011 / 19:31; abgerufen am 03.03.11
  23. Berliner Morgenpost, erschienen am Mittwoch, 2. März 2011 12:27, abgerufen am 03.03.11
  24. Neue Fundstellen: Online-Fahnder erhöhen Druck auf Guttenberg In: Spiegel Online, 18. Februar 2011. Abgerufen am 19. Februar 2011 
  25. a b Plagiatsverdacht: Schwarmintelligenz bringt Guttenberg in Bedrängnis In: sueddeutsche.de, 17. Februar 2011. Abgerufen am 19. Februar 2011 
  26. Online-Plattformen für Plagiatsjäger: Schummelrecherche im Internet In: tagesschau.de, 17. Februar 2011. Abgerufen am 19. Februar 2011 
  27. Sonja Schünemann und Dominik Rzepka: Karl-Theodor zu Copyberg auf den Fersen: Nutzer suchen online nach Guttenberg-Plagiaten In: heute.de, 17. Februar 2011. Abgerufen am 19. Februar 2011 
  28. Oliver Georgi: "Plagiatssucher vom „GuttenPlag“: „Die ganze Doktorarbeit wurde abgeschrieben“ In: faz.net, 21. Februar 2011. Abgerufen am 22. Februar 2011 
  29. Sonja Pohlman: „Schwarm und Schwärmer“ In: tagesspiegel.de, 22. Februar 2011 
  30. Robin Meyer-Lucht: GuttenPlag: ‚Cognitive Surplus‘ bei der Arbeit In: Carta, 20. Februar 2011. Abgerufen am 28. Februar 2011 
  31. Ralf Sander: „GuttenPlag Wiki“ analysiert Guttenberg-Arbeit: Das Netz jagt Dr. Copy & Paste In: stern.de, 18. Februar 2011. Abgerufen am 19. Februar 2011 
  32. Christian Stöcker: Netz besiegt Minister. Spiegel Online, 1. März 2011, abgerufen am 1. März 2011.
  33. Christian Stöcker (Der Spiegel, 1. März 2011): Affäre Guttenberg: Netz besiegt Minister
  34. Expertin: Ohne Guttenplag-Wiki kein Rücktritt In: Zeit Online, 1. März 2011 
  35. Der Spiegel, 3. März 2011: Drohendes Ermittlungsverfahren: Guttenberg will CSU treu bleiben
  36. Andreas Niesmann (Der Spiegel, 3. März 2011): Mehr als 80 Anzeigen gegen Guttenberg: Betrug, Untreue, Urheberrechtsverstöße

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