Swingolf
Swingolf ist eine in Frankreich entwickelte Golfsportvariante mit vereinfachtem Regelwerk und geringeren Ausstattungsanforderungen, somit ein naturnaher Freiluftsport. Die Aufgabe besteht darin, einen Hartgummiball mittels eines einzigen Schlägers mit möglichst wenigen Schlägen über gemähte Spielbahnen in markierte Löcher zu befördern. Kennzeichnend sind Fangnetze für erste Übungsschläge, ein eher rustikales Verpflegungsangebot mit Bollerwagen und Grillplätzen sowie ein reges Vereinsleben. Swingolf entwickelt sich besonders dort, wo Flächenknappheit die Entwicklung konventioneller Golfplätze erschwert.






Ursprünge und Grundmerkmale
Entwickelt wurde Swingolf aus der Rückbesinnung auf Präzisionssportarten, die seit dem Mittelalter zunächst im bäuerlichen und schließlich im bürgerlichen im Umfeld entstanden.[1] Dazu zählen
- Chole, Colf bzw. Kolven, eine aus Flandern und den Niederlanden überlieferte Sportart, die auf vereisten Kanälen, aber auch auf trockenen Wiesen seit dem Ende des 14. Jahrhunderts gespielt wurde und heute nur noch als Indoor-Spiel in Westfriesland verbreitet ist.
- Paille-Maille, ein in Frankreich, Italien und Holland im 16. Jahrhundert bekannt gewordenes Spiel - als Pall-Mall auch auf den Britischen Inseln, besonders im Raum London verbreitet - für das bereits angelegte Spielbahnen erforderlich waren. In seiner Blütezeit nach dem Dreißigjährigen Krieg und besonders im 18. Jahrhundert bevorzugtes Spiel des städtischen Bürgertums, auch in Deutschland, wovon noch heute Bezeichnungen wie Palmaille (Straße in Hamburg-Altona) oder Maille (Stadtpark in Esslingen) hinweisen.
Aus diesen Ursprüngen haben sich im 19. Jahrhundert alle mit Ball oder Kugel sowie Stock oder Schläger gespielten Präzisionssportarten wie Billard und Croquet, aber auch die Mannschaftssportarten Hockey/Eishockey, Baseball und Polo entwickelt. Golf/Swingolf mit seinen überaus einfachen Grundregeln steht zwar den mittelalterlichen Ursprüngen am nächsten, es haben sich aber vielfältige Spielvarianten sowie differenzierte Anforderungen an Spielmaterial und Anlagen herausgebildet.
Einige vermeintlich golfkritische Positionen, die mit Begriffen wie Überregulierung, Einstiegsbarrieren sowie Ansprüchen des Naturschutzes zu umreißen sind, gelten für Swingolf nicht: So ist die im Golf erforderliche und durch bestandene Prüfung nachzuweisende Platzerlaubnis beim Swingolf unbekannt, sie wird durch Sicherheits- und Spielunterweisungen sowie Übungsschläge am o.a. Fangnetz ersetzt.
Eine Swingolfrunde besteht in der Regel aus 18 Spielbahnen, die ca. 15 m breit und zusammen zwei bis drei km lang sind. Üblicherweise verabreden sich mehrere Spieler eine Runde zu spielen, die dann mehrere Stunden dauern kann. Bei Zeitmangel werden 9 Bahnen gespielt. Wie beim Minigolf ist die Ausleihe von Schlägern und Bällen im Eintritt enthalten, Clubmitglieder erhalten Sonderkonditionen.
Gestalterische Anforderungen
Gespielt wird auf Wiesenflächen, bei denen auf Pestizideinsatz sowie künstliche Bewässerung verzichtet wird. Entsprechend ist auch die Einsaat empfindlicher Golfrasenmischungen entbehrlich. Aufgrund der einheitlichen Grasnarbe ist es möglich und auch üblich, Spielbahnen nach gewisser Zeit im Rahmen der bestehenden Regeln zu verändern.
Benötigt werden für eine 9-Loch-Anlage ca. 5 ha, für eine 18-Loch-Turnieranlage 10 ha, dies entspricht etwa 15 % der für einen klassischen Golfplatz benötigten Fläche.[2]
Für jede Spielbahn gibt es die aus dem klassischen Golf übernommene Par-Vorgabe. Je nach Bahnlänge sind drei, vier oder fünf Schläge als Soll vorgegeben. Ein ambitionierter Spieler ist in der Lage, mit der jeweiligen Vorgabe abzuschließen. Es besteht ein Lizenzierungssystem, dies beinhaltet auch die Handicap-Dokumentation. Die gelisteten Spieler verfolgen das Ziel, konstant mit möglichst weniger als 10 Schlägen über Par abzuschließen und somit ein einstelliges Handicap vorzuweisen.
Eine 18-Loch-Anlage erreicht insgesamt Par 72, das sich meist aus je vier Par-3- und Par-5-Bahnen sowie zehn Par-4-Bahnen zusammensetzt. Ein Par 3 hat beim Swingolf eine Länge von 50 bis 100 m, ein Par 4 100 bis 200 m und ein Par 5 200 bis 300 m.
Spielmaterial
Die Bewegung, der „Swin(g)“ lässt es zu, den Ball bis zu 120 Meter weit zu schlagen. Die unterschiedlichen Schlagbewegungen werden mit einem einzigen Schlägertypen ausgeführt, dessen Schaft aus Aluminium, Carbon, Edelstahl, Graphit, Titan oder aus Hybridmaterial bestehen kann. Die Länge des Schlägers bemisst sich nach der Hüftlänge des Spielers mit Standardlängen zwischen 80 und 105 cm. Der Schlägerkopf besteht aus gehärtetem Aluminium, er ist massiv oder unten hohl und weist drei unterschiedlich gewinkelte Seiten auf, so dass gleichermaßen Distanzschläge, Annäherungsschläge sowie auch das Einlochen möglich sind.
Der Swingolfball ist fast doppelt so groß wie der vom Golfen her bekannte, fliegt langsamer und minimiert dadurch die Verletzungsgefahr durch versehentliche Querschläger. Entsprechend größer (30 cm) sind auch die mit einer Fahne markierten Löcher.
Spielbetrieb
Swingolf wird mit Bewegung in naturnaher Umgebung bei jedem Wetter wahrgenommen und nach erstem Kennenlernen mit Innovation, Unkonventionalität, sozialer Kompetenz und französischer Lebensart assoziiert.[3] Swingolfvereine sind durch regionale und überregionale Wettbewerbe vernetzt, unterstützen auf lokaler Ebene aber auch Betriebs- und Schulsportinitiativen.
Während auf konventionellen Golfanlagen im Winterhalbjahr der Spielbetrieb aus Rücksicht auf den Rasen oft ruht, treffen sich die Swingolfer zum "Snow-Swin", das auf gewalzten Spielbahnen und nach Anbruch der Dunkelheit mit fluoreszierenden Bällen gespielt wird.[4] Einen vergleichbar informellen Charakter hat auch das "Wattgolfen" entlang der ost- und nordfriesischen Küste.[5]
Das Geschlechterverhältnis gilt noch als unausgewogen, Männer sind deutlich in der Mehrheit[6]. Als Anreiz zur Erhöhung der Frauenquote werden bei Turnieren auch unabhängig von der Teilnehmerinnenzahl Pokale vergeben, weitere Initiativen sollen folgen.
Leitbild, Kooperationen
Pädagogische Grundsätze
Kennzeichnend für den Swingolf ist eine besondere pädagogische, Gruppen verbindende Komponente: Viele Bevölkerungsgruppen sollen an die besondere Faszination dieser Ballsportart heranführt werden. Ausdruck dessen war u.a. die Teilnahme an der Internationalen Sportwoche der Deutschen Seemannsmission in Hamburg[7] oder die 18-Loch-Anlage einer karitativen Stiftung in Lavigny am Genfer See – Austragungsort der Europameisterschaften 2010 – die von Menschen mit und ohne Behinderungen betrieben wird.[8]
Vernetzung
Verbundtickets von Golf- und Swingolfplätzen werden derzeit in Mittelholstein und im Harz[9] erprobt. Der französische Swingolfverband ist seit 1996 Mitglied im Sportbund UFOLEP (Union francaise des Oeuvres Laiques d’Education Physique) und dem Jugendsportbund USEP (Union Sportive de l’Enseignement du Premier Degré), der sich besonders der Sportförderung in Primarschulen widmet.[10]
Geschichte
Die 1980er Jahre
Es begann 1982 in der Nähe der Kleinstadt Etampes bei Paris nach der Idee von Louis de Vilmorin und der konzeptionellen Ausgestaltung seines Sohnes, des Architekten Laurent de Vilmorin (1928–2008).[11][12] Zunächst wurden noch keine Anlagen errichtet, sondern wie beim alten Paille-Maille öffentliche Grünanlagen genutzt. Noch im gleichen Jahrzehnt wurde der französische Swingolf als eigenständige Sparte im nationalen Golfverband gegründet, ein eigenständiges Regelwerk wurde aufgestellt, das seither auch europaweit gilt.[13]
Die 1990er Jahre
Das folgende Jahrzehnt war in Frankreich durch Konsolidierung, den Bau erster Anlagen, Clubgründungen sowie durch Anpassungen des Regelwerks gekennzeichnet. Dabei wurden auch verbindliche Mindeststandards für den Bau, die Ausstattung und den Betrieb festgelegt. Länderübergreifend wurde in die Romandie und die Wallonie expandiert, die dortigen Anlagen gliederten sich in die französische Verbandsstruktur ein.[14]
Seit dem Jahr 2000
Es dauerte 20 Jahre bis zur Überschreitung der Sprachgrenze. Maßgeblichen Einfluss daran hatte Jean-Pierre Weber, ein zweisprachiger Architekt aus der Romandie, der vor allem das Interesse bei deutschen Landtourismus-Veranstaltern weckte – Landwirten, die bereits Teileinkünfte aus Beherbergung bzw. Gastronomie bezogen.
Inzwischen ist Swingolf in vielen Ländern Mitteleuropas vertreten.[15] Alljährlich werden nationale und seit 2005 auch europäische Meisterschaften (EM) ausgetragen werden, bislang einmal in Frankreich, bereits dreimal in Deutschland und 2010 erstmals in der Schweiz (Lavigny), für 2011 ist Österreich (Linz) vorgesehen.
Zu Saisonbeginn 2011 bestehen im deutschsprachigen Landesteil der Schweiz, in Österreich und Deutschland insgesamt 50 Anlagen,[16] fast so viele wie im Ursprungsland Frankreich.[17] (Vgl.: Allein in Deutschland bestanden zur gleichen Zeit 700 herkömmliche Golf-[18] und ca. 4000 Minigolfplätze.[19])
Obwohl weiterhin Unterschiede im Selbstverständnis bestehen, zeichnet sich mancherorts die Herausbildung einer Gesamtstrategie aller Golfspielarten ab.[20][21] Damit soll auch dem allgemeinen Aufmerksamkeitsgewinn Rechnung getragen werden, der durch den Golfranglistenersten Martin Kaymer und die Wiedereinführung des Golfsports als olympische Disziplin bei den Sommerspielen 2016 verursacht wird.
Aufgaben des Dachverbandes
Anlagenverteilung in Deutschland und den Nachbarländern |
2005 wurde für den deutschen Sprachraum der Swingolf-Dachverband gegründet, Regionalverbände können dort folgen, wo eine ausreichende Anlagendichte besteht. Die französischen Lizenzierungs- und Zertifizierungsanforderungen wurden ausnahmslos übernommen, zu offenen Regelwerkfragen besteht ein ständiger Dialog. Besondere Verbandsaufgaben sind
- die Festsetzung von Qualitätsstandards und Turnierzertifizierung von Anlagen,[22]
- die Organisation von nationalen und die Mitwirkung an internationalen Meisterschaften,
- die Dokumentation der Lizenzspieler,
- die Unterstützung bei der Anlagenplanung und Beschaffung von Fördermitteln.[23]
Unter der Projektleitung der AktivRegion Mittelholstein wurde 2011 Swingolf erstmals auf der Internationalen Grünen Woche Berlin präsentiert.[24][25]
Verbreitung zum Saisonbeginn 2011
Im Frühjahr 2011 ist die Verteilung der Anlagen innerhalb des Verbandsgebietes noch sehr uneinheitlich. Schwerpunkträume bilden die Westschweiz und das Münsterland, während Swingolf im Süden und besonders im Osten Deutschlands noch weitgehend unbekannt ist.
Einzelnachweise
- ↑ Geschichte des Golfsports (engl. Artikel)
- ↑ Richtlinie für den Bau von Golfplätzen. 4. Ausgabe Hrsg.: Forschungsges. Landschaftsentwickl. Landschaftsbau e.V. (FLL), Bonn 2008
- ↑ Jacques Creel, President Fédération Sportive de Swin, franz. Swingolfverband
- ↑ Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ-net) vom 7. Februar 2006
- ↑ vgl. Homepage der "Wattgolfer"
- ↑ Assemblée générale Ordinaire 2009 du Federation Sportive de Swin, Jahreshauptversammlung 2009 des französischer Verbandes, s.u. „Annexe 7, Statistiques“, S. 33
- ↑ Presseveröffentlichung der Nordelbischen Kirche
- ↑ Lavigny, Austragungsort der Swingolf-Europameisterschaften 2010 (23.–25. Sept.)
- ↑ Swingolf-Verbund Harz
- ↑ Website des französischen Swingolfverbandes
- ↑ Histoire du swin (Geschichte des Swingolfs), franz.
- ↑ Biografische Enzyklopädie „Who’s who“, franz.
- ↑ Swingolfverband im französischsprachigen Raum
- ↑ Anlagen im französischsprachigen Raum
- ↑ Assemblée générale Ordinaire 2009 du Federation Sportive de Swin, Jahreshauptversammlung 2009 des französischer Verbandes, s.u. „Rapport d’Activite“, S. 12–15
- ↑ Clubs und Anlagen im deutschsprachigen Raum
- ↑ Clubs im französischsprachigen Raum
- ↑ Deutscher Golfverband
- ↑ Deutscher Minigolfsportverband
- ↑ Initiative einer "Golfküstencard" in Schleswig-Holstein
- ↑ Golf-Swingolfmarketing der Emsland-Touristik
- ↑ Vgl. Satzung des Swingolf-Dachverbandes
- ↑ Siehe Download-Bereich des Verbandes
- ↑ Bericht zur Grünen Woche, u.a. über Swingolf
- ↑ Agrarministerin Aigner am Swingolf-Stand der Grünen Woche
Weblinks
- Homepage des Swingolf-Dachverbandes für den deutschsprachigen Raum
- Homepage des Swingolfverbandes für den französischsprachigen Raum, Sparte des franz. Golfsportverbandes
Siehe auch
- Glossar Golf: Fachbegriffe aus dem Golfsport, für Swingolf überwiegend adaptiert
- Natursport: Allgemeine Beschreibung und Kennzeichen von Freiluft- (Outdoor-) Sportarten