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Regierungskrise in der Elfenbeinküste 2010/2011

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Karte des geteilten Landes, einschließlich einer inzwischen aufgelösten Pufferzone zwischen den Bürgerkriegsparteien
Mehrheiten in den Wahlbezirken nach dem ersten Wahlgang:
  • RDR, Alassane Ouattara, Rassemblement des républicains de Côte d'Ivoire
  • PDCI, Henri Konan Bédié, Parti Démocratique de Côte d'Ivoire
  • LMP, Laurent Gbagbo, La Majorité Présidentielle
  • Die Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste 2010 fanden am 31. Oktober 2010 und am 28. November 2010 statt. Infolge des Bürgerkrieges in der Elfenbeinküste wurden die ursprünglich für 2005 vorgesehenen Wahlen mehrfach verschoben. Amtsinhaber Laurent Gbagbo gewann die erste Runde der Wahlen vor seinem wichtigsten Herausforderer Alassane Ouattara.

    Nach Angaben der Unabhängigen Wahlkommission hatte Oppositionsführer Ouattara die Stichwahl am 28. November 2010 gegen Gbagbo gewonnen. Der regierungsnahe Verfassungsrat widersprach der Wahlkommission und erklärte Gbagbo zum Sieger. Ungeachtet internationaler Proteste wurde Laurent Gbagbo am 4. Dezember 2010 für eine zweite Amtszeit vereidigt. Kurz darauf legte jedoch auch Alassane Ouattara den Amtseid als Staatspräsident ab, so dass die Elfenbeinküste seither zwei Präsidenten hat.[1]

    Teilung und Bürgerkrieg als Hintergrund der Wahl

    Die Wahlen wurden in einem geteilten Land durchgeführt. Rebellen halten den Nordteil und Regierungstruppen den Südteil der Elfenbeinküste. Die Teilung des Landes ist das Ergebnis des zwischen 2002 und 2007 herrschenden Bürgerkrieges in der Elfenbeinküste, zu dessen Vorgeschichte wiederum der Ausschluss von Kandidaten und Wählern mit Migrationshintergrund aus den nördlichen Nachbarstaaten der Elfenbeinküste u.a. bei den Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste 1995 und 2000 gehört. Die jetzigen Wahlen waren ursprünglich für 2005 vorgesehen, wurden in den vergangenen Jahren aber mehrfach verschoben.

    Belastete Kandidaten

    Insgesamt wurden 14 Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen von 2010 zugelassen. Die drei aussichtsreichen Kandidaten Henri Konan Bédié, Alassane Ouattara und Laurent Gbagbo waren jeweils Akteure dieser Vorgeschichte. Bédié hatte als Präsident bei den Wahlen von 1995 und 2000 die Kandidatur seines aus dem Norden des Landes stammenden Konkurrenten Ouattara verhindert, indem er die ivorische (Ivorer = Bürger der Elfenbeinküste) Staatsbürgerschaft von dessen Eltern in Zweifel zog und eine Klausel einführte, wonach nur Personen, deren beide Elternteile ivorische Staatsbürger sind, für das Präsidentenamt kandidieren dürfen. Dieses Gesetz empörte viele Nord-Ivorer, die traditionell verwandtschaftliche Beziehungen in die Nachbarländer unterhalten bzw. deren Vorfahren häufig dorther stammen. Gbagbo, seit 2000 Präsident der Elfenbeinküste, nutzte dieselbe Strategie der Ausgrenzung von Nord-Ivorern wie sein Vorgänger Bédié. In seine Präsidentschaft fällt daher auch der Beginn des Bürgerkrieges 2002. Bei sogenannten Audiences foraines sollte 2006 geklärt werden, wer ivorischer Staatsbürger und damit wahlberechtigt ist.[2] Gbagbos Anhängern wurde dabei vorgeworfen, die Registrierung von Nord-Ivorern massiv behindert zu haben. Die drei Kandidaten haben eindeutige regionale und ethnische Verwurzelungen: Ouattara steht für den Norden des Landes, Bédié für die Mitte und Gbagbo für den Süden.[3]

    Sechs Kandidaten wurden nicht zugelassen:

    • Boagnon Breiguai Charles
    • Coulibaly Nablé Yaya
    • Gaha Degna Hippolyte
    • Goba David
    • Guédé José Abel
    • Kéita Tiémoko

    [4]

    Kandidaten der Präsidentschaftswahlen 2010.[4]
    Photo Kandidat Partei(en) Ergebnisse bei früheren (umstrittenen) Wahlen
    Akoto Yao Félix parteilos -
    Innocent Anaky Kobena Mouvement des forces d'Avenir -
    Henri Konan Bédié Parti Démocratique de Côte d'Ivoire 1995 : 96,44 %
    Adama Dolo parteilos
    Enoh Aka N'Douba parteilos
    Gbagbo
    Laurent Gbagbo La Majorité Présidentielle LMP ("Die Mehrheit des Präsidenten")

    1990 : 18,3 %
    2000 : 59,4 %

    Gnamien Konan l'Union Pour la Côte D'ivoire -
    Konan Kouadio Siméon parteilos -
    Jacqueline Oble parteilos -
    Albert Mabri Toikeusse Union pour la démocratie et la paix en Côte d'Ivoire -
    Ouattara
    Alassane Ouattara Rassemblement des républicains de Côte d'Ivoire (RDR) -
    Tagoua Nynsémon Pascal parteilos -
    Tohou Henri Union Socialiste du Peuple -

    Wodié
    Francis Wodié Parti ivoirien des travailleurs 1995 : 3,56 %

    Vorläufige Ergebnisse der ersten Runde

    Drei Kandidaten erhielten zusammen etwa 97% aller Stimmen:

    Kandidat %[5][6]
    Laurent Gbagbo 36,6
    Alassane Ouattara 33,8
    Henri Konan Bédié 26,9

    Die Ergebnisse aller teilnehmenden Kandidaten:

    Registrierte Wähler Abgegebene Stimmen Ungültige Stimmen Gültige Stimmen Akoto Yao   Kobena   Konan Bédié    Adama Dolo  Aka N'Douba   Gbagbo   Gnamien   Kouadio  Wodié   Oble   Toikeuse    Ouattara   Tagoua    Tohou 
    5,711,753 4,783,383 220,231 4,569,246 4,715 10,594 1,142,814 5,978 5,313 1,738,889 17,106 12,278 13,275 12,171 118,419 1,473,970 11,307 2,435
    - - - - 0,10 % 0,23 % 25,01 % 0,13 % 0,12 % 38,06 % 0,37 % 0,27 % 0,29 % 0,27 % 2,59 % 32,26 % 0,25 % 0,05 %

    Die Wahlbeteiligung lag bei 80 % und war damit eine der höchsten bei Wahlen in Afrika überhaupt. Die befürchteten Unruhen bei Bekanntgabe des Wahlergebnisses blieben aus. Internationale Beobachter sprachen von überwiegend fairen Wahlen. Nur der unterlegene Dritte, Henri Konan Bédié, zweifelte das Ergebnis an und verlangte eine Neuauszählung der Stimmen.[7]

    Stichwahl

    Die Stichwahl zwischen Gbagbo und Ouattara fand am 28. November 2010 statt. Bédié und Ouattara hatten vor der Wahl vereinbart, sich gegenseitig bei einer Stichwahl gegen Gbagbo zu unterstützen.[5] Zusätzlich wird der Oppositionspolitiker Ouattara von den ehemaligen Rebellen unterstützt.[8]

    Im Vorfeld der Stichwahl kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern beider Kandidaten. Um einen friedlichen Ablauf der Stichwahl zu garantieren verstärkten die Vereinten Nationen das Kontingent an Blauhelmsoldaten bei der UN-Mission ONUCI.[9] Auch am Wahltag selbst kam es zu blutigen Unruhen, die mehrere Menschenleben kosteten.[10] Dennoch bezeichneten Beobachter der Europäischen Union den Wahlvorgang als weitgehend korrekt. Die offizielle Frist zur Verkündung des Wahlergebnisses (laut Verfassung spätestens 72 Stunden nach Schließung der Wahllokale) verstrich jedoch ergebnislos. Ein Versuch des Sprechers der Wahlkommission, die Ergebnisse zu verkünden, wurde vor laufender Kamera von einem Gbagbo nahestehenden Mitglied der Kommission verhindert.[11]

    Am 2. Dezember 2010 erklärte die Wahlkommission Ouattara zum Sieger der Stichwahl. Er habe 54 % der Stimmen erhalten. Der Verfassungsrat erklärte dagegen den Wahlausgang für ungültig, da das Ergebnis nicht fristgerecht verkündet worden war. Zudem kündigte der Verfassungsrat eine Prüfung von Wahlbeschwerden an, nachdem sich Gbagbos Partei um eine Annullierung der Wahlergebnisse in drei Wahlkreisen des Nordens bemüht hatte.[12]

    Einen Tag später erklärte schließlich der Verfassungsrat Amtsinhaber Gbagbo zum Sieger. Die Armee schloss alle Grenzen des Landes und blockierte ausländische Nachrichtensender.[13] Bereits am 1. Dezember hatte die Rebellenarmee FN 1500 ihrer Soldaten aus dem Süden in den Norden zurückbeordert, gleichzeitig begann die Regierungsarmee den Rückzug aus dem Norden der Elfenbeinküste. Die Spaltung des Landes entlang der Fronten des überwunden geglaubten Bürgerkriegs verfestigt sich somit wieder.[14]

    Die Entscheidung des Verfassungsrates wurde international kritisiert. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte Gbagbo auf, seine Niederlage einzugestehen. Auch der Leiter der UN-Mission in der Elfenbeinküste betrachtete Ouattara als den Wahlsieger. Die Afrikanische Union zeigte sich „tief besorgt“ über die Entwicklung im Land.[15] Auch die USA und die Europäische Union samt der ehemaligen Kolonalmacht Frankreich erklärten, dass sie Ouattara als Wahlsieger ansehen und forderten Gbagbo auf, das Ergebnis der Wahlkommission anzuerkennen.[16]

    Dessen ungeachtet ließ sich Laurent Gbagbo am 4. Dezember 2010 für eine zweite Amtszeit vereidigen. Wenige Stunden später leistete auch Alassane Ouattara den Amtseid als Staatspräsident ab.[17] Am gleichen Tag reichte Premierminister Guillaume Soro seinen Rücktritt ein und erklärte seine Unterstützung für Ouattara.[15]

    Am 8. Dezember forderte der UN-Sicherheitsrat alle Beteiligen auf, das offizielle Wahlergebnis anzuerkennen.[18]

    Quellen

    1. Spiegel Online: Elfenbeinküste hat zwei Präsidenten, 4. Dezember 2010.
    2. Comment Obtenir l’Organisation d’une Audience Foraine.
    3. Current President and Former PM Leading Ivory Coast Vote. 2. November 2010 auf: voanews.com
    4. a b Commission électorale indépendante (Côte d'Ivoire), Liste électorale définitive, CEI, 2009 Voici la décision du Conseil Constitutionnel qui arrête la liste des candidats. 3. November 2010.
    5. a b Dominic Johnson: Ivorische Stunde der Wahrheit. In: taz. 4. November 2010, S. 10.
    6. http://afri-russ-archiv.blog.de/2010/10/31/praesidentschaftswahl-elfenbeinkueste-v-wahltag-ohne-zwischenfaelle-wahlergebnisse-presidentielle-en-cote-d-ivoire-journee-du-vote-resultats-9866216/
    7. Ivory Coast set for presidential election run-off. Nachrichten der Afrikaredaktion der BBC vom 4. November 2010
    8. Euronews: Präsidentenwahl in Elfenbeinküste, 27. November 2010.
    9. Spiegel Online: Ein Toter bei Auseinandersetzungen vor Stichwahl, 25. November 2010.
    10. DOMINIC JOHNSON: Gewaltausbruch bei der Stichwahl. In: taz. 29. November 2010, abgerufen am 7. Dezember 2010.
    11. Artikel der Frankfurter Rundschau:angriff-auf-kandidat-der-opposition
    12. Der Standard: Wahlkommission: Oppositionskandidat gewinnt Präsidentschaftswahl, 2. Dezember 2010.
    13. Quattaras Wahlsieg aberkannt. In: ORF. 3. Dezember 2010, abgerufen am 3. Dezember 2010.
    14. Dominic Johnson: Tote und Kriegsangst in Abidjan. In: taz. 2. Dezember 2010, abgerufen am 3. Dezember 2010.
    15. a b BBC News: Ivory Coast's Gbagbo sworn in amid election row, 4. Dezember 2010.
    16. tagesschau.de, abgerufen am 5.12.2010
    17. Spiegel Online: Elfenbeinküste hat zwei Präsidenten, 4. Dezember 2010.
    18. UNO-Sicherheitsrat schaltet sich in Elfenbeinküste-Krise ein. In: ORF. 9. Dezember 2010, abgerufen am 9. Dezember 2010.