Geflügelpest
Die Geflügelpest (aviäre Influenza auch Vogelgrippe) ist eine erstmals 1878 in Italien beobachtete, durch Viren hervorgerufene anzeigepflichtige Tierseuche, von der Hühner, Puten, Gänse, Enten und wildlebende Wasservögel betroffen sind, die bei einer Infektion mit den aggressiveren Virusstämmen zum Tod der betroffenen Vögel führt.
Die Geflügelpest kann alle Vogelarten infizieren. Als natürliches Reservoir für das Virus gelten wild lebende Enten und andere Wasservögel, die jedoch in der Regel nicht schwer erkranken. Stärker gefährdet sind vor allem Hühner und Puten, aber auch Fasane, Wachteln, Perlhühner und Wildvögel. Wanderwasservögel, See- und Küstenvögel sind weniger anfällig zu erkranken. Ihr Wanderverhalten trägt aber zur weiten geografischen Verbreitung bei. Tauben sollen zwar nicht sehr empfänglich für das Vogelgrippevirus sein, es wird jedoch befürchtet, dass sie die Erreger im Gefieder verbreiten. So wurde vom nordrheinwestfälischen Landesumweltministerium während einer grassierenden Geflügelpest im Jahre 2003 ein Taubenflugverbot ausgerufen.
Säugetiere sind weniger empfänglich für das Virus, werden aber - wie zum Beispiel Hausschweine - gelegentlich infiziert. Katzen gelten als Infektionsvektoren.
Erreger
Das Influenza-Virus ist ein behülltes Einzel(-)-Strang-RNA-Virus [ss(-)RNA] aus der Familie der Orthomyxoviren.
Bei den Influenzaviren gibt es drei Arten: Influenza A, Influenza B und Influenza C. Vögel werden nur von Influenza-A befallen.
Durch ständige Genveränderungen entstehen laufend neue Varianten der Grippeviren. Diese werden nach bestimmten Oberflächeneigenschaften in Subtypen eingeteilt. Bisher wurden 15 H-Untertypen und 9 N-Untertypen erkannt. Typ A/H5N1 etwa hat auf seiner Oberfläche die 5. Variante des Hämagglutinins (H5) sowie die 1. Variante der Neuraminidase (N1). Diese Untertypen befallen üblicherweise jeweils nur bestimmte Wirte, während sie von einer weiteren Anzahl an Infektionsvektoren verbreitet werden können, ohne dass diese Tiere erkranken.
A/H5N1
Dieser Subtyp gilt als besonders aggressiv. Ein verändertes Nichtstruktur-Gen führt bei ihm dazu, dass bestimmte Botenstoffe des Immunsystems, welche normalerweise Viren abwehren, keine Wirkung mehr gegenüber dem A/H5N1-Subtyp erzielen. Deshalb tötet er befallene Vögel sehr schnell und wird von Wissenschaftlern wegen seiner pathogenen Eigenschaften auf Interdependenzen mit anderen Stämmen und Überschreitungen der Artenbarriere aufmerksam beobachtet.
A/H7N2
Bei einer Epidemie in den USA 2002 wurde dieser Virussubtyp auch auf einen Menschen in Virginia übertragen.
A/H7N3
In Nordamerika wurde die Ausbreitung dieses Subtyps mehrmals bestätigt. Zuletzt im April 2004 wurden 18 Farmen in British Columbia unter Quarantäne gestellt und 2 Fälle von Übertragung auch auf Menschen dokumentiert.
A/H7N7
Zuletzt 2003 wurden in den Niederlanden auch 89 Infektionen von Menschen mit diesem Subtyp bestätigt. 1 Fall verlief tödlich.
A/H9N2
Dieser Subtyp wurde bislang auch beim Menschen nur in einer niedrig pathogenen Form dokumentiert. Bei diesen 3 Fällen in China und Hongkong erholten sich die Patienten von der Infektion.
Infektion
Grundsätzlich beobachtet man die gleichen Infektionswege wie bei anderen Influenzaviren. Nach bisherigen Erkenntnissen ist der Verzehr von sauberen Lebensmitteln nicht pathogen (krankheitserregend).
Gefährdet sind trotz der Artenbarriere Personen mit intensivem Kontakt zu den genannten Vogelgruppen bei gleichzeitiger Exposition mit Humaninfluenza. Dies soll bereits 1918 in England geschehen sein und vereinzelt in den letzten Jahren in Südostasien – s.u.
Symptome
Erkrankte Vögel bekommen Fieber, Atembeschwerden und Durchfall. Nach einer Inkubationszeit von einigen Tagen sind fast alle Tiere im Hühnerstall infiziert. Sie legen keine Eier mehr und sterben nach kurzer Zeit.
Ausbrüche der Krankheit in jüngerer Zeit
Tierhaltung
- In Europa brach die Seuche zuletzt um den 3. März 2003 (13 Geflügelbetriebe) in den Niederlanden aus, nachdem sie in den 1980er Jahren in den USA und in Irland aufgetreten war. Am 20. April 2003 waren bereits trotz eingeleiteter Bekämpfungsmaßnahmen weit über 200 Betriebe betroffen. Über 14 Mio. Tiere wurden notgeschlachtet, davon 84.000 in Deutschland (Nordrhein-Westfalen). In den Niederlanden starb ein infizierter Veterinärmediziner.
- Weitere große Ausbrüche der Krankheit bei Nutztieren gab es wiederholt - zuletzt im Januar 2004 - in Südost- und Ostasien, wobei die Erkrankung dort mehrfach auch auf Menschen übergriff.
- In August 2004 wurden in Peking bei einem internationalen Symposion erstmals bekanntgegeben, dass der A/H5N1 Vogelgrippevirussubtyp 2001 und 2003 im Schwein nachgewiesen worden war (Nature 2004, Band 430, S. 955). Diese Meldung wurde allerdings wenige Tage später durch offizielle Regierungsstellen insoweit relativiert, als zwei Nachkontrollen mit insgesamt nahezu 8500 Proben im Jahr 2004 keinen erneuten Virusnachweis bei Schweinen erbracht hätten.
- Am 26. Mai 2005 berichtete die Fachzeitschrift Nature, dass offizielle Stellen in Indonesien A/H5N1 in Schweinen nachgewiesen haben und befürchten, das Virus könne in einigen Teilen des Landes die Hälfte aller Schweine infizieren, ohne bei ihnen Krankheitssymptome auzulösen. Infizierte Schweine stellen eine besondere Gefahr dar, da sie sich auch mit dem menschlichen Grippevirus infizieren und in ihnen dann neue, noch gefährlichere Virusstämme aus der Vermischung des Erbguts beider Varianten entstehen könnten. Schweine haben daher das Potenzial vom biologischen zum genmolekularen RNA-Vektor zu werden.
- Im Sommer 2005 haben Robert Webster vom St. Jude Children's Research Hospital in Memphis (USA) und seine Forscherkollegen aus Asien festgestellt, dass der Subtyp A/H5N1 die Hausenten in Asien inzwischen weniger stark erkranken lässt als noch vor Jahren. Damit besteht die Gefahr, dass diese Hausenten als neue Reservoirwirte zu einem Sammelbecken für A/H5N1-Varianten werden und sie somit auch die Erreger auf andere Tierarten und den Menschen zunehmend übertragen können, denn sie scheiden die Viren ungewöhnlich lange über Kot und Atemwege aus. Diese neuen Virenvarianten sind für andere Hausgeflügel und den Menschen hoch gefährlich. Es wird nunmehr befürchtet, dass sich in Zukunft vermehrt Menschen mit diesen neuen Varianten über die Tiere infizieren und dass damit auch eine Variante entstehen könnte, die direkt von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Damit wäre auch eine weltweite neue Pandemie nicht ausgeschlossen.
Frei lebende Tiere
- Im Frühjahr 2005 wurden alarmierende Berichte über einen A/H5N1-Ausbruch bekannt, diesmal bei Zugvögeln in der Provinz Qinghai, Volksrepublik China. Dort waren nach offiziellen Angaben im Frühjahr 2005 mehr als 6000 tote Zugvögel unterschiedlicher Arten aufgefunden worden (New Scientist vom 9. Juli 2005, S. 14). Nature vom 2. Juni 2005 zitierte sogar chinesische Quellen, die von mehreren Dutzend erkrankten und gestorbenen Menschen berichteten. Die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua hatte diese Berichte zwar umgehend dementiert, zugleich aber eingeräumt, dass die Krankenhäuser der Region "spezielle Ambulanzen für fiebernde Patienten" eingerichtet hätten. Laut New Scientist hatten chinesische Behörden zunächst zugewanderten Vögeln aus Indien die Schuld am Ausbruch der Vogelgrippe in Qinghai gegeben; westliche Wissenschaftler waren sofort der Auffassung, dass infizierten indischen Zugvögeln eine Überquerung des Himalaya nicht möglich gewesen wäre. Genetische Untersuchungen der Viren aus Qinghai erlauben tatsächlich den Schluss, dass die Zugvögel sich sehr wahrscheinlich in (Süd-) China infizierten. Tests an Mäusen haben ergeben, dass die Qinghai-Variante von A/H5N1 für Menschen als ähnlich gefährlich einzuschätzen ist, wie die aus Vietnam und Thailand bekannten Varianten (Nature vom 7. Juli 2005).
- Am 16. August 2005 gab das russische Katastrophenschutzministerium in Moskau bekannt, dass der in der Stadt Tscheljabinsk im Ural bei Zugvögeln entdeckte Erreger H5N1 sei. Von China aus hatte sich der Erreger seit Juli über Nowossibirsk, Tjumen, Omsk, Kurgan und Altai nach Tscheljabinsk ausgebreitet, das rund 1000 Kilometer von Nowossibirsk entfernt liegt. Experten befürchten nun eine weitere Ausbreitung Richtung Europa, sobald die Zugvögel der Kälte des kommenden Winters in Sibirien nach Westen ausweichen.
Übergänge von A/H5N1 auf Menschen
Übergänge von Geflügel auf den Menschen sind derzeit selten, enden aber im Falle einer Erkrankung in erschreckend hohem Maße tödlich. Einzelne Übergänge von Mensch zu Mensch sind möglicherweise vorgekommen, konnten aber nicht mit letzter Sicherheit nachgewiesen werden.
Bei den wiederholten Ausbrüchen der Krankheit starben zwischen Dezember 2003 und Ende Juli 2005 von 112 registrierten Infizierten nachweislich 57 Personen (WHO, Stand: 5. August 2005). Zwar infizieren sich Menschen nicht so leicht mit der Vogelgrippe, weil deren Virus zum Eindringen in die Wirtszellen andere Rezeptoren benötigt als Humaninfluenza. Gefahr für den Menschen besteht aber vor allem bei gleichzeitiger Exposition und der damit einhergehenden Immunschwächung.
- Bereits 1997 wurden in Hongkong zahlreiche Menschen mit dem Vogelgrippevirus infiziert. Ansteckungsgefährdet sind vor allem jene Menschen, die auf engstem Raum mit dem lebenden Geflügel umgehen.
- Die Europäische Union hat daher aus Sicherheitsgründen einen Importstopp für Geflügelprodukte aus betroffenen asiatischen Ländern verhängt:
- China
- Indonesien
- Kambodscha
- Kasachstan
- Laos
- Malaysia
- Nordkorea
- Pakistan
- Sibirien
- Vietnam
- Stand 8/2005 -
- Zwischen April und Juni 2005 wurden der WHO - teils mit erheblicher Verspätung - 10 neue A/H5N1-Infektionen beim Menschen aus Vietnam gemeldet, so dass aus Vietnam nunmehr insgesamt 90 Erkrankungen und in deren Folge 40 Todesfälle gesichert sind.
- Gleichfalls im Juni 2005 wurde aus Indonesien - als viertem Staat seit Ende 2003 - offiziell ein Fall von A/H5N1-Infektion beim Menschen gemeldet, bei einem Mitarbeiter einer Geflügelfarm auf Sulawesi (Science vom 24. Juni 2005, Band 308, S. 1849 f.). Im Juli räumte Indonesien drei weitere Todesfälle durch das Virus in einer Familie ein (1 Mann und zwei seiner Kinder), die offenbar keinen Kontakt zu infiziertem Geflügel hatten (Science, 29. Juli, S. 684); diese drei Fälle, bei denen eine Übertragung von Mensch zu Mensch erörtert wird, gelten der WHO aber noch nicht als endgültig gesichert.
Risikolage für Menschen
"Die Gefahr einer Pandemie ist real und das Risiko derzeit so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr." (Reinhard Kurth, Präsident des Robert-Koch-Instituts, am 18. August 2005 in der FAZ). Er erwähnte gegenüber der FAZ eine zu erwartende Infektionsrate von bis zu 30% der Bevölkerung.
Gesicherte Erkrankungs- und Todesfälle liegen derzeit aber nur aus Vietnam, Thailand, Kambodscha und Indonesien vor.
Die Experten befürchten jedoch, das Vogelgrippevirus könne sich mit einem Erreger der Humangrippe kreuzen. Dies ist möglich, wenn Schweine oder Menschen gleichzeitig mit A/H5N1 und einem Erreger der Humangrippe (zumeist A/H1N1 oder A/H3N2) infiziert sind. Auf diese Weise könnte ein neuer Virussubtyp entstehen, bei dem eine Pandemie droht, wenn seine Ausbreitung nicht kontrolliert werden kann.
Bekämpfung
Die Bekämpfung der Geflügelpest erfolgt nach dem Tierseuchengesetz und der Geflügelpest-Verordnung - s.u.
Wegen ihrer Vektoreigenschaften bedarf man einer behördlichen Genehmigung, wenn man v.a. mit Papageien und Sittichen Handel oder Zucht betreiben will. Diese nichtheimischen Spezies neigen zu unkontrollierter Ausbreitung wie zuletzt 2004/2005 in Köln.
Im Mai 2005 berichteten chinesische Forscher von zwei neuen Impfstoffen, die Geflügel vor dem Vogelgrippevirus A/H5N1 schützen sollen. Nach erfolgreichen Tests erhielten die Impfstoffe die Zulassung. Der Impfschutz gegen den Subtyp A/H5N1 liege demnach bei 100 Prozent. Die WHO warnte jedoch vor Impfstoffen, die Viren nur unauffindbar machen, sie aber nicht zerstören. Infizierte Vögel würden so zu Überträgern der Grippe, ohne Symptome zu zeigen.
Empfehlungen zum Infektionsschutz
Das Robert-Koch-Institut hat Empfehlungen herausgegeben, falls der Virus tatsächlich auf den Menschen übertreten sollte. Personen, die in engem Kontakt zu kranken Tieren stehen, sind dann gesetzlich dazu verpflichtet die entsprechenden Schutzmaßnamen zu ergreifen. Es gibt einen Bundesmaßnahmenkatalog dafür. Sinnvoll sind geeignete Schutzkleidung, Schutzhandschuhe, Mundschutz und Schutzbrille.
Eine Doppelinfektion kann durch eine Influenza-Schutzimpfung (mit dem aktuellen menschlichen Impfstoff) verhindert werden.
Behandlung beim Mensch
Bei erkrankten Menschen können im Frühstadium der Krankheit die Neuraminidase-Hemmer Tamiflu oder Zanamivir helfen, sofern der Erreger gegen diese Medikamente nicht immun ist.
Literatur
- S. Hecker: SARS und Vogelgrippe - Die Wissenslücken. Österreichische Ärztezeitung 4/2004, S. 30 - 31 (2004), ISSN 0029-8786
- W.A Geering, A.J. Forman and M.J. Nunn: Exotic diseases of Animals, a field guide for Australian veterinarians. Australian Government Publishing Service, Canberra, 1995.
- Committee on Foreign Animal Diseases of the United States Animal Health Association: Foreign animal diseases, the grey book. Bayer, http://www.vet.uga.edu/vpp/gray_book/FAD/AVI.htm
Weblinks
- Newsletter zur Vogelgrippe
- Tierseuchengesetz
- Geflügelpestverordnung
- gute Links zum Thema Vogelgrippe/Geflügelpest auf medinfo.de
- http://www.drpabel.de/html/vogelgrippe.html
- Feature des Fachblattes Nature zur Vogelgrippe, alle Artikel sind frei zugänglich. englisch
- Informationsangebot des RKI zur Geflügelpest
- Deutsches Ärzteblatt 95, Ausgabe 3 vom 16.01.1998
- Von Vögeln, Menschen und Enten, die trojanische Pferde sind (Telepolis)
Zwei Links der WHO mit weiterführenden Informationen, englisch
- http://www.wpro.who.int/health_topics/avian_influenza/
- http://www.who.int/mediacentre/factsheets/avian_influenza/en/