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Fehlschluss

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Als Fehlschluss oder Trugschluss (lateinisch fallacia) bezeichnet man einen Schluss, bei dem die abgeleitete Aussage nicht aus den explizit angegebenen oder implizit angenommenen Voraussetzungen folgt. Dies bedeutet nicht sofort, dass die abgeleitete Aussage auch falsch ist: Ein Fehlschluss gibt keinerlei Aufschluss über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt der abgeleiteten Aussage.

Klassifizierung von Fehlschlüssen

Ein mit Absicht herbeigeführter Fehlschluss wird auch als Fangschluss, Scheinargument oder als Sophismus bezeichnet, ein unbeabsichtigter Fehlschluss wird auch Paralogismus genannt. Fehlschlüsse beruhen empirisch auf bestimmten kognitiven Verzerrungen (engl. bias) oder auf der Subversion von Urteilsheuristiken. Neben der Logik beschäftigen sich Sozialpsychologie, Denk- und Kognitionspsychologie mit Fehlschlüssen. Auch aus der Rhetorik sind umfangreiche Listen von Fehlschlüssen und Scheinargumenten bekannt.

Seit der Antike werden verschiedene Arten von Fehlschlüssen untersucht, etwa in Aristoteles' Sophistischen Widerlegungen oder in den Texten der älteren Stoa. Moderne Klassiker, die Fehlschlüsse rhetorisch und philosophisch betrachten, sind Schopenhauers Eristische Dialektik[1] (siehe auch Kunstgriffe) und das für den englischen Sprachraum maßgebliche System der deduktiven und der induktiven Logik[2] John Stuart Mills. Mit der Entwicklung der klassischen formalen Logik tritt in der philosophischen Logik das Bedürfnis nach Klassifizierung und Auflistung zugunsten der formalsprachlichen Rekonstruktion in den Hintergrund.

Berühmte Fehlschlüsse in der Philosophie sind der naturalistische Fehlschluss und der intentionale Fehlschluss, deren Fehlschlusscharakter allerdings durch die Zurückweisung einer (impliziten) Prämisse entsteht.

Die folgende Aufzählung von Typen und Beispielen kann weder Vollständigkeit noch eine klare Systematik beanspruchen, da ein solcher Anspruch eine spezifische Theorie der Logik voraussetzen würde.

Mathematische Scheinbeweise

In der Mathematik entstehen Fehlschlüsse durch falsche Anwendung von Rechenregeln. Bekannt sind z. B. Scherzbeweise, die auf versteckter Division durch null beruhen.

Beispiele

Die Gleichung ist eine wahre Aussage. Dividiert man beide Seiten verbotenerweise durch , so erhält man die falsche Aussage . Oft wird die Division durch Null verschleiert, indem statt z. B. der Faktor verwendet wird.

Auch bei Anwendung der Gesetze des Wurzelziehens, die für positive reellen Zahlen gelten, auf komplexe Zahlen kann ein Fehlschluss entstehen. Z. B. gilt die Gleichung nicht immer. Man betrachtet daher stets beide Quadratwurzeln gleichzeitig.

Verwechslung von Grund und Korrelat

Von einer Korrelation, dem gemeinsamen Auftreten zweier Sachverhalte (z. B. zeitlich oder statistisch, innerhalb einer Stichprobe), wird fälschlich auf ein Begründungsverhältnis geschlossen. Solche Schlüsse sind keine deduktiven oder zwingenden Schlussfolgerungen und keine wahrheitskonservierenden logischen Operationen: Aus wahren Prämissen kann kein falscher Schlusssatz hergeleitet werden. Im besten Fall kann die Verknüpfung zweier Tatsachen eine Hypothese über einen Zusammenhang liefern, die mit wissenschaftlichen Methoden weiter geprüft werden muss. Wenn man das Aufstellen einer solchen Hypothese als logisches Schlussfolgern ansieht, so spricht man von einer Abduktion. Für den Mainstream der Logik ist der Begriff der Schlussfolgerung allerdings auf wahrheitskonservierende Operationen eingeschränkt.

Zeitlicher Zusammenhang von Ereignissen

Cum hoc ergo propter hoc (lat. „mit diesem, also deswegen“) bezeichnet einen logischen Fehler, bei dem zwei immer gemeinsam aufgetretene Ereignisse als Ursache und Wirkung erklärt werden. Auch der Sonderfall post hoc, ergo procter hoc – das Ereignis A erfolgt zeitlich vor B – beweist keine Kausalität: Der Tag folgt stets auf die Nacht, aber nicht, weil diese die Ursache für jenen ist. Möglicherweise ist A eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung von B. Inwieweit Post hoc, ergo procter hoc gilt, war Gegenstand der Untersuchungen von David Hume und Immanuel Kant. Während Hume bestreitet, dass per post hoc, ergo procter hoc aus der Erfahrung Regeln gewonnen werden können, die mehr zum Ausdruck bringen, als eine wiederholte Beobachtung und dadurch entstandene gedankliche Assoziation, darf laut Kant unter Berufung auf allgemeine Gesetze a priori eine Naturkausalität behauptet werden. Ein bekanntes Beispiel für diese Problem betrifft die Übertragung kinetischer Energie: Wenn etwa eine Billardkugel eine andere trifft, so sieht ein Beobachter nichts als den zeitlichen Zusammenhang zwischen Auftreffen der ersten und Geschwindigkeitsänderung der zweiten. Die Übertragung der kinetischen Energie von einer Kugel auf die andere ist nicht beobachtbar, sondern nur die Geschwindigkeiten der Kugeln vor und nach dem Zusammenprall. Unter Einbeziehung der Newton'schen Gesetze der Bewegung aber muss hier sogar eine Kausalität angenommen werden.

Räumlicher Zusammenhang von Ereignissen

Dies ist die räumliche Variante von Cum hoc ergo propter hoc: Aus der räumlichen Nähe zweier Ereignisse wird (logisch falsch, aber plausibel) auf eine Ursache für diese Nähe geschlossen. So wählte Peirce folgendes Beispiel für eine Abduktion (siehe auch Beweis (Logik))[3]: Jemand findet einige weiße Bohnen und daneben einen Sack voller weißer Bohnen. Er schließt:



Abduktion:

Diese Bohnen sind weiß.
Alle Bohnen in diesem Sack sind weiß.
Diese Bohnen stammen aus diesem Sack.

Die gefolgerte Hypothese ist plausibel, aber nicht zwingend.

In der Gestaltpsychologie ist das Gesetz der Nähe bekannt: Elemente mit geringen Abständen voneinander werden als zusammengehörig wahrgenommen. Wird diese Zusammengehörigkeit als Unterordnungs- oder Kausalverhältnis interpretiert, so kommt es zu einem Fehlschluss.

Irrelevante Bezugsgröße

Cannabis- und Heroinkonsum
(Venn-Diagramm)

Base rate fallacy, siehe auch: Klassifikator (Signalentdeckungstheorie)

Ein verbreiteter Fehlschluss schließt von der Häufigkeit des Auftretens einer Eigenschaft F unter der Bedingung G in einer statistischen Erhebung darauf, dass das Vorliegen von F in Einzelfällen ein relevanter Indikator für G ist. Dabei wird jedoch oft eine falsche oder unpassende Bezugsgröße gewählt. Liegt G zeitlich nach F und wird die statistische Korrelation als Kausalrelation interpretiert (etwa im Sinne einer hinreichenden, aber nicht notwendigen Bedingung), so handelt es sich um einen Sonderfall von post hoc, ergo procter hoc.

So wird beispielsweise gelegentlich vor Cannabis als Einstiegsdroge für Heroin gewarnt. Zwischen beiden Konsumentengruppen gibt es eine tatsächliche Überschneidung: Laut statistischen Erhebungen waren die meisten Heroinbenutzer (H) zuvor Cannabiskonsumenten (C). Daraus folgt jedoch nicht, dass Cannabiskonsum zur Heroinabhängigkeit führt: Tatsächlich hat die Mehrheit der Cannabisbenutzer kein Interesse an Heroin. So verweist Entscheidungstheoretiker Gerd Gigerenzer darauf, dass es auch wenn die Aussage „Die meisten Heroinbenutzer waren früher Cannabisbenutzer“ stimmt, falsch wäre, daraus zu folgern „Die meisten Cannabisbenutzer werden Heroinbenutzer sein“.[4]

Beispiele

Klapperstorch



Fehlschluss:

Im Frühjahr kehren die Störche nach Europa zurück.
Im Frühjahr steigt in Europa die Geburtenzahl.
Die Rückkehr der Störche verursacht eine Steigerung der Geburtenzahl.

Unter Beachtung der wirklichen Ursache für Geburten handelt es sich klar um einen Fehlschluss. Wird er naiv getroffen, handelt es sich um einen Paralogismus, wird er beispielsweise vorgebracht um jemanden zu überzeugen, dass die Kinder vom Storch gebracht werden, handelt es sich um einen Sophismus.

Schnelldiagnose



Fehlschluss:

Patient XY hat Rückenschmerzen.
Patient XY hat einen Bandscheibenvorfall.
Der Bandscheibenvorfall ist die Ursache für die Rückenschmerzen.

Es handelt sich sogar dann um einen Fehlschluss, wenn die Konklusion wahr ist: Medizinisch ist es gut möglich, dass die Rückenschmerzen andere Ursachen haben, und es sollten weitere Untersuchungen vorgenommen werden, um sie auszuschließen.

Syllogistische Fehlschlüsse

In der Tradition der Logik wurden nicht nur die gültigen Schlussfolgerungen untersucht, sondern auch logische Fehlschlüsse im Rahmen der bis Ende des 19. Jahrhunderts üblichen Syllogistik betrachtet und kategorisiert.

Quaternio Terminorum

(lat. Vierheit der Begriffe)

Im kategorischen Syllogismus müssen genau drei verschiedene Begriffe vorkommen: Der Oberbegriff als Prädikat in Obersatz und Konklusion, der Mittelbegriff als Subjekt im Obersatz und als Prädikat im Untersatz und der Unterbegriff als Subjekt in Untersatz und Konklusion. Bei der quaternio terminorum treten jedoch zwei verschiedene Mittelbegriffe auf, wodurch der Schluss, ungeachtet der Wahrheit der Prämissen und der Konklusion, ungültig wird:

Alle Hunde [Mittelbegriff] sind Tiere [Oberbegriff]. Alle Katzen [Unterbegriff] sind Säugetiere [Mittelbegriff]. Also sind alle Katzen [Unterbegriff] Tiere [Oberbegriff].
Alle Hunde [Mittelbegriff] sind Tiere [Oberbegriff]. Alle Katzen [Unterbegriff] sind Säugetiere [Mittelbegriff]. Also sind alle Katzen [Unterbegriff] Tiere [Oberbegriff].

Quaternio-Terminorum-Fehlschlüsse sind selten so offensichtlich wie in dem Beispiel, da die Verschiedenheit der Begriffe oft durch eine echte oder durch Formalisierung entstandene Homonymie verborgen ist. Eine quaternio terminorum durch Homonymie verletzt die Form des Syllogismus, indem in Ober- und Untersatz an die Stelle des Mittelbegriffs ein mehrdeutiger Ausdruck gesetzt wird, der in einer Bedeutung den Obersatz, in einer anderen den Untersatz zu einer wahren Aussage macht. Ein Fehlschluss ist die Folge, da mit der alternativen Bedeutung des Ausdrucks in der Position des Mittelbegriffs ein vierter Begriff eingeführt wurde.

Echte Homonymie

Leicht zu entdecken ist die Homonymie in folgendem Beispiel:



Fehlschluss:

Was einen Bart hat, kann man rasieren.
Schlüssel haben einen Bart.
Schlüssel kann man rasieren.

(Schlüsselbart und Barthaar)

Homonymie durch Formalisierung

Komplexer ist folgendes Beispiel:



Fehlschluss:

Alle Eltern lieben ihre Kinder.
Alle Kinder lieben Schokolade.
Alle Eltern lieben Schokolade.

Wenn man die Wahrheit der Prämissen zugesteht, kommt dennoch ein Fehlschluss zu Stande, weil fälschlicherweise die Relation „x liebt y“ für das Prädikat gehalten wird. Für syllogistische Schlüsse sind aber nur einstellige Begriffe als Prädikate zulässig („x liebt Schokolade“, „x liebt ihre Kinder“). In diesem Syllogismus kommen also vier Begriffe vor, wenn die Prämissen syllogistisch formalisiert werden.



Fehlschluss:

Je mehr Gutes man tut, desto besser ist es.
Die Arzenei einzunehmen tut dem Kranken gut.
Je mehr Arzenei man einnimmt, desto besser ist es.

Klassische Fehlschlüsse nach Eubulides

Diese Sophismen haben das Ziel, einen Gesprächspartner in seiner Gewissheit zu erschüttern oder vor einem Publikum zu diskreditieren, indem sie ihn dazu bringen, etwas paradoxes zuzugeben.

Der Sophismus vom Gehörnten



Fehlschluss:

Was du nicht verloren hast, das hast du noch.
Hörner hast du nicht verloren.
Du hast Hörner.

Der Sophismus vom Verhüllten



Fehlschluss:

Weißt du, wer dieser Verhüllte ist? – Nein!
Es ist Dein Vater!
Du weißt nicht, wer dein Vater ist.

Fehler der logischen Distribution

Wenn im Schlusssatz eines Syllogismus das syllogistische Subjekt distribuiert ist, das heißt wenn über alle Mitglieder der vom Subjekt bezeichneten Klasse ein Urteil gefällt wird (z. B. „Alle S sind P“, „Keine S sind P“), dann muss auch der Untersatz (2. Prämisse, in der das Subjekt der Konklusion eingeführt wird) ein Urteil über alle Klassen-Mitglieder sein. In diesen Urteilen gilt das Prädikat bzw. der Mittelbegriff für jeden Gegenstand, der unter den Subjektbegriff fällt, im Einzelnen, das Prädikat wird verteilt (distribuiert).

Nicht distribuiertes Subjekt

Fehlschlüsse entstehen, wenn in der zweiten Prämisse nur eine Teilmenge des Subjekts gemeint ist, die Konklusion sich aber auf alle Elemente der Kategorie bezieht. Zwei Beispiele:



Fehlschluss:

Alle Vegetarier sind gesund.
Einige Menschen sind Vegetarier.
Alle Menschen sind gesund.

Hier ist der Fehlschluss leicht zu entdecken. Komplizierter ist das folgende Beispiel:



Fehlschluss:

Omnivoren essen Fleisch.
Menschen sind Omnivoren.
Alle Menschen essen Fleisch.

Während im Schlusssatz jeder einzelne lebende Mensch im Besonderen gemeint ist (distributiv), sind die ‘Menschen’ im Untersatz allgemein die Vertreter des biologischen Gattungsbegriffes (kollektiv). Ebenso im Obersatz: als Kollektiv kommt es den Omnivoren zu, dass sie Fleisch essen. Für den einzelnen Omnivoren ist damit nicht gesagt, dass er je Fleisch gegessen hat, sondern dass er zu einer Gattung gehört, die eine 'Veranlagung' dazu besitzt, bzw. Fleisch verdauen kann.

Nicht distribuierter Mittelbegriff

Auch: Sophismus des kollektiven Mittelbegriffs (lat. non distributivi, sed collectivi medii)

In einem gültigen Syllogismus ist der Mittelbegriff in mindestens einer Prämisse distribuiert. Ist er es nicht, kann ein Fehlschluss wie der folgende auftreten:



Fehlschluss:

Alle Menschen sind Zweibeiner.
Einige Zweibeiner sind Vögel.
Einige Menschen sind Vögel.

Hier wird im Untersatz „x ist ein Vogel“ nicht über alle Zweibeiner distribuiert.

Fehlschlüsse in der Kriminalistik

Das Ergebnis eines DNA-Tests, eines Fingerabdrucks oder einer sonstigen Spur alleine kann nicht über Schuld oder Nichtschuld eines Verdächtigen entscheiden. Es wird nur als Indiz gewertet, das durch weitere ergänzt werden muss. Viele Verdächtige legen allerdings ein Geständnis ab, wenn man sie mit dem Ergebnis konfrontiert.

Fehlschlüsse im DNA-Beweis

Ist das nicht der Fall, muss das Ergebnis interpretiert werden, wobei Fehlschlüsse nicht auszuschließen sind. Ein ungültiger Schritt macht die gesamte Schlusskette ungültig:

  1. DNA-Test ergibt keine Übereinstimmung
  2. Falsche Übereinstimmung durch falsch positive Testergebnisse
  3. Zufälligen Übereinstimmung. Der Verdächtigte muss nicht der Urheber der Spur sein, nur weil eine Übereinstimmung vorliegt
  4. Das biologische Material kann von jemand anderem hinterlegt worden sein
  5. Das biologische Material muss nicht zum Tatzeitpunkt hinterlegt worden sein

Der Trugschluss des Anklägers (engl. prosecuter's fallacy)[5] besteht aus einer base rate fallacy und einem Trugschluss. Zugrunde liegt der falschen Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit für die Schuld eines Verdächtigen nach einem positiven Test dieselbe sei wie die Wahrscheinlichkeit für einen positiven Test unter der Voraussetzung der Schuld des Täters.

An einem Beispiel[6]
Annahme: Bei einem Verbrechen wurde eine DNA-Spur am Opfer gefunden. Da keine weiteren Hinweise vorliegen, gibt es 10 Mio. Personen, die eine Gelegenheit für das Verbrechen gehabt hätten. Aber nur eine von ihnen ist der Urheber der gefundenen DNA-Spur . Bei einer natürlichen Zufallsstreuung weisen ungefähr 10 der 10 Mio. in Frage kommenden Personen ein DNA-Profil auf, das mit dem DNA-Profil der Spur am Opfer identisch ist . Da nur einer von diesen der Urheber dieser Spur ist, gilt: , .

Wenn eine Person dieses DNA-Profil aufweist, ist es so gut wie sicher, dass der DNA-Test eine Übereinstimmung ergibt: .
Der Test liefert also keine falsch negativen Ergebnisse. Aber auch bei Personen, die dieses DNA-Profil nicht aufweisen, wird aufgrund einer kleinen, aber unvermeidlichen Testungenauigkeit von (das ist 1 in 10.000) trotzdem eine Übereinstimmung festgestellt. Werden alle 10 Mio. Personen getestet, so würde in 100 Fällen ein falsch positives Ergebnis vorliegen.
Von den 10 Mio. Personen werden also 110 positiv getestet. Von diesen 110 positiven Testfällen sind nur 10 nicht die Folge eines Messfehlers , und von diesen ist nur einer der Urheber der Spur: Zwar gilt , und also , dennoch ist
.
Im Vergleich dazu ist die Wahrscheinlichkeit, durch den Test jemanden zu ermitteln, der nicht Urheber der Spur ist
.

Beim Trugschluss des Anklägers werden also und miteinander verwechselt, wobei die hohe Wahrscheinlichkeit von und unterschlagen wird. Ein DNA-Test ist damit ungeeignet, eine ansonsten unverdächtige Person zu belasten. Liegt bereits eine Verdächtigung aufgrund anderer, von der Spur unabhängiger Umstände vor, so kann der Test den Verdacht erhärten oder zerstreuen. Seine Aussagekraft steigert sich, je kleiner die Grundgesamtheit der in Frage kommenden Urheber wird – im Beispiel ist diese sehr groß – aber nur so lange, wie sichergestellt werden kann, dass der Urheber der Spur aus der Grundgesamtheit stammt. Damit von einer Übereinstimmung auf eine Urheberschaft geschlossen werden kann („3“ in der Abb."Fehlschlüsse im DNA-Beweis"), muss zuerst ein Kreis von Menschen gefunden werden, der objektiv in Frage kommt – vor Gericht wird eine subjektive A-priori-Wahrscheinlichkeit nicht akzeptiert. Dieses prinzipielle Problem taucht sowohl bei einer gerichtlichen Untersuchung („Täterkreis“) als auch bei einem Vaterschaftstest auf. Wenn man dort liest „Die Wahrscheinlichkeit, dass das Blut (am Tatort) von einer anderen Person als dem Verdächtigen stammt, ist 1 zu eine Million“, ist das also ein Fehlschluss.

Im Urhebertrugschluss wird die Kette der Bedingungen übersprungen und geschlossen, dass der Urheber einer DNA-Spur auch der Schuldige sein muss. Die scheinbare Folgerung „Da beide Proben mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million zufällig übereinstimmen, ist auch die Wahrscheinlichkeit der Unschuld eins zu einer Million, oder die Wahrscheinlichkeit der Schuld eine Million zu eins“, verbindet den Trugschluss des Anklägers mit einem Urhebertrugschluss. Nicht nur wird die Urheberwahrscheinlichkeit fälschlich viel zu hoch („Urhebertrugschluss“) angegeben, die Spur könnte auch „gelegt“ worden sein ("4" in der Abb.) oder in einem anderen als dem Tatzusammenhang entstanden sein ("5" in der Abb.).

Siehe auch

Fußnoten

  1. Schopenhauer, Arthur: Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten, unvollendetes Manuskript von 1830/31, gedruckt in: Schopenhauer, Arthur: Der handschriftliche Nachlaß. Bd. 3., München 1985
  2. Mill, John Stuart: A System of Logic, Ratiocinative and Inductive, Being a Connected View of the Principles of Evidence, and the Methods of Scientific Investigation, 1843 ((5. Buch)) – deutsch: System der deduktiven und induktiven Logik, übersetzt von J. Schiel, Braunschweig 1868
  3. Peirce, Charles Sanders: Collected Papers Bd. 2: Elements of Logic. hrsg. v. Charles Hartshorne/Paul Weiss, Cambridge, Mass., Harvard University Press, 2. Aufl., The Belknap Press, Cambridge, Mass. 1960. (CP), S. 2.622 ff.
  4. Giegerenzer, Gerd: Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken, Berlin 2002, ISBN 3-82700-079-3
  5. Giegerenzer, Gerd: Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken, Berlin 2002, ISBN 3-82700-079-3
  6. Nach Lindsey, Samuel; Hertwig, Ralph; Gigerenzer, Gerd: Communicating Statistical DNA Evidence, In: 43 Jurimetrics, 2003, S. 147 ff., 2003 Artikel auf heinonline.org. Abgerufen am 23. November 2010..

Literatur