Fauvismus

Fauvismus ist eine in der Kunstgeschichte gebräuchliche Sammelbezeichnung für eine zentrale Bewegung der französischen Avantgarde, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts von einer heterogenen Gruppe von Malern hervorgerufen wurde. Ihre Hauptvertreter waren Henri Matisse, André Derain und Maurice de Vlaminck. Die Gruppe selbst lehnte die Bezeichnung ab.
Der Fauvismus verfügt weder über eine eigene Theorie noch über ein programmatisches Manifest. Die so bezeichneten Fauvisten wurden vom Postimpressionismus angeregt, jedoch war ihnen der Impressionismus zu flüchtig und der Divisionismus zu theoretisch. Erst der Fauvismus, so Matisse, der wie Derain dessen experimentellen Charakter betonte, verfüge über die nötige Nachhaltigkeit. Diese Dauerhaftigkeit wurde in den Bildwerken durch ein elementares Zusammenspiel der Farben und Formen ausgedrückt. Durch die Arbeiten der „Fauves“ beeinflusst, wurde die Farbe zum individuellen Ausdrucksmerkmal des modernen Künstlers.
Der Fauvismus
Der Begriff Fauvismus leitet sich her von dem französischen Wort fauves, den wilden Bestien. Als eine kleine Gruppe von Malern unter der Führung von Henri Matisse und André Derain 1905 zum ersten Mal in einer Ausstellung des Salon d'Automne ihre Bilder zeigte, kommentierte Louis Vauxcelles, der Kritiker der Avantgarde im Gil Blas, die Werke, als er in einer Halle des Salons zwischen den Malereien eine italianisierte Büste sah: „Tiens, Donatello au milieu des fauves.“ („Sieh da, Donatello unter den wilden Bestien.“)[1] Vertreter der neuen und zunächst geschmähten Bewegung waren neben Matisse und Derain, auch Maurice de Vlaminck, Raoul Dufy, Albert Marquet, Georges Rouault, Kees van Dongen, Othon Friesz und Georges Braque.[2]
Die Bezeichnung Fauvismus ist - wie zuvor für den Impressionismus und später den Kubismus - zufällig, kam von außen und nicht von seinen Urhebern, ist der Ausdruck einer Schockwirkung auf die Zeitgenossen und hat mit seinem Verfahren oder seiner wahren Bedeutung nichts zu tun. Gegen theoretische Fehlurteile dieser Art hatte sich etwa bereits Courbet gewandt, als er erklärte: „Der Titel Realist wurde mir aufgezwungen wie den Männern von 1830 der Titel Romantiker. Solche Bezeichnungen haben zu keiner Zeit den wahren Gehalt der Dinge getroffen [...]“ [3]
So lehnte die Gruppe die Bezeichnung Fauvismus ab. Matisse äußerte sich hierzu 1908 wie folgt:
„In der Revue Hebdomadaire macht Monsieur Péladan einer gewissen Anzahl von Malern, zu denen ich mich wohl zählen muss, den Vorwurf, dass sie sich Fauves nennen lassen, sich dabei aber kleiden wie jedermann, so dass sich ihre Erscheinung nicht von derjenigen der Abteilungsleiter in den Warenhäusern unterscheide [...] Soweit es sich nur um mich handelt, mag Monsieur Péladan sich beruhigen: morgen lasse ich mich Sar nennen und kleide mich wie ein Nekromant.“
Im Fauvismus wurde ein gewisses System gegenständlicher Darstellung ausgearbeitet, jedoch folgte man keiner festen Theorie.[2] In dem Sujet Landschaftsmalerei wurden die grundlegenden Ziele des Fauvismus entwickelt. Das Wesentliche des Fauvismus ist darin zu sehen, die Natur nicht als Gegenstand der Kunst zu betrachten, sondern als Ort, an dem subjektive Impulse, geistige und gefühlsmäßige Spannungen des Malers wirken. Zeichnung und Farbe müssen sich mit größter Freiheit der äußeren Erscheinungswelt gegenüber ausdrücken. Das in der Malerei so wichtige Problem der räumlichen Darstellung lösen die Fauves auf logische Weise, wobei sie sich vom Naturalismus abwenden. An die Stelle der Raumillusion tritt ein durch Empfindungsvermögen und Phantasie gestalteter poetischer Raum. Dieser Raum drückt sich bildnerisch durch ein Zusammenspiel reiner, gleichmäßig gesättigter Farben aus. Die Farbe wird zu einem subjektiven, die Leidenschaft des Malers enthaltenen Äquivalent des Raumes und seiner grundlegenden Bestandteile. [2] So sind die Fauves von dem Willen beseelt mit der Vergangenheit, insbesondere dem Impressionismus und Realismus zu brechen und nicht von einem Vorbild abhängig zu werden.[2] Da die Gruppe keine deutliche gemeinsame Zielsetzung besaß, löste sie sich 1907 wieder auf.
Kunsthistorische Eingliederung
Gesellschaft, Philosophie und Literatur
Die Maler, die sich um die Erneuerung des bildnerischen Ausdrucks bemühten, lebten in einer Zeit voller Widersprüchlichkeiten. So zeigte die Weltausstellung, welche Kluft zwischen der europäischen Industriegesellschaft und den sogenannten primitiven Kulturen des Fernen Ostens, Afrikas und Ozeaniens lag. Dies verstärkte in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Kritik an der sich in voller Entwicklung befindlichen Industriegesellschaft und der sie fördernden Wissenschaft. Überall wurde protestiert. Es fehlte an Vertrauen in die Staatsgewalt, Justiz, Armee, Kirche und in das Wirtschaftssystem.[4] Es tauchten in der jungen Generation vermehrt antiklerikale, antimilitaristische, antikonformistische, ja sogar anarchistische Gefühle auf. Jedoch war der Anarchismus in Frankreich zwischen 1900 und 1905 keine aktive, gewalttätige Bewegung mehr, sondern es handelte sich vielmehr um einen Kaffeehaus-Anarchismus.[2]
Marcel Giry weist nach, dass die literarische Haltung Gides, der aus Unmut über den Symbolismus die Kunst des Schreibens erneuern will, durchaus der Reaktion der Fauves, die sich gegen die Unproduktivität der offiziellen Kunst und die Auswüchse des sich im Anekdotischen verlierenden Symbolismus in der Malerei wenden, entsprochen hat.[2]
Der Raumbegriff der Fauves stützt sich auf eine Philosophie des Raumes, die mit einer Philosophie der Beziehung zwischen Subjekt und Welt (Objekt) identisch ist, in diesem Falle der Philosophie Nietzsches und Bergsons.[2]
Die Fauves, etwa Derain, fühlen sich von der Gedankenwelt Nietzsches angezogen. Man kann sagen, dass die Verherrlichung des Lebens, der freudige Individualismus Nietzsches zu jener Zeit als eine Reaktion gegen den Pessimismus und die Morbidität des Fin-de-siécles empfunden wird. So äußert sich Derain in einem Brief an Vlaminck: „Nietzsche beeindruckt mich, je mehr ich über ihn nachdenke.“[5] Was etwa Jules de Gaultier über Also sprach Zarathustra sagt, könnte Teil eines Manifestes des Fauvismus sein[2]: „Diese ist eine Lust, ein neuer Appetit, eine neue Gabe, Farben zu sehen, Klänge zu vernehmen und Gefühle zu empfinden, die bisher weder gesehen, noch vernommen oder empfunden wurden.“ [6]
Malerei
Auf die jungen Maler der Jahrhundertwende in Paris drangen mehr Einflüsse und Gegenströmungen ein, als vielleicht in der ganzen Geschichte der europäischen Malerei jemals zu gleicher Zeit in einer einzigen Stadt wirksam waren.[1] Die populäre Kunst jener Zeit war eine sonderbare Mischung von akademischem „poetischem Realismus“ à la Bouguereau und solchen Fin-de-siècle Erscheinungen wie der Art Nouveau. Der offizielle Akademiestil repräsentierte die letzten Phasen von Neoklassizismus und Realismus, was Ortega y Gasset „die größte Verirrung in der Geschichte des Geschmacks“ genannt hat. Im Gegensatz zu solch populärer Malerei stand ein wichtiger Teil der französischen Malkultur in den ersten Jahren des Jahrhunderts, die schon zur Tradition gewordene Avantgarde. Ihre beiden Hauptströmungen sind der Impressionismus und Postimpressionismus [7], des Weiteren der Symbolismus, Cloisonismus, Synthetismus und die Arbeiten van Goghs und Cézannes. Sowohl die Traditionen der Avantgarde, als auch die Traditionen der Akademie und der Straße, verkörpert im offiziellen Stil und in der Art Nouveau, riefen eine Reihe von Reaktionen und Gegenreaktionen hervor, denen jeder Maler, der damals in Paris arbeitete, ausgesetzt war. [1] Der zentrale Aspekt innerhalb der Avantgarde jener Tage war es, den durch den Impressionismus hervorgerufenen „zerfließenden“ Bildeindruck zu festigen, ihn somit wieder, wie es Cézanne ausdrückte, „klassisch“, im übergeordneten Sinn, „zeitlos“ zu machen. Dies waren durchaus die Ansätze, denen van Gogh, Gauguin, Cézanne und die Divisionisten auf unterschiedlichen Wegen folgten.
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William Bouguereau,
Pastourelle, 1889 -
Gustave Moreau,
La Toilette, ca. 1885–1890 -
Paul Sérusier,
Der Talisman, 1888 -
Claude Monet,
Pappeln an der Epte, 1900
So waren denn auch die Arbeiten der führenden Köpfe der Avantgarde Anhalts- und Konfrontationspunkte für die jungen, „rebellischen“ Maler. In diesen Werken erkannten sie, so etwa bei van Gogh und Gauguin, dass die flächige Behandlung der Farbe in den Vordergrund trat, die dem „Zerfließen“ impressionistischer Werke entgegengestellt wurde. Bei den Divisionisten hingegen war es die „Farblogik“ und „Farblehre“ Chevreuls, basierend auf der sich im Auge des Betrachters vollziehenden additiven Farbmischung, mittels derer man dem „Zerfließen“ entgehen wollte. Hierbei kam jedoch das von Matisse so bezeichnete „Vibrato“, das unruhige Flimmern, zum Vorschein. In Gauguins Ansatz waren es die Elemente des Primitivismus, die den im Bildraum gezeigten Gegenständen symbolhaften Charakter verliehen und somit nicht als Lösung des für die Fauves wichtigen räumlichen Aspekts der Farbe angesehen werden konnte. So äußerte Matisse in diesem Zusammenhang: „Gauguin kann nicht zu den Fauves gerechnet werden, denn ihm fehlt der Aufbau des Raumes durch die Farbe, die bei ihm Ausdruck des Gefühls ist.“[2]
Im Werk van Goghs, das bei den Fauves ebenso Interesse fand, da es neben der ruhigeren und flächigeren Behandlung im Vergleich zu den Divisionisten auch von der neu entstandenen Farbtheorie geprägt war, zeigte sich ihnen jedoch, dass der heftige Gebrauch großflächiger Komplementärkontraste auch Auswirkungen auf den Zusammenhang der Bildflächen haben musste, denen van Gogh innerhalb seines Werkes noch keine Beachtung geschenkt hatte.[2]
In Cézannes Ansatz andererseits erkannten die Nachfolger sowohl den ruhigen Aufbau als auch Gesetzmäßigkeiten einer innerer Farblogik,[8] ohne dass sich der „divisionistische Effekt“ einstellte. Des Weiteren steht das Werk Cézannes primitivistischen Bildauffassungen konträr gegenüber. Es entspringt einer tiefen Naturbeobachtung, die grundlegend für den Cézanneschen Bildraum ist, der ebenso ausweist, dass der Gebrauch „reinerer“ Farben Auswirkungen auf die „Bildgeometrie“ mit sich bringt.[2]
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Paul Signac,
Das Frühstück, 1886–1887 -
Vincent van Gogh,
Das gelbe Haus, 1888 -
Paul Gauguin,
Im Café, 1888 -
Paul Cézanne,
Jas de Bouffan, 1885–1887
Entwicklung und Höhepunkt
Die Entwicklung und der Höhepunkt fauvistischer Malerei wird im folgenden anhand der Malereien von Matisse und Derain, den beiden Hauptvertretern, dargelegt.
Schon der Korsika-Aufenthalt (1898) von Matisse deutet seine ersten fauvistischen Schritte an. So zeigen die Bilder aus jener Zeit bereits einen sehr freien Stil und die Suche nach Ausdruck eines subjektiven Erlebnisses. Jedoch fehlt ihnen noch etwas Wesentliches: Die neue Raumauffassung, die auf einem Verhältnis von gleichmäßig gesättigten Farben beruht.[2] Matisse hat zwar bereits die expressive Funktion der Farbe betont, jedoch in diesem Zusammenhang noch nicht ihre raumbildende Funktion ausgewiesen. So untersucht er in den Jahren 1900-1903 die Struktur der Formen, das, was er le dessin compris nennt, die Zeichnung, die das Wesen des Objekts zum Ausdruck bringt, in Verbindung mit dem dessin d'aplomb, der Zeichnung, die die Stabilität des Objektes ausdrückt.[2] Nach einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Postimpressionismus gelangt Matisse nun dazu, die Farbe von der Vormundschaft der Kontur zu erlösen und den Bildraum aus Beziehungen kontrastierender Farbpläne zu konstruieren. Mit dem Bild Vue de Saint-Tropez, ausgestellt 1904 im Salon d'Automne, leitet er den Fauvismus ein.[2] Es entspricht den zwei oder drei Werken, die Derain Ende des Jahres 1904 oder Anfang des Jahres 1905 malt. So ist in diesem Zusammenhang die frühe Reife Derains, dem jüngsten der Fauves, in jener Zeit derart auffallend, dass Picasso ihm ohne zu Zögern die Vaterschaft des Fauvismus zugesprochen hatte.[2]
Nach seinem Aufenthalt 1904 in Saint Tropez entdeckte Matisse in seinem wiederum dem Divisionismus zugewandten Bild Luxe, calme et volupté den Widerspruch zwischen der „linearen, skulpturhaften Plastizität“ und der „Plastizität der Farben“. Matisse gelangt infolge einer logischen Entwicklung zum Fauvismus. Dieser Fauvismus findet weniger in reinen Farben Ausdruck, als in einer lyrischen Vision der Erscheinungswelt und einer nichtillusionistischen, plastischen Definition des Raumes.[2] Jedoch ist der Einfluss Derains, der im Sommer 1905 in Collioure eintrifft, in diesem Zusammenhang entscheidend, da dieser bei der Verwertung der Technik der Farbtonzerlegung sehr weit geht, und so kommen beide zum gleichen Ergebnis.[2] Derain bemerkte, dass die Farbtonzerlegung „eine Welt besitzt, die sich selbst zerstört“ und Matisse äußerte in einem Gespräch mit Francis Cargo, dass Derain „mehr davon verstand als irgendeiner“. Erwähnt sei hierzu noch, dass Derain während seines Londonaufenthaltes zwar die Technik der Farbtonzerlegung wieder aufnimmt, doch bei Derain ist alles komplizierter, als man denkt.[2]
Die postimpressionistische Sichtweise wird nun gänzlich in Frage gestellt, da sie in völligem Widerspruch zu dem von Matisse und Derain entwickelten Verhältnis von Künstler und Natur steht. Die Sprache des Divisionismus ist in diesem Zusammenhang kaum dazu geeignet, den „Schock“ als Ganzes unmittelbar zu übersetzen, den der Künstler beim Kontakt mit der Natur erlebt.[2] Der Fauve möchte nur noch das Gefühl ausdrücken, das er bei der Betrachtung des Gegenstandes empfindet. Dadurch wird die Bedeutung des Lichts als ein Element der Wirklichkeit, das das Objekt modelliert, reduziert. An die Stelle des Lichtraums tritt ein aus dem Gefühl des Künstlers entstandener Farbraum und an die Stelle der deskriptiven Wiedergabe der Formen setzt der Fauve das, was Maurice Denis als „Noumen der Bilder“ bezeichnet und was man heute Zeichen nennen könnte.
Rezeption
Erste Reaktionen
Neben Vauxcelles, dessen Wort von den Fauves abschätzig gemeint war, schrie auch Camille Mauclair, der Kritiker des Figaro, unter Verwendung eines Zitates von John Ruskin laut auf : „Ein Farbkübel ist über den Kopf des Publikums ausgeschüttet worden!“ Und im Journal de Rouen konnte man aus der Feder eines gewissen Nicolle lesen: „Was man uns da zeigt, hat – die verwendeten Materialien einmal ausgenommen – mit Malerei nichts zu tun: Blau, Rot, Gelb, Grün, lauter grelle Farbkleckse, die völlig zufällig aneinandergefügt wurden – primitive und naive Spielereien eines Kindes, das sich mit dem Farbkasten vergnügt, den es geschenkt bekam.“[9]
Maurice Denis hingegen äußerte sich eher positiv, wenn auch verblüfft, und Elie Faures, der große französische Kunsthistoriker, schrieb im Vorwort des Ausstellungskatalogs: „Wir müssen die Vorurteilslosigkeit und die Bereitschaft zeigen, eine völlig neue Sprache zu verstehen.“ Die Aufnahme beim Publikum als „gemischt“ zu bezeichnen, wäre allerdings zu wohlwollend. Viele Besucher regten sich auf und es gab sogar Versuche, Matisse' Gemälde Frau mit Hut zu zerstören. Michel Puy warf den zeitgenössischen Literaten gar vor, dass sie die Aussage der „Fauves“ nicht zur Kenntnis genommen hätten; mit Ausnahme André Gides, der in jener „Verrücktheit der Farben“ ein „Ergebnis bestimmter Theorien“ gesehen hatte.
Abgrenzungen zum deutschen Expressionismus
Der deutsche Expressionismus, der in der Dresdner Brücke seinen ersten Auftritt hat, ist nicht vergleichbar mit dem Fauvismus in seiner ganzen Auffassung von Leben und Kunst. Er bezieht seine Inspiration aus den alten nordischen Quellen von zwanghaften Besessenheiten, unbewussten Trieben, Träumen und Alpträumen, hat als Quelle Kierkegaard und dessen Auffassung von Angst, in der er nicht nur eine Grundprägung des Menschen sieht, sondern die für ihn auch die ganze Natur prägt, und ist im Bereich der Malerei beeinflusst von den Arbeiten Munchs, die ganz im Gegensatz stehen zu der geduldigen Malweise Cézannes.[9]
Für die Fauves wirken die Farben auf die Netzhaut; als Söhne Newtons und Chevreuls interessiert sie das Sonnenspektrum. Für die Expressionisten dagegen sind Farben symbolisch und mythisch, wirken auf die Seele und sind zu bewerten vor dem Hintergrund von Goethes Auffassungen von der Farbenlehre und der Metaphysik; dies führt dazu, dass sie die Arbeiten van Goghs, Cézannes und Gauguins mit anderen Augen lesen als Matisse oder Derain.[9] So ist auch charakteristsich, dass der Expressionismus gerade in Zeiten gesellschaftlicher Krisen und geistiger Ratlosigkeit besondere Beachtung fand. Bei ihm schreit die Farbe, gerät außer Rand und Band. Der Fauvismus hingegen steht unter der Herrschaft der Farbe und gibt sich ihr mit freudiger Bejahung hin.
Eine erste expessionistische, mit symbolischen und Jugendstilelementen vermischte, Welle erscheint schon zwischen 1885 und 1900 als Reaktion gegen den Impressionismus und den objektiven Ordnungswillen Cézannes und Seurats.[3] Ihre Vertreter sind van Gogh, Gauguin, Lautrec, Ensor, Munch und Hodler. Die innere Angst der Künstler befreit sich nicht nur durch eine Steigerung der Farbe, sondern auch durch expressive Formen und die Betonung spannungsgeladener Linien. Eine zweite expressionistische Welle, weit wuchtiger als die erste, zeigt sich so in Frankreich bereits durch die Beiträge Rouaults, im Frühwerk Picassos, im Schaffen des Fauvismus überhaupt und in Deutschland mit der Gründung der „Brücke“.[3]
Nachwirkungen
„Die Malerei des Fauvismus ist nicht alles, aber sie ist die Grundlage für alles.“
In Frankreich wurde der Fauvismus vom Kubismus abgelöst, und in Deutschland waren es beispielsweise die expressionistischen Maler, etwa die Mitglieder des Blauen Reiters, die von den Fauves angeregt wurden. Ferner wirkte sich die Kunst der Fauves auf die Maler der russischen Avantgarde wie Kasimir Malewitsch und Natalia Gontscharowa aus. Sie beeinflussten ebenfalls einige holländische Künstler, womöglich auch den italienischen Futuristen Umberto Boccioni. Für Maler wie Pierre Bonnard, Fernand Léger, Robert Delaunay, Frank Kupka und Roger de La Fresnaye wurde die Farbe zum wichtigsten bildnerischen Ausdrucksmittel. Ferner könnte man den Fauvismus auch als einen Wegbereiter der abstrakten Malerei ansehen, da die Fauves den hierfür letzten Schritt, nämlich auf den Bezug zum Objekt völlig zu verzichten, nicht vollzogen[2] - da auf diese Weise wie Matisse – wie auch Picasso – betonte, die Abstraktion nur imitiert werde[1].
„Der Fauvismus,“ so bemerkte Derain selbst einige Jahre später, „war unsere Feuerprobe. Es war die Ära der Photographie. Das mag uns beeinflusst haben in unserer Reaktion auf alles, das einem Schnappschuss aus dem Leben ähnlich sah. Ganz gleich wie weit wir uns von den Dingen fortbewegten, um sie in Ruhe zu beobachten und zu transponieren, es war nie weit genug. Farben wurden zu Dynamitladungen. Es wurde von ihnen erwartet, dass sie Licht entladen. Es war eine in ihrer Neuheit feine Idee, dass alles über das Reale hinausgehoben werden könne. Auch war sie ernsthaft. Mit unseren flachen Tönen bewahrten wir uns sogar einen Sinn für Maße, indem wir z.B. einem Sandfleck eine Schwere gaben, die er nicht hatte, um die Flüssigkeit des Wassers, die Leichte des Himmels herauszubringen. Das große Verdienst dieser Methode war, dass sie das Bild von allen imitativen und konventionellen Kontakten befreite.“ „Was falsch war an unserer Einstellung,“ fuhr er fort, “war eine Angst, das Leben zu imitieren, was uns veranlasste, die Dinge von zu weit her anzugehen und zu übereilten Urteilen zu kommen. Wo Temperament ist, kann keine Imitation sein. So wurde es notwendig, zu vorsichtigeren Einstellungen zurückzukehren, von Anfang an einen Vorrat an Quellen einzubauen, und jedem Bild eine lange Entwicklung geduldig zu sichern.“[11]
„In den Anfängen des Fauvismus“, äußerte Matisse später, „glaubten wir eine kurze Zeitlang, alle Farben gleichzeitig zur Geltung bringen zu müssen und keine opfern zu dürfen. Später kamen wir dann wieder auf Nuancen zurück, die uns geschmeidigere Elemente lieferten als die flachen, ebenmäßigen Töne. Die Ästhetik der Impressionisten schien uns ebenso mangelhaft wie die Technik des Louvre, und wir wollten direkt auf das zugehen, was wir nötig hatten, um uns auszudrücken. Der Künstler fühlte sich beengt durch all die Techniken der Vergangenheit und der Gegenwart und fragte sich: Was will ich? Dies war die vorherrschende Sorge des Fauvismus. Wenn der Künstler von seinem Inneren ausgeht und einfach drei Farbflecken setzt, so beginnt er, sich von solchen Zwängen zu befreien. Diese Periode dauerte einige Zeit, sogar mehrere Jahre. Wenn man einmal an dem Punkt angelangt ist, an dem man die Art seines Strebens klar erkennt, dann beginnt man seinen Gegenstand ins Auge zu fassen, und man muss seine Methoden ändern, um anderen verständlicher zu werden – und um alle die Möglichkeiten zu organisieren, die man in sich selbst erkannt hat.“[1]
Literatur
- Jean-Paul Crespelle: Fauves und Expressionisten. (Les Fauves). Bruckmann, München 1963.
- Jean-Paul Crespelle: Matisse und seine Freunde. Les Fauves. Hamburg 1966. (Katalog der Ausstellung 25. Mai bis 10. Juli 1966, Kunstverein Hamburg).
- Bernard Denvir: Fauvismus und Expressionismus. (Originaltitel: Fauvism and Expressionism. übersetzt von Karlheinz Mahr), Knaur-Taschenbücher Band 447, München/Zürich 1976, ISBN 3-426-00447-X.
- Gaston Diehl: André Derain. (Originaltitel: Derain. übersetzt von Helga Künzel), Südwest, München 1967 / Bonfini Press, 1977.
- Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, Editions Pierre Terrail, Paris, 1992, ISBN 2-87939-053-2.
- Henri Matisse, Jack D. Flam (Hrsg.): Über Kunst, (übersetzt von Elisabeth Hammer-Kraft). Diogenes-Taschenbuch 21457, Zürich 1993, ISBN 3-257-21457-X.
- Marcel Giry: Der Fauvismus. Ursprünge und Entwicklung. (Originaltitel: Les fauves. aus dem Französischen übersetzt von Gunhilt Perrin) . Edition Popp / Office du livre , Würzburg/Fribourg 1981, ISBN 3-88155-088-7.
- Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus. Büchergilde Gutenberg, Zürich 1961.
- Jean Leymarie: Fauvismus, Albert Skira Verlag, Genève, 1959, aus dem Französischen von Karl Georg Hemmerich.
- Renata Negri: Matisse und die Fauves. (Originaltitel: Matisse e i Fauves. aus dem Italienischen übersetzt von Carola Dietlmayer). In: Galerie Schuler. Schuler, München 1973, ISBN 3-7796-5008-8.
- Heinrich Neumayer: Fauvismus. (Zeit und Farbe; Bd. 2). Verlag Rosenbaum, Wien 1956.
- Patricia Rochard (Hrsg.): Die Explosion der Farbe. Fauvismus und Expressionismus 1905 bis 1911, [eine Ausstellung im Alten Rathaus der Stadt Ingelheim, 26. April bis 28. Juni 1998] / Internationale Tage Ingelheim. [Veranstalter Boehringer Ingelheim], Schmidt, Mainz 1998, ISBN 3-87439-459-X (Ausstellungskatalog) / ISBN 3-87439-456-5 (Buchhandelversion).
- Kristian Sotriffer: Expressionismus und Fauvismus. Verlag Anton Schroll & Co. Wien 1971.
- Denys Sutton: André Derain. Phaidon-Verlag, Köln 1960.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f Jack D. Flam, Matisse – Über Kunst, op.cit.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t Marcel Giry, Der Fauvismus: Ursprünge und Entwicklung, Edition Popp, Würzburg 1981, S. 7 ff.
- ↑ a b c Jean Leymarie: Fauvismus, Albert Skira Verlag, Genève, 1959, aus dem Französischen von Karl Georg Hemmerich, S. 14 ff.
- ↑ siehe auch Dreyfus-Affäre
- ↑ Lettres à Vlaminck, Hg. M. Vlaminck, 1955
- ↑ Jules de Gaultier, De Kant á Nietzsche, Mercure de France, Januar 1900, S.104
- ↑ hier unter anderem Divisionismus
- ↑ siehe auch Farbmodulation
- ↑ a b c Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, Editions Pierre Terrail, Paris, 1992, ISBN 2-87939-053-2, S. 9 ff.
- ↑ Henri Matisse, Ecrits et propos sur l'art, Text, Anmerkungen und Index zusammengestellt von Dominique Fourcade, Paris, 1972, S. 55
- ↑ Denys Sutton: André Derain. Phaidon-Verlag, Köln 1960.