Dakini
Eine Dakini (Sanskrit: "Himmelstänzerin") ist ein tantrisches Geistwesen des antiken Indiens, welches nach der Mythologie die Seelen der Toten in den Himmel bringt. Dieses Wesen existiert weiter als buddhistische Figur im tibetischen Buddhismus. Die Dakini ist ein weibliches Wesen mit einem sehr wandelbaren, teils auch wildem Temperament, welches als Inspiration für die spirituelle Praxis agiert. Das männliche Pendant bezeichnet man im Sanskrit als Daka. Dakinis können mit Elfen und Engeln verglichen werden, haben im Gegensatz zu diesen jedoch durch ihre Gesten ein erschreckendes Erscheinungsbild. Sie repräsentieren die Ermutigung und Inspiration für den spirituellen Weg und überprüfen zugleich den spirituellen Fortschritt der Dharma-Praktizierenden.
Ursprünge
Gemäß einer Legende brachten in früheren Zeiten die Mitglieder der indischen Herrscherkaste und der Adelsfamilien ihre Verstorbenen weit in den Norden, zu einem Dakini-Schrein. Dieser war am Fuße des Himalaya gelegen. Andere Legenden aus Tibet beziehen sich auf einen Mythos, nachdem die Dakinis zunächst in weit entfernten und menschenlehren Gebieten erschienen sind.
Es gibt jedoch auch Vermutungen, wonach die Dakinis und Dakas in früheren Zeiten Schamaninnen und Schamanen waren, die sich mit Hilfe von ekstatischen Tänzen in Trance versetzten und auf diese Weise Reisen in andere Welten unternehmen konnten. Auf ihre während des Tanzens unternommenen Reisen durch den Himmel bzw. in die himmlischen Sphären, bezieht sich dann möglicherweise auch ihre Bezeichnung "Himmelstänzer(in)".
Beschreibung

Dakinis sind der Überlieferung zufolge nicht an die Zeit gebunden, sowohl körperlos als auch unsterblich, sie sind nicht-menschliche Wesen und sie existieren seit dem Anbeginn zusammen mit der spirituellen Energie. In New Age Glaubenssystemen werden sie oft mit Engeln gleichgesetzt. Diese Annahme steht jedoch im Widerspruch zum jüdisch-christlichen Glauben, da die Dakinis im Gegensatz zu Engeln keine bona fide Diener Gottes sind. Trotzdem könnte man die Engel trotz der Unterschiede als westliches Äquivalent zu den Dakinis betrachten. Das Verhalten der Dakinis ist immer offenbarend und mysteriös und sie reagieren auf den Status der spirituellen Energie der jeweiligen Individuen. Ihr üblicher Wohnort ist die spirituelle Form der Liebe - das könnte man auch als eine Erklärung dafür nehmen, warum angenommen wird, dass Dakinis (und Engel) in himmlischen Sphären leben. Dakinis manifestieren sich auch in menschlicher Form, sie können angeblich in jeder Form erscheinen. Die männliche Erscheinungsform der Dakini wird Daka genannt.
Im tibetischen Buddhismus und anderen Schulen, die eng mit dem Yogacara und dem Vajrayana in Bezug stehen, wird eine Dakini als ein übernatürliches Wesen betrachtet, welches die Fähigkeiten und die Absichten eines Praktizierenden überprüft. Viele Geschichten über die Mahasiddhas in Tibet beinhalten Episoden, in denen eine Dakini erscheint, um einen angehenden Mahasiddha zu stören.
Wenn der Test einer Dakini bestanden wurde, wird der Praktizierende meist als Mahasiddha anerkannt und steigt in das Paradies der Dakinis auf, einem Ort der Wonne und der Erleuchtung. Obwohl Dakinis oft nackt und schön dargestellt werden, sind sie keine eigentlichen sexuellen Symbole, aber doch Symbole für die Natur und die Wahrheit. Es gibt Fälle, in denen eine Dakini auch die Kontrolle über das sexuelle Verlangen eines Praktizierenden prüft, jedoch sind sie selbst frei von jeglichen Leidenschaften.
Tantrische Vereinigung
Bei der tantrischen Vereinigung kann eine "menschliche Dakini" als Praxisgefährtin mit einbezogen sein. Sie ist meist im Tantra Yoga geübt und stellt zugleich auch die Verkörperung einer echten Dakini dar, da bei diesen Praktiken die spezifisch tantrische reine Sichtweise des Praktizierenden von großer Bedeutung ist. Die Praxispartner erhöhen durch die geschlechtliche Vereinigung die Intensität der in den körperlichen Energiebahnen fließenden Energien. Dakas und Dakinis helfen, sich zur selben Zeit auf die spirituellen Freudenerfahrungen und zugleich auf Arbeit mit den durch die Vereinigung erweckten Energien zu konzentrieren. Sexuelle Freudenerfahrungen werden dabei in den tantrischen Pfad integriert. Diese Praktiken sind daher immer im Zusammenhang mit dem tantrischen Übungsweg eines Vajrayana-Praktizierenden zu sehen und sind kein, bloß auf sexuellen Genuss ausgelegter Selbstzweck. Eine Ermächtigung und mündliche Unterweisungen zu diesen Praktiken durch einen befähigten tantrischen Meister sind unerlässliche Voraussetzungen, da die Arbeit mit den durch die tantrische Praxis erweckten körperlichen Energien gefährlich sein kann.
Die drei Klassen von Dakinis
Nach dem Stand ihrer spirituellen Entwicklung können drei unterschiedliche Klassen von Dakinis unterschieden werden:
- Die unterste Klasse der Dakinis ist noch nicht erleuchtet und ist Menschen gegenüber entweder feindlich oder freundlich gesonnen.
- Die mittlere Klasse der Dakinis ist mit 24 heiligen Orten in Indien und Tibet verknüpft und kann nur von spirituell entwickelten Menschen wahrgenommen werden. Die 24 Orte stehen auch in Beziehung zu Aspekten des feinstofflichen Körpers und werden in bestimmten tantrischen Meditationen visualisiert.
- Die höchste Klasse der Dakinis sind spontan erleuchtete Wesen und Ausstrahlungen des Dharmakayas.
Die Dakini im inneren Erleben
Man kann die Dakinis nicht nur als mythologische Wesen, sondern auch als Symbole für die inneren, psychologische Prozesse des Einzelnen verstehen. Somit symbolisieren sie alle Inspirationen, die anregen, auf dem Weg des Buddha-Dharma weiter voranzuschreiten. Diese sind nicht immer nur angenehmen, sie können auch plötzlich und in beängstigender Weise das jeweilige Weltbild auf den Kopf stellen und die begrenzenden Fesseln und Mauern zerschlagen. Wie diese "Befreiungsschläge" dann empfunden werden, hängt von der jeweiligen Bereitschaft ab, sie anzunehmen und zu integrieren. Da die Dakinis frei von jeglicher Konvention sind, scheuen sie sich nicht, auch die ungewöhnlichsten Wege zu beschreiten, um aufzurütteln und zu helfen. Gewisse tantrische Meditationen (Sadhanas) verbinden durch Visualisation die Praktizierenden mit den inspirierenden Energien der jeweiligen Dakini.
Die Dakini im äußeren Erleben
Um eine Dakini zu erleben, muss nicht nach der Erscheinung dieser übersinnlichen Wesen gesucht werden. Es kann auch einfach bedeuten, einen Menschen gleich welchen Geschlechts zu finden, der uns im Alltag wie eine Dakini auf unserem spirituellen Weg unterstützt und uns führt.
Bekannte Dakinis
Sambhogakaya-Dakinis
- Vajrayogini - (tib.: Dorje Khandro), diese ursprünglich in der Sakya-Schule verehrte Dakini wird in ihrer bekanntesten Form mit roter Hautfarbe dargestellt, als Attribute trägt sie ein Vajra-Hackmesser sowie eine blutgefüllte Schädelschale. Auf dem Kopf trägt sie eine Schädelkrone und hält einen mit einem Vajra gekrönten Kathvanga.
- Vajravarahi - (tib.: Dorje Phagmo), eine besondere Form der der Vajrayogini, die in der Kagyü-Schule von Bedeutung ist, wird meist wie Vajrayogini mit roter Hautfarbe und gleichen Attributen dargestellt. Sie trägt aber, auf ihrer mit Schädeln geschmückten Krone als ein Symbol für die Überwindung der Verblendung den Kopf einer Sau. Somit steht sie für die alles überwindene Weisheit.
- Simhamukha - (sanskrit: Löwengesicht) Die Dakini-Erscheinungsform des Padmasambhava, ausgestattet mit einem Löwenkopf hat große Bedeutung in der Terma-Tradition der Nyingma-Schule.
Die folgenden fünf Dakinis bilden eine besondere Gruppe und stehen mit den fünf ursprünglichen Weisheiten in Verbindung, die meist durch die fünf transzendenten Buddhas (Adibuddhas) dargestellt werden. Sie erscheinen in der Ikonographie oft in einem Mandala, ihnen werden jeweils besondere Fähigkeiten zugesprochen.
- Buddha-Dakini - bläuliche Hautfarbe. Sie verleiht Langlebigkeit und ermöglicht die Wiedergeburt im Dakini-Paradies.
- Vajra-Dakini - (Diamantene Dakini) rote Hautfarbe. Sie verhindert den Absturz in die niederen Daseinsebenen.
- Ratna-Dakini - (Juwelen Dakini) goldene Hautfarbe. Sie verleiht weltlichen Wohlstand und verhindert die Wiedergeburt in der Höllenwelt.
- Padma-Dakini - (Lotus Dakini) rosafarbene Haut. Sie kann die Wiedergeburt in niederen Daseinsebenen verhindern.
- Karma-Dakini - strahlend weiße Hautfarbe. Sie verleiht weltlichen Erfolg und ermöglicht eine Wiedergeburt im menschlichen Daseinsbereich.
Nirmanakaya-Dakinis
- Prinzessin Mandarava von Zahor war die indische Hauptgefährtin von Padmasambhava. Zusammen verwirklichten sie die Siddhi der Unsterblichkeit.
- Yeshe Tsogyal - Die tibetische Hauptschülerin von Padmasambhava, war maßgeblich an der Verbreitung von Padmasambhavas Terma-Texten in Tibet beteiligt.
- Matschig Labdrön - Entwickelte die vollkommene Weisheit durch das erwerbsmäßige Vorlesen von Prajnaparamita-Texten. Sie entwickelte später eine neue Form des Chöd, das weite Verbreitung fand.
Ikonographie
Ikonographische Entsprechungen neigen dazu, die Dakini als eine junge und nackte Figur in tanzender Pose darzustellen, oft hält sie dabei eine Schädelschale gefüllt mit Menstruationsblut oder Lebenselixier in der einen Hand, während sie ein Messer in der anderen Hand schwingt. Manchmal trägt sie eine Kette aus menschlichen Schädeln um den Hals, während ein Dreizack an ihrer Schulter lehnt. Für gewöhnlich ist ihr Haar lang und struppig und hängt über ihren Rücken. Ihr Gesicht hat einen zornigen Ausdruck und sie stampft mit den Füßen auf einem am Boden liegenden Körper herum, was das Bezwingen von Gier, Hass und Verblendung repräsentiert. Mit dem dritten Auge auf ihrer Stirn ist sie befähigt, höhrere Wahrheiten zu erkennen. Oft lodern als Zeichen ihrer großen Energie Flammen um ihren Körper. Praktizierende behaupten oft, das Klappern ihres Knochenschmucks zu hören, wenn die Dakinis ihre ekstatischen Tänze aufführen. Dann erscheinen diese hemmunglosen weiblichen Wesen, um die völlige Freiheit von allen Bedingungen zu feiern.
Siehe auch
Literaturhinweise
- Magchig, Gesänge der Weisheit, Garuda Verlag, ISBN 3-906139-10-7
- Vessantara, Flammen der Verwandlung. ISBN 3-929447-17-7
- Keith Dowman, Sky Dancer - The Secret Life and Songs of the Lady Yeshe Tsogyel, Snow Lion Publications, Ithaca N.Y., 1996 ISBN 1-559-39065-4
- Tsültrim Allione, Tibets weise Frauen - Zeugnisse weiblichen Erwachens, Theseus Verlag Berlin, ISBN 3-89620-162-X