Georg Simmel
Georg Simmel (* 1. März 1858 in Berlin; † 28. September 1918 in Straßburg) war ein deutscher Philosoph und Soziologe. Er war der Begründer der "formalen Soziologie".
Leben
Simmel entstammte einer zum Christentum konvertierten jüdischen Kaufmannsfamilie. Er war das jüngste von sieben Kindern, sein Vater starb früh. Nach dem Abitur studierte Georg Simmel in Berlin zunächst Geschichte, dann Völkerpsychologie und Philosophie. 1881 promovierte er. Ab 1885 war er Privatdozent der Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin.
Er heiratete 1890 Gertrud Kinel. Ihr Haus in Charlottenburg-Westend wurde zu einem geistigen Treffpunkt wo sich z. B. Rilke, Edmund Husserl, Reinhold und Sabine Lepsius, Heinrich Rickert, Marianne und Max Weber und andere trafen. Einige dieser einflussreichen Freunde engagierten sich um einen Lehrstuhl für Simmel; das deutsche akademische Establishment widersetzte sich jedoch hartnäckig. Erst 1901 erhielt Simmel eine Berufung, allerdings lediglich für eine außerordentliche Professur.
Durch seinen faszinierenden Vortragsstil über Probleme der Logik, Ethik, Ästhetik, Religionssoziologie, Sozialpsychologie und Soziologie waren seine Vorlesungen sehr begehrt – sie wurden sogar in Zeitungen angekündigt –, und zahlreiche intellektuelle junge Frauen und Männer hörten ihn. Sein geistiger Einfluss ging weit über die von ihm akademisch vertretenen Fächer hinaus; Kurt Tucholsky und Siegfried Kracauer haben ihn z.B. hoch geschätzt. Mit seinem 1903 erschienenem Aufsatz ''Die Grosstädte und das Geistesleben'' wurde er zum Begründer und einem der wichtigsten damaligen Vertreter der Stadtsoziologie; sein Aufsatz wurde in Deutschland nicht besonders wahrgenommen, hatte jedoch großen Einfluss auf die Soziologie an der University of Chicago. Außerdem wurden einzelne Bücher Simmels schon zu seinen Lebzeiten ins Italienische, Russische, Polnische und Französische übersetzt. In Deutschland hatte Georg Simmel einen nicht geringen Einfluss auf den akademischen Nachwuchs, dabei unter Anderem auf Georg Lukács, Martin Buber, Max Scheler, Karl Mannheim, Leopold von Wiese, ferner auf einige spätere Mitglieder der Frankfurter Schule. Mit dem jungen Ernst Bloch war Simmel befreundet. Bloch war es auch, der während des Ersten Weltkriegs das vorher undenkbare Abdriften des späten Simmel in einen extremen Patriotismus kritisierte.
Zusammen mit Ferdinand Tönnies, Max Weber und Werner Sombart begründete er 1909 die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS).
Simmel suchte als Gesellschaftswissenschaftler einen neuen Weg, gleichwegs fern dem soziologischen Organizismus eines Auguste Comte oder Herbert Spencer als auch der idiographischen Geschichtsschreibung im Gefolge etwa Leopold von Rankes. Ein konsistentes philosophisches oder soziologisches System hinterließ er nicht, auch kein Schule, dafür lieferte Simmel viele Anregungen und Inspirationen für spätere Forschergenerationen. Er veröffentlichte mehr als 15 Hauptwerke sowie 200 Artikel in Fachzeitschriften und Zeitungen. Neben der bereits erwähnten Stadtsoziologie nahm Simmel viele Elemente der späteren Rollensoziologie vorweg, ohne den Begriff der sozialen Rolle explizit zu benutzen. Das Kapitel "Der Streit" aus seiner Soziologie (1908) war von erheblicher Bedeutung für die spätere Konfliktsoziologie (Lewis Coser u. A.).
Als Philosoph wird Simmel häufig dem Kreis der Lebensphilosophie zugerechnet (andere prominente Vertreter waren beispielsweise der Franzose Henri Bergson, dessen Werke auf Anregung Simmels ins Deutsche übertragen wurden, sowie der Spanier José Ortega y Gasset). Simmel publizierte als Soziologe auch nicht kontinuierlich: so erschienen zwischen 1908 und 1917 keine soziologischen Hauptwerke, dafür Abhandlungen über "Hauptprobleme der Philosophie" (1910), über Goethe (1913) und Rembrandt (1915).
1911 wurde ihm das Ehrendoktorat der Staatswissenschaften der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg auf Grund seiner Verdienste um die Erweiterung der Kenntnisse der Nationalökonomie und als einem der Begründer der Wissenschaft Soziologie verliehen. Erst 1914 wurde er auf ein Ordinariat an die damals deutsche Universität Straßburg berufen. Dort starb er 1918.
Werke
- Über sociale Differenzierung (1890) – Volltext bei DigBib.Org
- Die Probleme der Geschichtsphilosophie (1892; 3. erw. Auflage 1907)
- Einleitung in die Moralwissenschaft (1892/93)
- Philosophie des Geldes (1900) – Volltext bei DigBib.Org
- Brücke und Tor. Essays des Philosophischen zur Geschichte, Religion, Kunst und Gesellschaft. (1903)
- Die Religion (1906) – Volltext bei DigBib.Org
- Soziologie (1908) – darin das für die Konfliktsoziologie später bedeutsame Kapitel Der Streit
- Grundfragen der Soziologie (1917)
- Der Konflikt der modernen Kultur (1918)
Gegenwärtig erscheint eine Gesamtausgabe unter der Federführung von Otthein Rammstedt.
Literatur
- Werner Jung: George Simmel zur Einführung, Hamburg: Junius, 1990, ISBN 3885068605
- Stephan Moebius: Simmel lesen. Moderne, dekonstruktive und postmoderne Lektüren der Soziologie von Georg Simmel. 2002, Stuttgart: ibidem-Verlag, 134 S., ISBN 3-89821-210-6 (zur Soziologie des Geheimnis bei Simmel, zur Gabe bei Simmel und Marcel Mauss, zur Soziologie der Fremdheit bei Simmel, Bhabha, Hall, Derrida, Butler u.a.).
Zitate
- „Wissend ist, wer weiß, wo er findet, was er noch nicht weiß.“
- "...vernünftiger Endzweck ist doch, nur der Genuss aus dem Gebrauch des Gegenstandes; die Mittel dazu sind: 1. dass man Geld habe, 2. dass man es ausgebe, 3. dass man den Gegenstand besitze; an jeder dieser drei Stationen kann das Zweckbewusstsein Halt machen und sie als Selbstzweck konstituieren; und zwar so energisch, dass jeder dieser drei Inhalte desselben maniakalisch ausarten kann." (Zur Psychologie des Geldes)
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Simmel, Georg |
KURZBESCHREIBUNG | Deutscher Philosoph und Soziologe |
GEBURTSDATUM | 1. März 1858 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 28. September 1918 |
STERBEORT | Straßburg |