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Egon Krenz

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Egon Krenz 1984

Egon Krenz (* 19. März 1937 in Kolberg, Pommern) ist ein ehemaliger deutscher Politiker der SED. Er war 1989 für wenige Wochen als Nachfolger Erich Honeckers SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR. Nach der Wiedervereinigung wurde er wegen Totschlags zu sechseinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und 2003 aus der Haft entlassen.

Kindheit, Ausbildung und Wehrdienst

Egon Krenz wurde als Sohn eines Schneiders in Kolberg geboren, wo er 1943 eingeschult wurde. 1944 flüchteten seine Eltern mit ihm nach Damgarten. Krenz beendete dort 1953 die Schule. Im selben Jahr wurde er Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Egon Krenz brach eine Schlosserlehre im VEB Dieselmotorenwerk Rostock ab und studierte von 1953 bis 1957 am „Diesterweg“-Institut für Lehrerbildung in Putbus auf Rügen und schloss mit dem Staatsexamen ab. Am Lehrerbildungsinstitut war er Sekretär der FDJ-Grundorganisation und ab 1956 auch Mitglied der FDJ-Kreisleitung Rügen. 1955 wurde er in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) aufgenommen. Von 1957 bis 1959 diente Krenz bei der Nationalen Volksarmee (NVA) in Prora als Unteroffizier und übte FDJ-Funktionen auf Divisionsebene aus. 1958 war er Delegierter der Parteiorganisation der NVA zum V. Parteitag der SED.

Politische Karriere

Aufstieg in Jugendorganisation und Partei

Egon Krenz 1974 im Gespräch mit polnischen Gastarbeiterinnen

Egon Krenz wurde 1959 zuerst 2., dann 1. Kreissekretär der FDJ im Kreis Rügen. Ab 1960 war er 1. Sekretär der Bezirksleitung Rostock der FDJ. 1961 wurde er Sekretär des Zentralrates der FDJ und war verantwortlich für die Arbeit des Jugendverbandes an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen. Von 1964 bis 1967 studierte Krenz an der Parteihochschule des Zentralkomitees der KPdSU in Moskau und schloss mit dem Staatsexamen als Diplomgesellschaftswissenschaftler ab. Anschließend (von 1967 bis 1974) war er Sekretär des Zentralrates der FDJ, verantwortlich für Agitation und Propaganda sowie für die Arbeit der FDJ an den Schulen. Gleichzeitig arbeitete er von 8. Februar 1971 bis 9. Januar 1974 als Vorsitzender der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“. Von 1974 bis 1983 hatte er als Erster Sekretär des Zentralrates der FDJ die höchste Funktion in der einzigen legalen Jugendorganisation der DDR inne.

Von 1971 bis 1990 war Egon Krenz Abgeordneter der Volkskammer der DDR, von 1971 bis 1981 war er außerdem Mitglied ihres Präsidiums. 1973 wurde Egon Krenz Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der SED. Von 1981 bis 1984 war Krenz Mitglied des Staatsrates der DDR. 1983 wurde er zum Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED gewählt. Mit der Ernennung zum Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates wurde Krenz 1984 zum zweiten Mann hinter Erich Honecker.

Wendezeit

Egon Krenz, Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und Mitglieder des Staatsrates bei der ersten Sitzung nach der 10. Volkskammertagung am 24. Oktober 1989
Egon Krenz und Wolfgang Herger (vorn) am Runden Tisch, 22. Januar 1990

Krenz war 1989 als Leiter der Zentralen Wahlkommission für die Ergebnisfälschungen bei der Kommunalwahl mit verantwortlich. Zur blutigen Niederschlagung des Studentenaufstandes auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking äußerte sich Krenz im Juni 1989 mit den Worten, es sei „etwas getan worden, um die Ordnung wiederherzustellen“. Im Oktober 1989 setzte sich Krenz hingegen als verantwortlicher ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen und Wortführer innerhalb der jüngeren Kräfte in der SED-Parteiführung für eine friedliche Reaktion der Sicherheitskräfte bei den Montagsdemonstrationen ein.

Am 18. Oktober 1989 wurde Krenz Generalsekretär des ZK der SED und Nachfolger von Erich Honecker, dem der Rücktritt durch das Politbüro nahegelegt worden war. In seiner Antrittsrede prägte Krenz den Begriff Wende: Zunächst nur als geringfügige Änderung des bestehenden Systems gedacht, wurde das Wort schnell zum Synonym für die Umbruchsituation und die friedliche Revolution in der DDR.

Krenz wurde am 24. Oktober 1989 außerdem Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. Er verließ mit seiner Frau und seinem Sohn die Wohnsiedlung für die Mitglieder des SED-Politbüros Waldsiedlung Wandlitz bei Berlin.

Egon Krenz war maßgeblich an der Ausarbeitung der Befehle 9/89 und 11/89 beteiligt, die den Gebrauch von Schusswaffen an der Grenze ausschlossen.[1] Im Befehl 11/89 hieß es:

„Die Anwendung der Schusswaffe im Zusammenhang mit möglichen Demonstrationen ist grundsätzlich verboten.“

Am 3. Dezember 1989 trat das Politbüro des ZK der SED (einschließlich Egon Krenz) geschlossen zurück. Krenz gab am 6. Dezember den Vorsitz des Staatsrates ab. Im Januar 1990 legte er sein Volkskammermandat nieder und wurde aus der (inzwischen umbenannten) SED-PDS (unter Gregor Gysi) ausgeschlossen.

Verurteilung und Haft

Nach 1991 wurde Egon Krenz als Zeuge in verschiedenen Strafverfahren gegen frühere Repräsentanten der DDR vernommen. 1992 bestritt er, in seiner Funktion als oberster Wahlleiter der DDR die systematischen Wahlfälschungen bemerkt zu haben. Dem widerspricht allerdings eine frühere Aussage Krenz auf der 12. ZK-Tagung der SED im Dezember 1989. Dort sagte er über die Kommunalwahlen im Mai:

„Selbstverständlich ist mir klar und bewußt, auch aus heutiger Sicht, daß das erzielte Wahlergebnis mit der tatsächlichen politischen Situation im Lande weder damals noch heute übereingestimmt hat. Es gab aber keine andere Möglichkeit, ein anderes Wahlergebnis bekanntzugeben, weil es so entsprechend den Protokollen, die auch in den Kreisen existieren, zusammengestellt worden ist. Würden wir jetzt, wie das einige vorschlagen, diese Frage neu aufrollen, Genossinnen und Genossen, ich habe die Furcht, dann räumen wir nicht nur Positionen, die wir noch besitzen, dann können wir ganz nach Hause gehen. Ich bitte, das nicht zu Protokoll zu nehmen.[2]

Krenz im Jahr 2007

1993 stritt er die Verantwortung der früheren Mitglieder des DDR-Verteidigungsrates für die Verhältnisse an der innerdeutschen Grenze ab. Ab 1993 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Krenz wegen des Waffengebrauchs der DDR-Grenztruppen gegen Flüchtlinge (Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze) und Anstiftung zur Wahlfälschung.

Die Berliner Staatsanwaltschaft erhob im Juni 1993 Anklage wegen „Totschlags und Mitverantwortung für das Grenzregime der DDR“. Egon Krenz bezeichnete die Anklage wegen der Todesfälle als „verfassungs- und völkerrechtswidrig“. Es kam zum sogenannten Politbüroprozess. Auch im Februar 1996 sprach er der bundesdeutschen Justiz das Recht ab, über frühere Bürger der DDR zu Gericht zu sitzen. Im Juni 1997 bedauerte Krenz vor Gericht einerseits die Opfer an der innerdeutsche Grenze, wies jedoch andererseits seine Verantwortung zurück. Im August verurteilte eine große Strafkammer des Landgerichts Berlin Egon Krenz wegen Totschlags in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Aufgrund einer Haftbeschwerde kam er jedoch im September nach 18 Tagen aus der Haft frei. Im November wurde das Verfahren wegen Wahlfälschung gegen ihn eingestellt.

Im November 1999 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil von 1997, das damit rechtskräftig wurde. Egon Krenz bezeichnete das Urteil als „Kalten Krieg im Gerichtssaal“. Seine Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht am 11. Januar 2000 zurückgewiesen. Seine Haftstrafe musste er am 13. Januar in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Hakenfelde antreten. Am 24. Januar wurde Egon Krenz in die Justizvollzugsanstalt Plötzensee verlegt. Am 22. März 2001 verwarf der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einstimmig die von Krenz eingelegte Menschenrechtsbeschwerde.

Am 18. Dezember 2003 wurde Krenz – nach Verbüßung von nicht ganz vier Jahren – auf Grund eines Beschlusses des Kammergerichts vorzeitig aus der Haft entlassen, der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Er war schon länger Freigänger im offenen Vollzug und musste nur noch nachts in die Haftanstalt. Tagsüber war Krenz am Flughafen Berlin-Tegel bei der Germania Fluggesellschaft beschäftigt, für die er ausrangierte Flugzeuge nach Russland verkaufen sollte.
Als 2007, zehn Jahre nach der ersten Publizierung in Mattias Judts „DDR-Geschichte in Dokumenten“, der Schießbefehl an Angehörige einer Spezialeinheit des Ministeriums für Staatssicherheit innerhalb der Grenztruppen, die „die Bewachung der Bewacher“ zu übernehmen hatten, erneut in den Medien publiziert wurde („Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben.“[3]), bestritt Krenz erneut ausdrücklich die Existenz der „Schießbefehle“: „Es hat einen Tötungsbefehl, oder wie Sie es nennen ‚Schießbefehl‘, nicht gegeben. Das weiß ich nicht aus Akten, das weiß ich aus eigenem Erleben. So ein Befehl hätte den Gesetzen der DDR auch widersprochen.“[4]

Seit seiner Haftentlassung wohnt er im mecklenburgischen Ostseebad Dierhagen.

Veröffentlichungen

  • Die Aufgaben der FDJ-Grundorganisationen an den Oberschulen, Berlin 1972
  • Zur Jugendpolitik der SED. Auf dem Weg zum XI. Parteitag der SED, Berlin 1985
  • Rede auf der 9. Tagung des ZK der SED, 18. Oktober 1989. (in: Beginn der Wende und Erneuerung. Dietz Verlag Berlin 1989. ISBN 3-320-01539-7)
  • Das Wohl des Volkes ist unser elementarer Leitsatz. Erklärung des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR vom 24. Oktober 1989 vor der Volkskammer der DDR. Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1989. ISBN 3-329-00688-9
  • Wenn Mauern fallen. Die friedliche Revolution. Vorgeschichte – Ablauf – Auswirkungen. Paul Neff Verlag, Wien 1990. ISBN 3-7014-0301-5
  • Widerworte. Aus Briefen und Zeugnissen 1990 bis 2005. edition ost, Berlin 2006. ISBN 978-3-360-01071-1
  • Exklusivinterview mit Genossen Egon Krenz. Wir stehen fest an der Seite Kubas. (in: RotFuchs, Ausgabe vom März 2007)
  • Herbst '89. Mit einem aktuellen Text. edition ost, Berlin 2009. ISBN 978-3-360-01806-9
  • Gefängnis-Notizen. edition ost, Berlin 2009. ISBN 3-360-0180-1X
  • Deutsche Jubiläen und Lehren der Geschichte. (in: STOPP NATO! 60 Jahre Nato. 60 Jahre Bedrohung des Friedens. Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2009. ISBN 978-3-939828-38-9)

Literatur

  • Beate Rudolf: Streletz, Kessler and Krenz v. Germany. App. Nos. 34044/96, 35532/97, & 44801/98.49 ILM 811 (2001), and K.-H. W. v. Germany. App. No. 37201/97. 49 ILM 773 (2001), in: The American Journal of International Law 95/4 (Okt. 2001), S. 904-910.
  • Benedikt Vallendar: Ich habe keinem was getan. Porträt von Egon Krenz In: Rheinischer Merkur, 5. November 2009.

Einzelnachweise

  1. Frank Schirrmacher: Wo ist Egon Krenz? Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. November 2009
  2. Zitiert nach: Hans-Hermann Hertle/Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.): Das Ende der SED. Die letzten Tage des Zentralkomitees. Ch. Links Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-86153-143-7, S. 465f
  3. Die brutale Wahrheit über die DDR BILD, 13. August 2007
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