Andengemeinschaft

Die Andengemeinschaft (früher Andenpakt oder Andengruppe, span. Comunidad Andina, Abkürzung: CAN) ) besteht aus den Mitgliedstaaten Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela. Sie hat die wirtschaftliche und soziale Integration dieser Länder zum Ziel. Der Integrationsprozess begann 1969 mit der Unterzeichnung des Abkommens von Cartagena (Andenpakt) und umfasste zunächst Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru. Venezuela schloss sich 1973 an, Chile trat 1976 aus dem Andenpakt aus. Dieses Abkommen wurde sukzessive aktualisiert und erweitert und gipfelte im Juni 1997 in der Gründung der Andengemeinschaft. Mit diesem Integrationssystem assoziiert sind die Staaten Mexiko, Panama und Chile, sowie die Mitgliedstaaten des Mercosur seit dem 7. Juli 2005.
Ziele
Die regionale Agenda der Andengemeinschaft wird im Wesentlichen von den Präsidenten der Andenländer bei ihren Gipfeltreffen festgelegt. Die Prioritäten und ihre Reihenfolge ändern sich je nach dem turnusmäßig wechselnden Vorsitz. Der sog. Andenpräsidentenrat ist höchstes und auch Leitungsorgan der CAN. Er besteht aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, die in der Regel einmal im Jahr in demjenigen Staat zusammenkommen, der den Vorsitz innehat. An dessen Tagungen nimmt ebenfalls die Präsidenten derjenigen Staaten teil, denen aufgrund von Assoziierungsbkommen ein Beobachterstatus gewährt wurde. Der Andenpräsidentenrat legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für den Integrationsprozess fest und gibt die notwendigen Impulse in Bereichen, die von gemeinsamem Interesse sind. Angesprochen sind damit aber nicht nur die vergemeinschafteten Materien, sondern auch die Bereiche intergouvernementaler Zusammenarbeit, wie etwa die gemeinsame Außenpolitik der CAN. Des Weiteren sorgt er für die koordinierte Zusammenarbeit zwischen den Organisationen und Institutionen des Integrationssystems zwecks Erreichung der gemeinsamen Ziele. Es obliegt ihm auch die Bewertung der Entwicklung und Ergebnisse des Integrationsprozesses. Vor dem Hintergrund der neuen, weltoffenen Ausrichtung des Integrationsprozesses muss der Andenpräsidentenrat sich mit den politischen Fragen der Außenbeziehungen der CAN befassen. Seine Lenkungsfunktion nimmt er dadurch wahr, dass er zu den Berichten, Initiativen und Empfehlungen der Organe und Institutionen Stellung nimmt („Pronunciamientos“) und Richtlinien („Directrices“) an sie erlässt, damit seine politischen Zielvorstellungen umgesetzt werden.
Politische Ziele
Hauptziel der politischen Agenda ist die Festlegung einer gemeinsamen Außenpolitik. Auf dieses Konzept verständigten sich die Länder 1998. Auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene bemüht sich die CAN um eine Annäherung der Positionen der einzelnen Länder, um gemeinsame Standpunkte anzunehmen.
Eine wichtige Rolle spielt auch die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Ein gemeinsamer Standpunkt im Bereich der Drogenbekämpfung führte bereits zur Annahme des andinen Kooperationsplans zur Bekämpfung illegaler Drogen und der damit verbundenen Straftaten (2001).
Wirtschaftliche Ziele
Bis Ende 2005 soll das Ziel eines Binnenmarkts erreicht sein. Ziel ist die Einführung eines gemeinsamen Außenzolls, der bislang nur in Ansätzen vorhanden ist, die Schaffung einer gemeinsamen Agrarpolitik, die Angleichung bestimmter Rechtsvorschriften (Wettbewerb, Investitionsschutz, Doppelbesteuerung), die Harmonisierung bestimmter Daten wie der Statistiken sowie die Einhaltung bestimmter Konvergenzkriterien bei den makroökonomischen Politiken (ähnlich dem Stabilitäts- und Wachstumspakt in der EU). Nicht nur die Waren, sondern auch die Personen sollen frei verkehren können.
Wenn auch vom Abkommen von Cartagena nicht ausdrücklich erwähnt, geht aus der in Art. 51 lit. d geplanten Harmonisierung der Wechsel-, Währungs-, Finanz- und Steuerpolitiken der Andenstaaten mittelbar hervor, dass die CAN langfristig ebenfalls die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion anstrebt. Die Wirtschafts- und Währungsunion wird als die vollkommenste Integrationsform angesehen, da sie quasi die schrittweise Verschmelzung der mitgliedstaatlichen Volkswirtschaften impliziert. Bei einer Wirtschafts- und Währungsunion betreiben die Mitgliedstaaten nämlich zusätzlich eine einheitliche Wirtschaftspolitik, vor allem in den Bereichen Finanz- und Währungspolitik, und verfügen über eine einheitliche Währung. Dieses in Art. 2 des Abkommens zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erklärte Ziel wurde von diesem Integrationssystem am 1.1.2002 durch die Einführung des Euro als Einheitswährung erreicht.
Was die Außenbeziehungen anbelangt, so stehen im Terminkalender der Agenda zahlreiche internationale Handelsverhandlungen. Die Region spricht in verschiedenen Gremien mit einer Stimme: in den meisten internationalen Foren, bei den Handelsverhandlungen der FTAA und mit dem Mercosur, bei den Verhandlungen über die Verlängerung der von den Vereinigten Staaten und der EU gewährten Handelspräferenzen. Außerdem äußerte die CAN den Wunsch, mit der EU Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen aufzunehmen, das in erster Linie ein Gegengewicht zur FTAA darstellen soll. Wie Mexiko, der Mercosur und Chile wollen die Andenländer durch Freihandelsvereinbarungen ihre Handelsbeziehungenen auf Dauer ausbauen.
Bedeutung
Die CAN-Mitglieder erstrecken sich über 40 Prozent des Gebiets Lateinamerikas. Rund ein Viertel der Bevölkerung Lateinamerikas lebt in den CAN-Staaten. Gemeinsame Sprache der Mitgliedsländer ist Spanisch. Das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP liegt zwischen knapp 1.000 US-Dollar (Bolivien) und knapp 4.000 US-Dollar (Venezuela). Damit ist die CAN mit Ausnahme Venezuelas hauptsächlich ein Verbund der ärmsten südamerikanischen Staaten.
Die Andengemeinschaft ist der drittgrößte Integrationsraum Amerikas nach der NAFTA und dem Mercosur. Allerdings ist die CAN bedeutend kleiner als der Mercosur; so weist sie lediglich knapp die Hälfte seiner Bevölkerung und sogar nur ein Drittel des Mercosur-BIPS auf.
Die vergleichsweise geringe Bedeutung der Andengemeinschaft zeigt sich auch in der Tatsache, dass das vergleichsweise reiche Chile eine Assoziierung mit dem Mercosur einer Mitgliedschaft in der CAN vorgezogen hat.
Die Exporte der Andenländer sind wenig diversifiziert und bestehen größtenteils aus Rohstoffen und Erzeugnissen der ersten Verarbeitungsstufe. Venezuela exportiert vornehmlich Erdöl und andere Bodenschätze. Kolumbien exportiert Kohle, Mineralien, Kaffee und Schnittblumen. Bolivien exportiert vor allem Mineralien, verzeichnet aber auch zunehmende Gasexporte. Ecuador exportiert hauptsächlich Bananen, Erdöl und Garnelen.
Geografie und Ressourcen
Die südamerikanische Andenregion umfasst eine Vielzahl verschiedener klimatischer und geografischer Dimensionen. Alle fünf Länder haben jedoch Zugang zur Gebirgskette der Anden und zum Amazonasbecken. Jedoch unterscheiden sich die Länder bezüglich der weiteren geografischen Lage teilweise deutlich. Diese Unterschiede sind mit dafür verantwortlich, dass die politischen und ökonomischen Interessen der Länder im Rahmen der Andengemeinschaft z. T. deutlich divergieren.
Alle Andenländer verfügen über beträchtliche natürliche Ressourcen, die noch weitgehend ungenutzt sind, wie beispielsweise das Potenzial der Biodiversität (25 Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt finden sich in der CAN), insbesondere im Amazonasbecken (welches ein knappes Drittel der Fläche der Länder ausmacht), die Wasserressourcen (40 Prozent der Süßwasservorräte des Subkontinents) und die Meeresressourcen. Auch Bodenschätze sind reichlich vorhanden: 55 Prozent der Erdöl-, Erdgas- und Kohlvorkommen Lateinamerikas, 10 Prozent der weltweiten Kupfervorkommen.
Bevölkerung
Die Andengemeinschaft stellt einen kulturell und sprachlich vergleichsweise homogenen Raum dar. Zwar weisen die fünf Länder unterschiedliche Ureinwohner auf, jedoch verfügen sie alle über dieselbe (Amts-)Sprache (Spanisch) und einen ähnlichen historischen Hintergrund, da sie vor zwei Jahrhunderten – zu Zeiten Bolivars – in ein und demselben Staat lebten.
Auch bezüglich der Entwicklungstendenzen ähneln sich die Länder: Sie weisen alle ein eingedämmtes Bevölkerungswachstum (durchschnittlich 2 Prozent im Jahr), eine fortschreitende Verstädterung (70 Prozent der Andenbewohner leben in Städten) und eine relativ niedrige durchschnittliche Bevölkerungsdichte (23 Einwohne/km²).
Geschichte
Seit 1994 besteht zwischen den Mitgliedsländern (mit Übergangs- und Ausnahmeregelungen) eine Freihandelszone. Peru gehört dieser Freihandelszone bisher nicht an, könnte jedoch 2005 beitreten.
Literatur
- Kühn, Werner Miguel
Die Andengemeinschaft : juristische Aspekte der internationalen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und lateinamerikanischen Integrationssystemen im Zeitalter des neuen Regionalismus
Aachen : Shaker Verlag, 2003. - XLII, 292 S. - (Berichte aus der Rechtswissenschaft) Zugl.: Kiel, Univ., Diss., 2003
ISBN 3-8322-2102-6
- Winter, Johannes und Scharmanski, André
Sind die Andenstaaten unregierbar? Ursachen der politischen Krise in Bolivien, Ecuador und Peru.
In: Zeitschrift Entwicklungspolitik 14/2005, S. 30-34.