Gallo-römisches Heiligtum von Grand
Das gallo-römische Heiligtum von Grand ist dem gallisch-römischen Heilgott Apollon-Grannus geweiht. Es wurde im 1. und 2. Jahrhundert nach Christus errichtet und befindet sich auf dem Gemeindegebiet von Grand im Departement Vosges [1]in Frankreich. Die Peutingertafel über das römische Straßennetz führt das Heiligtum von Grand unter dem Namen Andesina [2]auf und zählt es zu den großen Thermen des Reichs.
Ortsbeschreibung und Geologie
Die Gemeinde Grand liegt 22 km westlich von Neufchâteau am äußersten Rand des Département Vosges an der Grenze zum Département Haute-Marne auf einem von Wäldern umgebenen Kalkstein-Plateau (siehe Ortsplan von Grand (Vosges)) . Das Wasser des Plateaus sammelte sich unterirdisch zuerst in einem Strömungsnetz und erschien in Form eines kleinen Teichs an der Oberfläche, verschwand dann wieder in einem Felsspalt und kam erst 3,5 km nördlich wieder als kleiner Flusses (heute „Maldite“[3] genannt, der Oberlauf des „Ornain“[4] ) wieder ans Tageslicht.[5]
Geschichte
Kelten/Gallier
Die geologischen Besonderheiten des verkarsteten Kalksteingebietes und der Quellteich zogen bereits die Gallier an. Sie schufenn hier eine Verehrungsstätte ihres Wassergottes Grannus, der vor allem im Nordosten Galliens hohes Ansehen als Heilspender genas (der frühere Name von Aachen lautet zum Beispiel Aquae Granni). Die römische Besatzungsmacht vereinigte diese keltische Gottheit deshalb ohne Schwierigkeiten mit Apollon, dem Gott der Weissagung und der Heilung, der nach Caesar die Krankheiten vertreibt.[5]
Römer
Die Römer errichteten an der Stelle der keltischen Grannus-Verehrung ihr gallo-römisches Heiligtum in den Jahren 70 bis 140 nach Christus. Das Heiligtum belegte eine Fläche von 70 Hektar innerhalb einer 1750 m langen Eingrenzung mit 22 Türmen und Toren.[6]
Fünfzehn Kilometer Wassertunnel treffen im Zentrum des Heiligtums (dem ehemaligen Quellteich) zusammen, wo der unterirdische Fluss zu Tage tritt. Das Leitungssystem hatte den Zweck, das Wasser des Quellflusses geregelt zu verteilen. Außerdem fand man 307 Brunnen auf dem Gebiet der Anlage.
Die Luftaufnahme der archäologischen Stätte von Grand zeigt eine kreisförmige Fläche von etwa 880 m Durchmesser, die vom heutigen steinernen Umfassungsweg des Dorfes begrenzt wird und deren Bezeichnung „Voie close“ [7]an seine frühere Bestimmung erinnert. Die Grenzlinie war entsprechend dem Pomerium antiker Kultstätten und Gemeinden lediglich durch einen hier und da von Statuen und Skulpturgruppen aufgelockerten einfachen Graben gekennzeichnet.[8]
Eine im Jahre 1935 auf der Grabungsstätte gefundene Votivabbildung bestätigt mit der Inschrift „somno jussus“ die Praxis des Tempelschlafs der Pilger, die die Nacht im Innern des Heiligtums verbrachten und in einem Traumzustand das Erscheinen des Gottes erwarteten. Man kann vorausgehende Reinigungs- und Wasserriten annehmen.


Berühmte Besucher
Der Kult des auf das gallische Gebiet übertragenen delphischen Apollo war von großer Bedeutung. Um 425 erinnerte der christliche Dichter Claudius Marius Victor [9] in seinem Bibelwerk Aletheia (3,204) daran, dass Apollo gekommen war, „um unter den Leuken [10] als Arzt wirken“. Und zwei Besuche von Kaisern innerhalb von hundert Jahren gaben der Pilgerfahrt nach Grand zusätzlichen Glanz und Berühmtheit.

Caracalla
Nach Cassius Dio (163-229) litt Kaiser Caracalla unter körperlichen und seelischen Beschwerden, zu deren Linderung er während seiner Regierungszeit (211-217) drei Stellen seines Imperium Romanum aufsuchte, die für heilenden Gottheiten bekannt waren. So kam er im Jahre 213 vermutlich in das Heiligtum von Grand. Die Annahme stützt sich auf folgende Textpassage [11]
„Aber keiner von den Göttern gab ihm eine Antwort, die zur Heilung seines Körpers oder seines Geistes führte, obwohl er die berühmtesten beehrte ... In der Tat, weder Apollon Grannus [in Grand], noch Asklepios [in Pergamon], noch Serapis [in Alexandria] kamen ihm zu Hilfe, trotz seiner vielen Bitten und seiner großen Beharrlichkeit“
Die neuere Forschermeinung hält es für möglich, dass sich die Textstelle bei Dio statt auf Grand auf das Heiligtum des Apollo-Grannus in Faimingen (Rhätien) bezieht. [12]
Eine von Jollois[13] gefundene und 1981 vervollständigte Inschrift weist mit „Antoninum“ allerdings auf Caracalla hin, dessen offizieller Kaisername „Marcus Aurelius Severus Antoninus“ lautete. Die Spenden des im Jahr 213 nach Grand gekommenen Kaisers an das Heiligtum sollen die Finanzierung des Mosaiks der Basilika und die Sanierung des westlichen Teils des Amphitheaters erlaubt haben.[5]

Konstantin der Große
Hundert Jahre nach Caracalla stattete Kaiser Konstantin der Große im Jahr 309 auf seiner Rückreise von Marseille über Lyon nach Trier „dem schönsten Heiligtum der Welt“ (templum toto orbe pulcherrimum) [5] einen Besuch ab.[14]
Saint Élophe, Sainte Libaire und die Erinnerung an das Heiligtum
Die Passionsgeschichten der nach der Überlieferung hingerichteten Märtyrer St. Élophe[15] und Sainte Libaire[16][17] (beides hagiographische Texte des Mittelalters) versuchen, die heidnischen Riten von Grand ins Christentum zu übertragen.

Das römische Amphitheater
Am Rande, aber noch innerhalb des heiligen Bezirks lag ein elliptisches etwa 150 m (500 römische Fuß) langes Amphitheater, das 16.000 Besuchern Platz bot. [18]
Das Basilikagebäude und sein Mosaik
Félix Voulot entdeckte 1883 das mit 232 Quadratmetern größte bis heute in Lothringen gefundene Mosaik. Es bedeckt den Boden der Basilika. Lange Zeit datierte man seine Entstehung in die Mitte des dritten Jahrhunderts, heute glauben einige Wissenschaftler, es könnte bereits in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts geschaffen worden sein.[19]
Das zentrale Motiv oder Emblem, von dem nur ein Drittel erhalten blieb, könnte eine Szene aus dem Stück Phasma (Das Gespenst) von Menander darstellen.[20]
Die Tierkreiszeichentäfelchen von Grand
1967 und 1968 wurden im Brunnen Nr. 77 vier Täfelchen aus Elfenbein gefunden, deren Inschriften (Diptychen) zwei lateinische Sinnsprüche ergaben und die anscheinend mit Absicht gebrochen worden waren.
Sie weisen auf die ägyptische Tradition am Ende der Ptolemäerzeit oder dem Anfang der römischen Herrschaft hin.[21]
Die Namen der Dekaden sind mit griechischen Buchstaben in die Alt-Koptische Sprache rückübersetzt. Eines der Diptychen ist im „Musée départemental des Vosges“ in Epinal zu sehen, das andere befindet sich im „Musée des Antiquités Nationales“[22] von Saint-Germain-en-Laye. Die Täfelchen zeugen vom orientalischen Einfluss, der sich besonders gegen Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christus in Gallien ausbreitete.[23]
Literatur
- Cassius Dio: Römische Geschichte, übers. von Otto Veh, 5 Bde., Artemis & Winkler, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-538-03103-6 (orig. 1985, mit einer neuen Einleitung versehen).
- Klaus Martin Girardet: Der Kaiser und sein Gott: Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen, Walter de Gruyter, 2010, ISBN 978-3-11-022788-8, S. 34 Kapitel Grand (Vogesen) - ein erster Schritt: die Hinwendung zu „Sol Invictus“ Onlineauszug
- B. Müller-Rettig: Der Panegyricus des Jahres 310 auf Konstantin des Großen. Übersetzung und historisch-philologischer Kommentar, Stuttgart 1990 sowie Das Heiligtum des Apollo Grannus in Grand (Vosges) in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend, 1993, S. 41-66* Cassius Dio: Römische Geschichte, übers. von Otto Veh, 5 Bde., Artemis & Winkler, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-538-03103-6 (orig. 1985, mit einer neuen Einleitung versehen).
- Oliver Schmitt: Constantin der Große (275–337). Kohlhammer, Stuttgart u. a. 2007, ISBN 978-3-17-018307-0 (aktuelle Darstellung, in der besonders die politische Geschichte Beachtung findet. Einige Einzelbewertungen Schmitts sind allerdings kaum haltbar; fachwissen. Besprechung).
- Les tablettes astrologiques de Grand (Vosges) et l'astrologie en Gaule romaine : actes de la table ronde du 18 mars 1992, organisée au Centre d'études romaines et gallo-romaines de l'Université Lyon III, De Boccard, 1993 (französisch)
- La mosaïque de Grand : actes de la table ronde de Grand, 29-31 octobre 2004 / études réunies par Jeanne-Marie Demarolle, Metz : Centre régional universitaire lorrain d'histoire, 2006 (französisch)
- Jean-Paul Bertaux: Le sanctuaire de l'eau de Grand, d'Apollon... à Sainte Libaire, Le Pays Lorrain, März 2006 (französisch)
- Jean-Noël Castorio: Le 'Pseudo-Marsyas' et le portrait présumé de Géta découverts à Grand (Vosges), Latomus 65, 3, 2006, p. 659-678, pl. VII-XIV. (französisch)
- Chantal Bertaux: Pèlerinage au sanctuaire de Grand in : Les tablettes astrologiques de Grand (Vosges) et l'astrologie en Gaule romaine : actes de la table ronde du 18 mars 1992, organisée au Centre d'études romaines et gallo-romaines de l'Université Lyon III, De Boccard, 1993, p. 25-38 (französisch)
- Jean-Pierre Martin: L'astrologie dans l'occident romain, les conditions de pénétration in : Les tablettes astrologiques de Grand (Vosges) et l'astrologie en Gaule romaine, table ronde du 18 mars 1992, De Boccard, 1993, p. 13-29 (französisch)
- Jean-Claude Goyon, L'origine égyptienne des tablettes décanales de Grand (Vosges), in : Les tablettes astrologiques de Grand (Vosges) et l'astrologie en Gaule romaine, table ronde du 18 mars 1992, De Boccard, 1993, p. 63-76 (französisch)
- Jean-Pierre Darmon: La mosaïque de Grand mise en perspective, in : La mosaïque de Grand (Das Mosaik von Grand) : actes de la table ronde de Grand, 29-31 octobre 2004, p. 91-118 (französisch)
- Jeanne-Marie Demarolle: La mosaïque de Grand (Das Mosaik von Grand) : actes de la table ronde de Grand, 29-31 octobre 2004 / études réunies par Jeanne-Marie Demarolle, Metz : Centre régional universitaire lorrain d'histoire, 2006 (französisch)
Weblinks
- Grand auf der Internetseite des Conseil Régional de Lorraine
- Bebilderter Artikel über das Heiligtum von Grand-Andésina
- Association Guillaume Budé - section orléanaise: Fiches de géographie littéraire - Grand
Einzelnachweise
- ↑ siehe Artikel Grand (Vosges) in der französischsprachigen Wikipedia
- ↑ siehe Abschnitt Andesina im Artikel Voie romaine Reims-Metz der französischsprachigen Wikipedia
- ↑ siehe Artikel Maldite in der französichsprachigen Wikipedia
- ↑ siehe Artikel Ornain in der französichsprachigen Wikipedia
- ↑ a b c d siehe Weblink Association Guillaume Budé - section orléanaise: Fiches de géographie littéraire - Grand
- ↑ siehe Literatur Jean-Paul Bertaux: Le sanctuaire de l'eau de Grand, d'Apollon... à Sainte Libaire
- ↑ siehe Erläuterung Claustrum=verschlossener Ort im Artikel Kloster
- ↑ siehe Literatur Chantal Bertaux: Pèlerinage au sanctuaire de Grand
- ↑ siehe Artikel Claudius Marius Victor in der französischsprachigen Wikipedia
- ↑ siehe Artikel Leuques in der französischsprachigen Wikipedia
- ↑ siehe Literatur Cassius Dio: Römische Geschichte
- ↑ Jeanne-Marie Demarolle: Caracalla consulte Apollon Grannus en 213; À Grand ou à Faimingen (Rhétie) ? in : La mosaïque de Grand : actes de la table ronde de Grand, 29-31 octobre 2004, p. 63-82 (französisch)
- ↑ siehe Artikel Jean-Baptiste Jollois in der französischsprachigen Wikipedia
- ↑ Panégyrique de Constantin, VII, 21, 3-4. " Le lendemain du jour où, informé de cette agitation, tu avais fait doubler les étapes, tu appris que tous ces remous étaient calmés et que la tranquillité était revenue, telle que tu l'avais laissée <à ton départ>. La fortune elle-même réglait toute chose de telle façon que l'heureuse issue de tes affaires t'avertit de porter aux dieux immortels les offrandes que tu leur avais promises <et que la nouvelle t'en parvint> à l'endroit où tu venais de t'écarter de la route pour te rendre au plus beau temple du monde, et même auprès du dieu qui y habite, comme tu l'as vu. Car tu as vu, je crois, Constantin, ton protecteur Apollon, accompagné de la Victoire, t'offrir des couronnes de laurier dont chacune t'apporte le présage de trente années" (Texte : Galletier, E., Panégyriques latins, II, VII, 21, l-4 ; Paris, Les Belles Lettres, 1952, p. 72)
- ↑ Bibliotheca Hagiographica Latina, 2482
- ↑ siehe Artikel Sainte Libaire in der französischsprachigen Wikipedia
- ↑ Bibliotheca Hagiographica Latina, 4903
- ↑ Siehe Hauptartikel Amphithéâtre de Grand in der französischsprachigen Wikipedia.
- ↑ Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen JeanneMarieDemarolle2006. - ↑ siehe Literatur Jean-Pierre Darmon: La mosaïque de Grand mise en perspective
- ↑ siehe Literatur Jean-Claude Goyon, L'origine égyptienne des tablettes décanales de Grand (Vosges)
- ↑ Siehe Artikel Musée des Antiquités Nationales in der französischsprachigen Wikipedia
- ↑ siehe Literatur Jean-Pierre Martin: L'astrologie dans l'occident romain, les conditions de pénétration