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Nemzeti Média- és Hírközlési Hatóság

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Die Nemzeti Média- és Hírközlési Hatóság (Staatliche Behörde für Medien und Nachrichtenübermittlung, kurz: NMHH) ist die nationale ungarische Medienbehörde. Durch Verfassungsänderung (die Regierungspartei Fidesz verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament) wurde diese seit 1. Januar 2011 mit weitreichenden Kompetenzen zur „Kontrolle“ sämtlicher in Ungarn verfügbarer Medien ausgestattet. Der Behörde obliegt es nun, alle Medienbeiträge auf „politische Ausgewogenheit“ und andere inhaltliche Ausprägungen zu kontrollieren. Bei Verstößen können hohe Geldstrafen verfügt werden. Nach Meinung von Beobachtern aus dem In- und Ausland wird die Pressefreiheit in Ungarn dadurch stark eingeschränkt.

Annamária Szalai, die Präsidentin der Behörde, wurde von Regierungschef Viktor Orbán persönlich auf eine Amtszeit von neun Jahren, das sind über zwei Legislaturperioden, vereidigt. Dies ist insofern bedeutsam, als dass die Behörde selbst bei einem etwaigen Regierungswechsel bei den nächsten Wahlen weiterhin in dieser Form tätig sein kann, da die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit der Behörde in der Verfassung verankert wurden und nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden können.

Geschichte

Bis 2010 oblag der NMHH die Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Medien. Am 21. Dezember 2010 verabschiedete das ungarische Parlament ein neues Mediengesetz, das am 1. Januar 2011 in Kraft trat, nachdem es von Staatspräsident Pál Schmitt am 30. Dezember 2010 unterzeichnet worden war. Das Gesetz hat zur Folge, dass die NMHH nicht mehr nur, wie bisher, öffentlich-rechtliche Medienangebote kontrolliert, sondern alle Beiträge aller Anbieter in Rundfunk, Fernsehen, Presse und Onlinemedien sowie in Ungarn verfügbare ausländische Medien.

Das erste Verfahren wurde von der Behörde am 1. Januar 2011 eingeleitet und richtete sich gegen den Radiosender Tilos Rádió. Beanstandet wurde das Abspielen des Songs „It’s on“ von Ice-T.[1][2]

Am 4. Januar leitete die Behörde ein Verfahren gegen den privaten Fernsehsender RTL Klub ein, da dessen Berichterstattung über einen brutalen Brudermord in einem südungarischen Dorf im Oktober 2010 angeblich „reißerisch“ und „für jugendliche Seher schockierend“ gewesen sei.[3]

Kompetenzen der Behörde

Die Behörde wurde per 1. Januar 2011 mit weitreichenden, zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet. Gleichzeitig wird die Behörde nicht mehr durch einen paritätisch (also durch alle im Parlament vertretenen Parteien) besetzten Vorstand geleitet, sondern ausschließlich durch Personen, die von der Regierungspartei Fidesz ernannt wurden.

Neuerungen seit 1. Januar 2011:[4][5]

  • der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird zusammengelegt und zentraler strukturiert.
  • die Behörde kann selbstständig Verordnungen erlassen, das Recht dazu wurde in der Verfassung verankert
  • Wegfall des Informantenschutzes: Journalisten haben seit Jahresbeginn 2011 kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr gegenüber ihrer Quelle, wenn davon die „nationale Sicherheit“ betroffen ist
  • die Behörde darf uneingeschränkt in Redaktionen ermitteln (Wegfall des Redaktionsgeheimnisses)
  • Die Behörde erhält umfangreiche Kontrollrechte über die Medien sowie die Inhalte ihrer Berichte und kann empfindliche Geldbußen (bis zu umgerechnet rund 750.000 Euro, bei Online-Medien bis zu 90.000 Euro [6] [7]) verhängen, wenn:
    • „nicht politisch ausgewogen“ berichtet wird
    • Medieninhalte die „nationale Sicherheit“ gefährden
    • die „Informationspflicht“ verletzt wird
  • Geschäftsführer von Medien können persönlich mit Geldbußen bedacht werden. Diese können zwar vor Gericht angefochten werden, können aber auch bereits vor Prozessende in Rechnung gestellt werden.

Organisation und Vorstand

Die nach Eigenangaben „autonom“[8] agierende, der Verfassung verpflichtete und der parlamentarischen Kontrolle unterworfene Behörde wird von einem fünfköpfigem Kontrollgremium geleitet. Alle fünf Mitglieder dieses Gremiums wurden jedoch durch die Regierungspartei Fidesz berufen. Die Präsidentin der Behörde, Annamária Szalai, wurde vom nationalkonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban persönlich für neun Jahre, also über mehr als zwei Legislaturperioden, ernannt. Zuvor war der Vorstand der Behörde paritätisch, also durch alle im Parlament vertretenen Parteien, besetzt.[7]

Kontroverse

Die OSZE übte starke Kritik an diesen Gesetzen, die nach Meinung der OSZE-Beauftragen für Medienfreiheit, Dunja Mijatović, eigentlich aus totalitären Regimen bekannt seien.[9][10] Am 30. Dezember 2010 reagierte Gergely Prőhle, früherer Botschafter Ungarns in Deutschland und derzeit Staatssekretär im ungarischen Außenministerium, im Deutschlandradio Kultur darauf und warf der internationalen Presse vor, eine missverständliche Diskussion über das neue Mediengesetz zu führen. Außerdem kündigte er an, Frau Mijatović zu einer offenen Diskussion nach Budapest einzuladen.[11]

Am 31. Dezember 2010 warnte der außenpolitische Sprecher der CSU im Europäischen Parlament, Bernd Posselt, vor vorschnellen Urteilen. Nach seiner Meinung gäbe es Staatsbehörden zur Medienkontrolle in ähnlicher Form auch in anderen Ländern.[12] Regierungschef Viktor Orbán nannte es «bedauerlich», dass die internationale Kritik «nichts Konkretes» enthalte, sondern «nur Befürchtungen und Drohungen».[12] Andere kritische Auffassungen vertritt dazu die deutschsprachige Online-Tageszeitung für Ungarn und Ostmitteleuropa Pester Lloyd^.[13]

Am 20. Dezember demonstrierten rund 1.500 Protesten nach Online-Aufrufen, unter anderem über die Facebook-Seite Egymillióan a magyar sajtószabadságért („Eine Million Menschen für die freie Presse“)[14], auf dem Budapester Freiheitsplatz gegen das neue Gesetz und die Einschränkung der Medien- und Redefreiheit.[15]

Die ungarische Tageszeitung Népszabadság druckte am 3. Januar 2011 als Protest auf ihrer Titelseite den Satz "In Ungarn wurde die Pressefreiheit aufgehoben" auf Ungarisch sowie den EU-Sprachen. Die deutsche Tageszeitung (taz) übernahm die Titelseite aus Solidarität.[16] Andererseits, zum Beispiel, Jan Mainka, der in Budapest eine deutsch-sprachige Wochenzeitung, die Budapester Zeitung herausgibt, hat einen offenen Brief zum Thema veröffentlicht und kritisiert den Inhalt und den Ton mancher deutschen Medienauffassungen. [17]

Am 5. Januar 2011 widersprach der ungarische Aussenminister János Martonyi Darstellungen, wonach das Mediengesetz Geldbussen wegen unausgewogener Berichterstattung vorsähe: "Es kann in diesem Fall keine Geldstrafe auferlegt werden."[18]

Hunderte ungarische Schriftsteller haben eine Protesterklärung unterschrieben: Das neue ungarische Mediengesetz stellt die Zensur wieder her, missachtet das Prinzip der Gewaltenteilung, widersetzt sich mit allen Mitteln den Grundprinzipien der Demokratie und dem Geist der Freiheit.[19][20]

Einzelnachweise

  1. Medienbehörde statuiert Exempel
  2. Verfahren gegen Sender wegen Rap-Songs, 20 min, 1. Januar, 2011
  3. Ungarn: Verfahren gegen deutsche RTL-Tochter (derStandard.at, abgerufen am 4.1.2011)
  4. Ungarn zensiert, Europa schweigt, Zeit-Online, 22. Dezember 2010, abgerufen am 22. Dezember 2010
  5. Merkel prangert Ungarns Medienmaulkorb an, Stern-Online, 22. Dezember 2010, abgerufen am 22. Dezember 2010
  6. Angst vor der Orbanisierung, Der Spiegel, Nr. 52/2010, S.118
  7. a b Hamburger Abendblatt: Medien-Maulkorb – Pressefreiheit gefährdet: Ungarn protestieren gegen Mediengesetz. 22. Dezember 2010
  8. National Media and Infocommunications Authority: www.nmhh.hu – About Us (englische Version, abgerufen am 1. Januar 2011)
  9. Kritik der OSZE
  10. Welt.de, Rechtsnationale Regierung verschärft Medienkontrolle, 21. Dezember 2010
  11. Ungarischer Staatssekretär Pröhle verteidigt umstrittenes Mediengesetz, dradio.de, abgerufen am 30. Dezember 2010]
  12. a b Ungarns Mediengesetz bleibt in EU umstritten, Financial Times Deutschland, 31. Dezember, 2010
  13. pesterlloyd.net
  14. Facebook-Seite Egymillióan a magyar sajtószabadságért
  15. ORF online:Europaweite Kritik an neuem Mediengesetz. 24. Dezember 2010
  16. taz-Hausblog: In Ungarn wurde die Pressefreiheit aufgehoben, 3. Januar 2011
  17. «Offener Brief zum Mediengesetz», 11. Januar 2011, abgerufen am 19. Januar 2011
  18. Ungarn signalisiert Gesprächsbereitschaft
  19. Süddeutsche Zeitung: Michel Frank: Es stellt Zensur wieder her. Untertitel: Das ganze Ausmaß des neuen ungarischen Mediengesetzes, Printausgabe 11. Januar 2011, Seite 15
  20. SZ online:"Es stellt Zensur wieder her", 11. Januar 2011