Bahnstrecke Waiblingen–Schwäbisch Hall-Hessental
Die Murrbahn – historisch auch als Murrtalbahn bezeichnet – ist eine Hauptbahn in Baden-Württemberg und Teil der kürzesten Eisenbahnverbindung zwischen Stuttgart und Nürnberg.
Sie beginnt am Bahnhof Waiblingen und verläuft zwischen Backnang und Fornsbach durch das obere Tal der Murr. Die später eröffnete sogenannte „kleine Murrbahn“ verläuft hingegen am unteren Teil der Murr.
Im weiteren Verlauf folgt die Murrbahn bis Gaildorf der Rot, anschließend bis Schwäbisch Hall dem Kocher. Dort ist sie im Ortsteil Hessental mit der Hohenlohebahn von Crailsheim nach Heilbronn verknüpft. Die Bahn weist als KBS 785 den ganzen Verlauf von Stuttgart bis Crailsheim aus.
Die Murrbahn ist auf dem ersten Teilstück in die S-Bahn Stuttgart integriert, bis Backnang verkehrt die Linie S3. Der Abschnitt bis Backnang ist dabei zweigleisig ausgebaut, die restliche Strecke bis Schwäbisch Hall-Hessental ist eingleisig.
Geschichte
Mit der Murrtalbahn schufen die Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen, zusammen mit der gleichzeitig gebauten Gäubahn Stuttgart–Freudenstadt, eine Diagonalverbindung durch Württemberg. Planung und Bau der Strecke oblagen Oberbaurat Carl Julius Abel. Mit ihr sollte die Verbindung aus Nürnberg über Crailsheim nach Stuttgart gegenüber den bereits bestehenden Strecken über Aalen bzw. Heilbronn verkürzt werden.
Am 26. Oktober 1876 wurde der Streckenabschnitt Waiblingen–Backnang eröffnet, am 11. April 1878 der Abschnitt Backnang–Murrhardt, am 1. Dezember 1879 der Abschnitt Hessental–Gaildorf, und am 15. Mai 1880 konnte die Lücke zwischen Murrhardt und Gaildorf geschlossen werden.[1] Auf dem letzten Abschnitt war der Bau zweier Tunnel erforderlich.
Für den Abzweig zur Murrbahn musste der vorhandene Bahnhof in Waiblingen aufgegeben und etwas westlich in Form eines Keilbahnhofs neu angelegt werden. Nachteilig war die gewählte Streckenführung für die Stadt Schwäbisch Hall, da die Verbindung Stuttgart-Nürnberg nur über den Vorortbahnhof Schwäbisch Hall-Hessental realisiert werden konnte, da der Abschnitt Hessental–Crailsheim schon 1867 als Teil der Kocherbahn in Betrieb genommen worden war. Die Mehrzahl der Züge fährt von Crailsheim über Hessental in Richtung Backnang und Stuttgart, der geringere Teil über die Hohenlohebahn durch Schwäbisch Hall.
Um für den Güterverkehr eine weiträumige Umfahrungsmöglichkeit des Knotens Stuttgart zu schaffen, wurde 1879 eine Zweiglinie von Backnang über Marbach nach Bietigheim gebaut, die sogenannte „kleine Murrbahn“.

Dass die Strecke eingleisig blieb, geht auf den Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg zurück – ein zweigleisiger Ausbau wurde aus strategischen Gründen durch Frankreich untersagt. Auf der Remsbahn dagegen war der zweigleisige Ausbau schon 1910 bis Gmünd erfolgt, 1926 durchgehend bis Aalen bzw. Goldshöfe.
Rückgrat der Zugförderung auf der Murrbahn war nach dem Ersten Weltkrieg bis 1975 die berühmte preußische „P 8“, die nach dem Ende der Länderbahnen zur Baureihe 38 wurde.
Am 22. Dezember 1934 kam es zwischen Murrhardt und Sulzbach auf der Höhe von Schleißweiler aufgrund eines Signalfehlers zu einem schweren Eisenbahnunglück. Auf der eingleisigen Strecke stießen zwei Züge aufeinander, zehn Menschen starben dabei.
1937 fuhr der „Fliegende Stuttgarter“, ein mit dem Fliegenden Hamburger vergleichbarer Zugtyp, auf der Strecke, der einzige Schnellzug auf einer eingleisigen Strecke.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges beabsichtigte die SS die Sprengung des Schanztunnels zwischen Fornsbach und Fichtenberg. Das kurz vor der Ausführung stehende Vorhaben wurde jedoch durch das beherzte Eingreifen des Gaildorfer Bürgermeisters verhindert, der eine wirtschaftliche Abkoppelung seiner Region befürchtete.
Von 1962 bis 1965 wurde der Abschnitt Waiblingen–Backnang elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut. Hierzu musste das Viadukt über die Rems zweigleisig ausgebaut werden. In Schwaikheim wurde neben dem alten eingleisigen Tunnel ein neuer zweigleisiger Tunnel gebaut. Dieser wurde komplett betoniert anstatt gemauert; es war der erste Tunnel in Deutschland, der in dieser Technik erstellt wurde. Von der Elektrifizierung profitierten zunächst nur die Nahverkehrszüge, die hauptsächlich als Wendezug bespannt mit der Baureihe 141 verkehrten. Züge des Fernverkehrs sowie die meisten Eilzüge fuhren bis Stuttgart weiterhin mit Dampf-, später mit Diesellokomotiven bespannt, da sich ein Lokomotivwechsel in Backnang von der Fahrzeit her gesehen nicht lohnte.
1976 endete auch auf dieser Strecke das Zeitalter der Dampflokomotive, zum Einsatz kamen nun Diesellokomotiven der Baureihen 211/212 im Nahverkehr, im Fernverkehr zunächst 220, später 215 und 218, letztere vor langen Zügen teilweise in Doppeltraktion.
In den 1970er Jahren begannen an der Murrbahn, wie an anderen Strecken auch, verschiedene Rückbaumaßnahmen. Man baute Nebengleise für den Güterverkehr ab, auf dem Abschnitt zwischen Backnang und Crailsheim ließ man zahlreiche Bahnhöfe und Haltepunkte auf. Gleichzeitig wurde hier das Nahverkehrs-Zugangebot ausgedünnt, so dass fast nur noch Eilzüge verkehrten. Mit der Elektrifizierung der Strecke von Goldshöfe über Crailsheim nach Ansbach 1985 verlor die Murrbahn auch den kompletten Fernverkehr, der nunmehr die längere Remsbahn über Aalen befährt.
Im Herbst 1981 begann der S-Bahn-Verkehr der Linie S3 zwischen Backnang und Stuttgart; damit einher ging die Einführung eines Taktverkehrs bis Backnang und eine Verbesserung des Verkehrsangebots.


1996 wurden auch die Strecke Marbach–Backnang sowie die Streckenabschnitte Backnang–Schwäbisch Hall-Hessental der Murrbahn und Schwäbisch Hall-Hessental–Crailsheim der Hohenlohebahn elektrifiziert sowie der Bahnhof Fornsbach zum Haltepunkt zurückgebaut.[2] Anschließend wurden alle Bahnsteige bis auf Fornsbach saniert. Nach dem Ausbau verkehrten mehr Nahverkehrszüge auf der Strecke, ebenso zeitweise auch wieder vereinzelte Fernzüge.
Vom 24. April bis zum 15. Oktober 2009 wurden aufgrund der Streckensperrung der Remsbahn zwischen Aalen und Schorndorf die InterCity-Züge der Linie IC 61 Nürnberg–Stuttgart–Karlsruhe über die Murrbahn umgeleitet. Die Städte Schwäbisch Hall und Backnang wurden dadurch vorübergehend zu IC-Halten.
Aus- und Umbau
Im Jahr 2004 sagte die DB einen weiteren Streckenausbau zu, der ein zweites Gleis im Abschnitt Oppenweiler–Sulzbach, eine Doppelgleisinsel bei Fornsbach und einen Ausbau der Signaltechnik umfasst hätte. Dies hätte auf der Verbindung Schwäbisch Hall–Stuttgart die Fahrtzeit um 10 Minuten (insbesondere durch Wegfall der Wartezeit in Murrhardt) verkürzt. In Folge der Kürzungen der Regionalisierungsmittel im Rahmen des „Koch-Steinbrück-Papiers“ wurde der Ausbau Oppenweiler–Sulzbach Ende 2004 jedoch wieder zurückgezogen[3]. Ebenso wurde im Zuge der Streichung von Mitteln für den Nahverkehr durch den Bund im Juni 2007 die Personenverkehrsleistung um ca. 131.000 Zugkilometer jährlich reduziert.
Der Verband Region Stuttgart untersucht die Möglichkeiten, den S-Bahn-Betrieb nach Murrhardt zu verlängern. Dieses Vorhaben steht in Konkurrenz mit der Möglichkeit einer Verbesserung des Regionalexpress- und Regionalbahn-Angebots auf diesen Strecken.[4]
Im Zuge der Baumaßnahme „Wiedereinrichtung Kreuzungsbahnhof Fornsbach“[5] soll die Zugkreuzungsmöglichkeit in Fornsbach mit leicht verschobener Bahnsteiglage (120 m näher an der Siedlung, zwei Außenbahnsteige mit Unterführung einschließlich Einbau eines Überholgleises) neu hergestellt werden. Ziel ist es, die Ausweichstelle der eingleisigen Linie Backnang - Schwäbisch Hall-Hessental vom Bahnhof Murrhardt in den knapp 5 Kilometer entfernten Bahnhof Fornsbach zu verlegen, wodurch ca. 10min Wartezeit eingespart und ein integraler Taktfahrplan ermöglicht werden soll. Das Anhörungsverfahren im Rahmen der Planfeststellung[6] ist abgeschlossen, der ca. 12 Mio. Euro teure Bau soll im Sommer 2011 beginnen. Mit der Inbetriebnahme wird im Jahr 2012 gerechnet.[7]
Bauwerke

- Remsviadukt bei Neustadt
- Schwaikheimer Tunnel bei Schwaikheim: Für den zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung des Abschnitts Waiblingen–Backnang für den S-Bahn-Verkehr musste der eingleisige Tunnel durch einen Neubau ersetzt werden. Er entstand von 1963 bis 1964, wobei erstmals im Eisenbahnwesen die Spritzbetonbauweise zur Anwendung kam. Der alte Tunnel besteht nach wie vor und ist vermauert.[8]
- Viadukt über die Weißach in Backnang
- Schanztunnel bei Fichtenberg, 860 m lang. Der Schanztunnel war nach dem Hochdorfer und dem Weinsberger Tunnel drittlängster Tunnel im Streckennetz der K.W.St.E.[9] Aufgrund des im Berginnern im Gipskeuper vorhandenen Anhydrits quillt das Tongestein bei Wassereintritt, wodurch sich die Tunnelsohle hebt. Wiederholt mussten deshalb insgesamt vier Meter (Stand: 2006) Erdreich (lotrecht gemessen) abgetragen werden.[10]
- Kappelesberg-Tunnel bei Gaildorf
- Viadukt über die Bühler bei Vellberg
Betrieb

Auf der Murrbahn verkehren derzeit werktags die folgende Zuggattungen:
- S-Bahn-Züge der Linie S3 von Flughafen über Stuttgart–Waiblingen nach Backnang
- Stündlich Regional-Express-Züge ab Stuttgart, die bis Backnang nur in Bad Cannstatt, Waiblingen und Winnenden halten. Ihre Endstation ist, zweistündlich alternierend, Hessental bzw. Crailsheim oder Nürnberg.
- ein IRE-Paar zwischen Stuttgart und Crailsheim über Backnang
Für die IRE und RE werden ausschließlich n-Wagen der ältesten Bauserie eingesetzt.[11]
Auf den am Wochenende verkehrenden RBs zwischen Backnang und Schwäbisch Hall wird ein ET 425 eingesetzt.
Am 9. Dezember 2006 fuhr – mit Ausnahme von Umleitungsverkehren – der letzte Fernverkehrszug auf der Murrbahn, der D-Zug aus Nürnberg nach Stuttgart (mit Kurswagen aus Dresden und Prag). Aufgrund der Kürzungen der Regionalisierungsmittel sind einige Züge gestrichen worden, darunter auch die Regionalbahnen zwischen Backnang und Murrhardt sowie am Wochenende einige Regionalexpress-Züge der Relation Stuttgart–Schwäbisch Hall-Hessental. Die Kürzungen wurden zum Fahrplanwechsel im Dezember 2007 teilweise wieder rückgängig gemacht.
Streckensperrung im Sommer 2010
Von Mitte Juli bis Ende September 2010 wurden insgesamt 14 Weichen und 25 Kilometer Gleis zwischen Backnang und Schwäbisch Hall-Hessental erneuert. Bei den umfangreichen Gleisbauarbeiten wurden für rund 10 Millionen Euro 30.000 Schwellen und 40.000 Tonnen Schotter ausgetauscht. Der Bahnhof Fichtenberg verlor – ohne nennenswerte Reduktion der Länge des Gleises an der Ladestraße, dieses ist nun nur noch einseitig angeschlossen – drei Weichen; im Bahnhof Gaildorf West wurde der Güterbereich umgebaut. Vom 28. Juli bis 12. September fand kein durchgehender Zugverkehr zwischen Backnang und Schwäbisch Hall-Hessental statt.[12][13]
Weblinks
- Schienenstraenge.de (private Website mit Streckenbeschreibung und Bildern)
- Murrbahn-Online (private Website mit Bildern)
- Schwaikheimer Eisenbahngeschichte (Website des Heimatvereins Schwaikheim)
- KBS785.de – Die Seite rund um die Murrbahn (private Website mit Bildern)
- Tunnelportale der Murrbahn
- Güterzugfahrzeiten für die Murrbahn
- Kursbuchauszug von 1944
- Murrtal-Express-Dampfzug des DBK Historische Bahn e. V.
Einzelnachweise
- ↑ einhorn, Illustrierte Zeitschrift zur Pflege des Heimatgedankens in Stadt und Kreis Schwäbisch Gmünd. Nr. 47. Schwäbisch Gmünd 1961 (8. Jahrgang), S. 138.
- ↑ Erläuterungsbericht zum Planfeststellungsbeschluss "Wiedereinrichtung Kreuzungsbahnhof Fornsbach" vom April 2010, Kapitel 2,4 S. 7, http://www.rp.baden-wuerttemberg.de/servlet/PB/show/1316284/rps-ref24-pfv-dbfornsb-02.pdf (Download am 27. September 2010)
- ↑ Stuttgarter Zeitung vom 21. Oktober 2004
- ↑ Im Nordosten der Region, www.s-bahn-region-stuttgart.de, abgerufen 18. August 2009
- ↑ http://www.rp-stuttgart.de/servlet/PB/menu/1316301/index.html
- ↑ http://www.rp-stuttgart.de/servlet/PB/menu/1322794/index.htm
- ↑ http://www.lange-spd.de/wahlkreis/fr-den-wahlkreis/
- ↑ Quelle zum Schwaikheimer Tunnel: Günter Dutt: Ein Streifzug durch 150 Jahre Tunnelbauwerke in Württemberg. In: Jahrbuch für Eisenbahngeschichte. Nr. 28. Uhle & Kleimann, 1996, ISSN 0340-4250, S. 47–63.
- ↑ Albert Mühl, Kurt Seidel: Die Württembergischen Staatseisenbahnen. Theiss, Stuttgart 1980, ISBN 3-8062-0249-4, S. 264.
- ↑ Quelle zum Anhydrit im Schanztunnel: Theo Simon: Gesteine, Böden, Landschaft. In: Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald. 4. Auflage. Schwäbischer Albverein, Stuttgart 2006, ISBN 3-8062-2033-6, S. 30–31.
- ↑ Vorstoß für modernen ÖPNV, Rems-Murr-Kreis, abgerufen 19. November 2008
- ↑ Umfangreiche Gleisbauarbeiten auf der Murrbahn
- ↑ Deutsche Bahn modernisiert während der Sommerferien die Murrbahn zwischen Backnang und Schwäbisch Hall-Hessental in zwei Bauphasen