Marco Polo
Marco Polo (* ca. 1254 [1] vermutlich in Venedig [2][3][4][5]; † 8. Januar 1324 ebenda) war ein venezianischer Händler (vgl. Wirtschaftsgeschichte der Republik Venedig), dessen Familie wohl ursprünglich aus Dalmatien stammte und der durch die Berichte über seine China-Reise bekannt wurde. Obwohl einzelne Geschichtswissenschaftler aufgrund von falschen Angaben und vermeintlichen Ungereimtheiten in den Reiseberichten immer wieder Zweifel an der Historizität seiner China-Reise geäußert haben, wird diese von den meisten Historikern als erwiesen angesehen.[6][7][8]
Vorgeschichte

Bevor die Polos nach Asien zu den Mongolen aufbrachen, hatten schon der Mönch Johannes de Plano Carpini im Auftrag von Papst Innozenz IV. und später auch Wilhelm von Rubruk im Auftrag von König Ludwigs IX. jeweils eine solche Reise in offizieller Mission angetreten. Nach ihrer Rückkehr verfassten sie jeweils eigene Reiseberichte.[9]
Die Reise seines Vaters und Onkels
Marco Polos Vater Niccolò und sein Onkel Maffeo (auch Maffio oder Matteo), beide Juwelenhändler aus Venedig, brachen 1260 zu einer Reise auf, um am Unterlauf der Wolga Edelsteine zu verkaufen. Über Konstantinopel gingen sie nach Sudak (= Soldaia) auf der Krim, wo Marco der Ältere, der dritte der Brüder Polo, ein Kontor betrieb. Somit reisten sie nahezu auf derselben Route, die auch Wilhelm von Rubruk 1253 für seine Mission gen Osten wählte. Nach ihrem Zwischenaufenthalt gelangten sie in das Gebiet, das damals von der Goldenen Horde beherrscht wurde, und hielten sich etwa ein Jahr in der Nähe des Dschingis-Khan-Enkels Berke Khan an der Wolga auf. Anschließend wurden sie durch die dort noch herrschenden Kriegswirren immer weiter gen Osten über den Fluss Ural und entlang der Seidenstraße (nördlicher Abzweig nach Südrussland) bis nach Buchara verschlagen.
Da sie durch Kriegsfolgen an einer Rückreise gehindert waren, verblieben sie dort drei Jahre und schlossen sich schließlich einer persischen Gesandtschaft an, die auf dem Weg zum Großkhan Kubilai war. In den Wintermonaten 1266 trafen sie nach einjähriger Reisezeit am Hofe des Mongolenherrschers in Peking (früherer Name: Khanbaliq, bei Marco Polo: Kambaluk) ein, wo sie vom Khan willkommen geheißen wurden. Dieser schenkte den Polos drei goldene Täfelchen, sogenannte Païzas, die sicheres Geleit und freie Versorgung im Gebiet des Großkhans garantierten. Vom Großkhan wurden sie beauftagt, dem Papst eine Botschaft zu überbringen, mit der Bitte, ihm gesalbtes Öl aus dem Jesusgrab in Jerusalem und etwa einhundert christliche Gelehrte zum Verbreiten des Evangeliums unter seinen Untertanen zu schicken. So traten die Polos die Rückreise nach Venedig an, wo sie um 1269 eintrafen. In der Zwischenzeit hatten mehrere Nachfolger den jeweils verstorbenen Papst abgelöst, aktuell hatte eine Nachfolgewahl begonnen, und auch Marco Polos Mutter war gestorben.
Eigene Reise
Richtung vorderer Orient


Papst Clemens IV., der sich nie in Rom aufgehalten hatte, starb am 29. November 1268 in Viterbo (Italien). Wegen anhaltender Uneinigkeit im Kardinalskollegium dauerte die päpstliche Sedisvakanz bis September 1271. Doch die Polos wollten nicht länger auf ein für sie nicht absehbares Ende der Papstwahl warten, und beschlossen daher, auch ohne päpstlichen Auftrag oder Botschaft erneut die Reise zum Großkhan anzutreten, um diesen nicht länger auf die Erfüllung seiner Wünsche warten zu lassen. Noch vor dem Ende der Sedisvakanz brachen Niccolò und Maffeo Polo 1271 wieder auf und nahmen den siebzehnjährigen Marco mit.
In Akkon betrat dieser zum ersten Mal den Boden Asiens. Hier eräuterten die drei Polos dem dortigen päpstlichen Legaten und Archidiakon von Lüttich, Tedaldo Visconti da Piacenza, den Sinn und Zeck ihrer Reise und baten ihn zunächst darum, nach Jerusalem weiterreisen zu dürfen, da der Mongolenherrscher Niccolò und Maffeo Polo auf ihrer ersten Asienreise gebeten hatte, ihm Öl aus der Lampe des Heiligen Grabes mitzubringen. Mit der gewünschten Erlaubnis reisten die Polos zunächst nach Jerusalem, wo sie das erbetene Öl ohne Probleme besorgen konnten und kamen anschließend nach Akkon zurück.[10] Nunmehr übergab der Legat den Reisenden einen Brief an den Großkhan, in dem bezeugt wurde, dass die Brüder sich aufrichtig bemüht hatten, ihren Auftrag beim Papst zu erfüllen, dieser jedoch verstorben war und ein neues Oberhaupt der christlichen Kirche noch immer nicht gewählt sei. Auf ihrer anschließenden Weiterreise waren sie schon an der Küste Anatoliens in Laias (Iskenderun / Alexandretta [11]) angekommen, als sie erfuhren, daß der Legat nunmehr als Papst Gregor X. gewählt worden war und es erreichte sie dort auch ein Schreiben des neu gewählten Papstes, in dem sie aufgefordert wurden, unverzüglich nach Akkon zurückzukehren. Gregor X., der sich zum Zeitpunkt seiner Wahl als Kreuzfahrer in Palästina aufhielt, beauftragte dort die Polos nunmehr offiziell als Kirchenoberhaupt, ihre Reise zum Großkhan fortzusetzen, um diesen zum Christentum zu bekehren und als Bündnispartner gegen den Islam zu gewinnen. Dafür wurden ihnen zwei italienische Mönche (Bruder Nicolao von Vicenza und Bruder Wilhelm von Tripolis [12]) mitgegeben, die als gelehrte Männer und kenntnisreiche Theologen galten, auf der wieder aufgenommenen Reise in Richtung Asien jedoch bald umkehrten. Anschließend ging es über die den jungen Polo durch ihre bunten Basare beeindruckende Stadt Täbris weiter nach Saweh. Nach Marco Polo waren hier die heiligen drei Könige begraben. Von dort führte sie ihre Reise in die Oasenstadt Yasd, die mit durch Qanaten aus den Bergen hergeleitetem Wasser gespeist wurde. Marco Polo berichtete aus dieser Stadt, dass die dort hergestellten und Jasdi genannten Seidenstoffe von den ansässigen Kaufleuten mit gutem Gewinn veräußert würden.
Die Reise führte die Polos danach nach Kerman, wo die Juwelenhändler ihre Pferde wahrscheinlich gegen robustere Kamele eintauschten. Nächste Reisestationen waren Rajen, eine Stadt der Schmiede und Herstellungsort kunstvoller Stahlerzeugnisse, und Qamadin, die Endstation einer Route, auf der Pfeffer und andere Gewürze aus Indien herbeigeschafft wurden. Über diese heute zerstörte Stadt schrieb Marco Polo, dass sie oft von den aus Zentralasien eindringenden Tataren verwüstet worden sei. Der anschließende Besuch der Stadt Hormus, des heutigen Minab mit seinem mittlerweile versandeten Hafen, hinterließ bei Marco Polo einen starken Eindruck, denn dort wurden Gewürze, Edelsteine, Perlen, Seidenstoffe und Elfenbein umgeschlagen.
Über Umwege nach Asien
Von hier aus wollten die Handelsreisenden eigentlich über den Seeweg nach China aufbrechen, doch ließ sie der schlechte Zustand der Schiffe in Hormus von ihren Plänen Abstand nehmen. Durch die jetzt notwendigen erheblichen Umwege gelangte Marco Polo 1273 bis vor die Ruinen der Stadt Balch. Die Stadt soll durch die Truppen Dschingis Khans zerstört worden sein. Marco Polo schrieb dazu: „Es standen hier herrliche Paläste und prächtige Marmorvillen, aber heute sind es Ruinen“. Auch in der Stadt Taluquan machten sie halt – Marco Polo beschreibt die Umgebung der Stadt als „sehr schön“. Ihm gefallen besonders die goldgelben Reisfelder, die Pappelalleen und die Bewässerungskanäle. Die Stadt Faisabad war damals berühmt für ihre blaugrünen Lapislazuli-Edelsteine, angeblich die feinsten Lapislazuli der Welt.
Die weitere Reise führte über die Städte Eschkaschem, Qala-e Pandscha, 1274 über die am Westrand der Sandwüste Taklamakan gelegenen Stadt Kaschgar weiter entlang der Südroute der sich dort aufzweigenden Seidenstraße auch zur Oasenstadt Nanhu. Marco Polo berichtet hier von „Geistern, die einen Nachzügler fortlocken konnten, indem sie ihn mit Stimmen riefen, die denen seiner Gefährten täuschend ähnelten. Und nicht selten meinte man, verschiedene Musikinstrumente, besonders Trommeln, zu vernehmen“. Heute wird als Ursache für solche Sinnestäuschungen der durch die Dünen wehende Sand oder pfeifender Wüstenwind angenommen.
In China
Die Stadt Shazhou, heute Dunhuang, war ein bedeutender Knotenpunkt der damaligen Handelsstraßen, da dort auch die Süd- und Nordroute zur Umgehung der Wüste Taklamakan wieder zusammentrafen. Marco Polo, der nun endgültig chinesisches Land erreicht hatte, sah seinem Bericht nach in dieser bedeutenden Oasenstadt erstmals eine große Zahl von Chinesen, die sich damals in einem der größten buddhistischen Zentren Chinas angesiedelt hatten. Die Reisegruppe durchquerte anschließend die Städte Anxi, Yumen, Zhangye und kam 1275 in Schangdu (Schang-tu) als ihrem eigentlichen Reiseziel an. Dort traf Marco Polo Kublai Khan, den großen Herrscher der Mongolen und Enkel von Dschingis Khan, in seiner Sommerresidenz. Kublais Reich erstreckte sich damals von China bis in das Gebiet des heutigen Irak und im Norden bis nach Russland. Die drei Handelsreisenden ließen sich anschließend unter der Obhut des Herrschers hier bis 1291 nieder.
Als Präfekt des Kublai Khan
Der Großkhan fand Gefallen an dem jungen Europäer und ernannte ihn zu seinem Präfekten. Als solcher durchstreifte Marco Polo China über mehrere Jahre nach allen Himmelsrichtungen. Dabei gelangte er über die Städte Daidu und Xi’an in die Stadt Dali, wo die Leute, damals wie heute, rohes Schweinefleisch mit Knoblauch und Sojasoße essen. Seinem Bericht zufolge kam Marco Polo das offenbar ziemlich „barbarisch“ vor, da er selbst ja aus einer Kultur stammte, die solche Essgewohnheiten nicht kannte. Über die Stadt Kunming reiste er weiter nach Yangzhou, dem damaligen Sitz der Regionalregierung. In den zahlreichen Handwerksbetrieben dieser Stadt wurden Harnische für die Armee des Khan hergestellt. Anschließend berichtet Marco Polo von der Ankunft in seiner Lieblingsstadt Quinsai, dem heutigen Hangzhou. Er schwärmt von prächtigen Palästen und öffentlichen Warmbädern sowie vom Hafen, in dem Schiffe aus ganz Asien einliefen und Gewürze, Perlen und Edelsteine ausluden. Später wird auch erstmals Japan unter dem Namen Cipangu erwähnt.
Als unruhige Zeiten auszubrechen drohten, wollten die Polos zurück nach Venedig reisen. Trotz ihrer Bittgesuche ließ der Großkhan sie nicht ziehen, da sie ihm inzwischen eine wertvolle Stütze geworden waren. Zu diesem Zeitpunkt erschienen drei persische Diplomaten mit ihrem Gefolge am Hofe Kubilai Khans und baten um eine Braut für den Khan des persischen Il-Khanats. Der Mongolenherrscher bestimmte eine siebzehnjährige Prinzessin zur Vermählung, die nach Persien geführt werden sollte. Da der Landweg zu gefährlich war, ergriffen die Kaufleute diese Gelegenheit und schlugen dem Großkhan vor, die Prinzessin zusammen mit den Diplomaten auf dem Seeweg sicher nach Persien zu geleiten. Widerstrebend nahm dieser schließlich das einzig aussichtsreiche Angebot an und erlaubte ihnen damit letztlich die Heimreise.
Rückkehr
Die Rückreise nach Venedig auf dem Seeweg begann 1291 im Hafen von Quanzhou, einer kosmopolitischen Stadt mit Niederlassungen aller wichtigen Religionen. Sie erfolgte auf 14 Dschunken mit insgesamt 600 Passagieren, von denen am Ende nur 17 überlebten. Auf den Zwischenstationen in Sumatra und Ceylon (heute Sri Lanka) beschrieb Marco Polo die dortigen Kulturen. Nach 18 Monaten der Weiterfahrt erreichte das Schiff den persischen Hafen Hormus. Später am Schwarzen Meer im Kaiserreich Trapezunt, dem heutigen Trabzon, konfiszierten die dortigen Beamten von den Seefahrern etwa 500 Kilogramm Rohseide, die die Polos mit nach Hause bringen wollten.
1295 erreichten die Reisenden schließlich die Republik Venedig und sollen zunächst von ihren Verwandten nicht erkannt worden sein. Angeblich gaben sie sich dadurch zu erkennen, dass sie sich die Säume ihrer Kleidung aufschnitten und die mitgebrachten Edelsteine hervorholten.
Nach der Reise

Von seinem anschließenden Aufenthalt in Venedig ist heute nicht viel bekannt. Sicher ist, dass er drei Töchter hatte, zwei Prozesse wegen Kleinigkeiten führte und im Stadtteil San Giovanni Crisòstomo ein kleines Haus unter dem Namen „corte del Milion“ erwarb. Nach dem Zeitgenossen und ersten Biographen Jacopo d'Aqui gab damals die Bevölkerung Marco Polo diesen Namen, da er unaufhörlich von den Millionen des großen Khan und seinem eigenen Reichtum redete.[13]
Nach Angaben des Chronisten und Biographen Giovan Battista Ramusio nahm Marco Polo einige Zeit später als Flottenkommandant an einem Seekrieg teil, in den Venedig schon seit Jahren mit seinem Erzrivalen Genua verstrickt war.[13] In der Seeschlacht bei Curzola führte er 1298 eine venezianische Galeere und geriet dabei in genuesische Gefangenschaft, in der er bis Mai 1299 festgehalten wurde. Hier wurde er angeblich von dem auch als Autor von Ritterromanen bekannten Mitgefangenen Rustichello da Pisa gedrängt, diesem den Bericht seiner Fernost-Reise zu diktieren. Das Ergebnis ging in die Literaturgeschichte ein als Le divisament dou monde (französisch unter dem Titel Le Livre des merveilles du monde „Das Buch von den Wundern der Welt“).
Der „Marco Polo“ wurde in den nachfolgenden zwei Jahrhunderten sehr viel gelesen, denn rund 150 Handschriften sind erhalten, darunter auch von Übersetzungen in andere Sprachen, z. B. ins Toskanische als Libro delle meravigilie del mondo und später unter dem Titel Il Milione und ins Venezianische. Die größte Verbreitung fand die lateinische Übersetzung des Dominikaners Francesco Pipino da Bologna, die allein in über 50 Handschriften erhalten ist. Darüber hinaus wurde das Buch von Gelehrten aller Art ausgewertet, vor allem Geographen, die Polos sehr exakt wirkenden Entfernungsangaben für ihre Karten übernahmen. Noch Christoph Kolumbus benutzte diese Angaben zur Errechnung der Länge einer Seefahrt nach Indien, wobei er aber zu optimistisch kalkulierte.
Als bereits schwer kranker Mann schrieb Marco Polo kurz vor seinem Tode Anfang Januar 1324 sein Testament, das erhalten geblieben ist.[14] Hieraus geht hervor, dass er bald nach seiner Freilassung im Jahre 1299 und seiner Rückkehr aus Genua in Venedig Donat Badoer, die Tochter des Kaufmanns Vidal Badoer, heiratete und später Vater von drei Töchtern mit Namen Fantina, Bellela und Moreta wurde, von denen die beiden ersten im Jahre 1324 schon verheiratet waren. Er hinterlässt eine goldene Tafel und verfügt die Freilassung seines mongolischen Sklaven Piedro Tartarino.[13]
Von seinem Vater Niccolò Polo ist nur bekannt, dass er um 1300 verstarb, und von seinem Onkel Maffeo kennt man nur ein 1310 angefertigtes Testament, das die Schenkung von drei Goldtafeln durch den Großkhan auf ihrer ersten Reise belegt.[13]
Tod
1324 starb Marco Polo. Da Kritiker schon damals seine Erzählungen für unwahr hielten, wurde er zuletzt von Priestern, Freunden und Verwandten aufgefordert, um seines Seelenheiles willen den Lügengeschichten doch endlich abzuschwören. Dem Bericht des Chronisten Jacopo d'Aqui zufolge soll Marco Polo jedoch auf dem Sterbebett erwidert haben: „Ich habe nicht die Hälfte dessen erzählt, was ich gesehen habe!“ [15][16]
Angeblich wurde Marco Polo nach seinem Tode in der Benediktinerkirche von San Lorenzo (Venedig) beigesetzt, in der sein Vater ebenfalls begraben war. Diese Grabstätten sollen beim Umbau der Kirche von 1580 bis 1616 verloren gegangen sein. Nach anderen Angaben wurde er in der heute nicht mehr existierenden Kirche San Sebastiano begraben.[17]
Marco Polos Haus, das sich am rechtwinkligen Zusammentreffen des Rio di San Giovanni Crisòstomo und des Rio di San Lio befand, ist 1596 abgebrannt.
Ergebnisse der Marco Polo-Forschung
Handschriften
Über Marco Polo selbst ist nur wenig überliefert, aber immerhin gibt es rund 150 Handschriften seines Reiseberichtes. Der Schotte Henry Yule konnte allein schon achtundsiebzig Manuskripte nachweisen. Davon sind 41 in Lateinisch, 21 in Italienisch, zehn in Französisch und vier in Deutsch verfasst.[18] Es wird von vielen Forschern angenommen, dass Polo seine Erlebnisse nicht eigenhändig selbst im Gefängnis aufschrieb, sondern höchstens über Notizen verfügte, die er dem Rustichello da Pisa diktierte. Die vergleichenden Forschungen führten zu dem Ergebnis, dass ein Manuskript in altfranzösischer Sprache eine sehr große Nähe zur Urfassung hat. Damit ist das französische Manuskript gemeint, das die Geographische Gesellschaft zu Paris im Jahre 1824 veröffentlichte und das seitdem als der „Geographische Text“ bezeichnet wird. Von weiterem besonderen Interesse für die Forscher sind in dieser Hinsicht auch ein franko-italienischer Text und das lateinische „Zelada-Manuskript“, die beide ebenfalls als der Urfassung sehr nahe stehend betrachtet werden.[19] Darüber, dass von diesen drei frühesten Manuskripten eines der Originalfassung am allernächsten steht, gibt es bislang keine Einigkeit.
Nach Ansicht von Barbara Wehr, Professorin für Französische und Italienische Sprachwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, muss die bislang vorherrschende Auffassung, Marco Polo habe seinen Reisebericht dem Rusticiano da Pisa diktiert und die Sprache des Urtexts sei Altfranzösisch, möglicherweise korrigiert werden.[20] Ihrer Ansicht nach gibt es mit der lateinischen Fassung von Francesco Pipino da Bologna einen Strang der Textüberlieferung, der keinerlei Spuren der französischen Version von Rusticiano da Pisa aufweist. Sie schließt daraus, dass Rusticiano da Pisa sich erst nachträglich in die Textüberlieferung eingemischt hat und dass es einen Urtext gab, der direkt aus der Feder Marco Polos stammte und auf Altvenezianisch verfasst war.
Glaubwürdigkeit seiner Berichte
Die Frage, ob Marco Polo wirklich in China gewesen ist, beschäftigt seit Jahrhunderten Forscher und Wissenschaftler, denn es gibt nur indirekte Beweise für seinen Aufenthalt in diesem Land, er selbst wird dort nirgendwo namentlich erwähnt. Letzteres kann allerdings auch damit zusammenhängen, dass sein mongolischer bzw. chinesischer Name unbekannt ist[21]. Da die Polos zudem keineswegs die einzigen europäischen Reisenden im Mongolenreich waren und sich nicht besonders von den übrigen zahlreichen Ausländern am Hofe des Großkhans hervorhoben, werden sie auch nicht in zeitgenössischen Aufzeichnungen beschrieben. Marco Polos Darstellung seiner eigenen Bedeutung erscheint jedoch manchen Historikern in einzelnen Aspekten als übertrieben [22][23].
Während zunächst John W. Haeger mit kritischen Anmerkungen lediglich den Aufenthalt Marco Polos in Südchina in Frage stellte (wobei er es allerdings für möglich hielt, dass dieser doch mit Kublai Khan zusammengetroffen war)[22], hat in jüngerer Zeit Frances Wood, Historikerin und Kuratorin der Chinesischen Sammlungen in der British Library, mit ihrer These, Marco Polo habe in seinem Reisebericht nur dasjenige wiedergegeben, was er im Orient von anderen Chinareisenden gehört hatte, sei aber selbst nicht in China gewesen, die Diskussion wieder neu entfacht [24]. Diese These begründet F. Wood unter anderem damit, dass in Marco Polos Reisebeschreibungen wesentliche und bemerkenswerte Besonderheiten der chinesischen Kultur nicht erwähnt werden. Ihre Ausführungen wurden in der Fachwelt unterschiedlich, jedoch im wesentlichen ablehnend diskutiert [25].


Ein herausragendes Beispiel für die Begründung ihrer Annahme sieht F. Wood etwa in der Tatsache, dass Marco Polo die Chinesische Mauer nicht erwähnt. Dieses Argument hatte allerdings bereits 1745 Thomas Astley in seinem Buch „A new general collection of voyages and travels“ vorgebracht [26], und verschiedene Autoren weisen darauf hin, dass bestimmte Mauerabschnitte zu Marco Polos Zeit noch nicht existierten und Abschnitte aus vorangegangenen Bauepochen damals nicht die Bedeutung hatten, die ihnen heute beigemessen wird. So führt zum Beispiel Michael Yamashita mit Blick auf die Mauerteile der Ming-Dynastie aus, dass „die gewaltigen Befestigungsbauten in der Umgebung von Peking, die wir unter dem Namen ‚Große Mauer‘ kennen, ... erst 300 Jahre nachdem er China den Rücken gekehrt hatte [entstanden]"[27].
Marco Polos Bericht über seine Rückreise als Begleitung einer mongolischen Prinzessin, die als Gemahlin für den Khan des persischen Il-Khanats ausersehen war, hält Frances Wood für eine Übernahme aus einem noch unbekannten Text, in dem die drei Polos auch nicht erwähnt werden. Der chinesische Historiker Yang Zhi Jiu weist jedoch darauf hin, dass zwei Quellen existieren, in denen die Reisebeschreibung genau wiedergegeben wird. Sie sind jedoch erst in der Zeit nach Marco Polos China-Aufenthalt entstanden, daher wertet er die exakte Übereinstimmung als Beweis für dessen Anwesenheit im Reich der Mitte[28].
Trotz aller ihrer Kritik stellt Frances Wood am Schluss ihres Buches ausdrücklich klar, dass es – unabhängig von der Wahrhaftigkeit des Poloschen Berichtes – gerade ihm zu verdanken ist, dass sich ein reger Verkehr zwischen West und Ost entwickelte.
Werke
- Divisament dou monde, in italienischer (toskanischer) Übersetzung Il Milione
Verfilmungen
- 1961: Marco Polo; Spielfilm - Frankreich/Italien, Rory Calhoun als Marco Polo, Regie: Hugo Fregonese, Piero Pierotti, Cheh Chang[29]
- 1965: Im Reich des Kublai Khan (La fabuleuse aventure de Marco Polo) - sehr freie Version mit Horst Buchholz als Marco Polo, Regie: Denys de la Patellière, Noël Howard
- 1982: Marco Polo; vierteiliger TV-Film, Ken Marshall als Marco Polo, Regie: Giuliano Montaldo
- 2006: Marco Polo; TV-Spielfilm - USA, Ian Somerhalder als Marco Polo, Regie: Kevin Connor[30]
Zitate
„Es gibt allerdings einzelnes, das er nicht gesehen, jedoch von vertrauenswürdigen Leuten vernommen hat. Es wird daher Selbsterlebtes vom bloß Gehörten getrennt, auf dass unser Buch ein richtiges, ein wahrheitsgetreues und kein Fabelbuch sei.“
Kritische Textausgaben
Bis heute grundlegend ist die sogenannte Edizione integrale von Luigi Foscolo Benedetto: Marco Polo, Il Milione. L. S. Olschki, Florenz 1928 (= Comitato geografico nazionale italiano, 3). Berücksichtigenswert sind außerdem die folgenden Ausgaben:
- Franco-italienische Fassung
Gabriella Ronchi: Marco Polo, Milione. Le divisament dou monde. Il Milione nelle redazioni toscana e franco-italiana, mit einem Vorwort von Cesare Segre, Mondadori, Mailand 1982 - Toskanische Fassung („Ottimo“)
Valeria Bertolucci Pizzorussa: Marco Polo, Milione. Versione toscana del Trecento, 2. verb. Ausg., Adelphi, Mailand 1982 - Lateinischer Text der Handschrift Z
Alvaro Barbieri: Marco Polo, Milione: redazione latina del manoscritto Z, versione italiana a fronte. Fondazione Pietro Bembo, Mailand; Guanda, Parma; 1998, ISBN 88-8246-064-9 - Venezianische Fassung
Alvaro Barbieri, Alvise Andreose: Il Milione veneto: ms. CM 211 della Biblioteca civica di Padova. Marsilia, Venedig 1999, ISBN 88-317-7353-4 - Französische Fassung („Grégoire“)
Philippe Ménard (leitender Herausgeber): Marco Polo, Le devisement du monde, Droz, Genf 2201-2006 (= Textes littéraires français, 533, 552, 568, 575, 586), 5 Bände, ISBN 2-600-00479-3, ISBN 2-600-00671-0, ISBN 2-600-00859-4, ISBN 2-600-00920-5, ISBN 2-600-01059-9 - Lateinische Fassung von Francesco Pippino da Bologna
Justin V. Prášek: Marka Pavlova z Benátek Milion: Dle jediného rukopisu spolu s přislušnym základem latinskym. Česká akademie věd a umění, Prag 1902
Literatur
- Henry Yule: The book of Ser Marco Polo, the venetian concerning the kingdoms and marvels of the east. Translated by Colonel Sir Henry Yule, New York 1926
- Luigi Foscolo Benedetto: Marco Polo. Il Milione. Prima editione integrale, Firenze 1928
Deutsche Übersetzung:
- Elise Guignard: Marco Polo, Il Milione. Die Wunder der Welt. Die Reise nach China an den Hof des Kublai Khan. Übersetzung des vollständigen franco-italienischen Textes ergänzt um die dort nicht enthaltenen Teile aus dem lateinischen Zelada-Manuskript und Nachwort, Manesse, Zürich 1983, ISBN 3-7175-1646-9; Nachdruck im Insel-Verlag, Frankfurt a.M./Leipzig 2009 (= insel taschenbuch 2981), ISBN 3-458-34681-3 (nach Luigi Foscolo: Marco Polo,Il Milione. Prima edizione integrale, Firenze 1928)
Einen Überblick über die Literatur zu Marco Polo gibt
- Vito Bianchi: Nota Bibliografica, in: ders., Marco Polo. Storia del mercante che capì la Cina, Rom/Bari 2007, Seite 331-351
Literatur (Auswahl):
- Laurence Bergreen: Marco Polo.From Venice to Xanadu. New York 2007, ISBN 1616847417
- Detlef Brennecke (Hrsg.): Marco Polo – Die Beschreibung der Welt. 1271–1295., Erdmann, 2003, ISBN 3-86503-116-1
- Alfons Gabriel: Marco Polo in Persien. Wien 1963
- John W. Haeger: Marco Polo in China? Problems with internal evidence. in: The bulletin of Sung and Yüan studies, Nr. 14, 1978, S. 22 - 30
- Henry H. Hart: Venezianischer Abenteurer. Zeit, Leben und Bericht des Marco Polo. Bremen 1959
- Dietmar Henze: Marco Polo. In: Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde. Band 4, Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 2000, ISBN 3-201-01710-8, S. 164–387
- Philippe Menard: Marco Polo. Die Geschichte einer legendären Reise, Primus Verlag, Darmstadt 2009, ISBN 978-3-89678-812-2
- Marina Münkler: Marco Polo. Leben und Legende (Eine Einführung in die Vielschichtigkeit, Komplexität und Schwierigkeit der Marco-Polo-Forschung), C. H. Beck Wissen, München 1998, ISBN 3-406-43297-2, (auszugsweise bei Google-book); Dies.: Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts. Berlin 2000
- Johannes Paul: Abenteuerliche Lebensreise - Sieben biographische Essays, S. 15-66: Marco Polo: Ins Reich des Groß-Khans. Minden 1954
- Igor de Rachewiltz: Marco Polo Went to China. Zentralasiatische Studien 27, 1997, S. 34–92.
- Frances Wood: Marco Polo kam nicht bis China, Piper, 1995, ISBN 3-492-03886-7
- Michael Yamashita: Marco Polo. Eine wundersame Reise. (Bildband mit Originalzitaten), Frederking & Thaler, 2003, ISBN 3-89405-621-5
- Yang Zhi Jiu: Makeboluo zai Zhongguo = Marco Polo in China 马可波罗在中国 / [杨志玖著],Tianjin shi 1999, ISBN 7-310-01276-3
- Alvise Zorzi: Marco Polo - eine Biographie, Claassen, Hildesheim 1992 (Original ital: Milano 1982), ISBN 3-546-00011-0
Einzelnachweise
- ↑ J. Lloyd & J. Mitchinson: The Book of General Ignorance. Faber & Faber, 2006
- ↑ The Travels of Marco Polo — Volume 1 by Marco Polo and Rustichello of Pisa - Project Gutenberg
- ↑ Scrittori d'Italia: leggi il testo
- ↑ Il milione
- ↑ Laurence Bergreen: Marco Polo: From Venice to Xanadu. 1. Ausg. Alfred A. Knopf, New York 2007, ISBN 9781400043453
- ↑ Igor de Rachewiltz: F. Wood's Did Marco Polo Go To China? A Critical Appraisal, ePrint der Australian National University, 28. September 2004 (Online-Version)
- ↑ Christopher I. Beckwith: Empires of the Silk Road: A History of Central Eurasia from the Bronze Age to the Present. Princeton University Press 2009, ISBN 9780691135892, S. 416 (Auszug in der Google-Buchsuche)
- ↑ Denis Twitchett, Herbert Franke: The Cambridge History of China: Alien regimes and border states, 907-1368. Cambridge University Press 1994, ISBN 0521243319, S. 463 (Auszug in der Google-Buchsuche)
- ↑ Johannes de Plano Carpini: Liber Tartarorum. und Ystoria Mongolorum quos nos Tartaros appelamus ; Wilhelm von Rubruk: Itinerarium Willelmi de Rubruc (in Form eines Briefes an den französischen König)
- ↑ Marco Polo, Die Wunder der Welt mit Nachwort von Elise Guignard, XI, S. 17
- ↑ Marco Polo, Die Wunder der Welt mit Nachwort von Elise Guignard, Anhang Geographische Namen, S. 430
- ↑ Marco Polo, Die Wunder der Welt mit Nachwort von Elise Guignard, XIII, S.18
- ↑ a b c d TV-Dokumentation (ZDF, 1996) von Hans-Christian Huf „Die phantastischen Reisen des Marco Polo“
- ↑ Testament des Marco Polo, Biblioteca Nazionale Marciana; Cod. Lat. V 58.59, Sammlg. 2437, c. 33 (hrsg. v. E. A. Cicogna, Delle Iscrizioni Veneziane III, Venedig 1824 ff., 492)
- ↑ Marina Münkler: Marco Polo. Leben und Legende (Eine Einführung in die Vielschichtigkeit, Komplexität und Schwierigkeit der Marco-Polo-Forschung), C. H. Beck Wissen, München 1998, ISBN 978-3406432972, S. 97
- ↑ Marina Münkler: Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts, Akademie Verlag, Berlin 2000, ISBN 3-05-003529-3, S. 265 (bei Google-book)" von ihr zitiert nach Benedettos Ausgabe des Milione (S. CXCIV)
- ↑ Antonio Manno: The Treasures of Venice (Rizzoli Art Guide). Rizzoli International Publications, New York 2004, ISBN 978-0847826308, S. 254.
- ↑ http://gaebler.info/ahnen/paul/johannes-polo.htm#Buch
- ↑ http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/261686/
- ↑ http://www.mwwfk.rlp.de/fobe-bin/fobe.pl?prog=3&pkz=2001950
- ↑ http://www.chinapur.de/html/namen_auf_chinesisch.html, abgerufen 29.12.2010
- ↑ a b John W. Haeger: Marco Polo in China? Problems with internal evidence. in: The bulletin of Sung and Yüan studies, Nr. 14, 1978, S. 22 - 30 (als PDF-Datei)
- ↑ F. Wood's Did Marco Polo Go To China? A Critical Appraisal by I. de Rachewiltz, Punkt 7 und 8 - siehe http://rspas.anu.edu.au/eah/Marcopolo.html, abgerufen 29.12.2010
- ↑ Frances Wood, Did Marco Polo go to China? (London 1995). Deutsche Ausgabe: Frances Wood: Marco Polo kam nicht bis China, Piper, 1995, ISBN 3-492-03886-7
- ↑ Vergl. zum Beispiel die Arbeiten von Igor de Rachewiltz, Laurence Bergreen oder Yang Zhi Jiu, siehe Literatur
- ↑ Vergl. Vito Bianchi, siehe Literatur, S.332
- ↑ Michael Yamashita im Vorwort der deutschen Ausgabe seines Buches (siehe Literatur), Seite 6
- ↑ Yang Zhi Jiu: Makeboluo zai Zhongguo = Marco Polo in China, 1999, Kapitel 12
- ↑ Marco Polo Neu im Kino.Filmdetail Seite
- ↑ Marco Polo Filmlexikon von TV SPIELFILM
Weblinks
- Literatur von und über Marco Polo im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Johannes Paul: Marco Polo: Ins Reich des Groß-Khans, Biografie aus: Abenteuerliche Lebensreise - Sieben biographische Essays, Seite 15 - 66, Wilhelm Köhler Verlag, Minden, 1954
- Igor de Rachewiltz: F. Wood's Did Marco Polo Go To China? A Critical Appraisal by I. de Rachewiltz unter rspas.anu.edu.au (Research School of Pacific and Asian Studies)
- Marco Polo – der erste große Reiseberichterstatter
- Reiserouten der Polos
Personendaten | |
---|---|
NAME | Polo, Marco |
KURZBESCHREIBUNG | venezianischer Händler, Reisender, Schriftsteller und Entdecker |
GEBURTSDATUM | 1254 |
GEBURTSORT | Venedig, Italien |
STERBEDATUM | 8. Januar 1324 |
STERBEORT | Venedig, Italien |
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