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Soziale Ungleichheit

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Ich unterscheide in der menschlichen Art zwei Arten von Ungleichheit: die eine, die ich natürlich oder physisch nenne, weil sie durch die Natur begründet wird, und die im Unterschied zum Lebensalter, der Gesundheit, der Kräfte des Körpers und der Eigenschaften des Geistes oder der Seele besteht; und die andere, die man moralische oder politische Ungleichheit nennen kann, weil sie von einer Art Konvention abhängt und durch die Zustimmung der Menschen begründet oder zumindest autorisiert wird. Die letztere besteht aus unterschiedlichen Privilegien, die einige zum Nachteil der anderen genießen [...].

Jean-Jacques Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit

Soziale Ungleichheit bezeichnet die systematische (also nicht die zufällige) ungleiche Verteilung wertvoller Ressourcen. Wichtig ist also, dass die Ungleichverteilung bestimmten sozialen Kriterien folgt, und dass es sich um wertvolle Güter/Ressourcen handelt, die ungleich verteilt sind. Bei den betreffenden Ressourcen handelt es sich nicht nur um finanzielle, sondern auch um soziale Ressourcen (z.B. Bildung).

Nach Stefan Hradil sind solche Güter wertvoll, die Lebenschancen bedingen. Eine andere Definition von Werten (nach Gluckhohn) sind Wünschenswertes, ebenso kann man den Wert eines Gutes anhand von Angebot und Nachfrage feststellen (wird häufig in der Ökonomie gemacht).

Unterschiede versus Ungleichheiten

Alle Individuen und Gruppen einer Gesellschaft unterscheiden sich auf die eine oder andere Weise von einander. Diese Unterschiede nannte Rousseau die "natürlichen Unterschiede". Diese Unterschiede sind zu einem großen Teil ebenfalls gesellschaftlich bedingt, respektive vom entsprechenden Milieu beeinflusst. Und sie können zur Entstehung respektive Erhaltung von sozialen Ungleichheiten beitragen.

Soziale Unterschiede sind jedoch, für sich alleine gesehen, nichts Negatives. Problematisch werden sie erst dann, wenn eine (moralische, wirtschaftliche, etc.) Kategorisierung und Klassifizierung stattfindet, d.h. die Unterschiede auf einer bestimmten "Werteskala" angeordnet werden.


Allerdings wird "in rechtfertigender Absicht (...) vermehrt die „positive Funktion” von Reichtum und sozialer Ungleichheit ins Feld geführt. Diese wird jedoch meist nur behauptet, und die vorgetragenen Argumente für mehr soziale Ungleichheit sind fragwürdig. (...) Die gesamtwirtschaftlichen Effekte ungleicher Verteilungen sind in den Wirtschaftswissenschaften umstritten. Aus neoliberaler Sicht folgen die anhaltende Massenarbeitslosigkeit und die Wachstumsschwäche aus einer zu geringen Einkommensdifferenzierung; Keynesianer identifizieren die zu geringe Binnennachfrage, die wiederum aus der zunehmenden einseitigen Einkommens- und Vermögenskonzentration auf die oberen Einkommensklassen resultiert, als Hauptgrund für die wirtschaftlichen Probleme. Beide sehen also die gegenwärtige Einkommens- und Vermögensverteilung in ihren ökonomischen Folgen als negativ. Die neoliberale Sicht fordert mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen allerdings eine Zunahme der (besonders Einkommens-)Ungleichheit ("Ungleichheit als Arbeitsanreiz"). (...)

(Aber auch die ...) beschäftigungspolitischen Effekte von sozialer Ungleichheit sind in der Theorie umstritten. Entgegen der Behauptung „neoliberaler” Wirtschaftswissenschaftler muss nicht die Wahl zwischen Ungleichheit und Arbeitslosigkeit getroffen werden. Die Empirie weist recht eindeutig auf keinen positiven Effekt von mehr Ungleichheit auf die Beschäftigtenstruktur hin. Seit Anfang der 1980er Jahre hat eine Politik in Deutschland, die eine stärkere soziale Ungleichheit verfolgte und in dieser Hinsicht auch erfolgreich war, bekanntlich nicht zu einer Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt geführt. Auch international herrscht in Ländern mit niedrigen Lohn-, Steuer- und Sozialniveaus, in denen die soziale Ungleichheit entsprechend groß ist, keineswegs Vollbeschäftigung. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) untersuchte für verschiedene Länder und den Zeitraum von 1990 bis 1994 Beschäftigungsentwicklung sowie Arbeitslosenquote auf der einen und die Entwicklung der Einkommensverteilung auf der anderen Seite. Zwischen diesen Größen ließ sich keine signifikante Beziehung feststellen. ..."

(aus: "Reichtum und Armut als Herausforderung für kirchliches Handeln", hrsg. von der Werkstatt Ökonomie (im Auftrag von und in Kooperation mit verschiedenen evangelischen Kirchen und Einrichtungen), Oktober 2002. Zur sozialen Gerechtigkeit hier besonders Kapitel 5: "Öffentliche Armut, soziale Gerechtigkeit und Grenzen der Ungleichheit". PDF-Datei (166 KB)


Literatur

  • Jean-Jacques Rousseau: Discours sur l'inégalité.
  • Max Weber: Protestantische Ethik und Geist des Kapitalismus und Wirtschaft und Gesellschaft
  • Karl Marx: Alle Schriften
  • Pierre Bourdieu: La Reproduction und Les Héritiers
  • Raymond Boudon: La logique du social und L'inégalité des chances: la mobilité sociale dans les sociétés industrielles
  • R. Aron: Die Desillusion des Fortschritts
  • R. Girod: Les inégalités sociales
  • H. Zwicky: Die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit
  • R. Lévy: Alle gleich?
  • Hradil, Stefan: Soziale Ungleichheit in Deutschland

Staatliche Maßnahmen

Der Sozialstaat ist verpflichtet, soziale Ungleichheiten bis zu einer gesetzlichen Limitation auszugleichen. In Deutschland ergibt sich dies aus Artikel 13 des Grundgesetzes, welcher sich auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums bezieht.


Siehe auch: Soziale Klasse, Soziale Schicht, Gini-Koeffizient, Soziale Gerechtigkeit